Michelangelo: Verarmt, verfolgt, verehrt – Künstler zwischen festem Glauben und „ewiger Geduld“
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Michelangelo Buonarroti ist unbestreitbar einer der größten Künstler der Geschichte. Er erblickte 1475, vor 550 Jahren, im italienischen Caprese das Licht der Welt. In seinen 88 Lebensjahren hatte der Italiener viel Zeit, seine Kunst auszuleben. Zwar arbeitete Michelangelo in erster Linie als Bildhauer, doch auch als Maler, Architekt und Schriftsteller machte er sich einen Namen.
Mit welchen Herausforderungen und Nöten sich der renaissancezeitliche Künstler konfrontiert sah, lassen seine Werke heute nicht mehr erkennen. Ein genauerer Blick in sein Leben führt sie jedoch deutlich vor Augen.
So gab es mehr als einen Moment, in dem die Last so groß war, dass er daran hätte zerbrechen können. Doch das tat Michelangelo nicht. Was gab dem Künstler die Kraft, selbst die schwierigsten und aussichtslosesten Situationen zu überstehen?
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Porträt von Michelangelo (1475–1564). Vermutlich gemalt von Daniele da Volterra um 1544. Foto: Gemeinfrei
Michelangelo war bescheiden und emsig
„Genial“ ist ein Adjektiv, mit dem viele Menschen Michelangelo heute beschreiben würden. Der Künstler sah sich jedoch nie als Genie, sondern als einen Mann, der hart für sein Können arbeitete. Er selbst soll über sich gesagt haben:
Wenn die Leute wüssten, wie hart ich arbeiten musste, um meine Meisterschaft zu erlangen, würde es gar nicht so wunderbar erscheinen. […] Wenn man wüsste, wie viel Arbeit dahintersteckt, würde man es nicht als Genie bezeichnen.“
Michelangelo deutete an, dass seine Meisterschaft nicht allein auf angeborenem Talent beruht. Stattdessen bezeichnete er seine „Genialität“ als „ewige Geduld“ – die Fähigkeit, weiterzumachen, auch wenn unvermeidliche Schwierigkeiten auftreten.
Wie stark diese Arbeitsmoral war, lässt sein Zeitgenosse Giorgio Vasari in „Das Leben der Künstler“, der ersten Biografie Michelangelos, durchblicken: „Michelangelo erzählte mir, dass er in seiner Jugend oft mit seinen Kleidern schlief, so wie ein Mann, der sich, erschöpft von seiner Arbeit, nicht die Mühe macht, sich auszuziehen, da er sich später wieder anziehen muss.“
Ebenso bemerkenswert ist auch, dass er bei der Bereitstellung seines liebsten Werkstoffes, nämlich Marmor, tatkräftig mit anpackte. Während die meisten Bildhauer nur in die Steinbrüche gingen, um ihren gewünschten Marmor auszuwählen, half Michelangelo den Arbeitern bei der gefährlichen und schwierigen Arbeit, den Block aus dem Berg zu lösen.
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Ein Steinbruch in Italien, in dem der berühmte Carrara-Marmor abgebaut wird. Foto: Marco Secchi/Getty Images
Erst die härteste Prüfung …
Eines der Kunstwerke, die am häufigsten mit ihrem Schöpfer in Verbindung gebracht werden, ist die Decke der Sixtinischen Kapelle, an der Michelangelo von 1508 bis 1512 gearbeitet hat. Da er bis dato überwiegend Skulpturen schuf, weigerte sich Michelangelo zunächst, den Auftrag anzunehmen.
Mehrfach soll er plädiert haben, dass er ein Bildhauer und kein Maler sei. Dennoch ließ er sich überreden und führte den Auftrag aus. Nach Abschluss seiner Arbeit soll er gesagt haben: „Ich bin nicht gut drauf, und ich bin kein Maler.“ Dennoch sind seine Malereien heute weltberühmt und werden jährlich von Millionen Touristen bewundert. Doch die Schönheit hatte ihren Preis.
