Egon W. Kreutzer: „Du und Deutschland – Eine Suche nach dem Widerspruch“
„… dann ist das nicht mehr mein Land.“
So Angela Merkel in einer ihrer Rechtfertigungsreden zur von ihr ausgelösten Migrationskrise. Allerdings ist die Einschätzung, Deutschland habe sich zum Nachteil verändert, es sei nicht mehr das Land, in dem sie sich wohlfühle, für viele absolut nachvollziehbar, wenn auch längst nicht für alle unter dem gleichen Vorzeichen.
Die einen sehen eine wachsende soziale Kälte und Gleichgültigkeit gegenüber benachteiligten Deutschen, die anderen sehen wachsende soziale Kälte und Gleichgültigkeit gegenüber den Geflüchteten, vor allem gegenüber jenen, die keinen Aufenthaltsstatus erhalten und abgeschoben werden sollen. Die einen sehen eine wachsende Gefahr von rechts, die anderen warnen vor einer nicht mehr zu übersehenden Gefahr von links. Die einen wollen die EU und den Euro retten und stärken, die anderen sehen alles Unheil aus Brüssel kommen. Die einen lästern glücklich über den miserablen Zustand der Bundeswehr, die anderen fordern dringend mehr Rüstungsausgaben, um der gewachsenen Verantwortung Deutschlands in der Welt gerecht werden zu können. Die einen wollen Autos mit Verbrennungsmotoren und Kohleverstromung möglichst schon morgen verbieten, die anderen fürchten um den Industrie- und Wirtschaftsstandort Deutschland. Die einen fordern bessere Schulbildung als Vorbereitung für die technisch-naturwissenschaftlichen Studiengänge und wollen undichte Schuldächer reparieren lassen, die anderen sehen bessere Schulbildung in der fächerübergreifenden gendergerechten Gestaltung des Unterrichts und investieren in Extra-Toiletten für „Diverse“. Die einen wollen den Sozialstaat reformieren, die anderen hängen an der Schwarzen Null.
Und obwohl die Frontverläufe kaum noch zu klären sind und die Schnittmengen von Thema zu Thema wechseln, halten alle „dieses Deutschland“ für unerträglich, längst verloren, nicht mehr reformierbar, reif für den Straßenkampf von unten oder den Putsch von oben.
Die es sich leisten können, wandern aus, die es sich nicht leisten können, verfallen in einen schizophrenen Zustand wütender Resignation.
Wenn Sie diesen Text lesen und dabei den Sinn erfassen können, ist eines klar: Sie habe irgendwann die deutsche Sprache erlernt. Damit sind Sie (als Teil der Zielgruppe für diesen Artikel) zum Weiterlesen qualifiziert und unterscheiden sich darin deutlich von der übergroßen Mehrheit der Menschheit. Wer es genau wissen will, findet hier interessante Informationen.
Gleichgültig, ob Sie nun als Österreicher, Schweizer oder Südtiroler muttersprachlich deutsch sprechen, oder als Japaner, Spanier, Pole, Chinese, Israeli irgendwann deutsch gelernt haben, diese Sprache wird Ihnen in Deutschland zweifellos helfen, sich zu verständigen. Sprachliche Kommunikationsfähigkeit ist zweifellos wichtig, doch macht sie den Sprecher schon zum Deutschen?
Selbst wenn man künstlich geschaffene Hürden, wie die Staatsbürgerschaft einfach vergisst, wird sich ein Wiener, wenn er in München übers Oktoberfest schlendert, dabei als Deutscher fühlen? Eher nicht. Schalten wir jetzt noch den eventuell die Wahrnehmung verzerrenden vorgelblich deutschen Dünkel, etwas Besonderes zu sein, aus der Betrachtung aus, und lassen den Baseler in Bozen unterwegs sein. Wird der sich als Südtiroler fühlen, oder gar gleich als Italiener? Eben. Auch nicht.
Wie ist das möglich? Sind wir nicht alle Europäer, oder gar Kosmopoliten? Haben sich Landesgrenzen in der Geschichte nicht immer wieder verschoben? Hat sich die ethnische Zusammensetzung der Völker nicht oft genug verändert, um jenen Typus Mensch hervorzubringen, der überall zuhause ist, wo er die Sprache verstehen kann? Sollte nicht eigentlich überall wo die deutsche Sprache gesprochen wird, sinnigerweise der vollkommen „entgrenzte“ deutschsprachige Einheitsmensch in Erscheinung treten?
