Showdown im Thüringer Landtag: Rechtsstreit könnte Landtag eine Weile lahmlegen

Am Donnerstag könnten unterschiedliche Rechtsauffassungen über die Möglichkeit einer Änderung der Landtagsgeschäftsordnung in Erfurt zu einem Rechtsstreit führen. Solange dieser andauern würde, bliebe die Regierung Bodo Ramelow geschäftsführend im Amt.
Thüringen Ministerpräsident Bodo Ramelow (l) reicht CDU-Kontrahent Mario Vogt die Hand.
Das Archivbild zeigt den geschäftsführenden Thüringer Ministerpräsidenten Bodo Ramelow (l) im Gespräch mit dem CDU-Spitzenkandidaten Mario Vogt.Foto: Bodo Schackow/dpa
Von 26. September 2024

Vor nunmehr fast fünf Jahren sorgte die Regierungsbildung im Thüringer Landtag schon einmal für monatelange Streitereien.

Nachdem Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) die Wahl des FDP-Kandidaten Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten in einer später als verfassungswidrig festgestellten Ansage rückgängig machen ließ, kehrte der ursprünglich abgewählte Landesvater Bodo Ramelow (Linke) am 4. März 2020 zurück in die Staatskanzlei. Dort sitzt er bis heute – nach der jüngsten Wahl vom 1. September 2024 als geschäftsführender Ministerpräsident.

Diese Rolle könnte Ramelow noch eine Weile bekleiden, falls sich die konstituierende Sitzung am heutigen Donnerstag, 26. September 2024, erneut zu einer Hängepartie entwickeln sollte. Denn Thüringen ist nach wie vor das einzige Bundesland, in dem es keine Frist für die Wahl eines neuen Ministerpräsidenten gibt. Artikel 75 (3) der Landesverfassung besagt lediglich, dass der Ministerpräsident und – auf sein Ersuchen – auch die Minister aus seinem rot-rot-grünen Alt-Kabinett verpflichtet sind, „die Geschäfte bis zum Amtsantritt ihrer Nachfolger fortzuführen“ (PDF, Seite 41).

Erste Plenarsitzung: AfD-Alterspräsident darf leiten

Vor die Wahl eines neuen Regierungschefs hat die Geschäftsordnung des Thüringer Landtags (GO) einige Hürden gesetzt. Bei der konstituierenden Sitzung muss zunächst der Alterspräsident die Beschlussfähigkeit feststellen und Schriftführer berufen. Danach muss er zur Wahl eines neuen Landtagspräsidenten aufrufen. Dessen Existenz ist zwingende Voraussetzung für die spätere Wahl eines Ministerpräsidenten.

Der Knackpunkt: Die Rolle des Alterspräsidenten fällt dieses Mal auf den AfD-Abgeordneten Jürgen Treutler (73). Und der wird gemäß Paragraf 2 (2) GO (PDF) das Recht der stärksten Fraktion nutzen, zunächst seine Parteikollegin Wiebke Muhsal zur Landtagspräsidentin vorschlagen zu lassen.

Diese wird als AfD-Angehörige allerdings von allen übrigen Fraktionen höchstwahrscheinlich in keinem Wahlgang auch nur eine einzige Stimme erhalten – und zwar aus Prinzip.

AfD will sich kompromissbereit zeigen

CDU, BSW, SPD und Linke befürchten nun, dass Treutler sich revanchieren könnte, indem er als Sitzungsleiter in keinem Wahlgang Vorschläge der anderen Parteien zulassen, sondern stets einen der potenziell 32 AfD-Kandidaten vorschlagen und zur Abstimmung stellen lassen könnte. Was Torben Braga, der parlamentarische Geschäftsführer der AfD-Landtagsfraktion, Agenturangaben zufolge bereits verneint hatte: „Die AfD beabsichtigt nicht, sämtliche ihrer Mitglieder zur Wahl vorzuschlagen.“ Er sei dennoch optimistisch, „dass eine Lösung gefunden“ werde, denn es gebe „Möglichkeiten, Kompromisse zu treffen“.