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„Die Erschaffung Adams“ ist Teil des Deckengemäldes der Sixtinischen Kapelle in Rom. Foto: Gemeinfrei
Das Malen der Decke soll dem damals 37-Jährigen enorme körperliche Schmerzen bereitet haben, wie Giorgio Vasari schreibt. „Diese Fresken wurden mit größter Unannehmlichkeit ausgeführt, denn er [Michelangelo] musste mit nach hinten geneigtem Kopf arbeiten, und das schädigte sein Augenlicht sehr […].“
Zu dem körperlichen Leid kamen weitere Nöte hinzu. Obwohl er ein gefragter Künstler war, soll er nicht viel Geld besessen haben, da er vieles an seine Familie weitergab. In seinen Briefen schrieb Michelangelo:
Ich lebe hier in einem Zustand großer Angst und größter körperlicher Erschöpfung: Ich habe keine Freunde und wünsche mir keine. Ich habe nicht genug Zeit, um zu essen, wie ich sollte. […] Und so lebe ich nun schon seit etwa 15 Jahren, und ich habe nicht eine Stunde Glück gehabt.“
Trotz der Unannehmlichkeiten hielt Michelangelo durch und schuf mit seiner Beharrlichkeit eines der größten Kunstwerke der Welt. Er hätte jederzeit aufgeben können, aber er tat es nicht.
… dann die Flucht
18 Jahre nach der Fertigstellung der Malerei in der Sixtinischen Kapelle musste Michelangelo plötzlich um sein Leben bangen und fliehen, weil er den Zorn eines der einflussreichsten Männer zu dieser Zeit auf sich gezogen hatte.
Es heißt, Michelangelo sei bei Papst Clemens VII. aus dem Hause Medici in Ungnade gefallen, woraufhin er sich in der unterirdischen Kammer einer Kapelle in Florenz einschloss. Tief unter dieser Kapelle soll sich der Künstler ganze zwei Monate lang versteckt haben. Infolgedessen wird der 3 Meter breite, 10 Meter lange und fast 3 Meter hohe Raum heute als Michelangelos Geheimzimmer bezeichnet.
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Die Skizze ähnelt der berühmten David-Statue und dem Bildausschnitt von Jesus aus dem Gemälde „Das Jüngste Gericht“ in der Sixtinischen Kapelle. Foto: Francesco Fantani/Museo delle Cappelle Medicee
Um nicht verrückt zu werden, nutzte der italienische Maler die Zeit, um die schlichten Wände des Gewölbes mit seinen Kohleskizzen „zu verschönern“. Seine Zeichnungen bildeten ausschließlich den menschlichen Körper ab: von ganzen Figuren bis zu detailgetreuen Körperteilen wie Gliedmaßen oder Köpfen.
Ob er in dieser Zeit seine Liebe zu Zeichnungen entdeckte und vertiefte, ist nicht bekannt. Sicher ist jedoch, dass ihn Skizzen die nächsten Jahre begleiteten.
Michelangelo und „Der Traum vom menschlichen Leben“
Um 1533 fertigte Michelangelo eine Reihe von Zeichnungen an, die er seinen engen Freunden schenkte. Zu dieser Zeit wurden Zeichnungen normalerweise als Skizzen für größere Werke angefertigt. Michelangelo fertigte sie jedoch als fertige Endprodukte an – eine Neuheit in der damaligen Zeit.
Anstatt Kunst im Auftrag anderer zu schaffen, konnte Michelangelo auf diese Weise seine eigenen Ideen ausleben und zu Papier bringen, was ihn im Innersten bewegte. Eines dieser Werke ist „Der Traum vom menschlichen Leben“.