Lassen wir diese Frage vorläufig offen. Sie ist gar nicht einfach zu beantworten. Versucht man es eher pauschal, bleibt man schnell in Gemeinplätzen, wie der „Leitkultur“, stecken, versucht man es im Detail, verirrt man sich in einem Wald von Widersprüchen, in dem katholische Laptops und Lederhosen ebenso ihr Wesen treiben, wie sorbische Braunkohlenpflücker und unnahbare Hanseaten.
Daher soll zunächst ein anderer Komplex angegangen werden, nämlich die Verbundenheit der Deutschen mit Deutschland.
Es gibt darauf zwei Sichtweisen. Eine sehr intime, persönliche, sich der demoskopischen Erfassung weitgehend Entziehende, die hier wegen dieser Eigenschaft nicht behandelt werden kann, und eine, zu der man sich öffentlich bekennen mag, beziehungsweise muss. Die öffentlich bekannte Sichtweise auf Deutschland und die Deutschen, bzw. das Deutsche, hat den Vorteil, dass sie am Maßstab der herrschenden Political Correctness nicht nur gemessen und bewertet, sondern – und das ist mitunter überlebenswichtig – auch opportunistisch ausgerichtet werden kann.
Da die Political Correctness keine Erfindung unserer Generation ist, sondern nur neuerdings als modernisierte Bezeichnung für das in die Kritik geratene Mitläufertum verwendet wird, so wie „Hartz IV“ in die Kritik geraten ist und künftig „Bürgergeld“ heißen soll, ist es gar nicht so schwer herauszufinden, welchem Wandel diese PC alleine in den letzten 200 Jahren unterworfen war.
Jeder hat schon einmal den Namen „Georg Büchner“ gehört. Vor allem, weil sein Name mit dem renommiertesten deutschen Literaturpreis, eben dem „Georg Büchner Preis“ bis zur Unvergesslichkeit verbunden worden ist. Büchner wurde nur 23 Jahre alt, 1813 geboren, 1837 gestorben. Heute hoch geehrt, war er doch zu seiner Zeit einer derjenigen, deren Ideen, nämlich der liberal-konstitutionellen, ja nationalstaatlichen Weiterentwicklung des Deutschen Bundes, absolut nicht der damals vorherrschenden Vorstellung der gottgewollten gesellschaftlichen Ordnung und ihrer Hüter entsprach.
Büchner war von den „Karlsbader Beschlüssen“ betroffen, die unter Federführung des damaligen österreichischen Außenministers Metternich entstanden und am 20. September 1819 vom Bundestag (ja, was es damals nicht schon alles gegeben hat!) in Frankfurt in Gesetze gegossen wurden. Liberal und national gesinnte Professoren wurden daraufhin entlassen, die Universitäten streng überwacht, ja sogar die Turnplätze geschlossen (Turner waren als sehr gefährliche Menschen verschrien) und natürlich wurde versucht, mit Zensur und Überwachung dafür zu sorgen, dass „aufrührerische Gedanken“ möglichst keine Verbreitung fanden.
Dreißig Jahre später, 1848/49 kam es zum Schwur, bzw. zur Revolution. Wer darauf setzte, dass die „Republikaner“ gewinnen würden, gab sich öffentlich laut liberal-nationalistisch, wer der Aristokratie den längeren Atem zutraute, schimpfte auf die Revolutionäre – und wer sich nicht sicher war, schwieg vorsichtshalber.
1871 dann der Sieg über Frankreich und die Ausrufung der Erbfeindschaft. König Wilhelm I. von Preußen wurde in Versailles zum deutschen Kaiser gemacht – der neue deutsche Nationalstaat war geboren – und entwickelte sich prächtig, überprächtig.
Wer da politisch korrekt sein wollte, jubelte. Und damals wollte jeder politisch korrekt sein. Und die wenigen, die es nicht sein wollten, wurden belächelt, bekämpft und auf die eine oder andere Weise mundtot gemacht.
Mit dem Ende des Ersten Weltkriegs wurde der Jubel zwar leiser, aber der Stolz war geblieben und machte trotzig, während zugleich die Kommunisten und Sozialdemokraten Morgenluft witterten. Wieder war es schwer für den Opportunisten, die richtige Wahl zu treffen. Am Ende gewannen Stolz und Trotz und bald schon sangen die Deutschen wieder aus voller Brust: „Deutschland, Deutschland über alles“. Wer zu leise mitsang, konnte durchaus in Schwierigkeiten geraten.
Je länger der Zweite Weltkrieg dauerte, desto unerbittlicher wurde auf die Lautstärke des Gesangs geachtet, und selbst als die amerikanischen und russischen Panzer schon damit beschäftigt waren, die versprengten Häuflein des Volkssturms zu überrollen, Stadt um Stadt, Dorf um Dorf einzunehmen, wurden die, die zu offensichtlich zu leise sangen oder gar weiße Fahnen zeigten, im Namen der damaligen politischen Korrektheit schnell noch gehenkt.
