Kraftwerksingenieur zum „Gasalarm“: „Die Zukunft der Windkraft steht auf dem Spiel“
Die Berlin-Blockade mit der Abschaltung Westberlins, die Ölkrise von 1973 mit den folgenden Fahrverboten und der Schneesturm 1978/79. Seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland und auch in der realsozialistischen DDR gab es immer wieder Turbulenzen auf dem Gebiet der Energieversorgung.
Als Antwort auf das Öl-Embargo der arabischen Länder entstand das „Gesetz zur Sicherung der Energieversorgung“ (EnSiG) in der Fassung vom 20. Dezember 1974. Auf der Suche nach anderen Energiequellen entstanden gleichzeitig erste moderne Windkraftanlagen.
Epoch Times sprach angesichts des selbstauferlegten Gas-Embargos mit dem Fachmann für Kraftwerksanlagen und Energieumwandlung, Frank Hennig. Der Diplom-Ingenieur arbeitete viele Jahre in Kraftwerken eines großen Stromunternehmens. Heute ist er freier Autor und als Referent in der technischen Fortbildung tätig. Wie sich im Gespräch herausstellte, wiederholt sich die Geschichte nicht, dennoch scheint sie sich zu reimen.
Epoch Times: Herr Hennig, was hat es mit dem „Gesetz zur Sicherung der Energieversorgung“ auf sich?
Frank Hennig: Das Energiesicherheitsgesetz wurde letztmalig im Jahr 2022 novelliert. Damit sollte der kritischen Lage nach Beginn des Ukraine-Krieges Rechnung getragen werden. Neu eingeführt wurden verschiedene Maßnahmen, unter anderem zur Steigerung der Stromproduktion aus den sogenannten „Erneuerbaren“.
Die Bundesregierung rief die zweite Stufe des „Notfallplans Gas“ aus, umgangssprachlich als „Gasalarm“ bezeichnet. Dieser Plan basiert auf der Verordnung (EU) 2017/1938 des Europäischen Parlaments vom Oktober 2017 über Maßnahmen zur Gewährleistung der sicheren Gasversorgung. Diese legt in Artikel 11 Absatz 1 Satz b fest:
„Alarmstufe […]: Es liegt eine Störung der Gasversorgung oder eine außergewöhnlich hohe Nachfrage nach Gas vor, die zu einer erheblichen Verschlechterung der Gasversorgungslage führt. Der Markt ist aber noch in der Lage, diese Störung oder Nachfrage zu bewältigen, ohne dass nicht-marktbasierte Maßnahmen ergriffen werden müssen“.
Darüber hinaus setzte das Bundeswirtschaftsministerium in Anlehnung an das EnSiG folgende Passage in Kraft:
Betreiber von Windenergieanlagen können […] die Grenzwerte der TA-Lärm um 4 dB (A) und die zum Schutz vor Schattenschlag überschreiten.“
Können Sie das für uns in verständlichere Worte fassen? Was bedeutet es?
Zu den konkreten Maßnahmen erklärt das Bundesministerium: „Der Wegfall der Lärmabschaltungen ermöglicht es den Betreibern vor allem zwischen 22 Uhr und 6 Uhr morgens, die Leistung der Anlagen zu erhöhen und dadurch mehr Strom zu erzeugen. Der Wegfall der Schattenabschaltungen ermöglicht es den Betreibern, in den Morgen- und Abendstunden mehr Strom zu erzeugen.“
Damit sind die zum Schutz der Anwohner geschaffenen Einschränkungen hinfällig.
Diese Alarmstufe ist allerdings – trotz vorgesehener Befristung bis zum 31. März 2023 – nicht aufgehoben worden. Die Gasspeicher sind derzeit noch immer zu etwa 70 Prozent gefüllt, die Strompreise gesunken. Offensichtlich war die Strom-Versorgungslage so gut, dass die verbliebenen drei Kernkraftwerke zum 15. April 2023 und weitere Kohlekraftwerke gemäß Kohleverstromungsbeendigungsgesetz (KVBG) sowie aus der Reserve reaktivierte Kohlekraftwerke zum 31. März dieses Jahres abgeschaltet wurden.
„Die Energieversorgung ist sicher“ verkündete Minister Habeck Anfang April. Wenn dem so ist, warum bleibt der „Gasalarm“ bestehen? Warum wird Sicherheit verkündet, während ein Alarm bestehen bleibt?
Der Spagat des Ministers ist möglicherweise durch die Rücksichtnahme auf die Windbranche zu erklären, denn diese gerät immer mehr in wirtschaftliche Bedrängnis. Die Sicherung ihres Wohlergehens ist allerdings grüne Doktrin.
Die Subventionierung, die mit dem Stromeinspeisegesetz in den 90er-Jahren begonnen hat, wird verstetigt, was zeigt, dass eine Marktnähe oder eine Marktfähigkeit nicht erreicht worden ist und auch nicht erreicht werden kann.
Das heiß, es gibt eine Flaute in der Windkraft?
