Dresden: „Vegane Fleischerei“ klagt über EU-Bürokratie und Drohungen

Der Kundenandrang bei der jüngst eröffneten „Veganen Fleischerei“ in Dresden-Neustadt ist groß. Allerdings hat sie in der Stadt nicht nur Freunde.
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Fleischersatzprodukte sind heute kaum noch vom Original zu unterscheiden (Symbolbild).Foto: Steffi Loos/Getty Images
Von 1. Februar 2023

Im Januar hat im Szeneviertel Neustadt in Sachsens Landeshauptstadt Dresden eine „Vegane Fleischerei“ eröffnet. Der Laden führt ein breites Spektrum an Fleischimitaten und Erzeugnissen, die Käse ersetzen sollen – alles jeweils vollständig ohne tierische Produkte hergestellt. Dazu können Kunden auch Wein erwerben.

„Vegane Fleischerei“ erlebt Anfeindungen in sozialen Medien

Der Andrang in den ersten Wochen seit Geschäftseröffnung war groß. Die meisten Produkte seien aus Seitan, Soja und Erbsenprotein hergestellt, erklärte Mitgründer Stephan Mayer-Götz gegenüber der „Sächsischen Zeitung“ [Video auf Facebook]. In Neustadt trifft die „Vegane Fleischerei“ offenbar auf ein empfängliches Zielpublikum.

Allerdings stößt das Unternehmen nicht nur auf Zuspruch. Gegenüber dem MDR klagten die Inhaber über Anfeindungen bis hin zu Morddrohungen. Zum Teil seien diese auch aus dem Ausland gekommen. In sozialen Medien hätte viele Nutzer Anstoß an der Bezeichnung als „Fleischerei“ genommen. Ein Mailschreiber habe den Betreibern „ein baldiges Ableben“ ihres „sinnlosen Daseins“ gewünscht hat. Andere hätten ihnen „den Strick“ gewünscht.

„Nicht mit Details beschäftigt“

Neben den Drohungen und Beschimpfungen ist es jedoch vor allem die Bürokratie, die den Gründern das Leben schwermacht. So hatte schon wenige Tage nach Eröffnung die Lebensmittelaufsicht den Laden besucht und die Umbenennung von zwölf Gerichten des Sortiments angeordnet, wie die „Sächsische Zeitung“ berichtet. Der Vorwurf: Die ursprünglichen Kennzeichnungen etwa als „veganer Fleischsalat“, „Salami“ oder „Weichkäse“ seien nicht transparent genug gewesen. Nun musste man neue handbemalte Schilder aufstellen.

Gründer Nils Steiger äußerte dazu, man habe zwar gewusst, dass es eine Kennzeichnungspflicht für Lebensmittel gebe.

Wir haben uns aber nicht mit Details beschäftigt.“

Grundlage der behördlichen Intervention war die EU-Verordnung über allgemeine Kennzeichnungspflichten für Lebensmittel. Dieser zufolge sei dafür zu sorgen, dass Verbraucher eine „qualifizierte Wahl“ treffen können. Insbesondere dürften sie „nicht über die Eigenschaften veganer und vegetarischer Lebensmittel getäuscht werden“.

Schnitzel darf in veganer Fleischerei seinen Namen behalten

Steiger schildert in der „Sächsischen Zeitung“, welche Konsequenzen die EU-Regeln und die Vorschriften des deutschen Lebensmittelrechts speziell für ihren Betrieb haben:

So darf beispielsweise der vegane Leberkäse als solcher bezeichnet werden, Fleischkäse hingegen nicht.“

Die vegane Fassung des Schnitzels dürfe jedoch auch „Schnitzel“ heißen – weshalb in der „Veganen Fleischerei“ weiterhin ein „Schnitzelbrötchen“ über den Ladentisch gehe. Auch vegane Frikadellen dürften als solche bezeichnet werden.

Die „Sülze“ geriet jedoch zum „Gesülze“, die Salami wurde zum Produkt „nach Art Salami“ und das „F“ in „Fleisch“ sowie das „W“ in der „Wurst“ wurde zum „V“. Bei Erzeugnissen, die Milchprodukten nachempfunden wurden, waren die Umbenennungen sogar noch weitreichender: Die EU-Marktordnung ist für solche Lebensmittel noch strenger. So durfte der „Feta“-Ersatz nicht „Geta“ heißen.

Die „Vegane Fleischerei“ will „Rahmen des Möglichen ausnutzen“, um so nah wie möglich an dem ursprünglichen Produktnamen bleiben zu können. Dies sei aus Sicht der Betreiber ein Gebot der Verbraucherfreundlichkeit. In Brüssel ist man offenbar anderer Meinung: Dort geht man davon aus, dass bestimmte Bezeichnungen den Verbraucher verwirren.

Der Konsument als fürsorgebedürftiges Wesen

Bereits seit mehr als zehn Jahren betreibt der Unilever-Konzern jedoch eine Produktlinie mit der Bezeichnung „The Vegetarian Butcher“. Seit mehreren Jahren sind die Erzeugnisse in den meisten Supermärkten zu finden. Sogar die Fast-Food-Kette „Burger King“ greift darauf zurück.

Dennoch gab es erst im Oktober 2020 eine Initiative im Europäischen Parlament, die ein Verbot von Bezeichnungen wie „Veggie Burger“ für Fleischersatzprodukte anstrebte. Am Ende fand der Vorstoß keine Mehrheit. Die meisten Abgeordneten schienen davon auszugehen, dass Verbraucher in der Lage sind, eine explizit als vegetarisch gekennzeichnete Variante vom Ursprungsgericht zu unterscheiden.

In früheren Jahrzehnten galt die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs als Bastion der Verteidiger des Leitbilds vom „mündigen Verbraucher“. Demgegenüber ging das Verbraucherbild der deutschen Judikatur dem Wettbewerbsrechtsprofessor Jürgen Möllering zufolge von einem „bedauernswerten Wesen am unteren Rand des Intelligenzspektrums“ aus. Dieses bedürfe wegen seiner Täuschungsanfälligkeit der umfassenden staatlichen Fürsorge.

Abkehr vom Leitbild des „mündigen Verbrauchers“?

Lange Zeit schien das Leitbild vom „mündigen Verbraucher“ die Oberhand zu gewinnen. In den vergangenen Jahren geriet es jedoch zunehmend ins Wanken. Es sei „Gott sei Dank überholt“, erklärte Klaus Müller vom Verbraucherschutzverband VZBV 2018 gegenüber der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ (FAZ).

Mittlerweile sorgt eine Verschiebung der politischen Gewichte auch in Europa zunehmend für einen Paradigmenwechsel in der Konsumentenpolitik. Der Verbraucher gilt zunehmend als „verletzlich“. Deshalb traut man ihm immer häufiger nicht mehr zu, gute Entscheidungen zu treffen – und zwar selbst dann nicht, wenn ihm erforderliche Informationen zur Verfügung stehen. Gemeint ist damit offenbar auch ein Verbraucher, der eine „vegane Fleischerei“ betritt und dort auf „Salami“ stößt.

Dieses Verbraucherbild gerät entsprechend zur Grundlage für paternalistische Eingriffe ins Marktgeschehen – bis hin zu engmaschigen staatlichen Vorgaben über die Beschaffenheit und Bezeichnung von Konsumgütern.



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