Neuanfang 1949, Grundgesetz, Republik, Westgeld, Ostgeld, Rosinenbomber, Wirtschaftswunder, mittendrin das Kuratorium Unteilbares Deutschland mit seiner Forderung nach Rückgabe aller Ostgebiete, Weltmeisterschaft, Wiederbewaffnung, Parlamentsarmee, nie wieder Krieg! Volkstrauertag mit bei Wind und Nieselregen angetretenen Schulklassen zur Ehrung der Gefallenen beider Weltkriege. Fresswelle, Neckermann und Quelle auf Raten, Italienurlaub. Olympia-Siege. Atlantik-Brücke, Exportüberschuss …
Politisch korrekt war es, die Sowjet-Union samt ihrem Chruschtschow zu verdammen, und die DDR gleich mit, dem Schah und der Queen und Kennedy zuzujubeln, und stolz darauf zu sein, so bald nach dem Krieg wieder so gut dazustehen. Im Radio immer noch viele deutsche Schlager und deutsche Volksmusik und Mozart und Beethoven und unzuverlässige Wetterberichte.
Arbeiter waren politisch korrekt in der Gewerkschaft und wählten SPD. Ärzte, Freiberufler und Mittelständler waren politisch korrekt in ihren Verbänden organisiert und wählten politisch korrekt FDP. Angestellte und Beamte wählten politisch korrekt die Union und profitierten politisch korrekt von dem, was die Gewerkschaften der Arbeiter erstritten, ohne dafür selbst kämpfen zu müssen. Kommunisten wurden bekämpft, alte Nazis in hohen Ämtern – so lange es sich vermeiden ließ – nicht behelligt.
Dann kamen die Hippies und die 68er und die erste Million Arbeitsloser wurde gezählt. Die Ölkrise brachte die Gaudi der autofreien Sonntage und die Sommerzeit. Ökologische Bewegungen entstanden. Ein erster Bundes-Umweltminister schwamm im Rhein, um die Bürger von der Sauberkeit der deutschen Flüsse zu überzeugen. Ein Grüner wurde hessischer Umweltminister und ließ sich in Turnschuhen vereidigen.
Von da an war es politisch korrekt, bei jeder Entscheidung zu betonen, man habe auch an die Umwelt gedacht. Als der Himmel über der Ruhr blau geworden war, begannen die Bäume zu sterben; die Wälder allerdings blieben. Startbahnen und Endlager und Wiederaufbereitungsanlagen wurden zu ersten Schlachtfeldern militanter Umweltschützer – und dann wagten sich die Frauen aus Küche und Kirche und Wochenbett heraus und wollten endlich gleichberechtigt sein. Politisch korrekt verstarb eines Tages das „Fräulein“ und mit ihm das deutsche „Fräuleinwunder“. Alice Schwarzer und ihre Emma formten aus Evas Rippe den politisch korrekten Macho und überließen ihn den wie Pilze aus dem Boden schießenden Dominas.
Ganz allmählich wurden Recht und Ordnung, aber auch Arbeit und Erfolg zu politisch unkorrekten Auswüchsen im Staate. Denn Recht und Ordnung behinderten ja nur den Widerstand gegen alles Falsche und Überkommene, und Arbeit und Erfolg wurden, weil anders nicht zu kritisieren, zum Sinnbild der Spießigkeit des angepassten Untertanen erklärt, womit der Riss, quer durch die Gesellschaft, der erst viel später offiziell anerkannt wurde, geschaffen war und mit klammheimlicher Freude begrüßt wurde, denn nun konnte an dieser Bruchlinie gezielt auf seine Vertiefung und den endgültigen Bruch der Gesellschaft hingearbeitet werden.
Bald durften Arbeitgeber unter Stellenbewerbern nicht mehr frei wählen, sondern mussten beweisen, dass sie die/den abgelehnten Bewerber durch ihre Wahl nicht diskriminieren. Heute sind wir bei Fahrverboten und dem Kohleausstieg, bei einer Berufsarmee ohne funktionsfähige Waffensysteme, beim „dritten Geschlecht mit eigener Toilette“, „No-go-Areas“ und dem „Migrationspakt mit freier Platzwahl bei freiem Eintritt und Vollpension“ angekommen.
