Über alle Köpfe hinweg: Bund setzt LNG-Terminals vor Rügen durch

Dass die Landesregierung und die Bürger vor Ort ablehnen, hat keine Bedeutung. Die Bundesregierung setzt den Bau des umstrittenen LNG-Terminals auf Rügen durch. Am 1. August soll mit den Bauarbeiten begonnen werden.
Blick auf den Hafen Mukran auf der Ostseeinsel Rügen.
Blick auf den Hafen Mukran auf der Ostseeinsel Rügen.Foto: Stefan Sauer/dpa
Von 10. Juli 2023

Der Bundestag stimmte am Freitag für eine Aufnahme des Hafens Mukran in das LNG-Beschleunigungsgesetz. In dem Hafen auf der Ostseeinsel sollen zwei schwimmende Importterminals für Flüssigerdgas verankert und eine Anbindungspipeline nach Lubmin gebaut werden.

Über alle Köpfe hinweg

Bau und Betrieb der neuen Pipeline und des Terminals übernehmen der Netzbetreiber Gascade, der auch die deutsch-russische Gaspipeline Nord Stream 1 betrieb, sowie das Unternehmen Deutsche Regas, das bereits ein LNG-Terminalschiff im Hafen von Lubmin betreibt. Die Unternehmen müssen die entsprechenden Genehmigungsanträge einreichen, was teils bereits geschehen ist.

Die ablehnende Haltung der Landesregierung hat keinerlei Einfluss auf das Genehmigungsverfahren“,

teilte das Umweltministerium in Schwerin am Freitag mit. Die zuständigen Behörden, die jeweils dem Umwelt- oder dem Wirtschaftsministerium unterstellt seien, würden die Argumente für und gegen das Terminal sorgfältig prüfen.

Das Bundeswirtschaftsministerium macht derweil weiter Druck. Wie das Nachrichtenportal „Business Insider“ unter Verweis auf ein Schreiben aus Habecks Ministerium an den Haushaltsausschuss des Bundestages berichtete, sollte am 1. August mit den Bauarbeiten in der Ostsee begonnen werden, „damit die Arbeiten vor der Heringslaiche bis Mitte Dezember abgeschlossen werden könnten“. Andernfalls könne das Terminal erst im Frühjahr fertiggestellt werden.

Örtliche Behörden müssen Genehmigung nun beschleunigt bearbeiten

Zuvor lehnte der Bundesrat einen Antrag aus Mecklenburg-Vorpommern auf Anrufung des Vermittlungsausschusses ab. Das Gesetz kann somit in Kraft treten, die örtlichen Behörden müssen die Genehmigungsverfahren für die geplante Anlage im Hafen von Mukran nun beschleunigt bearbeiten.

Für die Bundesregierung sichert die Aufnahme Mukrans in das LNG-Beschleunigungsgesetz die Versorgungssicherheit im Land. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) erklärte zudem, der Hafen Mukran sei „ein ausgewiesenes Gewerbe- und Industriegebiet“, das „nach einem intensiven Abwägungs- und Bewertungsprozess“ den Vorzug erhalten habe.

Vor Ort gibt es massiven Widerstand. „Wir werden gegen die geplante Errichtung der Anlagen vor dem Bundesverwaltungsgericht eine einstweilige Anordnung mit dem Ziel des vorläufigen Baustopps beantragen“, erklärte Rechtsanwalt Reiner Geulen, der die Rügener Gemeinde Ostseebad Binz vertritt. Die Ostsee vor Rügen sei nicht der Ort für den Ausbau zu einer „großflächigen Industrieregion“.

„Die Menschen fühlen sich nicht mitgenommen“

Landesumweltminister Till Backhaus (SPD) erklärte, dass seine Regierung die Pläne ablehnt. Die Verantwortung für die LNG-Pläne auf Rügen „trägt einzig und allein der Bund“, sagte er am Freitag in der Bundesratssitzung. Er warf der Bundesregierung außerdem „mangelhafte Kommunikation und mangelnde Transparenz“ vor. „Die Menschen fühlen sich nicht mitgenommen.“

Mecklenburg-Vorpommern habe mit den Öllieferungen über den Seehafen Rostock und mit der beschleunigten Genehmigung und Inbetriebnahme des Flüssiggasterminals in Lubmin seit Beginn der Energiekrise bewiesen, dass es bereit und in der Lage sei, seinen Beitrag zur Versorgung Deutschlands und Europas mit Energie zu leisten. Außerdem produziere Mecklenburg-Vorpommern doppelt so viel Strom aus erneuerbaren Energien, als das Land selbst verbrauche, und leiste damit den Anteil zur gelingenden Energiewende.

„Das Vorhaben in Mukran stößt trotz zahlreicher Gespräche auf allen Ebenen im Land nach wie vor auf erhebliche Widerstände.“ Im Sinne der langfristigen Akzeptanz müssten die Bedenken der Menschen in den betroffenen Regionen angemessen berücksichtigt und ihnen eine überzeugende Zukunftsperspektive geboten werden.