Wie ein Geben und Nehmen allerdings aussehen könnte, habe Braga offen gelassen. Andererseits aber habe er nicht ausgeschlossen, dass die AfD im Rahmen eines Kompromisses auch einen Posten als Vize-Landtagspräsidenten akzeptieren könnte.

Möglicherweise aber könnte es doch zum Eklat kommen. Denn die Entscheidung, wem der Alterspräsident ein Vorschlagsrecht zur Wahl des Landtagspräsidenten gewährt, ist laut Paragraf 2 (1) GO eine Kann-Bestimmung:

Gewählt ist, wer die Mehrheit der abgegebenen gültigen Stimmen erhält. Ergibt sich keine solche Mehrheit, können für weitere Wahlgänge neue Bewerberinnen beziehungsweise Bewerber vorgeschlagen werden“ (Hervorhebung: Epoch Times).

CDU und BSW wollen die Geschäftsordnung noch vor TOP-Präsidentenwahl ändern

Um das Risiko eines schier uferlosen Prozederes und zugleich eine Landtagspräsidentin oder einen -präsidenten aus den Reihen der AfD von vorneherein auszuschließen, wollen die Fraktionen von CDU und BSW gleich zu Beginn der konstituierenden Sitzung eine Änderung der Geschäftsordnung beantragen. Diese soll sämtlichen Fraktionen das Vorschlagsrecht bereits ab dem ersten Wahlgang verschaffen. SPD und Linke hatten bereits ihre Zustimmung zugesagt.

Doch eine solche Geschäftsordnungsänderung noch vor der Wahl des Landtagspräsidenten ist umstritten, weil „die neu gewählten Mitglieder des Landtags ihre Rechte und Pflichten als Abgeordnete“ erst nach der Wahl eines Landtagspräsidenten wahrnehmen können, wie es auf den FAQ-Seiten des Thüringer Landtags zu lesen steht.

Unterschiedliche Positionen: AfD kontra Landtagsverwaltung und Staatsrechtler

Damit steht nach Meinung von Torben Braga fest, dass der Landtag VOR der Wahl eines Präsidenten nicht über eine Geschäftsordnungsänderung abstimmen darf. Außerdem dürfe die stärkste Kraft im Parlament „traditionell den Präsidenten“ stellen, wie Braga argumentiert hatte.

Doch Bragas Ansicht deckt sich nach Informationen des mdr nicht mit der Rechtsauffassung der Landtagsverwaltung und der noch immer geschäftsführend amtierenden Landtagspräsidentin Birgit Pommer (Linke). Diese habe bereits am vergangenen Donnerstag eine Einladung einschließlich Tagesordnung an sämtliche Abgeordnete verschickt. Die Abstimmung über eine neue Geschäftsordnung tauche darin tatsächlich noch vor dem TOP „Wahl des Landtagspräsidenten“ auf. Was Braga „ausgesprochen problematisch, um nicht zu sagen, rechtlich unzulässig“ findet.

Doch die Landtagsverwaltung hatte nach Angaben der Presseagentur AFP bereits gekontert: „Ein dauerhaft exklusives Vorschlagsrecht für die stärkste Fraktion, das im Extremfall zur Folge hätte, dass sämtliche Fraktionsmitglieder zur Wahl gestellt werden müssten, bevor der Landtag zu einem anderen Verfahren finden könnte, [ist] weder der Landesverfassung noch der Landtagsgeschäftsordnung zu entnehmen“. Die von CDU und BSW angestrebte Änderung der Geschäftsordnung hält die Landtagsverwaltung insofern für zulässig.

Der Brühler Staatsrechtler Prof. Philipp Austermann steht laut mdr auf der Seite der Landtagsverwaltung respektive Pommers:

Die Konstituierung des Landtags hat in dem Moment stattgefunden, in dem der Alterspräsident die Sitzung eröffnet hat. Es gibt keine Reihenfolge, auch nicht in der Verfassung, wonach zuerst der Landtagspräsident gewählt werden muss. Der Landtag kann daher auch vorher die Geschäftsordnung ändern, weil es der verfassungsrechtlich garantierten Geschäftsordnung-Autonomie des Landtags entspricht, seine Geschäftsordnung jederzeit selbst ändern zu können.“

Die Beschlussfähigkeit des Landtags ergebe sich schon „aus seiner verfassungsrechtlichen Bedeutung“, auch wenn nirgends ausdrücklich festgehalten sei, dass der Landtag bereits mit seinem Zusammentreten arbeits- und beschlussfähig sei, so Austermann.

