Warum Friedrich Merz sich nicht vor einer Verurteilung wegen „Wählertäuschung“ fürchten muss

Droht CDU-Kanzlerkandidat ein Strafverfahren, weil er nach der Bundestagswahl offensichtlich andere Ziele verfolgt als zuvor versprochen? Höchstwahrscheinlich nicht. Denn Merz genießt als Abgeordneter nicht nur Immunität – auch Juristen verstehen unter „Wählertäuschung“ etwas anderes als Laien.
Friedrich Merz wird die Gespräche in London genau verfolgen - aber nicht selbst dabei sein.
Das Archivbild zeigt den CDU-Kanzlerkandidaten Friedrich Merz bei einem Vortrag vor Parteikollegen. Millionen Wähler fühlen sich durch seine Kehrtwende nach der Wahl um ihre Stimme betrogen.Foto: Marcus Brandt/dpa
Von 25. März 2025

Seit seinem Zurückrudern in Hinblick auf die Schuldenbremse steht die Frage im Raum, ob sich der CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz womöglich der Wählertäuschung gemäß Paragraf 108a des Strafgesetzbuches (StGB) schuldig gemacht haben könnte.

Merz hatte im Wahlkampf immer wieder betont, dass es mit der Union in Regierungsverantwortung keine Aufweichung der Schuldenbremse geben würde. Auch CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann vertrat bei öffentlichen Auftritten vor dem 23. Februar denselben Standpunkt. Sogar im Wahlprogramm der Union hatte es geheißen:

Wir halten an der Schuldenbremse des Grundgesetzes fest. Die Schulden von heute sind die Steuererhöhungen von morgen.“

Bildschirmfoto: Wahlprogramm von CDU und CSU, Seite 8, PDF

Bildschirmfoto: Wahlprogramm von CDU und CSU („Politikwechsel für Deutschland“, Seite 8, PDF)

Der „Wahl-O-Mat“, für viele Wähler eine Orientierungshilfe im Dschungel der Parteiprogramme, hatte diesen Passus ebenfalls für bare Münze genommen.

Kaum aber hatten die Wahllokale geschlossen, vertraten Merz und seine Mitstreiter auf einmal eine vollkommen andere Linie: Für die Aufrüstung der Bundeswehr und für Investitionen in die Infrastruktur komme man um neue Schulden in Billionenhöhe nicht herum, so der neue Tenor.

Bei seinem mutmaßlichen Koalitionspartner SPD und bei den für eine entsprechende Grundgesetzänderung benötigten Grünen rannte Merz mit seiner Kehrtwende offene Türen ein.

Am Ende setzten der Bundestag, der Bundesrat und der Bundespräsident die entsprechenden Gesetze im Laufe der vergangenen Woche auf Grundlage der Mehrheitsverhältnisse des alten Bundestags gegen alle Widerstände durch.

Fast drei Viertel der Bürger sehen sich getäuscht

Nach aktuellen Zahlen des ZDF-„Politbarometers“ (Video auf ZDF.de) äußerten 73 Prozent der 1.305 Befragten im Verlauf der vergangenen Woche ihre Überzeugung, Merz und die Union hätten die Bürger mit ihren Wahlkampfversprechen getäuscht. Selbst 44 Prozent der CDU/CSU-Anhänger schlossen sich dieser Auffassung an.

Auch der Münchener Rechtsanwalt Mathias Markert ist überzeugt, dass sich insbesondere Merz der Wählertäuschung gemäß Paragraf 108a StGB schuldig gemacht haben könnte. Im Gesetzestext heißt es:

(1) Wer durch Täuschung bewirkt, daß jemand bei der Stimmabgabe über den Inhalt seiner Erklärung irrt oder gegen seinen Willen nicht oder ungültig wählt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Der Versuch ist strafbar.“

Um seinen Verdacht juristisch klären zu lassen, hatte Markert den CDU-Frontmann Merz bereits am 9. März 2025 bei der Staatsanwaltschaft Berlin angezeigt.

Ein Sprecher der Staatsanwaltschaft bestätigte am 21. März auf Anfrage der Epoch Times, dass nach dem Eingang von Markerts Anzeige „formal“ und pflichtgemäß ein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden sei. Über den ersten Schritt – nämlich die Überprüfung, ob überhaupt ein strafrechtlich relevanter „Anfangsverdacht“ bestehe – sei die Staatsanwaltschaft aber bisher nicht hinausgekommen. „Diese Prüfung kann auch einige Wochen in Anspruch nehmen“, stellte der Sprecher klar.

Juristische Fachzeitschrift: „Nicht strafrechtlich erfassbar“

Mit der Auslegung des Paragrafs 108a StGB hatte sich bereits die „Zeitschrift für Wahlorganisation und Wahlrecht“ (ZWW) in ihrer ersten Ausgabe des Jahres 2013 beschäftigt (PDF).

„Umgangssprachlich mag der Laie unter ‚Wählertäuschung‘ nicht eingehaltene Wahlversprechen vermuten“, heißt es da auf Seite 27. „Diese zum Teil subjektiv empfundenen, zum Teil offensichtlichen Abweichungen von Wahlwerbeaussagen“ seien aber „allenfalls politisch, nicht strafrechtlich erfassbar“.

Denn der „Tatbestand der Wählertäuschung“ gemäß 108a erfasse lediglich „eine Täuschung des Wahlberechtigten bei seiner Stimmabgabe, also nur die Täuschung, die sich ‚beim Akt der Wahl‘“ auswirke, „darüber hinaus die ungewollte Nichtwahl […] und die ungewollte Abgabe einer ungültigen Stimme“.

