Atomstrom aus Frankreich – Deutschlands Energiewende scheitert an der Realität

Im vergangenen Jahr hat Deutschland wieder mehr Strom importiert als exportiert. Opposition und Experten sehen einen Zusammenhang mit dem Atomausstieg. Wirtschaftsminister Robert Habeck freut sich trotzdem darüber, dass der Anteil an Ökostrom gestiegen ist. Andere Zahlen erwähnt er aber nicht.
Stromversorgung
Noch nie zuvor wurde so viel Strom mit alternativen Quellen erzeugt wie im vergangenen Jahr. Trotzdem musste sich Deutschland abhängiger vom Ausland machen.Foto: iStock
Von 5. Januar 2024

Am 2. Januar 2024 veröffentlichte die Bundesnetzagentur ihre Strommarktdaten für 2023. Gegenüber der Onlineplattform „Umwelt- und Energie-Report“ freute sich Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne): „Wir haben erstmals die 50-Prozent-Marke bei den Erneuerbaren geknackt.“ Und der Minister weiter: „Zum ersten Mal kommt sichtbar mehr als die Hälfte unseres Stroms aus erneuerbaren Energien. Zugleich wird deutlich weniger Strom aus Kohle produziert. Wir kommen also auf dem Weg zu einer klimaneutralen Stromversorgung sichtbar voran.“

Weniger fossile Energieträger, mehr Ökostrom

Laut den Zahlen der Bundesnetzagentur stieg der Anteil an Ökostrom am Verbrauch (Netzlast) im vergangenen Jahr auf rund 55 Prozent. Davor lag er bei 48,4 Prozent.

Der Beitrag von Kohlekraftwerken sank im Jahr 2023 erheblich: Die Stromerzeugung aus Steinkohle ging um fast 37 Prozent zurück. Der Anteil von Braunkohle an der Stromerzeugung sank um fast 25 Prozent.

Hintergrund dieser Abnahme dürfte sein, dass die Kosten für Emissionsberechtigungen in letzter Zeit massiv gestiegen sind. Viele Kohleanlagen wurden daher von Wind- und Solarkraft verdrängt, aber auch Gasanlagen erlebten einen Aufschwung. Ihr Anteil an der Stromerzeugung in Deutschland stieg um 31,3 Prozent. Der Anteil von Gaskraftwerken nahm insgesamt betrachtet von 7,7 Prozent auf rund 11 Prozent zu.

Bundeswirtschaftsminister Habeck legt deshalb noch einmal nach: „Wir haben einen Aufwärtstrend erreicht und setzen diesen fort. Das ist gut für die Wirtschaft und gut fürs Klima.“ Gut ist in diesem Zusammenhang allerdings auch einmal ein Blick auf die Tatsachen, die der Minister unerwähnt lässt.

Klimaschädlichster Strom Europas

Interessant ist im Zusammenhang ein Blick in die Zahlen des deutsch-französischen Start-ups „Electricity Maps“. Electricity Maps ist eine Live-Visualisierung, woher der Strom kommt und wie viel CO₂ bei seiner Herstellung ausgestoßen wurde.

Der Strommix in Deutschland kommt da nicht besonders gut weg. Mit spezifischen CO₂-Emissionen von 431 Gramm pro Kilowattstunde in den vergangenen zwölf Monaten gehört der deutsche Strom zum klimaschädlichsten Strom Europas. Nur Polen und Tschechien haben demnach schlechtere Werte.

Habeck behauptet, dass die vorgelegten Zahlen gut seien für die Wirtschaft. Das wirft die Frage auf, wie er auf diese Annahme kommt, dass es der Wirtschaft dank der Energiewende besser gehe? Die Zahlen der Bundesnetzagentur legen eher das Gegenteil nahe: Im Jahr 2023 ging der Gesamtstromverbrauch um 5,4 Prozent zurück. Das kann man eher als ein Indiz für eine Wirtschaftsflaute interpretieren.

Im November veröffentlichte die Wirtschaftsberatung Deloitte eine Studie, dass der Industriestandort Deutschland immer mehr an Attraktivität verliert. 67 Prozent der befragten Unternehmen hatten damals angegeben, mit einer moderaten bis starken Verlagerung ihrer Wertschöpfungskette zu reagieren. Der wichtigste Grund für Investitionen in andere Länder war damals mit 59 Prozent die niedrigeren Energiekosten.