Weil dieses Deutschland aber immer noch versuchte, einigermaßen zu funktionieren und anarchistische Großversuche auf wenige Häuser in Hamburg und Berlin begrenzt blieben, entwickelte sich unter den Gesellschafts-Veränderern das, was heute als „Hass auf Deutschland“, und „Hass auf die alten weißen Männer“ von der Avantgarde der politisch Korrekten vorgetragen wird, wobei auch schon mal ein „Deutschland verrecke!“, oder „Bomber Harris do it again!“, zum Vorschein kommt.
Die nachgewachsene Politprominenz, die längst ihren gesellschaftspolitischen Führungsanspruch – soweit jemals vorhanden – aufgegeben hat, und stattdessen vermeintlichen künftigen Mehrheiten mit hängender Zunge hinterherhechelt, installiert die Homoehe und das Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare und lädt anlässlich der Ermordung eines Chemnitzer Bürgers zur großen Feierstunde unter den Klängen von „Feine Sahne Fischfilet“ ein.
Guido Westerwelle, der im Zusammenhang mit den Hartz-IV-Gesetzen davon sprach, wer dem Volk anstrengungslosen Wohlstand verspreche, lade zu spätrömischer Dekadenz ein, hätte heute wahrlich Gelegenheit, eine Form spätrömischer Dekadenz zu bewundern, die er sich so nie hätte träumen lassen. Denn sein Grundsatz:
„Deutschland wird von der Mitte aus regiert, von einer Koalition der Mitte. Und die Ränder haben in dieser Republik nichts zu sagen“,
ist unter tätiger Mithilfe der auf der schiefen Bahn nach links gerutschten Mitte ins Gegenteil verkehrt worden. Linke und grüne und linksaffine und grünaffine Minderheiten haben die Mitte in Geiselhaft genommen und bestimmen die Politik wohin man schaut.
Wieder wird „das Lied“ laut gesungen. Wieder ist es die öffentlich gezeigte politische Korrektheit der verunsicherten Deutschen, die nicht unter die Räder, bzw. zwischen die Mühlsteine geraten wollen und daher lauthals mitlaufend gutheißen, was von vielen insgeheim schon längst für Wahnsinn gehalten wird.
Zum Kern dieser öffentlich gezeigten politische Korrektheit gehört eine nebulöse antideutsche Grundhaltung, die jedoch weit weniger mit der deutschen Geschichte von 1933 bis 1945 zu tun hat, auf die sie sich, ohne sie mehr als nur alleroberflächlichst zu kennen, beruft, als mit der Chance, über die Nazi-Keule und die damit mögliche Diskriminierung des Begriffes „Volk“ die Außerkraftsetzung aller verbindlichen Regeln des Zusammenlebens zu Gunsten eines ungezügelt ausgelebten Individualismus zu erreichen. Das Ziel ist es dabei, den demokratischen Gedanken von einer „bestimmenden Mehrheit in der Mitte“ ad absurdum zu führen und stattdessen eine Diktatur der Minderheiten zu errichten, nach dem Motto: Randfiguren aller Spielarten vereinigt euch!
Eine Diktatur der Minderheiten, deren Einfluss längst grenzenlos geworden ist, ohne dass sie sich bewusst gemacht hätten, dass sie ohne das von ihr verhasste und bekämpfte Deutschland nicht lebensfähig wären. Sie sägen sprichwörtlich den Ast ab, auf dem sie sitzen.
Michael Klonovsky hat das in unübertrefflicher Weise so ausgedrückt:
Wenn man sämtliche Schöpfungen des weißen Mannes von diesem Planeten entfernte, besäßen seine Ankläger weder Zeit noch Mittel, ja nicht einmal Begriffe, um ihn mit Vorwürfen zu überhäufen.“
Wenn ich formuliere, dass sie ohne das Deutschland, das sie im doppelten Wortsinne noch „aushält“, nicht lebensfähig wären, dann weiß ich natürlich, dass sie irgendwie überleben würden, wenn es darauf ankäme. Denn sie würden dann von selbst auf ihre intellektuellen Geisterbahnfahrten verzichten, ihre anarchistischen Tollheiten einer als notwendig erkannten Ordnung unterwerfen, die derjenigen, die sie gerade zerstören, nicht unähnlich wäre. Vor allem kämen sie nicht umhin, auf allen Ebenen des gesellschaftlichen Zusammenwirkens den Zusammenhang zwischen Leistung und Ertrag zu erkennen und zu würdigen, indem sie auch ihre Gesellschaft auf produktiver Arbeit gründen.