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„Der Traum vom menschlichen Leben“ ist eine Zeichnung von Michelangelo. Foto: Gemeinfrei
Hierin ist ein nackter Mann zu sehen, der auf einem Kasten gefüllt mit Masken unterschiedlichster Gesichtsausdrücke sitzt. Er stützt sich auf eine leere Kugel, dreht seinen Kopf weg und wendet sein Gesicht gen Himmel. Von dort steigt gerade ein geflügeltes menschliches Wesen hinab und richtet seine Trompete auf die Stirn der nackten Hauptfigur.
Im Hintergrund dieser zentralen Szene befinden sich viele weitere Figuren, die miteinander interagieren. Sie sind jedoch viel weicher gezeichnet, um nicht von den Hauptakteuren des Bildes abzulenken. Einige dieser Nebenfiguren umarmen und küssen sich, während andere kämpfen oder fliehen.
Was wollte Michelangelo mit diesem Werk aussagen?
Zwischen Himmel und Erde
Um die Bedeutung der Zeichnung zu entschlüsseln, muss zunächst die Beziehung zwischen den beiden Hauptfiguren verstanden werden. Dabei könnte der Philosoph Marsilio Ficino behilflich sein, der in der italienischen Renaissance der Leiter der Platonischen Akademie war. Diese Schule besuchte auch Michelangelo als junger Mann.
Ficino vertrat die Ansicht, dass die Seele als Vermittler zwischen Himmel und Erde fungiert – in Michelangelos Zeichnung durch das geflügelte Wesen dargestellt. Die Seele konnte dabei Aspekte von Himmel und Erde besitzen. Zum Beispiel bewegte sich die Seele in Zeit und Raum, spiegelte aber ewige und unkörperliche Ideen und Ideale wider. Der nackte Mann kann demzufolge als menschlicher Körper verstanden werden. Doch warum richtet das Wesen seine Trompete auf die Stirn des Mannes?
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Ein Gemälde nach Michelangelos Zeichnung. Foto: Gemeinfrei
In der Renaissance gingen die Menschen davon aus, dass die Seele bei der Geburt über eine Schädelöffnung an der Stirn in den Körper gelangt und dort beim Tod wieder austritt. Es scheint in dieser Zeichnung also um die vom Himmel kommende und von Gott gesandte ewige Seele sowie den irdischen vergänglichen Körper zu gehen. Welche Rolle spielen dann die leere Kugel, die Masken und die verwaschenen Menschen im Umfeld?
Laut Ficino war es möglich, dass die göttliche Seele vom Körper abgelenkt wurde, beispielsweise durch irdische Begierden. Auf diese Weise verlor der Mensch seine Verbindung zu Gott und dem Guten. Die Zeichnung Michelangelos könnte also eine Hilfe darstellen, wie diese gelöste Verbindung wiederhergestellt werden kann.
Die Kugel wird daher oft als leerer Globus und als Loslösen von irdischen Belangen verstanden. Der Mensch muss den Verlockungen um sich herum und in der Gesellschaft widerstehen und gleichzeitig zur Wahrheit finden, indem er seine künstlichen Masken für immer ablegt und sich dem Göttlichen zuwendet.
Ein malerischer Poet
Dass Michelangelo viel über die Seele und den Glauben nachdachte, wird auch aus seiner Poesie erkennbar, die der für seine Skulpturen und Malereien viel bewunderte Italiener ebenfalls zahlreich verfasste. In seinen Gedichten erörterte er nicht selten die Frage, wie wir das ewige Leben erreichen können.
Zwar war sich Michelangelo der Schönheit der Welt und der sinnlichen Dinge bewusst, betrachtete aber die niederen Begierden als Fesseln für die Seele, die ihren Aufstieg in den Himmel behindern.
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Michelangelo war nicht nur Bildhauer, sondern auch Dichter. Foto: Wikibusters, Wikimedia Commons | CC BY-SA 4.0
In seinem Gedicht 83 vertritt er die Ansicht, dass die Welt vergeht und uns eine ungeordnete Liebe zu ihrer Schönheit von der Quelle dieser Schönheit fernhält. Würden wir lernen, klar zu sehen, wären wir in der Lage, unsere Liebe dem Guten zu schenken. Dies würde uns schließlich dem Himmel näher bringen.
