400 Jahre alte Skizze löst astronomisches Rätsel um Sonnenflecken
Ohne sie gäbe es weder Tag noch Nacht noch möglicherweise Leben auf der Erde: die Sonne. Derzeit ist sie wieder sehr aktiv, wie zahlreiche Sonnenflecken und -stürme zeigen, die Mitteleuropa kürzlich sogar Polarlichter bescherten. Doch obwohl uns unser Stern seit Milliarden Jahren begleitet, haben wir bislang nicht alle seine Rätsel gelöst.
Dank moderner Technologien schaffen es Astronomen gelegentlich, Antworten auf eine der bestehenden Fragen zu finden. Für des Rätsels Lösung reichen manchmal jedoch schon Zettel und Stift aus, wie der Fall Kepler von 1607 zeigt.
Sonnenflecken festgehalten für die Ewigkeit
Johannes Kepler (1571–1630) ist bis heute für seine historischen Leistungen in der Astronomie und der Mathematik bekannt. Er war einer der wenigen Menschen, die es im 17. Jahrhundert schafften, die Aktivität unserer Sonne genauer zu studieren. Hierfür baute der deutsche Astronom einen besonderen Apparat namens „Camera obscura“, der aus einem kleinen Loch in einer Wand bestand. Damit konnte Kepler das Bild der Sonne auf ein Blatt Papier projizieren und so sichtbare Merkmale der Sonne skizzieren.
Damit zeichnete er im Mai 1607 einen „Schatten“ vor der Sonne auf, den er fälschlicherweise für den vorbeiziehenden Planeten Merkur hielt. Erst später stellte sich heraus, dass Kepler eine Gruppe von Sonnenflecken beobachtet und für die Zukunft auf Papier festgehalten hatte. Sonnenflecken sind Bereiche auf der Oberfläche unseres Sterns, die aufgrund ihrer vergleichsweise niedrigen Temperatur von nur etwa 4.000 Grad Celsius und ihrer intensiven magnetischen Aktivität dunkler erscheinen. Ihr Auftreten, ihre Häufigkeit und ihre Verteilung unterliegen Zyklen, die die Sonnenstrahlung und das Weltraumwetter beeinflussen.
Und genau die Flecken, die Kepler skizzierte, waren Teil eines regelmäßigen Sonnenzyklus, der vor dem großen Sonnenminimum – dem sogenannten Maunder-Minimum (1645–1715) – stattfand, wie japanische Forscher nun entdeckten. Ein großes Sonnenminimum ist eine ungewöhnlich lange Periode geringer Sonnenfleckenaktivität, die den Forschern wichtige Informationen über die Sonne und die Erde liefert. Das Sonnenminimum selbst wurde von großen frühen Teleskopbeobachtern wie Thomas Harriot oder Galileo Galilei aufgezeichnet.
Schlüsselzeit für die Astronomie
Keplers Fall zeigt, dass ein 400 Jahre altes bekritzeltes Papier noch heute für Forscher große Schätze bergen kann. Das 17. Jahrhundert gilt dabei als Schlüsselzeit für die Astronomie, da es zwei wichtige Momente vereint: zum einen den Wechsel zweier Sonnenzyklen und zum anderen die Erfindungen und technischen Neuerungen, mit denen Sonnenbeobachtung besser möglich war.
„Da es sich bei Keplers Aufzeichnung nicht um eine teleskopische Beobachtung handelt, wurde sie nur im Rahmen der Wissenschaftsgeschichte diskutiert, aber nicht für eine quantitative Analyse der Sonnenzyklen im 17. Jahrhundert in Betracht gezogen“, erklärt Studienautor Hisashi Hayakawa von der Universität Nagoya. „Aber dies ist die älteste Sonnenfleckenskizze, die jemals mit einer instrumentellen Beobachtung und einer Projektion erstellt wurde.“
Mit ihr können die japanischen Forscher nach eigenen Angaben nun zur Lösung einer Streitfrage beitragen: Wie lange dauerte der Sonnenzyklus vor dem großen Sonnenminimum?
Kepler löst modernes Datendilemma
Mit seiner Skizze hilft Kepler den heutigen Astronomen, zu verstehen, was sich vor über 400 Jahren auf unserer Sonne abspielte. Bislang war unklar, wie sich die Sonnenaktivität veränderte, und es gab verschiedene Meinungen. Einer auf Baumringen basierenden Theorie zufolge könnte jener Sonnenzyklus vor dem Maunder-Minimum aus einem extrem kurzen (etwa fünf Jahre) und einem extrem langen (etwa 16 Jahre) Zeitabschnitt bestanden haben. Eine zweite Rekonstruktion, die sich ebenfalls auf Baumringe stützt, lässt vermuten, dass die Zyklen normal lang und regelmäßig waren (beide etwa elf Jahre).