Ob sie dabei in biologisch-ökologischer Versessenheit auf das Niveau der Amish gelangen werden, oder ob sie doch nicht auf den Strom für die Espresso-Maschine und auf das Smartphone und auf die Sendemasten verzichten wollen, ob sie den Individualverkehr verbieten und den öffentlichen Verkehr auf das dann notwendige Maß ausbauen wollen – sie werden erkennen, dass mit der Größe der Projekte die Notwendigkeit der Einigkeit wächst, dass sie ihr Leben nur im Selbstverständnis eines einigen Volkes, einer einigen Nation, im Zusammenwirken nach einvernehmlich getroffenen Regeln werden leben können. Sie werden erkennen, dass sie diese Regeln nicht ohne Polizei und Justiz durchsetzen können, alleine schon, weil sie sich und ihre Abneigung gegen Regeln, gegen Gesetz und Ordnung nur allzu gut kennen. Sie werden feststellen, dass Deutschland tatsächlich nicht das Sozialamt der Welt, ja noch nicht einmal der EU sein kann, und damit beginnen, ihre Grenzen zu sichern.
Wenn es so weit ist, werden sie sich mit ihrem Deutschland selbstbewusst identifizieren, ihre Kultur schätzen, stolz darauf sein, Deutsche zu sein, wie es ihre Vorfahren in den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts waren, als sie feststellten, dass sie nach zwei verlorenen Kriegen inmitten der Trümmerwüsten doch wieder Tritt gefasst hatten, dass ihre Ordnung, ihr Zusammenhalt, den Wiederaufbau schneller, schöner und besser möglich machten, als es die ganze Welt für möglich gehalten hätte.
Damit zur zurückgestellten Frage vom Beginn: Warum sind wir keine deutschsprechenden Einheitsmenschen, sondern Österreicher, Schweizer, Südtiroler – Deutsche, Bayern, Sachsen, Berliner …?
Ich biete eine Antwort an.
Volk und Nation gründen sich weniger auf Abstammung über Jahrhunderte und leicht verschiebbare Grenzziehungen oder auf die im Pass eingetragene Staatsangehörigkeit, sondern primär auf gemeinsam bewältigte Herausforderungen und Probleme der jüngeren Geschichte. Sekundär – aber unverzichtbar – ist dabei das kulturelle und ethisch-moralische Fundament, das den gemeinsamen Kampf um Identität, Selbsterhalt und materielle Güter erst möglich macht.
Mindestens die heute Vierzigjährigen wurden schon in einen Staat und in ein Volk hineingeboren, das die letzte große Gemeinschaftsaufgabe bereits vollendet hatte. Sie wurden – so sonderbar das klingt – nicht für eine gemeinsame Anstrengung gebraucht, weil es keine mehr gab. Und von denen, die noch wussten, wie schwer die Kriegs- und Nachkriegsjahre waren, wurden sie mit ihren Ideen zur Weiterentwicklung der Gesellschaft nicht ernst genommen.
Also haben sie der alten Gesellschaft den Krieg erklärt. Einen Krieg, der mit dem Mittel der Moral geführt wird, einer Moral, die nichts davon weiß, dass sie erst nach dem Fressen aufkommen konnte, nicht einmal, dass sie ohne die fürsorgliche Fütterung durch ihre nun auserkorenen Opfer womöglich gar nicht hätte aufkommen können.
Diese Entwicklung zu verstehen, heißt nicht, sie verständnisvoll gut zu heißen.
Diese Entwicklung zu verstehen, heißt auch nicht, den bereits angerichteten Schaden zu verzeihen. Zumal ja noch gar kein Schuldbewusstsein entstanden ist.
Diese Entwicklung zu verstehen, erfordert allerdings auch, die eigene Mitschuld zu erkennen. Als Helmut Kohl 1982 die „geistig moralische Wende“ ankündigte, wäre es höchste Zeit dafür gewesen, dem deutschen Volk ein neues Staatsziel zu setzen, so wie Kennedy den Amerikanern zwanzig Jahre zuvor die Landung auf dem Mond zum Ziel gesetzt hatte.
Doch die geistig moralische Wende fand nicht statt. Kein Aufbruch, kein Ziel, keine Aufgabe, keine Integration der Jungen in dieses satte Deutschland.
Der Beitritt der neuen Bundesländer – das wäre eine einmalige Chance gewesen, doch die hat man „treuhänderisch“ versiebt, die alte DDR von Westkonzernen ausplündern lassen, viel zu lange Westpolitiker in den Osten geschickt und Ostpolitiker als undemokratische SED-Zombies diskriminiert.
Die EU, als ein gesellschaftliches Projekt, ist nie ernsthaft in Angriff genommen worden, man hat es gut sein lassen, wenn die Konzerne mit dem Abbau von Handelshemmnissen zufrieden waren.
