Der Reichskraftturm: Windige Vision der Vergangenheit
Die Idee zur Stromgewinnung aus Windkraft ist nicht erst vor wenigen Jahrzehnten entstanden. Bereits im Jahr 1934 hatte der Ingenieur Hermann Honnef mehrere Pläne von teilweise 430 Meter hohen Windkraftwerken erstellt – darunter auch den sogenannten Reichskraftturm. Auf diesem sollten sich ganz oben fünf horizontal ausgerichtete Turbinen befinden, die den Höhenwind anzapfen.
Der Reichskraftturm hätte laut Honnef eine installierte Nennleistung von 20 Megawatt (MW) haben sollen. Das schaffen nicht einmal heutige moderne Windkraftanlagen. Die Vision: 900 dieser riesigen Konstruktionen sollten das damalige Deutsche Reich vollständig mit Strom versorgen können.
Unterstützung durch die NS
Auch mehrere andere Ingenieure und Politiker erhofften sich zu dieser Zeit einen Durchbruch bei der Stromgewinnung mit Windkraft. Honnef war Fachmann im Stahlfachwerkbau. In mehreren deutschen Städten errichtete er bewegliche Brücken, Funktürme und Kräne. Seine zuvor größte Errungenschaft war im Jahr 1925 der erfolgreiche Bau des Mittelturms von Königs Wusterhausen. Er war damals mit rund 230 Metern Höhe der höchste Antennenturm Deutschlands.
Als Honnef oben auf dem Sendeturm stand, soll ihm die Idee gekommen sein, wie der relativ stetig und stark wehende Höhenwind nutzbar sei, um dadurch elektrischen Strom zu gewinnen. So hatte der Ingenieur in den 1930er-Jahren Konzepte von Windkraftanlagen – unter anderem auch vom Reichskraftturm – erstellt.
Ebenso suchte Honnef nach umfangreicher Unterstützung und fand diese an oberster politischer Stelle: beim Staatsoberhaupt der Nationalsozialisten (NS) Adolf Hitler. Die Pläne von Honnef passten in vielerlei Hinsicht zum NS-Programm. Sie sollten Deutschland wirtschaftlich autark und kriegsfähig machen. Zudem deckte sich die außergewöhnliche Größe des Reichskraftturms mit der Vorliebe der Nationalsozialisten für Megaprojekte.
Reichskraftturm wurde nie gebaut
Am 4. Mai 1934 wollte Honnef die Pläne zum Reichskraftturm Hitler zur Realisierung vorlegen. Dafür wartete er zunächst im Vorzimmer der Reichskanzlei. Zum Gespräch mit dem damaligen Staatsoberhaupt kam es jedoch nicht. Denn plötzlich stürmten Männer der Staatssicherheit (SS) den Raum und nahmen Honnef mit.
Bis heute ist unklar, ob Hitler die SS zu dieser Tat beauftragte, oder ob diese selbstständig handelte. Fakt ist: Anschließend verflüchtigte sich das Interesse an der Windkraft und somit auch am Reichskraftturm. Er wurde nie gebaut.
Nachdem im Jahr 1939 der Zweite Weltkrieg begonnen hatte, interessierte sich das NS-Regime langsam wieder für die Windkraft. Der Grund: Damals sicherten wenige große Kohlekraftwerke die zentrale Stromversorgung. Würden diese durch Bomberangriffe zerstört, wäre dies ein herber Rückschlag. Viele einzelne Windkraftanlagen sollten das Stromnetz weniger anfällig machen, so der Gedanke der Funktionäre.
Dadurch erhielt Honnef im Jahr 1940 eine zweite Chance, jedoch nicht der Reichskraftturm. NSDAP-Reichsleiter Robert Ley teilte dem Ingenieur mit: „Der Führer hat sich gegen Ihre Großkraftwerke mit hohen Türmen ausgesprochen. Er will Kleinanlagen. Am liebsten möchte er auf jedem Dach ein Windrad sehen.“
Zu diesem Zeitpunkt sorgten mit Öl und Kohle befeuerte Kraftwerke für ausreichend Strom, da diese Brennstoffe sehr günstig waren. Gleichzeitig investierte das NS-Regime in die Forschung der Kernkraft. Vermutlich wegen des Kriegsgeschehens kam es im Deutschen Reich auch zu keinem Ausbau vieler kleiner Windräder. Im Jahr 1961 verstarb Honnef.
Die Anfänge der Windkraft
Honnef war jedoch nicht der Erste, der die Idee hatte, Strom aus Windkraft zu generieren. Das Fundament dafür schuf der Erfinder und Elektroingenieur Werner von Siemens. Im Jahr 1867 benannte er das dynamoelektrische Prinzip. Zudem sah er großes wirtschaftliches Potenzial in den Stromgeneratoren. Daraufhin hatte nur ein Jahr später der US-Wissenschaftler Charles F. Brush die Idee von Windkraftwerken zur Stromerzeugung.
