„Heimat Deutschland“ im ARD-Talk: Göring-Eckardt will Begriff vor Rechten schützen – Chebli fühlt sich angegriffen

Eklats blieben aus, als Frank Plasberg mit seinen Gästen bei „Hart aber fair“ am Montag darüber diskutierte, für wen die „Heimat Deutschland“ gedacht sei. Dennoch fühlten sich manche Persönlichkeiten aus der Einwanderercommunity durch den Begriff irgendwie ausgegrenzt.
Von 26. Februar 2019

Wenn ein Format wie der WDR-Talk „Hart aber fair“ mit Frank Plasberg die „Heimat“ zum Thema macht, geraten bereits die Begleitumstände im Vorfeld zu einer psychopathologischen Bestandsaufnahme über deutsche Befindlichkeiten.

Die Verantwortlichen im Vorfeld mussten eigentlich gewarnt sein. Wenn es um den Begriff der Heimat geht, der in jedem anderen Land der Welt eine ähnliche Selbstverständlichkeit darstellen dürfte wie die regelmäßige Körperhygiene, gibt es immer noch einen deutschen Sonderweg, der insbesondere Identitätspolitikern aller Schattierungen nutzt und an dem diese deshalb verbissen festhalten.

Vor fast genau einem Jahr hatte etwa der Vorsitzende der „Türkischen Gemeinde Deutschlands“ (TGD), Atila Karabörklü, Anstoß daran genommen, dass die Große Koalition Horst Seehofer auch zum „Heimatminister“ gemacht hatte. Karabörklü nannte dies „einen falschen Akzent zur falschen Zeit“. Der Begriff sei nicht nur historisch problematisch, sondern lasse auch befürchten, „dass er nicht Zusammenhalt und Zugehörigkeit, sondern Ausgrenzung und Spaltung fördert“.

Der mittlerweile auf eigenen Pfaden wandelnde damalige AfD-Landeschef von Sachsen-Anhalt, André Poggenburg, bezweifelte als Reaktion darauf in seiner Aschermittwochsrede im sächsischen Nentmannsdorf, dass türkische „Kümmelhändler“ und „Kameltreiber“, die „selbst einen Völkermord an 1,5 Millionen Armeniern am A****“ hätten, eine Legitimation hätten, „uns etwas über Geschichte und Heimat zu erzählen“.

Ist eine offene Frage „populistisch“?

Wohl auch um eine ähnliche Eskalation zu vermeiden, ist der WDR bei der Auswahl seiner Gäste eher vorsichtig vorgegangen. Anders als der MDR, der im April 2018 den „Chef-Heimatromantiker“ der AfD, Björn Höcke, zum gleichen Thema zu einer am Ende recht ruhig und sachlich verlaufenen Diskussion eingeladen hatte, begrüßte Plasberg niemanden, der sich in irgendeiner Weise schon einmal medial als Enfant terrible einen Namen gemacht hatte.

Der Titel der Sendung, „Heimat Deutschland – nur für Deutsche oder offen für alle?“, reichte einigen Nutzern sozialer Medien allerdings bereits aus, um die Themenauswahl zu bemängeln oder sich dadurch gar persönlich angegriffen zu fühlen. So fühlte sich etwa SPD-Twitterstar Sawsan Chebli veranlasst, die ihr vor einigen Wochen aus der Stadtregierung zugekommene Mahnung zur Zurückhaltung außen vor zu lassen, und warf Plasberg durch die Blume vor, Mitschuld an Unmutsäußerungen zu tragen, die sie regelmäßig erreichten:

„Diese Sprache ist der Grund, warum auch mir gesagt wird, ich soll in meine Heimat zurück, ein Grund für Drohungen, die ich bekomme, für den Hass.“

Andere meinen im Titel der Sendung eine „populistische“, wenn nicht gar „rassistische“ Grundierung erkannt zu haben. Dass eine offene Frage dieser Art als solche keine Aussage in der einen oder anderen Richtung impliziert, scheint in der Empörung über die zweimalige Verwendung des Begriffes „deutsch“ in diesem Fall untergegangen zu sein.