Die ZWW nennt einige Beispiele. Im Kern geht es in der Regel darum, einem gutgläubigen, von der Stimmabgabe geistig oder körperlich überforderten Menschen eigennützige Ratschläge zu erteilen, die dazu führen, dass am Ende nicht dem eigentlichen Willen des überrumpelten Wählers entsprochen wird.

Sollte diese Rechtsauffassung Bestand haben, so würde damit die ganze Aufregung der vergangenen Tage um die Fernsehauftritte etwa des grünen Abgeordneten Anton Hofreiter oder des CDU-MdB Roderich Kiesewetter ins Leere laufen.

Kiesewetter und Hofreiter räumten Wissen um andere Pläne ein

Anton Hofreiter hatte in einer Gesprächsrunde bei „Spiegel TV“ zugegeben, dass Politiker der Union bereits Wochen vor der Bundestagswahl in vertraulichen Gesprächen geäußert hatten, man wolle die Schuldenbremse bei Regierungsübernahme lockern. „Das haben die auch unter vier Augen immer zugegeben“, so Hofreiter in der Diskussionsrunde. Nur nach außen sollte nichts von den Plänen dringen, da dies den Wahlerfolg der Union hätte gefährden können.

In ähnlicher Weise hatte sich Roderich Kiesewetter (CDU), stellvertretender Vorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums, vor knapp zwei Wochen in der ZDF-Talkshow „Markus Lanz“ geäußert. Aus „Sorge“ vor „den Wahlen im Osten“, wegen des Images der Union als „Hüter der Schuldenbremse“ und wegen der Angst vor der Ausweitung des Krieges in der Ukraine habe man seitens der Union „nicht den Eindruck vermitteln wollen, mehr Geld in die Hand zu nehmen“, so Kiesewetter (Kurzvideo auf X).

Regierungssprecher: Bundesregierung wusste nichts

Steffen Hebestreit, der Sprecher der noch immer amtierenden rot-grünen Bundesregierung, hatte am 19. März in der Bundespressekonferenz gegenüber Epoch-Times-Reporter Erik Rusch bezweifelt, dass vor der Wahl Angehörige der Regierung mit Unionsvertretern über eine Lockerung der Schuldenbremse gesprochen hätten. „Ich kann Ihnen […] versichern, wenn es solche Überlegungen gegeben hätte und die Bundesregierung davon informiert worden wäre, dann hätte sie das sicherlich nicht für sich behalten.“

Diese Argumentation legt den Schluss nahe, dass die von Hofreiter und Kiesewetter genannten vertraulichen Hintergrundgespräche schlicht nicht im Beisein von Regierungsvertretern geführt worden sein könnten.

Markert kontra Merz

Zurück zu Rechtsanwalt Mathias Markert. Der hatte bereits Mitte November 2024, wenige Tage nach dem Bruch der Ampelkoalition, Friedrich Merz schon einmal angezeigt – wegen des Verdachts auf „verfassungsfeindliche Verunglimpfung von Verfassungsorganen“ gemäß Paragraf 90b StGB. Markerts Auffassung zufolge könnte Merz die Arbeits- und Funktionsfähigkeit des Bundestags eingeschränkt haben. Parallel zu seiner Anzeige forderte Markert das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) auf, Merz zu überwachen.

Hintergrund war die Erklärung von Merz, im Bundestag nur noch solche Dinge auf die Tagesordnung setzen zu wollen, die „vorher im Konsens zwischen Opposition und restlicher Regierung vereinbart“ würden. Er wolle keine „Zufallsmehrheiten“ mit der AfD oder den Linken, betonte Merz (Kurzvideo auf X).

Ein Sprecher des BfV teilte auf schriftliche Nachfrage der Epoch Times mit, dass sein Amt „zu Angelegenheiten, die etwaige nachrichtendienstliche Erkenntnisse oder Tätigkeiten betreffen, grundsätzlich nicht öffentlich Stellung“ nehme. „Damit ist keine Aussage getroffen, ob der jeweilige Sachverhalt zutreffend ist oder nicht“, so der Sprecher.

Die Epoch Times schickte auch Markert einen Fragenkatalog, um mehr über den Stand der Dinge zu erfahren. Wir baten auch die Pressestelle der CDU um Stellungnahmen bezüglich der Vorwürfe gegen Friedrich Merz. Bis zur Veröffentlichung dieses Artikels lagen keine Antworten vor.

Indemnität und Immunität

Um einen Bundestagsabgeordneten wegen einer mutmaßlichen strafbaren Handlung zur Verantwortung ziehen oder verhaften zu können, muss der Bundestag einen entsprechenden Beschluss fassen. „Es sei denn, er wird auf frischer Tat ertappt oder im Laufe des folgenden Tages festgenommen“, heißt es auf der Website des Bundestags. Die rechtliche Grundlage für die Immunität eines MdB stellen die Absätze 2 bis 4 aus Artikel 46 des Grundgesetzes dar.

Artikel 46 (1) GG bezieht sich auf die sogenannte Indemnität eines Abgeordneten: Sie schützt ihn vor gerichtlicher oder dienstlicher Verfolgung „wegen seiner Abstimmung oder wegen einer Äußerung, die er im Bundestage oder in einem seiner Ausschüsse getan hat“. Lediglich „verleumderische Beleidigungen“ darf sich ein MdB nicht ohne Folgen erlauben.

Weitere Informationen zum Thema Immunität finden Sie auf der Website des Bundestags (PDF).



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