Eine „kalte Zunge“ sorgt für Rätsel: Kommt jetzt eine globale Abkühlung?
Seit mehreren Jahren prognostizieren Klimamodelle eine Erwärmung der Weltmeere. Grund dafür seien die Treibhausgase. In vielen Fällen erwärmten sich die Ozeane tatsächlich. Doch der Ostpazifik bildet eine rätselhafte Ausnahme.
Erst kürzlich veröffentlichte die US-Plattform Climate Reanalyzer ihre neuen Daten. Demnach habe sich die globale durchschnittliche Oberflächentemperatur der Weltmeere erhöht und einen neuen Höchstwert der letzten vier Jahrzehnte erreicht. Die weltweite Durchschnittstemperatur errechnete das Institut für August und aktuell auf 21,1 Grad, wie die „Zeit“ berichtete.
Bei den Auswertungen von Climate Reanalyzer der University of Maine handelt es sich um sogenannte Reanalysen. Das heißt, neben real gemessenen Wetterdaten fließen auch Modellrechnungen ein. Die Temperaturermittlung von 21,1 Grad ergab sich aus Schätzungen der Temperatur, die auf Satelliten-, Schiffs- und Bojenbeobachtungen basieren.
Eine „schleichende Erwärmung der Weltmeere“ ist auch bei „Statista“ angegeben. Als Referenzwert gilt hier die durchschnittliche Oberflächentemperatur aller Weltmeere des gesamten 20. Jahrhunderts.
Ausreißer bei Ecuador
Doch in einer Ecke des Pazifischen Ozeans geschieht momentan etwas ganz anderes. Von der Küste Ecuadors aus Richtung Westen erstreckt sich über eine Länge von Tausenden Kilometern ein Abschnitt, der sich in den vergangenen 30 Jahren abgekühlt hat. Dieser mysteriöse Abschnitt ist die sogenannte „kalte Zunge“. Auf die Frage, warum sich dieser Teil des Ostpazifiks völlig anders als prognostiziert verhält, haben die Forscher noch keine Antwort.
Hierbei handelt es sich aber nicht nur um ein akademisches Puzzle. Pedro DiNezio von der University of Colorado Boulder nennt es „die wichtigste unbeantwortete Frage in der Klimawissenschaft“, berichtete „NewScientist“. Genauso wenig wissen die Forscher, wie lange dieser Meeresabschnitt noch abkühlt.
Die „kalte Zunge“ hat nach Einschätzung der Klimaforscher globale Auswirkungen. Je nachdem, wie sie sich entwickelt, könnte sie etwa in Kalifornien eine dauerhafte Dürre oder in Australien immer heftigere Waldbrände auslösen. Zudem soll die Meereszunge die Intensität der Monsunzeit in Indien und Dürren in Afrika beeinflussen.
Kommt die Kälte von der Antarktis?
Einige Forscher vermuten, dass es etwas mit den kalten Meeresgebieten des südlichen Ozeans rund um die Antarktis zu tun haben könnte, berichtet „Agrarheute“. Wie der östliche Pazifik gehören diese zu den wenigen Orten auf der Welt, an denen die Meeresoberflächentemperaturen in den letzten Jahrzehnten gesunken sind.
Einen möglichen Grund sehen die Klimaforscher im Schmelzen der antarktischen Gletscher durch steigende globale Temperaturen. Dem widerspricht jedoch die Tatsache, dass das antarktische Eis jüngst sogar gewachsen ist, wie eine Studie zeigt.
Möglich wäre auch, dass eine dünnere Ozonschicht und die steigende CO₂-Konzentration in der Erdatmosphäre zu stärkeren Winden in der Region führt. Diese wiederum transportieren mehr kalte Luft von der antarktischen Landmasse zum Oberflächenwasser des südlichen Ozeans.
El Niño ist relevant
Einen erheblichen Einfluss auf den Pazifik haben die Phänomene El Niño und sein Gegenstück La-Niña. Etwa alle drei bis fünf Jahre wechselt der größte und tiefste Ozean der Erde von einer La-Niña-Phase, in der die Wassertemperaturen in der Äquatorregion relativ kühl sind, zu einer El Niño-Phase, in der das Wasser wärmer als im Mittel ist. Dieser Zyklus wird als „El Niño-Southern Oscillation“, kurz ENSO, bezeichnet.
ENSO entsteht vermutlich durch Veränderungen der Winde über dem Meer und der Bewegung des Wassers zwischen den kühleren tieferen Schichten und der wärmeren Oberfläche. Daneben gibt es die sogenannte „Pazifische Dekadische Oszillation“, kurz PDO. Ähnlich wie bei ENSO wechseln sich hierbei Kalt- und Warmphasen ab, jedoch meist in einem Abstand von 20 bis 30 Jahren. Die genaue Ursache für die PDO ist den Forschern auch noch unklar.
Diese unberechenbaren Änderungen der Oberflächentemperaturen machen es schwer, langfristige Trends zu ermitteln. Als die Wissenschaftler die „kalte Zunge“ in den 1990er-Jahren entdeckten, führten sie diese auf die extremen – aber natürlichen – Temperaturschwankungen in der Region zurück.
Klimamodelle ignorieren die „kalte Zunge“
Als einer der ersten Forscher stellte Richard Seager von der Columbia University in New York diese Ansicht infrage. Im Jahr 1997 warnte er davor, dass sich der äquatoriale Pazifik abkühlt. Die Klimamodelle berücksichtigten dies nicht. Seagers Verdacht bestätigte sich. Der östliche Pazifik war laut Messungen im Durchschnitt stets um fünf bis sechs Grad Celsius kühler als der westliche Teil des Ozeans in der Nähe Asiens. Zwischen 1980 und 2019 hat sich dieser Temperaturunterschied um rund 0,5 Grad Celsius vergrößert.
Fachleute bezweifeln, dass sich die „kalte Zunge“ mit natürlichen Schwankungen erklären lässt. Wenn aber die Klimamodelle die Anomalie nicht widerspiegeln, könnten sie gravierend in die Irre führen.
Auch Isla Simpson, Forscherin am US National Center for Atmospheric Research in Boulder, Colorado, fischt noch im Trüben. „Wir sehen hier etwas, was uns Sorgen machen sollte, und wir müssen herausfinden, was es ist“, sagte sie.
Da diese Kaltwasserzunge einen erheblichen Einfluss auf das Weltklima ausübt, könnte ihre Entwicklung Klimamodelle ad absurdum führen. Die Auswirkungen könnten gewaltig sein.
Wärmeres Wasser im westlichen Pazifik und kälteres im Osten führen beispielsweise zu mehr tiefen Wolken über weiten Teilen des östlichen Pazifiks. „Mehr Wolken bedeuten mehr reflektiertes Sonnenlicht“, erklärt David Battisti von der University of Washington in Seattle. Entsprechend dringt weniger Wärme in die Erdatmosphäre ein.
Im Klartext: Ein kühler Ostpazifik verlangsamt die globale Erwärmung deutlich – oder kehrt sie je nach Intensität der Einfluss nehmenden Faktoren gar in eine Abkühlungsphase um.
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