Von deinem schönen Gesicht lerne ich, oh mein geliebter Herr,
Das zuschreibt, was ihr grober Wille gehorcht,
Was keine sterbliche Zunge recht sagen kann;
Die Seele, gefangen in ihrem Haus aus Lehm,
half durch dich zu Gott oft empor:
Und wenn auch die gemeine, eitle, bösartige Schar
So soll doch diese glühende Huldigung, die ich erweise,
Diese Liebe, dieser Glaube, reine Freuden für uns bieten.
Seht, all die schönen Dinge, die wir auf Erden finden,
Gleichen für die Seele, die recht sieht,
Dem göttlichen Quell der Glückseligkeit, der uns geboren hat:
Noch haben wir Erstlingsfrüchte oder Erinnerungen
des Himmels anderswo. So, treu liebend,
Ich erhebe mich zu Gott und süße den Tod durch dich.“
Doch für seine literarischen Werke sollte Michelangelo nicht in die Geschichte eingehen, sondern vielmehr als der begabte Bildhauer und Maler, der er war. Und dieser Leidenschaft blieb er treu und verfolgte sie bis kurz vor seinem Tod.
Zerstörte Michelangelo sein letztes Werk?
Mit etwa 75 Jahren fertigte Michelangelo seine letzten Skulpturen an. Als eine Art Abschiedsskulptur gilt seine „Pieta Bandini“ – eine über 2 Meter hohe Statuengruppe aus Marmor, die Nikodemus, Jesus Christus, die Jungfrau Maria und die heilige Maria Magdalena darstellt.
Es ist eine der emotionalsten Skulpturen, die der italienische Bildhauer anfertigte. Sie zeigt den leblosen Körper des gerade erst vom Kreuz genommenen Christus – gehalten von den drei umstehenden Personen. Während Nikodemus mit Zärtlichkeit und Hingabe auf Christus herabblickt, ist der Kopf Jesu zu seiner Mutter Maria gewandt. Man kann sich vorstellen, dass sie ihm zum Abschied etwas ins Ohr flüstert.
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Die „Pieta Bandini“ war eine der letzten Skulpturen, die Michelangelo anfertigte. Foto: Marie-Lan Nguyen, Wikimedia Commons | CC-BY 2.5
Bezeichnenderweise stellt Nikodemus ein Selbstporträt Michelangelos dar. Die Situation mit Jesus spiegelt seinen eigenen Glauben und vielleicht auch die Erkenntnis wider, dass er in absehbarer Zeit vor seinen Schöpfer tritt.
Wie die dargestellte Situation ist auch der Zustand der Statue traurig, denn Teile der Skulptur fehlen oder wirken beschädigt. Viele Experten glauben, dass Michelangelo in einem Anfall von Wut und Frustration die Skulptur absichtlich mit seinem Hammer zerstört habe. Doch bei Restaurierungen entdeckten Forscher eine andere mögliche Ursache für den Zustand der Statue: fehlerhaftes Material.
Laut den Experten stammt der Marmor aus Seravezza, einem toskanischen Steinbruch, der der Familie Medici gehörte. Diese war Michelangelos Auftraggeber, weshalb er ihre Anweisungen befolgen musste.
Doch der gewünschte Marmor hatte in den Augen Michelangelos keine gute Qualität. So erschien er an der Oberfläche zwar rein, aber tiefer besaß er oft Risse und ungewünschte Einschlüsse. Ein falscher Schlag konnte dazu führen, dass mehr Material abfiel, als gedacht war. Aufgrund dieser Tatsache und weil keine Spuren von Hammer und Meißel zu sehen seien, gehen die Konservatoren davon aus, dass der Bildhauer seine Arbeit an der Skulptur einstellte.
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