Lauterbach präsentiert Studie: AMOC-Zusammenbruch könnte Europa um 30 Grad kälter machen

Auf X hat Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach vor einem Zusammenbruch des Strömungssystems AMOC gewarnt. Diese würde Europa um 30 Grad kälter machen. Er beruft sich auf eine Studie, in der ein „Kipppunkt“ beschworen wird.
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Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach kümmert sich auch um Klima.Foto: iStock
Von 13. Februar 2024

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Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hat auf X auf eine „beunruhigende Studie zum AMOC-System“ hingewiesen, dem „Kreislauf zwischen warmen und kälterem Meerwasser von Süden nach Norden.“ Als Gewährsmann nennt er dabei den Klima-Systemanalytiker Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK).

Strömungssysteme des Atlantiks stabilisieren Klimaentwicklung in Europa

Dieser warne bereits seit Langem vor einem möglichen „Kipppunkt“ der sogenannten Atlantischen Meridionalen Umwälzzirkulation (AMOC). Wie Forscher der Universität Utrecht in einer Studie für das Magazin „Science Advances“ erklärt hatten, werde diese nicht nur schwächer. Es sei möglich, dass diese im Verlaufe der kommenden Jahre oder Jahrzehnte versiege. Dies hätte potenziell gravierende Auswirkungen, vorwiegend auf das Klimageschehen in Europa.

Bereits vor Jahren wurde gerne auf einen „Zusammenbruch des Golfstroms“ rekurriert, wenn ungewöhnliche Kälteeinbrüche in üblicherweise heißen Monaten Zweifel an Erwärmungswarnungen genährt hatten. Die Meldungen über Hitzerekorde in den vergangenen Jahren sprachen wiederum dagegen, dass ein solcher gerade stattfinde. Ebenso einige vergleichsweise milde Winter seit 1990.

Der Klimawandel gefährde die Stabilität dieser Zirkulation, lautet das Hauptargument für diese Hypothese. Diese führe zur Erwärmung des Atlantiks, was zur verstärkten Eisschmelze in der nördlichen Polarregion beitrage. Dadurch werde aber zusätzliches Süßwasser frei und störe das bestehende Verhältnis zwischen Salz und Wasser im Ozean. In weiterer Folge würde die Strömung schwächer – bis sie möglicherweise komplett versiege.

Wie hängen AMOC und Golfstrom zusammen?

Die AMOC-Hypothese stellt demgegenüber eine Erweiterung dar. Die AMOC und der Golfstrom sind zwar eng miteinander verbunden, die Begriffe sind jedoch nicht deckungsgleich. Die AMOC ist eine ozeanische Strömung, die warmes Wasser aus Äquatornähe in den Nordatlantik transportiert. Auf diese Weise trägt sie zum milden Klima auf dem europäischen Kontinent bei.

Die Atlantische Meridionale Umwälzströmung (AMOC), alias Golfstrom transportiert warmes Oberflächenwasser nach Europa. Foto: Levke Caesar, Maynooth University / Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK)

Der Golfstrom gehört zum gleichen komplexen System von Meeresströmungen. Er stammt aus dem Golf von Mexiko und fließt entlang der Ostküste Nordamerikas nach Norden. Dabei bewegt er etwa 90 Millionen Kubikmeter Wasser pro Sekunde Richtung Osten.

Die Wissenschaftler der Universität Utrecht haben nun mithilfe von Computersimulationen ein Szenario dargestellt, wonach sich die AMOC stetig abschwäche. Diese Entwicklung könne am Ende zu einem vollständigen Versiegen führen.

Lauterbach rechnet Prognosen für einzelne Jahrzehnte hoch

In ihrer Simulation kühlte sich das Klima infolge dieses angenommenen Szenarios in Europa um ein Grad pro Jahrzehnt ab, in einigen Regionen sogar um mehr als drei. Auch der europäische Meeresspiegel könnte dieser Berechnung zufolge um einen Meter ansteigen.

Lauterbach leitet aus dieser Simulation her, dass ein Rückgang der Temperatur um drei Grad pro Jahrzehnt auf ein Jahrhundert gerechnet eben 30 Grad ausmachen würde. Offenbar geht er davon aus, dass die Entwicklung des weltweiten Klimas abgesehen vom AMOC-Phänomen linear und gleichbleibend verlaufen würde – und nicht andere Trends die Entwicklung ihrerseits beeinflussen.

Es war jedoch im bisherigen Verlauf der Erdgeschichte die Regel, dass eine tiefgreifende Veränderung eines überregional wirksamen Klimaphänomens auch andere beeinflusst hat. Dies konnte eine wechselseitige Verstärkung, aber auch Abschwächung oder Neutralisierung von Wirkungen herbeiführen. Abrupte Veränderungen von Klimasystemen sind bislang eher die Ausnahme gewesen.

Wissenschaftler der FAU Erlangen-Nürnberg haben herausgefunden, dass Temperaturveränderungen in vergangenen Jahrmillionen wahrscheinlich nicht langsamer als die heutigen waren. Vor 250 Millionen Jahren an der Perm-Trias-Grenze erwärmten sich die Ozeane um zehn Grad – dieser Prozess vollzog sich über einen Zeitraum von 60.000 Jahren. Allerdings vollziehe sich der seit Beginn der Industrialisierung feststellbare Klimawandel schneller als bislang im Detail erforschte Veränderungsprozesse.