„Welcher Rekonstruktion sollen wir also vertrauen? Es ist äußerst wichtig, diese Rekonstruktionen anhand unabhängiger – vorzugsweise beobachteter – Daten zu überprüfen“, erklärt Hayakawa das Datendilemma. Und genau diese liefert Kepler mit seiner Skizze von 1607. Durch die Analyse der Zeichnung und deren Vergleich mit zeitgenössischen Daten und modernen Statistiken machten die Forscher insgesamt vier wichtige Entdeckungen.
1. Keplers Zeichnung und Beschreibung passen nicht
Die Rückübertragung der Sonnenfleckenzeichnungen unter Beachtung des damaligen Sonnenstandes führt dazu, dass die Forscher Keplers Sonnenfleckengruppe nahe dem Sonnenäquator platzieren. Dies widerspricht indes jener berühmten schematischen Zeichnung des Sonnenbildes, die Kepler in seinem Buch anfertigte, und seinem Originaltext. Beide zeigen den Sonnenfleck weiter in Richtung des Sonnenpols.
2. Sonnenflecken am Ende des Zyklus
Der englische Astronom Richard Christopher Carrington erkannte im Jahr 1861, dass sich die Position von Sonnenflecken mit dem Sonnenzyklus verändert. Demnach wandern die Sonnenflecken während eines Sonnenzyklus von höheren zu niedrigeren Breiten. Verfeinert wurde dies von Carringtons Zeitgenosse, dem deutschen Astronomen Gustav Spörer, weshalb das Phänomen in Fachkreisen als Spörers Gesetz bekannt ist.
Die neue Positionierung von Keplers Sonnenfleckengruppe führt dazu, dass sie nicht wie bislang dem Beginn von Sonnenzyklus -14 zugeordnet werden kann. Laut Spörers Gesetz müsse Kepler sie „wahrscheinlich zum Ende des Sonnenzyklus -13“ festgehalten haben.
3. Wechsel der Sonnenzyklen
Die neue Platzierung und Zuordnung stehen nicht nur in Kontrast zu Keplers Original, sondern auch zu späteren Beobachtungen, die Sonnenflecken in höheren Breitengraden zeigen. Einen Widerspruch sehen Hayakawa und Kollegen darin nicht. Vielmehr zeige dies „einen typischen Übergang vom vorhergehenden Sonnenzyklus zum folgenden Zyklus in Übereinstimmung mit dem Spörerschen Gesetz“, sagte Koautor Thomas Teague.
4. Datierung des Übergangs
Aufgrund ihrer Erkenntnisse konnten die Autoren den Übergang zwischen dem letzten Sonnenzyklus (-14) und dem nächsten Sonnenzyklus (-13) eingrenzen. Der Übergang fand demnach zwischen 1607 und 1610 statt. Auf dieser Grundlage deuten Keplers Aufzeichnungen auf eine regelmäßige statt extrem schwankende Dauer des Sonnenzyklus -13 hin.
Auf der Schulter eines wissenschaftlichen Giganten
Durch die Untersuchung von Keplers Beobachtungen und seinen Einfluss auf die moderne Wissenschaft haben die Forscher einen wichtigen Einblick in die Veränderungen des Sonnenverhaltens vor 400 Jahren erhalten – ein Wissen, das auch in der Zukunft noch von Bedeutung sein wird.
„Keplers Vermächtnis geht über seine Beobachtungsfähigkeiten hinaus. Es beeinflusst die laufenden Debatten über den Übergang von regelmäßigen Sonnenzyklen zu einem Sonnenminimum“, erklärte Hayakawa. „Außerdem hat Kepler im 17. Jahrhundert viele historische Maßstäbe in der Astronomie und Physik gesetzt und so seinen Fußabdruck auch im Zeitalter der Raumfahrt hinterlassen.“
Und dies gelang dem deutschen Astronomen trotz Rückschlägen, Ablehnung und Hass. „Unsere Forschung zeigt, dass Kepler mit seinen Forschungen um einige Jahre voraus war. Seine Skizzen selbst sind ein Zeugnis seines wissenschaftlichen Scharfsinns und seiner Beharrlichkeit angesichts technischer Beschränkungen“, so Hayakawa.
Auch Sabrina Bechet vom Königlichen Observatorium Belgiens äußert sich dankend: „Es ist faszinierend zu sehen, wie die Hinterlassenschaften historischer Persönlichkeiten modernen Wissenschaftlern noch Jahrhunderte später entscheidende wissenschaftliche Erkenntnisse vermitteln.
Ich bezweifle, dass sie sich vorstellen konnten, dass ihre Aufzeichnungen der Wissenschaft auch lange nach ihrem Tod noch zugutekommen würden. Wir können von diesen historischen Persönlichkeiten noch viel lernen, abgesehen von der Geschichte der Wissenschaft selbst. Im Fall von Kepler stehen wir auf den Schultern eines wissenschaftlichen Giganten“, so Bechet abschließend.
Die Studie erschien am 25. Juli 2024 im Fachmagazin „Astrophysical Journal Letters“.
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