Meister der Perspektive: Wenn eine Kirche in den Himmel führt

Kann ein Kirchenraum größer sein, als er tatsächlich baulich ist? Ein herausragendes Beispiel dafür steht in der Ewigen Stadt.
Titelbild
Deckenfresko der Kirche Sant’Ignazio di Loyola vom Heiligen Ignatius von Loyola in Rom.Foto: iStock
Von 8. März 2024

Wenn ein Besucher der Kirche St. Ignatius in Rom auf einer bestimmten Bodenfliese steht und nach oben blickt, könnte er glauben, er befindet sich im Zentrum des Universums. Diese reizvolle, mit einem roten Marmorstern gekennzeichnete Stelle befindet sich in der Mitte des Kirchenschiffs.

Von hier hat der Besucher den perfekten Standort, um das Deckenfresko zu bewundern. Es scheint sich ins Unendliche zu öffnen und in göttliche Dimensionen zu führen.

Direkter Weg in den Himmel

Das monumentale Deckenfresko „Triumph von Sant’Ignazio“ in der St.-Ignatius-Kirche in Rom ist ein Beispiel barocker Kunst par excellence, wie wenige seiner Art. Erschaffer dieser meisterhaften Illusion ist der Jesuitenmaler Andrea Pozzo.

Selbstporträt von Andrea Pozzo (1642–1709) um 1686. Foto: Gemeinfrei

Sein Verständnis für Perspektive und eine Kunst ohne Grenzen beschrieb Pozzo in einer eigenen Abhandlung. Die Menschen lobten seine Kunst dafür, dass sie jenes monumentale Ausmaß erreichte, welches im Barock angestrebt wurde: die Kirche zu verherrlichen – und in seinem Fall auch die Jesuiten.

Der ganzen Welt den christlichen Glauben näherzubringen, war die Aufgabe der Jesuiten im 17. Jahrhundert. Hierfür arbeiteten sie Hand in Hand mit den Kolonialmächten, Handelsgesellschaften, Königen, Kaisern und anderen Staatsoberhäuptern. So sollte der Glaube bis in die letzten Winkel der Erde verbreitet werden.

Der Gründer der Jesuiten, Ignatius von Loyola, wurde 1622 heiliggesprochen. Kardinal Ludovico Ludovisi widmete dem Heiligen auf Geheiß von Papst Gregor XV. eine neue Kirche in der Ewigen Stadt Rom.

Außenansicht der Kirche Sant’Ignazio

Außenansicht der Kirche Sant’Ignazio di Loyola in Campo Marzio. Foto: iStock

Meister der optischen Täuschung

Um die Kosten niedrig zu halten, suchten die Geistlichen in ihren eigenen Reihen nach Künstlern und Architekten für dieses Projekt. Als es schließlich darum ging, die flache Decke der Vierung auszugestalten, dort wo Haupt- und Querschiff der Kirche sich kreuzen, kam der Name Andrea Pozzo ins Spiel. Kein anderer als er, der Meister der Perspektive, sollte diese Aufgabe übernehmen.

Sein Talent bewies er denn auch damit, indem er es schaffte, dem Gebäude eine Kuppel zu geben, die architektonisch gar nicht vorhanden ist. In Wirklichkeit ist diese Kuppel nur auf einer flachen Decke – einer Leinwand – aufgemalt.

Scheinkuppel der Kirche Sant’Ignazio

Die Scheinkuppel von Andrea Pozzo. Foto: iStock

Die Erschaffung einer solchen gemalten Kuppel löste gleichzeitig ein weiteres Problem: Hätte es eine echte Kuppel gegeben, hätte diese aufgrund ihrer Höhe dem benachbarten Gebäude, dem Collegio Romano, das Sonnenlicht geraubt. Außerdem war eine flache, unechte Kuppel weitaus billiger als eine reale.

Die perspektivische Lösung des Künstlers war so brillant, dass die Geistlichen ihn an weitaus bedeutsamerer Stelle erneut engagieren wollten. Und so wurde der Maler Pozzo auch mit der Gestaltung des Kirchenschiffs beauftragt.

Wie schon bei der Kuppel entwickelte er ein Schema, das auf der Zentralperspektive beruhte. Bei diesem Prinzip laufen die Linien in einem einzigen Punkt zusammen, um Tiefe zu erzeugen und so den relativ engen Raum der Kirche zu durchbrechen. Dieser Stil, der reale und illusionistische Räume nahtlos ineinander übergehen lässt, war in der Barockzeit sehr beliebt und ist heute als „trompe-l’œil“ – zu Deutsch: „Das Auge täuschen“ – bekannt.