Laut geschichtlicher Aufzeichnung dauerte es knapp zwei Jahrzehnte, bis Brush seine Vision in die Tat umsetzen konnte. Im Jahr 1887 errichtete er in Cleveland eine Windturbine, die ausreichend Gleichstrom lieferte, um 350 Glühbirnen und mehrere Elektromotoren zu betreiben. Einige Jahre später, um 1900, gelang es dem Unternehmer Gustav Conz seine Fabrik in Hamburg mit Strom aus Windkraft zu beleuchten.
Damals herrschte jedoch dasselbe Problem, mit dem auch heutzutage die Netzbetreiber zu kämpfen haben: Der Wind weht nicht immer. Bei Windstille liefern die Windturbinen keine Energie, bei Sturm teilweise zu viel. Die Generatoren haben aber nur funktioniert, wenn die Drehzahl gleichmäßig war.
Zudem gab es früher noch das Problem, dass der Wind aus wechselnden Himmelsrichtungen kam, die Anlagen zunächst aber nur auf eine ausgerichtet waren. Bald schon fanden die Entwickler die Lösung in beweglichen Teilen, die das Windrad drehbar machten. Heutzutage haben Windkraftanlagen mehrere Getriebemotoren, die die Anlage in den Wind stellen können.
Doch damit endeten damals die Probleme nicht. Die Anlagen waren Wind und Wetter ausgesetzt, störungsanfällig und teuer. Effiziente Batteriesysteme, die einen Stromüberschuss für die nächste Flaute speichern konnten, gab es damals nicht. Das führte oftmals zu Unterbrechungen der Stromversorgung.
Windtüftelei auch in Europa
Auch in Europa bauten Erfinder im Jahr 1887 die ersten Windturbinen. So etwa der Schotte James Blyth. Er konstruierte einen rund zehn Meter großen Rotor, an dem mehrere vier Meter lange Baumwollsegel angebracht waren. Diese Anlage wirkte auf einen Dynamo. Der so erzeugte Strom floss in Bleibatterien. Entsprechend Blyths Aufzeichnungen reichte eine „moderate Brise“, um zehn 25-Volt-Glühlampen aufleuchten zu lassen.
In Dänemark tüftelte gleichzeitig Poul la Cour an Grundlagen der Windkrafttechnik. Damit wollte er seine Landsleute mit Strom versorgen. Eine weitere entscheidende Grundlage aus Sicht der Aerodynamik erstellte der deutsche Physiker Albert Betz im Jahr 1919, indem er das Betz’sche Gesetz formulierte. Es besagt, dass eine Windkraftanlage maximal 59,26 Prozent der Windenergie in Nutzleistung umwandeln kann. Der Grund liegt darin, dass ein Windrad ein Strömungshindernis darstellt, die Luftteilchen verlangsamt und zum Ausweichen zwingt, sodass ein Teil des Windes – etwas über 40 Prozent – sich andere Wege sucht.
Der „Growian“ – ein Fehlschlag
Als Deutschlands erste große Windkraftanlage ging jedoch erst vor gut 40 Jahren das sogenannte Projekt „Growian“ (GROße WIndenergieANlage) in die Geschichtsbücher ein. Der Turm hatte eine Höhe von 96 Metern und nur zwei Rotorblätter mit je 50 Meter Länge. Als die Anlage im Oktober 1983 an der Nordseeküste bei Brunsbüttel in Betrieb ging, übertraf sie auch die bis dahin größte Windkraftanlage, die in den USA stand.
Die installierte Nennleistung lag bei 3 MW und sollte rein rechnerisch 4.000 Haushalte mit Strom versorgen. Doch Growian entpuppte sich schnell als Misserfolg. Die Ingenieure unterschätzten offenbar die Kräfte, die auf diese große Anlage einwirkten. Die Materialien waren nicht stabil genug, manche Bauteile brachen ab.
Zudem verharrte die Anlage die meiste Zeit im Stillstand. Die Konstrukteure rechneten ursprünglich mit 15.000 Betriebsstunden. Letztlich schaffte es die Anlage aber nur auf 450. Im Jahr 1985 schrieb die „Zeit“ dazu:
Die Aufgaben waren nach dem damaligen Kenntnisstand effektiv unlösbar. So als hätte man Otto Lilienthal nach seinen ersten Flugversuchen mit dem Bau eines Überschalljets beauftragt.“
Aufgrund der vielen Pannen wurde Growian 1988 abgerissen. Zumindest konnten die Erbauer Erfahrungen für künftige Windkraftanlagen sammeln. Etwas erfolgreicher war der deutlich kleinere „Aeroman“, ebenfalls von Hauptkonstrukteur MAN entwickelt. Der 1987 in Betrieb genommene Schnellläufer hatte einen Rotordurchmesser von knapp 15 Metern; der Turm war zudem schwingungsfähig.
Doch auch diese Anlage hatte Probleme. Sie überschritt den vorgeschriebenen Lärmpegel, die salzhaltige Nordseeluft führte zu Korrosion und über die Jahre setzten Hydraulikprobleme ein. Von 1996 bis 1999 wurden die errichteten Aeroman-Anlagen wieder demontiert, auch wegen Unwirtschaftlichkeit.
Das Interesse am Ausbau der Windkraft blieb aber bestehen. Gut 60 Jahre nach Honnefs Tod stehen rund 30.000 Windkraftanlagen in Deutschland, stark gefördert durch die Bundesregierung.
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