Im Oktober veröffentlichte der Verband der bayerischen Wirtschaft eine Studie unter dem Titel „Internationaler Energiepreisvergleich für die Industrie“. Das Ergebnis: Für die energieintensive Industrie, also Unternehmen, die mehr als 150 Gigawattstunden im Jahr verbrauchen, liegt der Strompreis in Deutschland etwa zehn Prozent über dem EU-Durchschnitt.

Auch, dass der durchschnittliche Großhandelspreis im vergangenen Jahr – nachdem er infolge des Ukraine-Kriegs 2022 einen Extremanstieg erlebt hatte – wieder auf ein niedrigeres Niveau von 95,18 Euro pro Megawattstunde zurückgefallen ist, kann kein Beleg dafür sein, dass die Strompolitik der Ampel im Moment der Wirtschaft guttut. Der durchschnittliche Großhandelspreis liegt heute immer noch weit über dem Durchschnitt der vergangenen Jahre. Als Vergleich: Im Jahr 2020 lag er noch bei 43,69 Euro pro Megawattstunde.

Deutschen Atomstrom durch Französischen ersetzt

Unerwähnt lässt Habeck in seinem Statement auch, dass der Import von Strom im Vergleich zum Jahr 2022 im vergangenen Jahr um 63 Prozent gestiegen ist. Der Stromexport hingegen brach um 24,7 Prozent ein. Das macht selbst Energiepolitiker in der Ampel nervös. „Der starke Anstieg von Stromimporten nach Abschaltung der deutschen Kernkraftwerke ist unübersehbar. Zu Zeiten, in denen Erneuerbare nicht verlässlich liefern, ist Deutschland sehr abhängig vom Ausland geworden“, sagte der energiepolitische Sprecher der FDP, Michael Kruse, gegenüber dem „Tagesspiegel“.

Der Zusammenhang zwischen Stromimporten und der Abschaltung der Atomkraft in Deutschland ist tatsächlich nicht ganz von der Hand zu weisen. In den Berechnungen des Branchenverbandes BDEW aus Dezember kann man ablesen, dass seit Ende April fast immer mehr Strom zugekauft worden ist. „Letztlich sind auch die Stilllegung der letzten drei Kernkraftwerke in Deutschland und die im Vergleich zum Vorjahr höhere Verfügbarkeit der Kernenergie in Frankreich Gründe für den Importüberschuss“, heißt es in der BDEW-Veröffentlichung.

So stieg bis Dezember 2023 der Stromexport aus Frankreich im Vergleich zum Jahr 2022 um 233 Prozent. Im Jahr 2022 waren viele französische Atomkraftwerke vorübergehend wegen Wartungsarbeiten vom Netz genommen worden. Es liegt also nahe, dass im vergangenen Jahr deutscher Atomstrom mit französischem Atomstrom ersetzt wurde. Insgesamt stammt rund ein Viertel des importierten Stroms aus Atomkraftwerken, etwa 50 Prozent aus Erneuerbaren.

Strom-Not-Land Deutschland

Aus der Opposition kommt nach der Veröffentlichung der Daten der Bundesnetzagentur nun scharfe Kritik. „Deutschland wird zum Strom-Not-Land. Die Ampel verschärft mit ihrer ideologischen Politik das Stromproblem, Unternehmen und Bürger zahlen dafür mit viel zu hohen Strompreisen“, schrieb CDU-Fraktionsvize Jens Spahn auf X (vormals Twitter). Es sei schlicht verantwortungslos gewesen von der Ampel, die drei verbliebenen Atomkraftwerke abzuschalten.

Die energiepolitische Sprecherin der Grünen, Ingrid Nestle, sieht das anders. „Die Versorgungssicherheit bleibt weiterhin auf einem hohen Niveau“, sagte sie und freute sich über den Ausbau der Erneuerbaren. „Der Wegfall der verbleibenden drei Atomkraftwerke konnte problemlos ausgeglichen werden“, so die Bundestagsabgeordnete im „Tagesspiegel“.

Die drei Atomkraftwerke in Deutschland deckten im Jahr 2022 nur noch sechs Prozent des deutschen Strombedarfs. Im vergangenen Jahr produzierten die Erneuerbaren aber 7,5 Prozent mehr Strom. Schaut man allerdings auf die absolut produzierten Terawattstunden, steht am Ende ein Defizit.



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