Die Arbeitslosigkeit, die Gerhard Schröder auf die Idee brachte, Deutschland zum Niedriglohnsektor umzubauen, hätte in große nationale Projekte und Aufgaben umgeleitet werden können, die ein neues nationales Selbstverständnis, einen neuen Aufschwung und neuen Wohlstand gebracht hätten, doch einfacher war es, dem Export zuliebe, zusätzliche Armut und zusätzliche Demotivation zu schaffen.
Seit Jahren krebst die GroKo nun kraftlos im Bundeskanzleramt und im Reichstag herum, einen Schritt vor, zwei zurück, während Deutschland buchstäblich zerfällt.
Ja, wir Älteren haben uns ausgeruht, auf dem, was bis 1980 geschaffen war und glaubten, es ginge nun von ganz alleine weiter bergauf.
Wir müssen einsehen, dass die Beschädigung Deutschland niemals von links-grüner Ideologie alleine hätte bewirkt werden können, dass wir es waren, die wir uns als Mitte fühlten, die dem nichts vergleichbar Attraktives entgegen setzen konnten. Dass wir es waren, die wir alle nach und nach mit auf den Zug aufgesprungen sind, und es, als er Fahrt aufnahm, nicht mehr wagten, wieder abzuspringen.
Wir Alten sind dabei, unser Deutschland zu verlieren. Die Jungen sind noch dabei, ihr Deutschland zu konstruieren. Dass sie aus Unkenntnis so manche tragende Wand, so manche stützende Säule abtragen wollen, sollten wir verhindern.
Das können wir nicht nur, das müssen wir sogar.
Das heißt aber: Ohne ernsthaften und mutigen Kampf gegen das, was wir für närrische Verrücktheiten mit Schadpotential halten, wird es nicht gehen. Dazu ist es zuerst notwendig (notwendig!), uns darauf zu besinnen, dass auch diejenigen, die das Wort „Volk“ nicht mehr über die Lippen bringen, die erklärten Antideutschen, Deutsche sind und zum deutschen Volk gehören. So wirr und irrational uns ihr Handeln, ihre Ziele, ihre Parolen auch erscheinen, auch ihr Streben ist ein im Grunde erzkonservatives Streben nach dem Erhalt der Lebensgrundlagen – und, auch wenn sie es selbst nicht realisieren wollen – nach dem Erhalt Deutschlands, das sie meinen, radikal umbauen zu müssen, um es als ihre Heimat erhalten zu können.
Wir dürfen sie nicht länger einfach nur ablehnen und niederringen wollen. Wir müssen in die Diskussion, müssen ihre Argumente ernst nehmen und hinter den Argumenten nach den sehr viel tiefer sitzenden Motiven suchen. Häufig lassen erst die Motive die ursächlichen Probleme erkennen – und es kann sein, dass es von da aus zu einer gemeinsamen Lösung im beiderseitigen Interesse gar nicht so weit ist, wie ihr von uns für falsch gehaltene Lösungsansatz vermuten lässt.
Nehmen wir ein beliebiges Beispiel:
Den allseits bekämpften Flächenfraß.
Der Flächenfraß. Dieser Begriff drückt gleich mehrere Sachverhalte und Probleme auf einmal aus und unterscheidet sich – von der Problematik her – nicht von der Parole „Volk ohne Raum“ aus der Zeit des Nationalsozialismus.