Rechtsstreit zu befürchten

Nach Einschätzung des mdr könnte nun bereits am Tag der konstituierenden Sitzung ein Rechtsstreit ins Haus stehen, sofern die AfD doch nicht nachgeben will. Denn aus Sicht Bragas gebühre das Interpretationsrecht zur GO allein dem AfD-Alterspräsidenten Treutler. Braga habe bereits angedeutet, dass es Sache der übrigen Fraktionen sei, eine „verfahrensrechtliche Überprüfung“ zu beantragen.

Was nun, wenn am 26. September im Plenarsaal keine Einigung erzielt werden kann? Um den Rechtsstreit zu klären, müsste das Thüringer Verfassungsgericht in Weimar angerufen werden. Nach Angaben der Landtagsverwaltung kann die Sitzung dafür allenfalls unterbrochen und zu einem späteren Zeitpunkt fortgesetzt werden.

Im Fall des Falles: Verfassungsgericht will schnell reagieren

Laut mdr hatte das Weimarer Gericht bereits angekündigt, eine schnelle Entscheidung treffen zu wollen. Bei einem Eilverfahren könne wahrscheinlich spätestens am Folgetag nach Klageeingang Klarheit herrschen.

Bis zum verfassungsrichterlichen Entscheid würde der Landtag laut AFP in eine „Konstituierungsphase“ eintreten, für die in der Bundesrepublik bislang kein Präzedenzfall existiert. Solange aber diese Konstituierungsphase andauern sollte, gäbe es keinen neuen Landtagspräsidenten und schon gar keinen neuen Ministerpräsidenten. Bodo Ramelow und seine Ministerriege hätten also weiterhin das Sagen als „geschäftsführende“ Landesregierung.

Sitzverteilung nach den Landtagswahlen 2024 in Thüringen. Foto: ts/Epoch Times

CDU-Kandidat für Landtagspräsidentschaft kann auf breite Zustimmung hoffen

Die BSW-Fraktionsvorsitzende Katja Wolf hatte laut mdr zuletzt bereits eingewilligt, die Nominierung des CDU-Kandidaten Thadäus König für das Amt des Landtagspräsidenten mittragen zu wollen. Ein AfD-Mitglied werde sie aber höchstens als Vizepräsidentin akzeptieren.

Auch der Vorsitzende des Landesverbandes der Linken, Christian Schaft, wäre mit einem CDU-Vertreter König als Landtagspräsident einverstanden. Zu einem späteren „Mehrheitsbeschaffer“ für eine mutmaßliche CDU/BSW/SPD-„Brombeer“-Regierung wolle sich die Linke aber nicht hergeben.

Der „Brombeere“ würde mit ihren gemeinsam nur 44 Sitzen stets eine Stimme im 88-sitzigen Parlament für die Mehrheit fehlen.

Sollte sich Thadäus König – wann auch immer – als Landtagspräsident durchsetzen, würde dieser die Ministerpräsidentenwahl und alle anderen Plenarsitzungen leiten dürfen. Ob AfD-Landeschef Björn Höcke gleich in der ersten Sitzung eine Wahl des Ministerpräsidenten beantragen und damit die übrigen Fraktionen in Zugzwang bringen wird, ist ungewiss.

Koalitionsgespräche für eine neue Landesregierung sollen nach Angaben des CDU-Spitzenkandidaten Mario Voigt jedenfalls erst in der kommenden Woche stattfinden. Ein Koalitionspartner für den Wahlsieger AfD ist wie im übrigen Bundesgebiet bis auf Weiteres nicht in Sicht. Die AfD besitzt mit mehr als einem Drittel der Sitze allerdings in jedem Fall eine Sperrminorität.

Der mdr überträgt die konstituierende Sitzung des Thüringer Landtags am 26. September 2024 ab 12:00 Uhr live.



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