Das könnte man so sagen. Erheblich gestiegene Preise für Anlagen und Verpachtung – letzteres liegt inzwischen bei bis zu 500.000 Euro pro Anlage und Jahr – sowie Wartungs- und Reparaturpreise lassen viele Projekte defizitär werden. Obwohl die Windkraft weiter im Streichelzoo des EEG steht, droht eine Stagnation des Ausbaus.
Die vergangenen vier Runden der Ausschreibungen „Wind an Land“ waren unterzeichnet. Sprich, es gab zu wenig Interessenten, und das trotz Anhebung der maximalen Zuschlagsgrenze auf 7,35 Cent pro Kilowattstunde im Februar 2023. Zuvor gab es maximal 5,88 Cent pro Kilowattstunde. Dieser Wert gilt jedoch nur für sogenannte 100-Prozent-Referenzanlagen. Anlagen im windschwächeren Binnenland erhalten über das „Referenzertragsmodell“ des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes (EEG) mehr.
Für die Auktionsrunde ab dem 1. Mai wurde die ausgeschriebene Menge installierter Leistung um ein Viertel gekürzt, da die Bundesnetzagentur wiederum von einer geringen Beteiligung ausgeht.
Vor einigen Jahren sah das noch ganz anders aus. Was sind die Gründe dafür?
Es tritt aufgrund der Vielzahl von Anlagen ein selbstkannibalisierender Effekt ein, der die Wettbewerbsfähigkeit verhindert. Bei guten Windverhältnissen produzieren die Anlagen so viel Strom, dass der Marktpreis in den Keller rauscht. Bei wenig Wind und hohen Strompreisen können sie hingegen kaum liefern.
Deshalb würde ohne EEG-Umlage, Einspeisevorrang, Entschädigung für nicht ableitbaren Strom (Phantomstrom) und dem kostenlosen Netzanschluss keine einzige Windkraftanlage mehr gebaut in Deutschland, vor allem nicht im Binnenland. Einige sehr windgünstige Standorte an der Küste könnten die Ausnahme sein. Somit ist die Verstetigung der Subventionierung der Windkraft Bedingung ihrer Existenz.
Wer von geringen Gestehungskosten des Windstroms spricht, sollte die Systemkosten bilanziell ergänzen. Es hat seinen Preis, Energie geringer Dichte über das ganze Land einzusammeln und in ein Netz zu integrieren, das eine gnadenlose Frequenz von 50 Hertz zur Bedingung macht. Dazu kommt die abnehmende Stabilität der Energieversorgung durch den Entfall gesicherter Leistung, zum Beispiel durch den Atomausstieg.
Im Jahr nach der Abschaltung der letzten drei Kernkraftwerke am 15. April 2023 waren bis zum gleichen Tag 2024 in Summe 15.205 Netzeingriffe notwendig. Im Vergleichszeitraum des Jahres davor waren es 11.763 Eingriffe. Versteckt in den Netzentgelten sind es die Stromkunden, die dafür zahlen.
Sind das die einzigen Kostentreiber?
Leider nein. Zusammen mit einem Backup-System aus konventionellen Kraftwerken und Speichern, das erhalten und unterhalten werden muss, brauchen wir zwei Systeme für eine Versorgungsaufgabe. Das ist teuer. Dazu kommt ein umfangreicher Netzausbau.
Die Beibehaltung des „Gasalarms“ ist der regierungsoffizielle Kotau vor den Investoren und Betreibern von Windkraftanlagen auf Kosten von Gesundheit und Lebensqualität der Anwohner. Der de facto gleichzeitige Ausstieg aus Kernenergie und Kohle wird in Zeiten der Krisen hingegen als Erfolg bezeichnet, obwohl man gerade dadurch eine sichere Energieversorgung gefährdet. Er widerspricht dem Geist des Energiesicherheitsgesetzes.
Um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, fordert die Bundesregierung die Kommunen auf, den Rückbau der Gasnetze anzugehen. Clemens Fuest, Chef des ifo Instituts, sagt dazu das, was der normale gesunde Menschenverstand von ganz allein hervorbringen müsste: „Bevor man abschaltet und demontiert, muss man zeigen, dass die Alternative funktioniert.“ Von Funktionieren ist diese weit entfernt, sie ist noch nicht einmal gebaut.
Wir brauchen heute keine OPEC oder feindlichen Angriffe auf unsere Energieinfrastruktur. Wir demontieren unser Energieversorgungssystem selbst. Grundlage sind das geänderte Atomgesetz von 2011 und das Kohleausstiegsgesetz zehn Jahre später.
Die grüne Regierung geht derweil von Bedingungen aus, die „idealerweise“ den Kohleausstieg 2030 ermöglichen. Dass die Welt heute eine andere, viel gefährlichere geworden ist, wird verdrängt. Die Anerkennung von Realitäten gelingt nicht, wenn Ideologie und Partikularinteressen bedient werden.
Es ist jedenfalls nicht glaubwürdig, während eines „Gasalarms“ die Energieversorgung für sicher zu erklären. Die nächste Energiekrise wird kommen, ohne Krieg, OPEC oder Schneesturm.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Tim Sumpf.
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