Das Gemälde „Alacena“ von Antonio Pérez de Aguilar zeigt den illusionistischen Kunststil „trompe-l’œil“. Foto: Gemeinfrei

Nahtloser Übergang in den Himmel

Die eher flache Decke des Kirchenschiffs steigt dank optischer Täuschung auf die dreifache Höhe an. Über dem Kopf des Betrachters ragen dabei falsche architektonische Säulen und Bögen empor, die in goldenes Licht getaucht sind. Die Perspektive ist so perfekt, dass es schwer zu sagen ist, wo die Architektur aufhört und die gemalte Decke anfängt. Nur die pastellfarbenen Wolken und die allegorischen himmlischen Figuren, die ihr monumentales Schauspiel aufführen, verraten, dass die Szene völlig fiktiv ist.

In dieser wogenden himmlischen Szene voller Dramatik und Emotionen bewohnen die Figuren die Wolken, die Architektur und sogar die dünne Luft – schwebend und fliegend im azurblauen Himmel oder weit darüber in lichtdurchfluteten Sphären.

Deckenfresko im Mittelschiff der Kirche Sant’Ignazio

Das Deckenfresko im Mittelschiff der Kirche zeigt die Apotheose des hl. Ignatius – den Aufstieg des Heiligen Ignatius ins Paradies. Foto: iStock

Mittig über allen anderen trägt ein schwebender Christus ein Kreuz. Von einer Wunde in seiner Seite geht ein Lichtstrahl aus, der den Blick diagonal auf den Heiligen lenkt, der zum Himmel aufsteigt, um seinem Herrn zu begegnen. Dieser Lichtstrahl, der die göttliche Erleuchtung symbolisiert, bricht sich an ihm zu den vier Ecken des Freskos, die die vier Ecken der Welt symbolisieren.

In jeder Ecke befindet sich eine Frau, die jeweils einen Kontinent personifiziert. Asien reitet auf einem Kamel, die Hand erhoben, um das Licht zu empfangen. Afrika, dunkelhäutig, reitet auf einem Wesen, das ein Krokodil darstellen könnte. Amerika, eine blonde, hellhäutige Amazone mit Federschmuck, steht einem Puma gegenüber und erhebt ihren Pfeil. Europa hält in einer Hand ein Zepter, mit der anderen Hand stützt sie sich auf einen Reichsapfel ab.

In den Ecken sind vier Frauen, die jeweils einen Kontinent symbolisieren: Amerika (links oben), Afrika (rechts oben), Europa (links unten) und Asien (rechts unten). Foto: Livioandronico2013, Wikimedia Commons | CC BY-SA 4.0 Deed | Zuschnitt: kms/Epoch Times

Ein Kirchenraum, der erlebt werden muss

Leider kann kein Foto der Welt dieses wirkliche barocke Erlebnis einfangen – geschweige denn bloße Worte. Die „absolute Kunst“ dieser Epoche vereint Architektur, Skulptur und Malerei und verlangt die Anwesenheit und Teilnahme des Betrachters am Gesamterlebnis.

Aber auch vor Ort liegt die Schwäche von Pozzos Werk gerade in der geometrischen Präzision, die das Auge so geschickt täuscht. Je mehr der Betrachter von der Mitte abweicht, desto mehr verzerrt sich die Illusion, bis sie schließlich in einem verzerrten Durcheinander zusammenbricht. Deshalb wurde die rote Marmormarkierung auf dem Boden an einem bestimmten Ort platziert: um dem Betrachter die bestmögliche Sicht zu gewährleisten.

Roter Marmorstern der Kirche Sant’Ignazio

Der rote Marmorstern im Kirchenboden markiert die Stelle, von wo der Betrachter die beste Sicht auf das Deckenfresko hat. Foto: iStock

In diesem Sinne vermittelt das Gemälde seine Botschaft auf überzeugende Weise, indem es den Illusionismus, die Dramatik und die Emotionen nutzt, um den Betrachter zu beeinflussen – eine Botschaft, die jedoch nur mit einem katholischen und eurozentrischen Blickwinkel akzeptiert werden kann.

Dieser Artikel erschien im Original auf theepochtimes.com unter dem Titel „Master of Perspective Makes Church Look 3 Times Higher With Optical Illusion Breaking Into Heaven“. (redaktionelle Bearbeitung kms)



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