Mittelalter und Renaissance: Wie Menschen früher Finsternisse sahen
Nach der Sonnenfinsternis im April dieses Jahres beschert uns der Kosmos am 2. Oktober gleich eine zweite, aber ringförmige Sonnenfinsternis. Heute faszinieren die Überlagerungen von Sonne und Mond die Menschen weltweit und locken Millionen Zuschauer an. Doch wie sahen die Menschen vor Hunderten Jahren die Finsternisse – ohne das astronomische Fachwissen, das wir heute besitzen?
Tatsächlich waren astronomische Ereignisse wie Finsternisse in der Gesellschaft und Kultur des Mittelalters und der Renaissance nicht einfach nur ein Spektakel am Himmel. Vielmehr waren sie Omen, Vorhersagen für die Zukunft und Fenster in die Abläufe des Universums.
Die Historikerin Prof. Laura Ackerman Smoller und Bibliothekarin Anna Siebach-Larsen von der University of Rochester, USA, beleuchten, wie die Menschen des fälschlicherweise als „finster“ bezeichneten Mittelalters jene astronomischen Phänomene verstanden, interpretierten und erlebten.
Finsternisse mathematisch gut verstanden
Wir sollten die Idee der flachen Erde und die Vorstellung, dass die Menschen im Mittelalter generell unwissend und abergläubisch waren, vergessen“, sagt Prof. Smoller.
Die Astronomen der Antike und des Mittelalters wussten bereits sehr gut, wie Konjunktionen und Finsternisse vorherzusagen waren, so Smoller weiter. Sie wussten, dass Finsternisse das Resultat einer Kreuzung von Mond- und Sonnenbahn sind. Bei einem Neumond kommt es daher zur Sonnenfinsternis und bei einem Vollmond zur Mondfinsternis.
„Bei einer Finsternis befinden sich Sonne und Mond entweder in Opposition (180 Grad gegenüber) oder in Konjunktion im exakt gleichen Grad. Aber ihre Bahnen müssen sich auf der gleichen Ebene befinden und sich überschneiden“, so Smoller. „Das ist mathematisch ziemlich anspruchsvoll.“
Früher glaubten viele Menschen im mittelalterlichen Europa zunächst noch an ein geozentrisches Weltbild – also daran, dass sich Sonne und Mond als Planeten um die Erde drehen. Vervollständigt wurden diese durch die fünf damals bekannten Planeten Venus, Merkur, Mars, Jupiter und Saturn.
Die Veröffentlichung von „De revolutionibus orbium coelestium“ (Über die Umlaufbahnen der Himmelssphären) von Nikolaus Kopernikus leitete 1543 eine Revolution ein. Seine Arbeit führte letztlich dazu, dass das lange Zeit gültige Modell durch das neue heliozentrische Weltbild mit der Sonne als Zentrum ersetzt wurde.
Vorhersage von Zukunft und Wetter
In Europa sahen die Menschen des Mittelalters in der Ausrichtung der Planeten – beispielsweise von Jupiter und Saturn – ein Zeichen für kommende Ereignisse. Diese konnten von Hungersnöten, Erdbeben und Überschwemmungen bis zum Zusammenbruch von Imperien reichen. Sie glaubten, dass vor allem Sonnenfinsternisse die Auswirkungen dieser Planetenkonjunktionen verstärken könnten.
Eines der Werke, das den Einfluss von Finsternissen auf das Wetter umschreibt, ist das Buch von Firmin de Beauval aus dem Jahr 1485 mit dem Titel „Opusculum repertorii prognosticon in mutationes aeris“ (Über die Vorhersage von Wetterveränderungen). Diese Zusammenstellung alter mittelalterlicher Quellen behandelt Sonnenwenden, Finsternisse sowie Tagundnachtgleichen und bietet Möglichkeiten zur Vorhersage der Zukunft.
Laut der Lektüre verstärke sich die Wirkung eines Ereignisses, wenn eine Sonnenfinsternis mit der planetarischen Konjunktion von Saturn und Jupiter im Widderkopf zusammentreffe. Diese außerirdische Konstellation sei so stark, dass „die Auswirkungen 12.000 Jahre anhalten werden“.
Für Prof. Smoller ist dies keine altertümliche Vorstellung. „Ich denke nicht, dass es abergläubisch ist, wenn man glaubt, dass Dinge, die am Himmel geschehen, Auswirkungen auf die Erde haben“, erklärt die Professorin und verweist auf das Beispiel von Mond und den Gezeiten. „Das liegt in der Natur der mittelalterlichen, antiken und vielen frühneuzeitlichen Naturphilosophien – einschließlich der Überzeugungen von Galileo und Kepler.“
„Wundersame Finsternis“ nach der Kreuzigung Jesu
Es überrascht daher nicht, dass das Studium von Finsternissen für spezialisierte Astronomen von wesentlicher Bedeutung war. Aber sie war auch Teil der allgemeinen Universitätsausbildung im Mittelalter, auch für Theologen.
