Desexualisierung in Brasilien: Abstinenz-Kampagne soll sozialem Druck auf Jugendliche gegensteuern

Mit einer breit angelegten Kampagne will Brasiliens Familienministerin Damares Alves die Akzeptanz sexueller Abstinenz unter Jugendlichen erhöhen. Die Regierung will so Teenagerschwangerschaften gegensteuern und die Qualität menschlicher Beziehungen erhöhen.
Titelbild
Ein Junge beim Vorlesen während einer "Tele-Learning"-Stunde in einer öffentlichen Schule entlang der "Rubber Road" in Xapuri im nordbrasilianischen Bundesstaat Acre. Das Bild entstand 2008.Foto: EVARISTO SA/AFP über Getty Images
Von 28. Januar 2020

Die Regierung des brasilianischen Präsidenten Jair Messias Bolsonaro hat seit dessen Amtsantritt im Januar 2019 landesweit proaktive Schritte gesetzt, um die Vermittlung von Lehrinhalten an Schulen zu unterbinden, die das sittliche Empfinden der christlichen Bevölkerungsmehrheit im Land untergraben könnten. Bereits seit 2017 hatten dem Portal PRI zufolge auch auf kommunaler Ebene mindestens acht Verwaltungen von Städten ihren Schulbehörden entsprechende Vorgaben gemacht.

„Darüber nachdenken, was menschliche Beziehungen bedeuten“

Nun soll auch mithilfe der Vermittlung spezifisch christlicher Vorstellungen und traditioneller Sexualmoral unehelichen Schwangerschaften, vor allem unter Teenagern, vorgebeugt werden. Diese erhöhen nach Überzeugung der Regierung das Risiko von Armut und unterbrochenen Bildungsbiografien. Wie „Dailywire“ berichtet, hat die brasilianische Ministerin für Frauen und Familie, Damares Alves, nun die von evangelikalen Pastoren initiierte Initiative „I Chose To Wait“ mit ins Boot geholt, um für „ein Leben in Heiligkeit und Reinheit auf der Basis der Heiligen Schrift“ zu werben.

Alves, die selbst evangelikale Pastorin ist, will vor allem junge Menschen, aber auch Eltern, Lehrer und Sozialarbeiter mit einer von der Regierung initiierten Aufklärungskampagne erreichen, die sozialem Druck in Richtung frühzeitiger sexueller Aktivität gegensteuern soll.

„Unsere jungen Menschen haben zu großen Teilen deshalb Sex, weil es einen sozialen Druck in diese Richtung gibt“, erklärt Alves. „Man kann aber Partys besuchen und eine Menge Spaß haben, ohne Sex zu haben.“

Staatssekretärin Angela Gandra fügt gegenüber „Fox5 Vegas“ hinzu, man wolle „Eltern und ihre Kinder dazu bewegen, darüber nachzudenken, was menschliche Beziehungen bedeuten“.

Wertneutrale Sexualerziehung als „marxistisch“ betrachtet

Der „New York Times“ zufolge sei die Zahl der Teenagerschwangerschaften in Brasilien zwar seit den 1990er Jahren von etwa 80 pro 1000 Geburten auf heute 62 gesunken. Verglichen mit dem globalen Durchschnitt von 44 pro 1000 oder dem Schnitt von 18 pro 1000, den die USA 2017 aufgewiesen hatten, sei dies jedoch nach wie vor hoch.

Die bis dato vorherrschende säkulare Sexualaufklärung, die von Wertneutralität mit Blick auf voreheliche sexuelle Beziehungen geprägt war und lediglich für den Fall sexueller Aktivität im Teenageralter den Gebrauch von Verhütungsmitteln empfahl, scheint in Brasilien an ihre Grenzen gestoßen zu sein. Präsident Bolsonaro und seine Regierung betrachten diese Form der Sexualerziehung gar als Ausdruck marxistischer Indoktrination von Kindern.

Die sexuelle Revolution, die vor allem in den 1960er Jahren in westlichen Ländern ihren Durchbruch erzielte, wurde theoretisch von kommunistischen Denkern wie Alexandra Kollontai oder Wilhelm Reich vorgezeichnet. Von einer Unterminierung traditioneller Mittelklassewerte im Bereich der Sexualmoral versprach man sich einen Zusammenbruch der bürgerlichen Familie und in weiterer Folge auch der kapitalistischen Produktionsverhältnisse. Aus Sicht der radikalen Linken war die Abkehr von traditionellen Moralvorstellungen, wie sie sich etwa in früher geschlechtlicher Aktivität von Jugendlichen manifestiert, deshalb zu begrüßen – oder zumindest kein Phänomen, dem man explizit gegensteuern sollte.

Aus Sicht der konservativen Regierung in Brasilia stellt der Verzicht auf sexuelle Aktivität durch Jugendliche hingegen ein eindeutig vorteilhafteres Verhalten dar. Dies soll nun auch in eindeutiger Weise an Schulen kommuniziert werden. Alves will deshalb, wie sie bereits im Juni des Vorjahres angekündigt hatte, nun Abstinenz als Option im Schulunterricht verankern.

In Brasilien gehören etwa 64 Prozent der Bevölkerung der Römisch-Katholischen Kirche an, weitere 22 Prozent sind Protestanten – wobei evangelikale Gemeinden einen besonders starken Zulauf erleben.

Steigende Zustimmung zu Bolsonaros Amtsführung

Jüngste Umfragen bescheinigen dem konservativen Präsidenten eine weiter zunehmende Popularität. Reuters zitiert eine CNT/MDA-Umfrage, der zufolge die Zustimmung bezüglich seiner Amtsführung von 41 Prozent im August des Vorjahres auf mittlerweile 47,8 Prozent gestiegen sei. Im traditionell politikverdrossenen Brasilien ist dieser Wert verhältnismäßig hoch.

Auch die Regierungspolitik insgesamt werde mittlerweile von mehr Brasilianern positiv bewertet als sie auf Missbilligung stoße. Vor allem der Kampf gegen die Korruption, die Zunahme der Sicherheit im öffentlichen Raum und das Wirtschaftswachstum, das sich Experten zufolge 2020 auf 2,3 Prozent verdoppeln werde, stoßen auf Zustimmung. Sowohl die Arbeitslosenrate als auch die Zahl der Tötungsdelikte sind deutlich im Sinken begriffen.

Ein fiktives Präsidentschaftsrennen gegen den wegen Korruption verurteilten langjährigen sozialistischen Staatschef Luiz Inacio Lula da Silva würde Bolsonaro deutlich für sich entscheiden.



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