„Kosten für Verbraucher werden steigen“ – so schätzen Experten Habecks CO₂-Strategie ein
Der Vizekanzler sieht diese Methode als „notwendige Ergänzung in der Klimapolitik“ an, um die CO₂-Emissionen von Deutschland weiter zu senken. Doch sein Vorhaben stößt in der Regierungskoalition auf Kritik. So sagte etwa die klimapolitische Sprecherin der SPD-Fraktion Nina Scheer: „Für den Klimaschutz bei der Energiegewinnung haben wir die Erneuerbaren.“ Dafür benötige man keine CO₂-Speicherung.
Auch aus Habecks eigenen Reihen kam Gegenwind: „CCS in der Energiewirtschaft sehen wir nicht“, sagte die Grünen-Klimapolitikerin Lisa Badum. So sähen es auch Beschlüsse der Grünen-Fraktion vor.
Was passiert beim CCS?
Wie die CCS-Technologie funktioniert, erklärt Prof. Leonhard Ganzer, Abteilungsleiter für Lagerstättentechnik an der TU Clausthal der Epoch Times auf Anfrage. „Das CO₂ soll rund 1.000 Meter unter dem Meeresboden der Nordsee in feinen Poren des Gesteins abgespeichert werden.“ Dabei verdränge das CO₂ das im Gestein befindliche Wasser.
Weiter erklärt Ganzer: „In dieser Tiefe ist Kohlenstoffdioxid aber nicht mehr gasförmig. Er ist stark verdichtet und wird fast so schwer wie Erdöl. So können auf geringem Volumen große Mengen CO₂ gespeichert werden.“ Für dieses Verfahren seien kostspielige Offshore-Tiefenbohrungen erforderlich. Andere Länder haben diese Methode bereits angewendet.
In der ersten Phase wäre das Projekt nach Ansicht von Ganzer ein Pilotversuch, der Akzeptanz schaffen könnte – oder Probleme an der Methode aufzeige. „Da kommen hohe Investitionen auf uns zu. Eine massive staatliche Subventionierung dürfte hier Voraussetzung sein. Zudem müssten die gesetzlichen Grundlagen wie ein CO₂-Speichergesetz geschaffen werden.“
Hinzu kommt, dass das CCS eine umfassende Infrastruktur benötige, um das etwa von der Industrie erzeugte CO₂ zu sammeln, zu transportieren und in die Tiefe zu verpressen. Dennoch hält der Lagerstättentechniker Habecks Plan generell für „ein positives Signal und ein Schritt in die richtige Richtung zur Dekarbonisierung“. Ganzer fügte hinzu: „Wir müssen technologieoffen vorgehen, um Netto Null erreichen zu können.“
Ergänzend zum Punkt der Infrastruktur teilte der Diplom-Chemiker Dr. Christoph Canne mit: „Dies [der Transport] kann derzeit nur per Güterwagen erfolgen. Am Hafen muss das CO₂ dann in Tanker umgeladen werden, die es schließlich zur Deponie unter dem Nordseeboden bringen.“ Für die Zukunft werde ein Leitungsnetz diskutiert. Wilhelmshaven sei hierfür als Drehkreuz im Gespräch.
Habecks CCS-Strategie
Canne sieht in Habecks Plan zwei Komponenten. Einerseits wäre da die Abtrennung von CO₂ für sogenannte „hard-to-abate“ (schwer-zu-vermeiden)-Branchen. Das bedeute, dass keine andere CO₂-vermeidende Technologie zur Verfügung steht. „Als klassisches Beispiel nennen viele hier immer die Zementindustrie“, schildert der Chemiker, der auch als Sprecher der Initiative Vernunftkraft tätig ist. Bei der Herstellung von Zement seien CO₂-Emissionen unvermeidbar. „Die einzige Dekarbonisierungsstrategie hier ist, dem anfallenden CO₂ den Eintritt in die Atmosphäre zu verwehren.“
Die zweite Komponente des Plans ist laut Canne die künftige Ermöglichung der CCS-Technologie für Gaskraftwerke. „Das kam hingegen überraschend – sogar für die Verfechter erneuerbarer Energien in Habecks Reihen. Sie erweist sich als eine Folge des Bundesverfassungsgerichtsurteils, welches den Plänen zur grünen Transformation die Anforderung der soliden Gegenfinanzierung gegenüberstellt.“ Das Urteil habe Habecks Kraftwerksstrategie in Probleme gebracht. Die Energiewende erfordere grundlastfähige Kraftwerke zur Stromproduktion bei Dunkelflaute. „Dafür und als Dekarbonisierungsstrategie der Regierung will sie neue Erdgaskraftwerke bauen, die perspektivisch durch grünen Wasserstoff befeuert werden“, erklärt Canne.
Das erfordere jedoch hohe Subventionen. Ebenso sei es unklar, woher die erforderlichen Wasserstoff-Mengen kommen sollen. Diese beiden Probleme würden Habecks Kraftwerksstrategie blockieren. „Kein Kraftwerksprojektierer möchte solche Risiken in Kauf nehmen“, äußert Canne. In dieser Situation erscheine CCS wie ein zusätzliches Angebot an die Betreiber künftiger Gaskraftwerke. „Wenn grüner Wasserstoff nicht oder nicht in ausreichendem Maße zur Verfügung steht, dürfen diese auch auf die CCS-Technologie ausweichen. Die in der EU in den nächsten Jahren steigenden CO₂-Preise durch die Verknappung von CO₂-Zertifikaten sollen dafür sorgen, dass CCS gegenüber der Verbringung in die Atmosphäre wirtschaftlich interessant wird.“
Ist die Technologie sicher?