Grund und Boden ist, sieht man von der holländischen Methode, das Meer zurückzudrängen, ab, nicht vermehrbar. Eine Volkswirtschaft nutzt die verfügbare Landfläche für Land- und Forstwirtschaft, für Industrie und Handel und zu Wohnzwecken – und verbindet alles mit ebenfalls flächenfressenden Verkehrswegen. Dabei sind sowohl Bevölkerungs- als auch Wirtschafts- und Wohlstandswachstum die Treiber des Flächenverbrauchs. Die nicht intensiv genutzten, noch naturnah gehaltenen Flächen schwinden in Folge des Flächenfraßes und irgendwann wird deutlich, dass es ganz ohne natürliche oder wenigstens naturnahe Flächen nicht geht. Deutschland gehört durchaus zu den sehr dicht besiedelten Gebieten auf dieser Welt und bekommt das Problem dadurch sehr viel intensiver zu spüren als zum Beispiel Russland oder die USA. Hieß es damals, das „Volk ohne Raum“ müsse sich neue Siedlungsgebiete erschließen, um das Problem zu lösen, heißt es heute, wir müssen sparsamer mit dem Land, das wir zur Verfügung haben, umgehen. Das Umweltbundesamt schreibt dazu: Insgesamt sind die Inanspruchnahme immer neuer Flächen und die Zerstörung von Böden auf die Dauer nicht vertretbar und sollten beendet werden. Angesichts global begrenzter Landwirtschaftsflächen und fruchtbarer Böden sowie der wachsenden Weltbevölkerung ist der anhaltende Flächenverbrauch mit all seinen negativen Folgen unverantwortlich. Dies gilt auch und besonders mit Rücksicht auf künftige Generationen Dagegen gibt es nichts einzuwenden. Es sollte also alles getan werden, um den Flächenverbrauch zu stoppen. Es gibt dazu ja sogar offizielle Ziele: Ziele zur Reduzierung der Flächeninanspruchnahme Die Bundesregierung hat sich deshalb im Rahmen der Nationalen Nachhaltigkeitsstrategie zum Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2020 die Neuinanspruchnahme von Flächen für Siedlungen und Verkehr auf 30 Hektar pro Tag zu verringern. Im Durchschnitt der Jahre 1993 bis 2003 lag der Flächenverbrauch noch bei 120 Hektar pro Tag. Darüber hinaus fordern der Rat für Nachhaltige Entwicklung (RNE), der Rat der Sachverständigen für Umweltfragen (SRU) sowie der Naturschutzbund Deutschland e.V. (NABU), spätestens zum Jahr 2050 die Inanspruchnahme neuer Flächen auf null zu reduzieren. Die Siedlungs- und Verkehrsflächen in Deutschland nehmen zur Zeit rund 50.000 Quadratkilometer in Anspruch – bei angenommenen 82 Millionen Einwohnern, sind das rund 600 Quadratmeter pro Person oder 600 Quadratkilometer je 1 Million Einwohner. Wenn also Bevölkerung und Wirtschaftsleistung und der daraus erwachsende Wohlstand und die daraus entstehenden Ansprüche die maßgeblichen Größen für den Flächenbedarf darstellen, dann sind das die Stellschrauben mit dem größtmöglichen Einfluss. Schröder hat es mit Hartz-IV und der Begrenzung des zulässigen Wohnraums für Hartz-IV-Bezieher versucht, den Flächenfraß treibenden Wohlstand und die daraus entstandenen Ansprüche zu reduzieren. Das war – in diesem absonderlichen Lichte betrachtet – eine Tat für die Natur gegen das eigene Volk, die allerdings durch die Niedriglohnpolitik zu enormen Zuwächsen im Export geführt hat, was die ansatzweise positive Entwicklung durch zusätzlichen industriellen Flächenbedarf wieder zunichtemachte. Nun hat die von über 80 Prozent der Bevölkerung und von sechs von sieben im Bundestag vertretenen Parteien gutgeheißene Migrationspolitik der letzten Jahre zu einem dauerhaften Bevölkerungszuwachs geführt, der im Laufe der nächsten Jahre unweigerlich neuen Flächenbedarf auslösen wird. Das Ziel von 30 Hektar pro Tag ab 2020 und null Hektar ab 2050 wird aufgrund der zu erwartenden, neuen Bevölkerungsdynamik verfehlt werden, es sei denn, die Deindustrialisierung Deutschlands hält mit der Bevölkerungsentwicklung Schritt. Die Zerschlagung der Kernindustrie des Landes könnte es folglich durchaus ermöglichen, trotz weiterhin offener Grenzen und Migrationspakt den Flächenfraß zu stoppen. Wachsende Arbeitslosenzahlen führen dabei zu sinkendem Wohlstand und sinkenden Ansprüchen. Die ausufernde Eigenheimbebauung an den Stadträndern kommt zum Stillstand, Feldhamster und Brachvogel sind gerettet. Es sei denn, sie werden aus der Not heraus als neue menschliche Nahrungsquellen erschlossen. Wäre es nicht einfacher, die Zuwanderung zu stoppen? |
Was waren die Argumente, was war die Motivation?
Wir erkennen den guten deutschen Romantiker, der seine Heimat und die Natur liebt und sie erhalten will, und das im Überschwang der Gefühle nicht nur für sich alleine, sondern für die ganze Welt.
Dass sein Schlaraffenland, um wie gewohnt funktionieren zu können, nicht nur den Wald und die Wiese und den Schmetterling, sondern auch die gesamte Infrastruktur benötigt, die er als feindlich wahrnimmt, will er ebenso wenig wahrhaben, wie er das abschreckende Beispiel des Niedergangs der weltweit von Menschenmassen überschwemmten Touristenzentren, deren einstige Naturschönheiten von den Betonburgen der Hotelanlagen bis auf ein paar Vorzeige-Ecken vernichtet wurden, zwar dort erkennt, aber nicht auf die Bevölkerungsdichte Deutschlands zu übertragen vermag.
