Maria Anna Mozart: Das vergessene Wunderkind

Jeder weiß um das Genie von Wolfgang Amadé Mozart. Doch nur wenigen Menschen ist bekannt, dass er eine ältere Schwester hatte, die ebenfalls eine ungemein talentierte Musikerin war.
In ihrer Jugend reisten beide Kinder gemeinsam durch Europa und spielten vor den Großen und Mächtigen der Welt. Doch mit der Zeit wurde Maria Anna Mozart zugunsten ihres brillanten Bruders nicht weiter gefördert. Stattdessen ignorierten ihre Eltern ihr musikalisches Talent, und bis vor Kurzem war sie nahezu vergessen. Wie kam es dazu?
Zwei talentierte Mozart-Geschwister
Leopold Mozart (1719–1787) und seine Frau Anna Maria (1720–1778) hatten sieben Kinder, von denen fünf im Säuglingsalter starben. Von den beiden überlebenden Kindern ist das Schicksal des einen weltberühmt. Johann Chrysostomus Wolfgang Theophilus Mozart (1756–1791), besser bekannt als Wolfgang Amadeus Mozart oder Amadé, wie er sich selbst nannte – beides die latinisierte Form von Theophilus –, wuchs zu einem der größten Komponisten aller Zeiten heran.
Doch fünf Jahre zuvor kam ein anderes Kind auf die Welt: Maria Anna Walburga Ignatia Mozart (1751–1829) oder „Nannerl“, wie ihre Familie sie nannte. Vater Leopold war von Beruf Hofkomponist und unterrichtete seine Tochter ab ihrem siebten Lebensjahr am Cembalo. Dabei stellte er sogar ein Buch mit Kompositionen für sie zusammen, die nach Schwierigkeitsgrad geordnet waren.
Das junge „Wolferl“ – Wolfgang Amadés Kosename – beobachtete diese Lehrstunden bereits von der Wiege aus. Als auch er damit begann, sein musikalisches Talent zu zeigen, beschloss Leopold Mozart, dies zu nutzen.

Porträt von Maria Anna Mozart (1751–1829) aus dem Jahr 1763, gemalt von Pietro Antonio Lorenzoni. Foto: Gemeinfrei
Eine große Tournee durch Europa
Im Sommer 1763 brach die gesamte Familie Mozart zu einer großen Europatournee auf, bei der sie in vielen großen Hauptstädten auftraten. Nannerl war fast zwölf und Wolfgang sieben Jahre alt. Um sich die Zeit während der langen Kutschfahrten zu vertreiben, schufen die Kinder eine Fantasiewelt, die sie „Das Königreich Riicken“ nannten.
Diese Fantasiewelt hat zu zahlreichen historischen Spekulationen geführt. Was genau war dieses „Königreich Riicken“? Leider sind uns nur wenige konkrete Details überliefert, die über einen vagen Umriss hinausgehen.
Wie Jane Glover in „Mozarts Frauen: Seine Familie, seine Freunde, seine Musik“ beschreibt, wissen wir, dass es ein fiktives Reich war, das Wolferl und Nannerl als König und Königin gemeinsam „regierten“. Ihr Diener Sebastian fertigte manchmal Zeichnungen für sie an – inspiriert von all den Palästen, Königshäusern und der Opulenz, die sie auf ihrer großen Reise antrafen. Offensichtlich war dies ein geistiges Paradies, in das die Kinder aus dem anstrengenden Zeitplan ihrer öffentlichen Auftritte entfliehen konnten.

Bild von Wolfgang Amadeus Mozart mit seinem Vater Leopold und seiner Schwester Maria Anna in Paris. Foto: Gemeinfrei
Bewunderung für Maria Anna Mozart als Pianistin
Auf ihren Reisen durch Europa spielte das Geschwisterpaar vor einem Publikum aus wohlhabenden Bankiers, Adeligen und Königen. Sie traten für Kaiserin Maria Theresia von Österreich, König Ludwig XV. von Frankreich und König Georg III. von Großbritannien auf. In London bewarb ihr Vater die beiden als „Wunderkinder der Natur“. Hier spielten sie sogar vor dem bürgerlichen Publikum in der Cornhill Tavern.
Wolferl bewunderte immer seine ältere Schwester. Allerdings übertrafen seine Fähigkeiten die seiner Schwester und er bekam den meisten Beifall. Er wurde vor verschiedene Herausforderungen gestellt und musste die Basslinie zu einer bestimmten Melodie liefern oder die Tonhöhe von Glocken und Uhren erkennen – zusätzlich zu den üblichen Instrumenten. Während das Publikum Nannerls Fähigkeiten am Klavier bewunderte, war es von Wolfgang geradezu verzaubert.
Als die Familie Mozart drei Jahre nach ihrer Abreise nach Salzburg zurückkehrte, blieb Nannerl dort. Sie war nun eine junge Frau, die aus der Kategorie „Wunderkind“ herausgewachsen war. Zurück in London ließ Leopold sie jünger erscheinen, um die Leute zu beeindrucken. Doch die Zeit der Wunderkinder war nun vorbei.