„Der Bund hat die von der Landesregierung vorgeschlagenen begleitenden Maßnahmen bislang nicht in konkreter und verbindlicher Weise aufgegriffen.“ Das Land könne daher die geplante Errichtung schwimmender LNG-Terminals im Hafen von Mukran nicht befürworten, so der Minister. Er fordert die Bundesregierung erneut zur Prüfung von Alternativstandorten auf.

Er weist zudem darauf hin, dass das Bauvorhaben hochsensible Schutzgebiete (FFH-Gebiete, Vogelschutzgebiete, Laichgebiete des Herings) sowie für das Land bedeutsame Tourismusregionen tangiere.

„Das LNG-Gesetz habe seine Legitimation im präventiven Katastrophenschutz. Damit soll gewährleistet werden, dass die Energieversorgung in Deutschland nicht temporär zusammenbricht.“ Bei Wegfall dieser Legitimationsgrundlage bestehe keine Rechtfertigung mehr für die Eingriffe in Europa- und Umweltrecht.

Daher müsse Mecklenburg-Vorpommerns zugestanden werden, die Genehmigung zum Betrieb der Infrastruktur zu befristen. „Hier sollte der Genehmigungsbehörde durch die Schaffung einer entsprechenden Rechtsgrundlage im LNG-Gesetz ein Ermessensspielraum eingeräumt werden, die Genehmigung der LNG-Anlage im Einzelfall unter einer kürzeren Befristung als den 31.12.2043 zu erteilen.“

„Verhalten der Landesregierung schmerzlich und enttäuschend“

Für die Bürgerinitiative Lebenswertes Rügen kommt die Mehrheitsentscheidung im Bundestag nicht überraschend. „Wir wollen dennoch kein LNG-Terminal auf Rügen und wehren uns weiterhin gegen diesen LNG-Irrsinn. Unser Fokus wird sich stärker auf das Genehmigungsverfahren richten.“ Man wolle, dass die Genehmigungsanträge auch in einem beschleunigten Verfahren verlässlich auf alle umweltrelevanten Aspekte geprüft werden. „Natur- und Meeresschutz dürfen nicht unter den Tisch fallen.“

Als völlig inakzeptabel bewerte man das Verhalten der Bundesregierung. Unter dem Deckmantel einer angeblichen Gasmangellage solle im beschleunigten Verfahren eine Renaissance „klimaschädlicher“ fossiler Energieträger im großen Stil angesteuert werden. „Die Gaslobby frohlockt.“ Dem „Klimaschutz“ werde hingegen abgeschworen.

Massive Drohungen und unlautere Versprechungen im Akkordtempo seitens der Bundesregierung würden keinen ehrlichen Dialog ersetzen. Sie hätten zu einer vermeidbaren Polarisierung geführt. „Das Verhalten der Landesregierung, die die Aktivitäten von ReGas und GasCade wohlwollend begleitet und beim Bund um Kompensation bettelt, ist in besonderer Weise schmerzlich und enttäuschend.“

Mit dem Bau eines LNG-Terminals im Fährhafen Sassnitz würden nicht nur der Klima- und der Küstenschutz, sondern vor allem die Demokratie und das Gemeinwesen auf Rügen und in Mecklenburg-Vorpommern verlieren, so die Initiative. „Wir stärken jetzt vor allem diejenigen, die mit ihrer Fachkompetenz und allen Möglichkeiten eines Rechtsstaates weiterhin gegen LNG auf Rügen vorgehen.“

Einige Klimaschützer kritisieren die LNG-Pläne der Bundesregierung außerdem als überdimensioniert und nicht kompatibel mit dem Klimaschutzgesetz – es sei „eine Fehlentscheidung zulasten von Meeresnatur und Klimaschutz“, erklärte der WWF am Freitag. „Entgegen der Bedarfslage neue fossile Strukturen inmitten eines Meeresschutzgebiets aufzubauen, ist der Abschied von einer konsequenten grünen Energiewende.“

369 Bundestagsabgeordnete stimmten für den Gesetzentwurf

Nach namentlicher Abstimmung im Parlament sprachen sich am Freitag 369 Bundestagsabgeordnete für einen Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des LNG-Beschleunigungsgesetzes und des Energiewirtschaftsgesetzes zur Sicherstellung der nationalen Energieversorgung in einer vom Ausschuss geänderten Fassung (20/7279, 20/7365) aus. 300 Abgeordnete votierten dagegen, vier enthielten sich der Stimme.

Während alle anwesenden FDP-Abgeordnete für den Gesetzentwurf stimmten, gab es bei den Grünen sieben Gegenstimmen und drei Enthaltungen. Bei der SPD gab es drei Gegenstimmen. AfD, CDU und Die Linke stimmten geschlossen gegen den Gesetzentwurf. AfD und CDU hatten Anträge eingebracht. Während der CDU-Antrag abgelehnt wurde, hat man den AfD-Antrag an den Energieausschuss weitergeleitet.

(Mit Material von AFP)



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