Ein Beispiel ist Wilhelm von Auvergne, ein bekannter Bischof aus Paris (1228–1249), der gleichzeitig als Theologieprofessor an der Universität von Paris lehrte. Von Auvergne ist einer von vielen Schriftstellern, die sich mit der „wundersamen Sonnenfinsternis“ zur Zeit der Kreuzigung Jesu befassten.
Mit dem 600-seitigen Buch „De universo“ (Über das Universum) bietet der Bischof „einen Einblick in die Kultur des wissenschaftlichen Denkens und die Art und Weise, wie es weitergegeben wurde“, erklärt die Bibliothekarin Siebach-Larsen. Das Manuskript besitzt eine ungewöhnliche Verzierung, die neben Sonne und Mond auch die vier Elemente Erde, Wasser, Luft und Feuer zeigt. Für den Bischof sind diese Teil der „natürlichen Magie“. Über eines dieser göttlichen Ereignisse schreibt von Auvergne in seinem Werk.
Bischof von Auvergne und viele andere christliche Schriftsteller sind der festen Überzeugung, dass die Sonnenfinsternis zur Zeit von Jesu Kreuzigung ein Wunder gewesen sein muss, da sie – sofern es sie tatsächlich zu dieser Zeit gegeben hat – auf natürliche Weise nicht möglich gewesen war.
Entscheidend für dieses Urteil ist der Zeitpunkt: So fand die Kreuzigung Berichten zufolge während des Passahfestes statt, das am ersten oder zweiten Vollmond nach der Tagundnachtgleiche im Frühling beginnt. Für eine Sonnenfinsternis braucht man jedoch einen Neumond – nicht einen Vollmond –, um sie zu erleben.
Faltbares Handbuch für Ärzte
Dass Finsternisse auch bei mittelalterlichen Ärzten präsent waren, zeigen kleine Almanache, also Kalender mit astronomischen und meteorologischen Texten. Diese Pergamentbücher enthielten Ratschläge für Astronomie oder Gebete und halfen den Medizinern bei Prognosen, Diagnosen und der Behandlung eines Patienten. Eines dieser Nachschlagewerke ist das Kalendarium von John Somer aus den 1390er-Jahren – eine seltene faltbare Variante der Almanache.
„Es ist sehr selten, dass wir diese [faltbare] Art haben. Sie wurde am Gürtel einer Person befestigt, sodass sie es ansehen und aufklappen konnte, während sie sich mit jemandem beriet“, erklärte Siebach-Larsen. In England gibt es 31 bekannte Almanache dieser Art, doch nur vier davon stammen aus dem 14. Jahrhundert. Das Kalendarium von John Somer könnte sogar eines der frühesten englischen Manuskripte sein.
Mit den Almanachen bestimmten mittelalterliche Ärzte den günstigsten Zeitpunkt für das Mischen von Medikamenten und die Durchführung medizinischer Eingriffe. Zwar konnten die Sterne den Körper eines Menschen beeinflussen, aber – wie der Theologe Thomas von Aquin vertrat – nicht seine Seele.
Auch in dem englischen Nachschlagewerke gibt es Informationen über Sonnenfinsternisse zusammen mit eindrucksvollen Illustrationen. Ob dieses Himmelsphänomen in der mittelalterlichen Heilkunst als gutes oder schlechtes Omen angesehen wurde, ist nicht bekannt.
Gab es größere Ereignisse als Finsternisse?
Generell waren Finsternisse im Mittelalter von großer Bedeutung. Aber es gab einige Planetenkonstellationen, die größere Ereignisse darstellten und somit viel bedeutsamer waren. Dies liegt im lange vorherrschenden geozentrischen Weltbild begründet, wo Sonne und Mond im Grunde zwei der sieben bekannten Planeten darstellten. Nach den mittelalterlichen Astrologen und Astronomen waren jedoch die „langsameren äußeren“ Planeten – Saturn, Jupiter und Mars – von größerer Bedeutung.
Die wirklich wichtigen sind die besonderen Konjunktionen von Saturn und Jupiter, die etwa alle 240 und 960 Jahre stattfinden, aber nicht die, die alle 20 Jahre stattfinden“, sagt Smoller.
Beide Zeiträume basieren auf den Tierkreiszeichen. So lassen sich die zwölf Sternbilder in feurige, wässrige, irdische und luftige unterteilen. Alle 240 Jahre wechseln die Konjunktionen von einer Gruppe in eine andere. Nach etwa 960 Jahren kehrt das Muster zum ursprünglichen Ausgangspunkt im Tierkreis zurück.
Im Mittelalter und in der Renaissance wurden Saturn-Jupiter-Konjunktionen häufig in große Prophezeiungen eingefügt. Eine davon sollte 1484 den Werdegang von Martin Luther, einer Schlüsselfigur der kirchlichen Reformation, vorhergesagt haben.
Auch Pierre d’Ailly (1350–1420), ein französischer Kardinal, war der Überzeugung, dass große Konjunktionen in der Geschichte wichtige religiöse und politische Veränderungen ankündigten, wie die Geburt Christi, den Aufstieg des Islams oder die Ankunft des Antichristen im Jahr 1789 – jenem Jahr, in dem mit dem Sturm auf die Bastille in Paris die Französische Revolution begann und George Washington zum ersten Präsidenten der USA gewählt wurde.
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