„Super-Turbo“ für die Energiewende – Zulasten des Artenschutzes?

Mit der Anpassung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes hat der Bund eine weitere Genehmigungsbeschleunigung für Windkraftanlagen auf den Weg gebracht. Der Artenschutz wurde damit jedoch „weitgehend ausgehöhlt“, beklagt die Bundesinitiative Vernunftkraft.
Bundesimmissionsschutzgesetz angepasst – „Genehmigungs-Turbo“ für Windkraftanlagen
Installation einer Windkraftanlage.Foto: Bjoern Wylezich/iStock
Von 3. Juli 2024

Der Bundesrat hat einem „Genehmigungs-Turbo“ der Ampel am 14. Juni zugestimmt. Das bedeutet konkret eine Abänderung oder Anpassung des sogenannten Bundes-Immissionsschutzgesetzes. Dieses betrifft alle technischen Anlagen, die Lärm verursachen oder andere potenziell schädliche Einwirkungen auf die Umwelt haben können.

Die Änderungen betreffen Zehntausende Industrieanlagen in Deutschland, darunter auch alle bestehenden und künftigen Windkraftanlagen. Ebenfalls betroffen sind Walzwerke, Gießereien, Abfallentsorgungsanlagen und Anlagen zur Herstellung von grünem Wasserstoff.

Zweck der Gesetzesreform ist es, künftig primär Windräder schneller bauen und umbauen zu können. Also ein Schub für die Energiewende. Die Abgeordneten der Regierungsfraktionen lobten die Neuerung im Rahmen der Abstimmung als „Super-Turbo“.

Behörden sollen Genehmigungsfristen nun nicht mehr unbeschränkt verlängern können. Ebenso sollen Anlagenbetreiber jetzt einfacher Unterlagen im Genehmigungsverfahren nachreichen können. Weniger Hindernisse soll es zudem bei Genehmigungsverfahren für das sogenannte „Repowering“ geben, also das Ersetzen älterer Anlagen durch moderne.

Was genau ändert sich?

Die Gesetzesänderung basiert auf einem Gesetzentwurf der Bundesregierung vom Juni 2023. Mit diesem Vorhaben möchte sie den Klimaschutz verbessern, Genehmigungsverfahren beschleunigen und EU-Recht umsetzen.

Der SPD-Politiker Daniel Rinkert hat das Gesetz maßgeblich mitverhandelt. Er schätzt, dass es bis Ende dieses Jahrzehnts 20.000 Änderungen an Industrieanlagen geben werde, die einer Genehmigung bedürfen. Das jetzt angepasste Bundes-Immissionsschutzgesetz soll nach Angaben des Abgeordneten bewirken, dass Verfahren dadurch im Schnitt um zehn Monate verkürzt werden könnten.

Die neuen Anpassungen für technische Anlagen sind darin in Artikel 2 ff. aufgeführt. Für Windkraftanlagen ist der Artikel 4, Punkt 5 relevant. Hier geht es um die „Änderung der Verordnung über das Genehmigungsverfahren“.

Dort steht, dass in der entsprechenden Verordnung folgender Satz eingebaut werden soll:

Auf einen Erörterungstermin soll verzichtet werden bei der Errichtung oder Änderung von Windenergieanlagen an Land und bei der Errichtung oder Änderung von Anlagen zur Herstellung von grünem Wasserstoff […].“

Hier geht es um die Beteiligung der Öffentlichkeit. Die sogenannten „Erörterungstermine“, bei denen auch Anwohner teilnehmen können, um sich zu informieren, sollen somit wegfallen oder durch digitale Formate ersetzt werden.

Mehr als 50.000 Industrieanlagen betroffen

Wie das Büro von Rinkert auf eine Anfrage der dpa und unter Berufung auf Zahlen des Bundesverbands der Deutschen Industrie mitteilte, fallen insgesamt 50.000 genehmigungspflichtige Industrieanlagen in Deutschland unter das Gesetz. Windkraftanlagen seien hier nicht mitberücksichtigt.

Nach Angaben des Bundesverbands Windenergie (BWE) standen in Deutschland zu Jahresbeginn 30.243 Windräder. Auch alle Windkraftanlagen, die noch gebaut werden, durchlaufen künftig die vereinfachten Verfahren.

Kann die Windenergiebranche mit der Gesetzesanpassung jetzt also mehr Windkraftanlagen bauen? Diese Frage stellte die Epoch Times dem Bundespressesprecher der Bundesinitiative Vernunftkraft, Christoph Canne. Dieser antwortete:

Es werden nicht unbedingt in Summe mehr gebaut. Stattdessen will das Bundeswirtschaftsministerium die Genehmigungsverfahren nach dem Immissionsschutzrecht so vereinfachen, dass Genehmigungen schneller erteilt werden können. Damit würden dann pro Jahr mehr Windräder entstehen.“

Oder anders ausgedrückt: Die Anzahl an Windkraftanlagen, die die Bundesregierung zum Erreichen ihrer Klimaziele errichten will, könnte nun theoretisch früher gebaut werden. Bis 2035 ist das vom Bund anvisierte Ziel eine installierte Leistung von 160 Gigawatt (GW) für die Windenergie an Land. Im vergangenen Jahr lag der Zwischenstand bei rund 61 GW.

Was bedeutet die Novelle für Mensch und Natur?

Bei der Abstimmung versicherten mehrere Abgeordnete von Grünen und SPD, dass die Gesetzesanpassung keinerlei Umweltstandards aufweiche. In der Vergangenheit hatten Umweltverbände immer wieder davor gewarnt, den Bürokratieabbau auf Kosten von Umwelt- und Naturstandards voranzutreiben.