Ein Abbild von Maria Anna Mozart aus dem Jahr 1768. Foto: Gemeinfrei
Rückzug aus dem Rampenlicht
Während Wolfgangs Ruhm wuchs, wurden Nannerls Talente weitgehend ignoriert. Sie und ihre Mutter lasen die Briefe von Leopold und Wolfgang mit Neid. In der Korrespondenz zwischen Wolfgang und Maria Anna tauchen gelegentlich Hinweise auf das „Königreich Riicken“ auf. In einem Brief vom 14. August 1773 spricht Wolfgang Nannerl als „meine Königin“ an.
Im Laufe der Jahre rückte diese Fantasiewelt für Nannerl jedoch immer mehr in weite Ferne. Die Realität hatte Einzug gehalten. Sie konzentrierte sich in den folgenden Jahren darauf, in Salzburg privat Klavierunterricht zu geben, zu spielen und eigene Stücke zu komponieren. Und als Wolfgang in Wien eine neue Heimat fand, verlor sie ihren Spielkameraden aus Kindertagen und Mitregenten aus dem „Königreich Riicken“.
Als ihre Mutter 1778 starb, war ihr einziger Gefährte der mürrische Leopold. Die damals 27-Jährige sei schon immer jähzornig gewesen, doch nach dem Verlust ihrer Mutter neigte sie zu Schreikrämpfen und Wutausbrüchen.
Im Jahr 1784 ging sie eine Zweckehe mit dem 15 Jahre älteren Witwer Johann Baptist Reichsfreiherr Berchtold von Sonnenburg (1736–1801) ein. Dieser brachte fünf Kinder mit in die Ehe und gemeinsam zog das Paar nach St. Gilgen, einem österreichischen Dorf, in dem ihr Mann als Präfekt diente. Im Alter von 33 Jahren verschwindet sie vorübergehend aus der Familiengeschichte der Mozarts und findet erst im folgenden Jahrzehnt wieder Erwähnung.

Porträt von Johann Baptist Reichsfreiherr Berchtold von Sonnenburg, dem Ehemann von Maria Anna Mozart. Foto: Gemeinfrei
Maria Anna Mozart als Komponistin
Nach dem Tod ihres Bruders wird sie von seinen Biografen angesprochen und versorgte diese mit Erinnerungsstücken aus den in ihrem Besitz befindlichen Briefen und Tagebucheinträgen. Es ist Nannerl zu verdanken, dass wir so viele Details über Wolfgangs frühes Leben kennen, darunter auch das geheimnisvolle „Königreich Riicken“.
Wir wissen, dass Nannerl selbst Musik schrieb, da Wolfgang in einigen seiner Briefe ihre Kompositionen lobte. In einem Brief vom 7. Juli 1770 ermutigt er sie, nachdem er ein von ihr geschriebenes Lied erhalten hat:
Meine liebe Schwester! Ich bin erstaunt zu entdecken, dass Sie so herrlich komponieren können. Mit einem Wort, Ihr Lied ist wunderschön. Du musst öfter komponieren.“
Weder dieses Lied noch eine andere Musik, die sie geschrieben hat, ist erhalten geblieben. Kürzlich entdeckte der australische Musikprofessor Martin Jarvis jedoch Unstimmigkeiten in Mozarts Manuskripten.
Forensische Analysen der Mozart-Schriften ergaben, dass zwei seiner fünf Violinkonzerte in einer anderen Handschrift geschrieben worden seien. Prof. Jarvis vermutet daher, dass nicht Wolfgang Amadeus Mozart diese Noten schrieb, sondern vielleicht seine Schwester Nannerl.

Familienporträt der Mozarts: Maria Anna Mozart (l.) mit ihrem Bruder Wolfgang Amadeus Mozart (M.) und ihrem Vater Leopold Mozart. Das Gemälde in der Mitte zeigt die verstorbene Mutter Anna Maria Mozart. Foto: Gemeinfrei
Reise in die Vergangenheit
Wahrscheinlich werden wir nie erfahren, wie Nannerls Musik einst klang. Zwar gibt es bis heute keine ausführliche Biografie über Maria Anna Mozart, aber es wurden mehrere Romane über ihr Leben verfasst und sogar ein Film gedreht. Das jüngste dieser Werke ist der englischsprachige Roman „The Kingdom of Back“ von Marie Lu.
Aus der Sicht von Nannerl geschrieben, reist der Leser in die imaginäre Welt, die sich die jungen Wunderkinder gemeinsam geschaffen haben. Im weiteren Verlauf der Geschichte vermischen sich reale historische Ereignisse mit einer immer komplexeren Fantasiewelt. Als „die andere Mozart“ durch das Talent ihres Bruders ins Abseits gedrängt wird, wird das „Königreich Riicken“ zum Symbol für Marias innere Konflikte und spiegelt ihre eigenen Kämpfe und Ambitionen wider.
Die fiktionalen Romane von Lu und anderen Autoren sind das, was uns am nächsten an die Leistungen und das Leben von Maria Anna Mozart heranführt. Obwohl ihre Geschichte eine der großen Was-wäre-wenn-Fragen der Geschichte bleibt, wird ihre Leistung inzwischen anerkannt, und sie ist nicht länger ein vergessenes Wunderkind.
Dieser Artikel erschien im Original auf theepochtimes.com unter dem Titel „Maria Anna Mozart: The Forgotten Prodigy“. (redaktionelle Bearbeitung kms)
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