Hauptautor warnt vor „verheerenden Folgen“ bei Eintritt des Szenarios

Die niederländischen Forscher, an deren Studie auch Rahmstorf mitgewirkt hatte, betonen, dass sie in der Lage gewesen wären, anhand genauerer und komplexerer Datengefüge die Entwicklung zu simulieren. Im Unterschied zu den einfacheren früheren Modellen wäre es möglich gewesen, mögliche Kipppunkte zu bestimmen.

Dem Hauptautor René van Westen, eines Meeresforschers an der Universität Utrecht, zufolge lässt sich „zumindest sagen, dass wir uns auf den Kipppunkt des Klimawandels zubewegen“. Man sei von der Geschwindigkeit „überrascht“ und die Folgen würden „verheerend“ sein, erklärt er laut „Spiegel“.

In der südlichen Hemisphäre könnte die Entwicklung hingegen eine weitere Verstärkung der Erwärmung bewirken – bis zu einer Umkehrung von Regen- und Trockenzeiten im Amazonasgebiet. Dies wiederum könnte den Regenwald zum Kippen bringen und zu weltweit stärkeren Temperaturschwankungen beitragen.

Strömungssystem mit AMOC seit 1950 um 15 Prozent zurückgegangen

Den entscheidenden Mehrwert für ihre Forschung maßen die Autoren den Daten bei, die sie über den Salzgehalt im südlichen Teil des Atlantiks herausfinden konnten. Ihre Simulation habe dessen Veränderungen über einen Zeitraum von 2000 Jahren nachgezeichnet. Auch ein langsamer Rückgang könne zu einem „plötzlichen Zusammenbruch in weniger als 100 Jahren“ führen.

Allerdings räumt Van Westen ein, dass für eine genauere Bestimmung dieses Zeitpunkts die nötige Datenmenge fehle. Die letzte einschneidende Veränderung bei der AMOC habe es vor etwa 10.000 Jahren gegeben. Das System befinde sich derzeit jedoch im „schwächsten Zustand seit mehr als einem Jahrtausend“. Seit 1950 sei die Strömung um 15 Prozent zurückgegangen. Die Veränderungen seien, wenn eingetreten, jedoch „nach menschlichen Zeitmaßstäben unumkehrbar“.

Gegenüber CNN erklärt jedoch Joel Hirschi vom National Oceanography Center in Großbritannien, man solle die Studie und ihre Ergebnisse nicht überbewerten. Es sei zwar ein komplexes Modell für diese zur Anwendung gekommen. Ihre Auflösung sei aber immer noch gering – und damit könnten die Darstellungen einiger Teile des Strömungskomplexes unpräzise sein.

Alarmismus als falsche Strategie im Klimaschutz?

Der dänische Statistiker Bjørn Lomborg warnt vor Katastrophenszenarien. Er weist etwa in „Forbes“ auf eine Vielzahl vergangener Prognosen der Klimaforschung hin, die sich nicht bewahrheitet hatten.

Lomborg warnt, dass Alarmismus und darauf gestützte Politik von Belastungen und Einschränkungen die Akzeptanz des Klimaschutzes in der Bevölkerung langfristig senken könnten. Gleichzeitig versperre diese Herangehensweise den Blick auf realistische und zielführende Maßnahmen zur Verringerung von Treibhausgasen.

Tatsächlich, so Lomborg, sei die Zahl der Opfer klimabedingter Katastrophen wie Fluten, Dürren, Stürme oder extremer Temperaturen über das vergangene Jahrhundert um 98 Prozent gesunken. Dies, so Lomborg, widerlege nicht den menschlichen Einfluss auf die Klimaentwicklung. Es zeige jedoch, dass die Menschheit in der Lage ist, sich auf klimabedingte Herausforderungen einzustellen.

Met Office hält abrupte Veränderungen für unwahrscheinlich

Bereits im vergangenen Jahr war eine Studie erschienen, die den Kipppunkt der AMOC für einen Zeitraum zwischen 2025 und 2095 prognostiziert hatte. Das britische Met Office hält große, schnelle und tiefgreifende Veränderungen der AMOC im 21. Jahrhundert hingegen für unwahrscheinlich.

Im „Guardian“ verglich Jeffrey Kargel vom Planetary Science Institute in Arizona die Veränderungen mit „wilden Schwankungen des Aktienmarktes, die einem großen Crash vorausgehen“. Ob der Vergleich geeignet ist, um die Vertrauenswürdigkeit der Prognosen zu untermauern, ist fraglich.

Was sich mit Blick auf Computersimulationen mit Sicherheit sagen lässt, ist, dass diese nur so gut sind wie die Daten, mit denen sie gefüttert werden. Auch, wenn es mittlerweile deutlich mehr und deutlich komplexere Berechnungen sind: Die Auswahl der für relevant erachteten Informationen erfolgt durch Menschen. Klimaerscheinungen sind erfahrungsgemäß jedoch so komplex und von so vielen Faktoren abhängig, dass diese langfristig immer noch mit einer Vielzahl an Unsicherheiten behaftet sind. Vor allem verlaufen sie höchst selten über längere Zeiträume hinweg linear.

 



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