Die aktuelle Gesetzesanpassung ist nach Ansicht von Canne jedoch „als ein Teil einer Serie von Gesetzesänderungen der Ampelkoalition“ zu betrachten. „Im Interesse der Windindustrie wurde der Artenschutz weitgehend ausgehöhlt“, kritisierte der Bundespressesprecher.

Bundesimmissionsschutzgesetz angepasst – „Genehmigungs-Turbo“ für Windkraftanlagen

Eine Schleiereule, mit Windrädern im Hintergrund. Leidet der Artenschutz unter den Genehmigungsbeschleunigungen? Foto: Nigel Harris/iStock

Dabei erwähnte er als Beispiel das „Osterpaket 2022“ zum Ausbau der erneuerbaren Energien. Im Rahmen dieses Bundestagsbeschlusses vom Juli 2022 hätte der Gesetzgeber laut Canne „viele Arten wie etwa den Schwarzstorch aus dem Katalog der kollisionsgefährdeten Arten gestrichen“. Ebenso seien dabei für viele andere Arten die zulässigen Prüfradien reduziert worden, ohne dass es hierfür eine ornithologische Begründung gegeben hätte. Prüfradien sind die Abstände zu den Anlagen, in denen Auswirkungen auf die Vogelpopulationen untersuchen werden.

Ein Rechtsgutachten der NABU führt die entsprechenden Bedenken hierzu auf. „Ornithologische Empfehlungen wie das ‚Helgoländer Papier‘ werden bewusst missachtet“, beklagte Canne. Die Länderarbeitsgemeinschaft der Vogelschutzwarten veröffentlichte im Jahr 2015 das „Helgoländer Papier“. In dieser Ausarbeitung sind die empfohlenen Mindestabstände zwischen Windkraftanlagen und sensiblen Vogelvorkommen nach damaligem wissenschaftlichem Stand aufgeführt.

Keine Artenschutz- und Umweltprüfungen mehr?

Weiter erklärte Canne: „Es gibt inzwischen auch keine artenschutzrechtliche und Umweltverträglichkeitsprüfungen mehr. Diese wurden durch die Novellierung von Paragraf 6 WindBG [Windenergieflächenbedarfsgesetz] im März 2023 abgeschafft.“ Stattdessen würden die Verantwortlichen aktuelle Projekte inzwischen ohne diese Instrumente durchwinken.

Als „eines von vielen Beispielen“ nannte Canne einen Fall aus dem Saarland. Dort wurde am 27. März 2024 der Windpark Saarwellingen mit drei Windkraftanlagen mit jeweils 245,5 Metern Gesamthöhe genehmigt. In der offiziellen Meldung steht:

Über den Antrag wurde ohne artenschutzrechtliche Prüfung sowie ohne Umweltverträglichkeitsprüfung bzw. Umweltverträglichkeitsvorprüfung entschieden.“

Mit Blick auf die Ereignisse der vergangenen Jahre schlussfolgerte Canne, dass die neue Novellierung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes „hierbei nur das letzte Glied ist“.

Digitalisierung soll den Booster bringen

Die Genehmigungsverfahren sollen vorwiegend durch die Abschaffung bisher erforderlicher Verfahrensschritte und durch Digitalisierung schneller werden. „Wir beenden die Zeit der Aktenordner“, versprach Rinkert. Künftig werde bei Genehmigungsanträgen ein USB-Stick reichen.

Darüber hinaus können nun Genehmigungsfristen nur einmal um drei Monate verlängert werden. Bislang sei dies unbegrenzt möglich gewesen. Eine weitere Verlängerung bedürfe der ausdrücklichen Zustimmung des Antragstellers, heißt es. So soll verhindert werden, dass Verfahren immer wieder in die Länge gezogen werden. Außerdem sollen Unterlagen, die für die Beurteilung der Genehmigungsfähigkeit nicht ausschlaggebend sind, künftig nachgereicht werden können – ohne den Baubeginn zu blockieren.

Klimaschutz als Schutzgut im Gesetz verankert

Um sicherzustellen, dass der Klimaschutz künftig bei allen Verfahren eine übergeordnete Rolle spielt, hat die Ampel das Klima als Schutzgut im Gesetz verankern lassen. Damit können alle Verordnungen, die auf Grundlage des neuen Gesetzes erlassen werden, auch Anforderungen zum Schutz des Klimas regeln. Was das in der Praxis konkret bedeutet, ist jedoch noch unklar.

Im Rahmen der Abstimmung befürchtete die Unionsfraktion, dass sich die Regierung damit bei all ihren Beschleunigungsbemühungen eine Bremse ins Gesetz gebaut hat. Der Schutzstatus für das Klima könne zu mehr Bürokratie führen, warnte etwa der CDU-Abgeordnete Steffen Bilger. Auch vonseiten der AfD gab es teils heftige Kritik. Der AfD-Abgeordnete Thomas Ehrhorn sprach von einem „Ideologieprojekt“.

Große Zustimmung kam dagegen vom Bundesverband Windenergie. BWE-Präsidentin Bärbel Heidebroek sprach von einer „starken Novelle“, die der Windkraft in Deutschland Schub geben werde. „Die Straffungen in den Genehmigungsverfahren werden nicht nur den Projektträgern, sondern auch den Behörden helfen, das politisch erwartete Tempo beim Ausbau des Leistungsträgers Windenergie zu erreichen“, erklärte sie.

(Mit Material der Nachrichtenagenturen)



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