Kolumne vom Freischwimmer: Verbrauchen Sie!
Wenn ich schon mal im Zug (fest) sitze, bin ich doch auch ein geeignetes Opfer, dem man noch mehr Geld aus der Tasche ziehen kann. Das heißt dann auf Neudeutsch „Service“.
Fantastisch!
Kaum hat man sich hingesetzt, ertönt aus dem Lautsprecher der äußerst dezente Hinweis, dass das Boardbistro auf uns wartet. Nach jedem Bahnhof, an dem der Zug hält, immer wieder aufs Neue. Natürlich sagen sie dabei, dass sie „uns“ erwarten. Aber eigentlich ist damit unser Geld gemeint. Ist das noch nicht genug, kommt eine fleißige Angestellte durch den Zug und nervt (Entschuldigung: fragt) jeden noch einmal persönlich, ob man sich nicht doch noch entschließen könne, einen Kaffee oder ein anderes Getränk zu kaufen. Manche würden das wohl „Belästigung“ nennen – ich nenne das jedoch eine großartige Bemühung um unser aller Wohlergehen.
„Die Werbung ist die Kunst, auf den Kopf zu zielen und die Brieftasche zu treffen.“ (Vance Packard)
Zwar hätte ich gelegentlich gern mal ein paar Minuten meine Ruhe – aber hey – eigentlich ist es doch klasse, wenn man ständig darauf hingewiesen wird, dass man seine Kohle schon viel zu lange in seiner Tasche rumkullern hat. Auch die mittlerweile gängige Praxis in Kinos, dass Taschen durchsucht werden, damit sie nichts Eigenes zum Verzehr mitbringen, ist im höchsten Maße sympathisch und anheimelnd. Mich würde diese Praxis zum Beispiel spontan dazu ermuntern, noch einmal für mindestens 20 Euro überteuerte Kleinigkeiten käuflich zu erwerben.
Vielleicht sollte man ab jetzt bei jeder Fahrt mit der Eisenbahn oder bei jedem Besuch eines Kinematographentheaters zusätzlich zum Ticket noch einmal 70 bis 90 Euro einplanen. Schließlich möchte doch jeder in unserem Land ein vollwertiges, zahlendes Mitglied der Gesellschaft sein.
Oder etwa nicht?
Der Staat sagt uns doch täglich, was wir für ihn sind: „Verbraucher!“ Deshalb möchte ich Sie an dieser Stelle einmal ausdrücklich dazu ermutigen, noch mehr zu verbrauchen. Wohlerzogene Staatsbürger wurden nunmal dazu bestimmt zu verbrauchen. Von Anfang an werden wir durch Werbung zum Konsum erzogen. Permanent und penetrant.
„Fernsehen ist fabelhaft. Man bekommt nicht nur Kopfschmerzen davon, sondern erfährt auch gleich in der Werbung, welche Tabletten dagegen helfen.“ (Bette Davis)
Was glauben Sie, warum der Gesetzgeber der Werbung gestattet permanent in Ihr Leben einzudringen? Das hat Methode! Deshalb: Verbrauchen Sie und kaufen Sie, denn das ist der Sinn des Lebens. Es gibt keinen anderen.
Haben Sie also Mut und verbrauchen Sie bis die Schwarte kracht. Falls das noch nicht genug ist, verschulden Sie sich bei den Banken. Machen Sie sich bitte ihr Leben lang von denen abhängig, nur um verbrauchen zu können.
„Banken sind gefährlicher als stehende Armeen!“ (Thomas Jefferson)
Und seien Sie bitte nicht so egoistisch und bilden sich ein, Sie könnten mit Ihrem Geld machen was Sie wollen. Denken Sie noch nicht einmal ans Sparen. Kaufen Sie ruhig sinnloses Gedöhns – Hauptsache es wird tüchtig verbraucht. Es wäre auch durchaus möglich, dass Sie so wie ich in bildungsfernen Gegenden aufgewachsen sind und nicht wissen, wie man fachmännisch verbraucht.