Habeck betonte bei der Vorstellung des Plans, dass die CCS-Technologie „sicher“ sei. Geologen müssten allerdings jede Lagerstätte auf ihre Unbedenklichkeit untersuchen, merkte Canne an. Bei Tiefenbohrungen dieser Art könnten tektonische Verwerfungen entstehen. „Außerdem müssen stabile Deckschichten über der Lagerstätte sicherstellen, dass keine größeren Mengen an CO₂ über die Zeit nach oben entweichen und so die Maßnahme sinnlos machen würden“, so Canne. „Wo man dies sicherstellen kann, steht der Maßnahme an sich nichts entgegen.“
Ein viel grundsätzlicheres Problem sieht der Chemiker jedoch darin, dass die Nordsee zunehmend zum Zwecke der Energiewende industrialisiert wird. Hier soll eine Vielzahl von Windkraftanlagen mit entsprechenden Stromleitungen entstehen. Ebenso gibt es Ideen, für die Energiewende wertvolle kritische Metalle in den Tiefen der Nordsee abzubauen. „Und jetzt auch noch die CO₂-Entsorgung. Alle diese Ideen haben gemeinsam die Belastung der Menschen an Land zu reduzieren, indem man auf das Meer ausweicht“, erklärt Canne. „Jedoch bleibt vollkommen unklar, was eine so intensive Industrialisierung unserer Meere für die Tiefseefauna und generell für die maritime Biodiversität bedeuten.“ Diese Fragen hätten die Entscheidungsträger bisher nicht gestellt.
Ganzer merkte hierzu an, dass die Risiken der CCS-Technologie äußerst gering sind. „Natürlich ist nichts hundertprozentig sicher. Dennoch hat die Industrie seit bestimmt schon 70 Jahren mit CO₂-Abscheidung in der Tiefe Erfahrungen gesammelt. Die Risiken sind bekannt und können eingegrenzt werden.“ Die Risiken seien zudem viel geringer als bei anderen Aktivitäten im Untergrund. Selbst wenn seismische Vorkommnisse auftreten würden, hätten diese keinerlei Folgen für Leib und Leben. Auch eine Pipeline mit CO₂ wäre absolut unbedenklich.
Finanzierung
Wie bereits erwähnt, dürften die Kosten dieses Vorhabens hoch werden und wären auf Staatssubventionen laut Ganzer im Milliarden-Euro-Bereich angewiesen. Ohne diese wird sich dieses Projekt laut Ganzer nicht realisieren.
In welchem Preisbereich sich die Kosten bewegen, orientiere sich nach dem Preis für die Tonne CO₂ und der emittierten CO₂-Menge. Das CCS sei hierbei die teuerste Komponente mit rund 50 Euro pro Tonne. Am günstigsten in dieser Kette wären noch die Transportkosten, die Ganzer auf 15 Euro pro Tonne schätzt. Die dritte Komponente ist die Speicherung. Der Preis dafür werde bei rund 25 Euro pro Tonne liegen. „Insgesamt belaufen sich die Kosten demnach auf mindestens 90 Euro pro Tonne CO₂“, teilt der Lagerstättentechniker mit.
Auch Canne schätzt die kalkulierten Kosten auf 50 bis 90 Euro pro Tonne. Er fügt hinzu, dass der CCS-Vorgang nun in Konkurrenz zum Kauf von CO₂-Zertifikaten stehe. Letztere kosten aktuell (4. März 2024) an der Börse rund 57 Euro pro Tonne. „Das Verfahren ist also derzeit kaum wirtschaftlich“, resümiert Canne.
Ebenso sagt er: „Die Kosten für Verbraucher und Unternehmen, insbesondere die energieintensive Industrie, werden dadurch weiter steigen.“ Dabei sei es egal, ob die Dekarbonisierung durch Einsatz von teurem grünem Wasserstoff oder durch CCS erfolgen wird. „Solange es aber in anderen Ländern möglich sein wird, auf beides zu verzichten und so günstiger als in der EU zu produzieren, wird der Deindustrialisierungsdruck auf Deutschland groß bleiben.“
Als zweiten Kostenblock nennt der Chemiker die Kraftwerke. „Hier ist zu bedenken, dass neben den Investitionskosten der CCS-Anlagen auch der Wirkungsgrad der Energieerzeugung sinkt. Studien zufolge um bis zu einem Drittel. Das erhöht entsprechend die Brennstoffkosten.“
Angst vor dem Treibhausgas
Letztlich merkte Ganzer noch an, dass er „die Angst vor CO₂ nicht nachvollziehen“ könne. „CO₂ ist nicht toxisch, nicht brennbar. Wir atmen es ständig ein.“ Das Treibhausgas CO₂ neben anderen Treibhausgasen sorge dafür, dass unser Planet keine durchschnittliche Temperatur von –18 Grad Celsius, sondern 15 Grad Celsius hat. Ein Treibhausgas ist zunächst weder gut noch schlecht.
Die Risiken sieht er hingegen bei hohen Konzentrationen des Moleküls. Laut Ganzer gibt es derzeit aber zu viel CO₂ in der Atmosphäre, weshalb es wärmer wird. „Das ist die Katastrophe, auf die wir zusteuern.“ Denn unser ausgestoßenes CO₂ bleibe längere Zeit in der Atmosphäre. „Daher besteht eine Dringlichkeit in der CCS-Technologie, um jetzt die Emissionen zu senken“, so Ganzer.
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