„Heimat ist, wo ich mich nicht rechtfertigen muss“

Der in Tübingen geborene und unter anderem über Gelsenkirchen nach München gekommene Soziologe Armin Nassehi dürfte Glück gehabt haben, dass niemand bemerkt hat, dass er seinen Auftritt in leicht abgewandelter Form mit dem gleichen Zitat eröffnet hat wie ein Jahr zuvor Björn Höcke auf MDR – nämlich dem Herder-Ausspruch: „Heimat ist, wo ich mich nicht rechtfertigen muss.“

Die Bedeutung von Heimat stellen auch die anderen Gäste nicht grundsätzlich infrage. Bayerns frischgebackener Staatsminister für Wirtschaft und Landesentwicklung, Hubert Aiwanger (Freie Wähler) freut sich, dass der Begriff eine stetig größere Rolle spiele: „Der Begriff Heimat hat zum Glück wieder Konjunktur, denn sie bedeutet Geborgenheit.“

Für Aiwanger ist es besonders wichtig, Menschen diese Form der Verwurzelung zuzugestehen: „Lasst die Leute ihre Heimat lieben und sich dabei eine heile Welt zurechtlegen.“ Allerdings gehe vieles von dieser Unbeschwertheit verloren. Die Zeiten, in denen die Menschen ihre Türen unverschlossen gehalten hätten, seien vorbei.

Selbst die Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt schwärmt vom Thüringer Wald und vom Bratwurstduft, den sie mit „Heimat“ assoziiert. „Die Heimat ist ein Sehnsuchtsort“, bekennt sie – wohl auch zum Entsetzen nicht weniger ihrer Parteifreunde. „Heimat zu haben ist nicht selbstverständlich.“ Allerdings stehe sie für einen „offenen Heimatbegriff“. Dieser habe zur Konsequenz, dass „dazu gehört, wer da ist.“ Den Begriff der Heimat dürfe man „nicht den Rechten überlassen“.

Baydar bemüht Özil und will sich nicht für Erdoğan rechtfertigen müssen

Die deutsch-türkische Kabarettistin Idil Baydar, bekannt als „Jilet Ayse“, artikuliert demgegenüber die Befindlichkeiten vieler Einwanderer in Deutschland, deren Verständnis von Heimat auf Grund ihrer Familiengeschichte komplex ist – erst recht, wenn die familiäre Herkunftskultur sich von der deutschen stark unterscheidet.

„Der Mensch hat im Laufe seines Lebens vielleicht mehrere Heimaten“, versucht Aiwanger die Wogen zu glätten – Baydar hingegen, die auch unter türkischen Einwanderern ob ihres vulgären Auftretens nicht unumstritten ist, bemüht das Beispiel des langjährigen DFB-Nationalspielers Mesut Özil als vermeintlichen Beweis dafür, dass Deutschland immer noch zu „rassistisch“ wäre, um auch Einwanderern eine Identifikation zu ermöglichen.

Der Politikchef der „Bild“-Zeitung, Nikolaus Blome, politisiert seinerseits den Heimatbegriff, indem er eine „Bringschuld“ derjenigen sieht, die „sich Heimat erwerben“ wollen. Baydar bringt dies in Rage. Sie meint, die AfD wolle sie „entsorgen“, sie selbst treffe eine Beweislast, „deutsch genug“ zu sein – und darüber hinaus müsse sie sich regelmäßig für den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan rechtfertigen. Für die dritte oder vierte Generation von Einwanderern könne es jedoch keine Bringschuld mehr geben.

Armin Nassehi unterstreicht am Ende die große Bedeutung, die Heimat als Realität aufweise. Ein gesellschaftliches Leben ohne eine Vertrautheit wie Heimat sei nicht vorstellbar. Der Heimatbegriff sei immer dort entstanden, wo Heimat verschwunden sei.

„Wer Heimat sagt, produziert oft starke Gefühle in die eine oder die andere Richtung.“

 



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