Das macht nichts. Sie können auch dilettantisch verbrauchen. Das Wichtigste dabei ist, dass Sie daran denken, dass von allem was Sie verbrauchen 19 % an den Staat gehen. Dieses System ist nämlich so aufgebaut das 99,99 % der Bevölkerung dazu „auserkoren“ wurden zu verbrauchen, damit sich 0,01 % millionenschwere Villen von Ihren Steuern kaufen können.
„Unsere Zeit hat eine vortreffliche Manipuliermasse hervorgebracht: die Konsumenten.“ (Paul Schibler)
Wer macht diese Gesetze, welche der Werbung erlauben ununterbrochen in unsere Privatsphäre einzudringen und uns und unseren Kindern endlos und immerwährend einreden zu können, das Leben wäre nur dazu da um zu kaufen? Haben Sie tatsächlich den Eindruck, dass diese Gesetze dazu da sind Sie und Ihre Kinder vor unablässiger Indoktrinierung und Gleichschaltung zu schützen? Was haben die vielen Politiker*Innen*divers für einen Nutzen davon? Denken Sie ebenso darüber nach, wer die Gesetze erlässt, die es Banken erlauben, die totale Kontrolle über Ihr sauer verdientes Geld zu erlangen.
„Das Surrogat Konsum hält die Illusion der Freiheit aufrecht.“ (Michael Brombeis)
Bitte, bitte, machen Sie auf gar keinen Fall in Ihrer Freizeit etwas „kostenloses“. Das würde Ihrem Ansehen schaden. Dann wären Sie kein vollwertiges (Verbaucher-) Mitglied unserer Gesellschaft.
Vermutlich würden dann sogar die Nachbarn anfangen zu tuscheln: „hast du gesehen Hildegard, Herr Schnapphans-Trompetenpfeiff verbraucht gar nicht richtig. Der fährt nun schon seit Jahren seinen alten Wagen und weigert sich partout einen Neuen zu kaufen! Hat der etwa noch nie davon gehört, dass man immer ein neues Statussymbol in der Garage stehen haben muss und dass man sich deswegen hoch verschulden soll? Pfui, wie anrüchig! Stattdessen geht er in seiner Freizeit lieber mit seinen Kindern in der Natur spielen. Pfui Deibel. Der macht nur noch Sachen, bei denen er nichts bezahlen muss. Ekelhaft, der Schnapphans-Trompetenpfeiff! Indem er mit seinen Kindern spielt und dafür nichts bezahlt schadet er doch unserer Wirtschaft. Man sollte ihm seine Grundrechte als vollwertiger Verbraucherbürger entziehen! Wahrscheinlich ist er sogar ein Antiverbrauchernazi. Der lebt einfach sein Leben wie es ihm gerade passt. Anzeigen! Steinigen!“
„Unser Leben ist viel schwerer als das unserer Vorfahren, weil wir uns so viele Dinge anschaffen müssen, die uns das Leben erleichtern.“ (Gabriel Laub)
Natürlich wurde das eben von mir Geschriebene nur frei erfunden, weil es nämlich in unserer Gesellschaftsordnung überhaupt gar keine Menschen gibt, die total auf Konsum gleichgeschaltet wurden. Überhaupt keine! Trotzdem konnte ich gerade sehen, wie Sie beim Lesen dieser Kolumne geschmunzelt haben. Und das war ja auch der Sinn und Zweck. Oder fühlten Sie sich etwa ertappt, weil Sie heute noch nicht genug verbraucht haben? Na dann aber hurtig ins nächste Geschäft flitzen und das machen, was der Staat von Ihnen verlangt. Schließlich sind gerade Sie der Lieblingsverbraucher und die Lieblingsverbraucherin unserer Machtelite. Sie, beziehungsweise Ihr Geld.
„Konsum entwickelt sich zur neuen Religion. Man muss aber nicht daran glauben!“ (Helmut Glaßl)
UND:
„Ich habe viel von meinem Geld für Alkohol, Weiber und schnelle Autos ausgegeben. Den Rest habe ich einfach verprasst.“ (George Best)
Ahoi
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