Es wird uns schwerlich gelingen, jenen hartgesottenen Kern von Aktivisten zu erreichen und zu überzeugen, denen es gelungen ist, die Meinungsführerschaft in Deutschland zu erringen, doch es sollte uns gelingen, sie zu isolieren, indem wir – jeder für sich in seinem persönlichen Umfeld – die, zumeist ja nur aus Angst vor Repressionen Mitlaufenden, mit Denkanstößen versorgen, die sie auf den Boden der Realität zurückholen können.
Am einfachsten ist das, wenn man sich ihren Vorstellungen gegenüber durchaus aufgeschlossen zeigt. Das sind wir ja schließlich auch.
Ja, wir wollen den Flächenverbrauch stoppen und die Natur erhalten.
Ja, wir wollen Hunger, Elend und Krieg in der Welt überwinden.
Ja, wir wollen Fluchtursachen bekämpfen.
Ja, wir wollen unsere Ressourcen schonen und nicht mehr von den endlichen Rohstoffe vernichten als unbedingt erforderlich.
Ja, wir wollen saubere Luft, wir wollen saubere Meere. Durchaus.
Aber dann sollen sie uns bitte erklären, wie sie das mit ihren Konzepten konkret und Schritt für Schritt und unter Inkaufnahme welcher „Nebenwirkungen“ erreichen wollen. Dann sollen Sie uns bitte von der Richtigkeit und meinetwegen von der Alternativlosigkeit ihrer Rezepte überzeugen.
Daher dürfen wir sie in ihrer Argumentation nicht mit den inflationär gebrauchten, schnell vor dem Weiterreden statt einer Aussage hingeworfenen Ausflüchten „irgendwie“ und „keine Ahnung“ durchkommen lassen, denn wo ihr Wissen über die Zusammenhänge bescheiden ist und nicht über einen monokausalen Trugschluss hinausreicht, dürfen, ja müssen, wir sie das erkennen lassen.
Wir müssen ihnen die Gelegenheit geben, sich die Erkenntnis der Fehler und Schwierigkeiten, die ihre Ansätze mit sich bringen, selbst zu erarbeiten, bevor sie (und wir) es leidvoll erfahren müssen.
Aber: Wir müssen auch unvoreingenommen genug sein, neue, unseren bisherigen Erfahrungen zuwiderlaufende Ideen, wo sie konkret genug bedacht sind, ernsthaft zu prüfen.
Denn sicher ist, dass unser Anteil am Entstehen der Probleme, die es gemeinsam zu lösen gilt, dadurch zustande gekommen ist, dass auch wir oft genug nicht in der Lage waren, die Folgen unseres Handelns richtig abzuschätzen. Sicher ist, dass neue Ideen, auch neue Technologien, meist dazu führen, dass man sich von liebgewonnenen Gewohnheiten und Sichtweisen verabschieden muss, was mit zunehmendem Alter durchaus schwerer fällt. Sicher ist aber auch, dass die Erfahrung der Älteren dazu beitragen kann, die Wiederholung von Fehlern auszuschließen, wenn ein die Generationen übergreifendes Vertrauen besteht.
Kämpfen wir als Demokraten also den Kampf um das Vertrauen unserer Kinder und Enkel!
Nicht Nahles, Kramp-Karrenbauer, Habeck, Söder, Lindner, Gauland oder Bartsch bestimmen die Zukunft Deutschlands, die können nur Vorschläge machen und Absichten hegen.
Von unseren Kindern und Enkeln hängt es ab, welche Parteien, welche Ideologien, welche Interessen in künftigen Parlamenten und Regierungen vertreten sein werden. Von unseren Kindern und Enkeln hängt es ab, ob sie das, was wir ihnen als Erbe hinterlassen, annehmen, bewahren und vermehren, oder ablehnen und untergehen lassen.
Und wie sie sich entscheiden, das hängt ganz erheblich davon ab, inwieweit es uns gelungen ist, ihr Vertrauen zu gewinnen.
Du und Deutschland.
Gibt es nicht doch mehr Gemeinsamkeit als Gegensätze, mehr Zustimmung als Widersprüche, mehr Hoffnung als Befürchtungen?
Muss das Auto wirklich verschrottet werden, weil der Aschenbecher voll oder der Tank leer ist?
Haltet die kleinen Dinge in Ordnung,
dann erledigen sich die Großen von selbst.
Mit freundlicher Genehmigung von antides.de.
Egon W. Kreutzer ist Unternehmensberater, Autor und Verleger.
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