Stromnetz droht PV-Infarkt: Netzbetreiber schalten immer öfter Anlagen ab

Immer mehr Betreiber von PV-Anlagen sind überrascht, dass ihre Anlagen an sonnigen Tagen keinen Strom produzieren dürfen. Der Grund: ein Überangebot an Strom im Netz. Warum werden gerade Solaranlagen abgeregelt? Und welche Lösungsansätze gibt es?
Abschaltungen und extra Kosten: Zu viel PV-Strom im Netz
Inzwischen hat Deutschland schon so viele Solaranlagen, dass sie manchmal zu viel Strom bereitstellen. Und es werden immer mehr.Foto: vittavat-a/iStock
Von 17. August 2024

Der massive Zubau neuer Photovoltaik (PV)-Anlagen in Deutschland zeigt Wirkung. An sonnenreichen Tagen schaffen es die solaren Kraftwerke bereits einen Großteil des Energiebedarfs abzudecken.

Was die Befürworter der Energiewende jubeln lässt, hat jedoch eine Schattenseite, die immer deutlicher zutage tritt. Gerade in den Sommermonaten kommt es immer häufiger vor, dass die vielen PV-Anlagen deutlich mehr Strom erzeugen, als gerade im Stromnetz gebraucht wird. Für Probleme sorgt auch die vielerorts nicht ausreichende Netzinfrastruktur für die zum Teil enormen Einspeisekapazitäten.

Zur Vermeidung von Stromausfällen

Das veranlasst die Netzbetreiber dazu, bestehende Anlagen in privater und gewerblicher Hand immer öfter komplett abzuschalten – zum Unmut der Betreiber. Allein die Bayernwerk Netz AG, einer der größten Netzbetreiber Bayerns, musste im ersten Halbjahr 2024 mehr als drei Millionen Mal wegen zu viel Strom im Netz eingreifen, auch Redispatch genannt. Im gesamten vergangenen Jahr waren es eine Million Eingriffe, 2022 noch 100.000, teilte der Netzbetreiber dem „Bayerischen Rundfunk“ (BR) mit. Solche Netzeingriffe sind somit längst zum Alltag geworden, besonders im Süden und Südwesten.

Die Anlagen werden abgeschaltet, um das Stromnetz zu schützen. Johannes Larsen, Leiter der Systemführung bei Bayernwerk, sagte im Gespräch mit agrarheute: „Das Netz wäre überlastet und es könnte auch zu [Strom-]Ausfällen kommen.“

Wenn die Kraftwerke deutlich mehr Strom ins Netz einspeisen, als die Verbraucher daraus entnehmen, erhöht sich die Netzfrequenz. Steigt diese zu sehr über den Sollwert von 50,0 Hertz, kann dies ebenso das Stromnetz zusammenbrechen lassen, wie ein Mangel an Strom. 

Die Abregelung von Solaranlagen ist für Netzbetreiber die einfachere und kostengünstigere Option, sagte Robert Pflügl, Geschäftsführer bei Bayernwerk dem BR. Viel teurer wäre der Netzausbau. „Das ist im Endeffekt eine wirtschaftliche Überlegung hier solche Methoden zu nutzen“, so Pflügl.

In Deutschland gibt es inzwischen laut Bundesregierung mehr als 4,3 Millionen installierte PV-Anlagen. Zusammen bringen sie es auf eine Nennleistung von rund 90 Gigawatt (GW). Von Januar bis einschließlich Juni dieses Jahres sind bereits rund 516.000 neue Solaranlagen in Betrieb gegangen.

Anlagenbetreiber: „Eine brutale Verschwendung“

Von den PV-Abschaltungen ist beispielsweise der Metzger Augustin Keller betroffen. Er hat auf dem Dach seines Metzgereibetriebes im bayrischen Moosburg eine PV-Anlage errichtet.

Als Keller an einem sonnigen Tag im Mai nachschaute, wie viel seine Anlage gerade produzierte, war er überrascht, eine Null zu sehen – und das an mehreren Tagen. Die Abschaltungen erfolgten zwischen 10 und 17 Uhr, also genau dann, wenn seine Anlage am meisten Strom hätte produzieren können.

Dem Metzger würde es genügen, wenn er den Strom aus seiner Solaranlage für seinen Betrieb nutzen könnte. Dass der Überschuss nicht ins Netz fließt, würde ihn nicht stören. Stattdessen habe der Netzbetreiber seine Anlage mehrfach komplett abgeschaltet. „Das ist brutale Verschwendung“, so Keller gegenüber dem BR.

Aufgrund der Abschaltung muss er nun den benötigten Strom für seine Metzgerei hinzukaufen. Das koste ihn pro Tag rund 500 Euro.

Warum erneuerbare Energien?

Dasselbe Schicksal erfahren auch immer wieder Windkraftanlagen. Bei Stromüberschuss schalten die Netzbetreiber die Turbinen oftmals aus. Es stellt sich die Frage, warum die Netzbetreiber mitten in der Energiewende gerade die Erneuerbaren abschalten und nicht konventionelle Kraftwerke drosseln.

Ein Grund ist das im Oktober 2021 eingeführte System „Redispatch 2.0“. Seitdem dürfen die Netzbetreiber rein rechtlich neben Gas- oder früher Kernkraftwerken auch PV-Anlagen und Windparks drosseln.

Das machen sie auch bevorzugt. Der Grund: Es ist in der Regel billiger und einfacher, die Leistung von Wind- oder PV-Anlagen zu regulieren, anstatt bei konventionellen Kraftwerken.

Nachteil Negativpreise

Die zu großen Mengen an Solarstrom haben einen weiteren Nachteil: Ein Überangebot an elektrischer Energie sorgt am Strommarkt gelegentlich für zu niedrige oder gar Negativpreise.

Wie in vielen Bereichen ist Angebot und Nachfrage besonders beim Stromnetz wichtig. Das sollte sekundengenau übereinstimmen. Erst wenn sich Angebot und Nachfrage die Waage halten, sind die Preise an der Strombörse ausgeglichen.

Da es in Deutschland bisher nur sehr geringe Speicherkapazitäten gibt, kann der überschüssige Strom kaum zwischengespeichert werden. Daher fließt manchmal – trotz Abschaltungen – überschüssiger Strom ins Netz. An der Börse wird er dann entsprechend günstiger verkauft.

Für Betreiber und für den Staat allerdings bedeutet das hohe Kosten. Bei Negativpreis würde ein Anlagenbetreiber, sofern er keine gesetzliche Vergütung bekommt, noch Geld bezahlen müssen, wenn er seinen Strom „verkauft“. Erhält der Betreiber seine gesetzliche Vergütung, kommt der Staat – und somit der Steuerzahler – für die Kosten auf.

Welche Lösungsansätze gibt es?

Robert Kohrs vom Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme sagte dem „Handelsblatt“: „Es gibt eine Reihe von Instrumenten, um das Problem in den Griff zu bekommen. Das Abschalten von Photovoltaikanlagen sollte immer an letzter Stelle stehen.“ Im Vordergrund stünden technische Verbesserungen und mehr Eigenverantwortung der Anlagenbetreiber.  

Maik Render, Chef des Energieversorgers N-Ergie aus Nürnberg, empfiehlt hier einen Ausbau der Kapazität netzdienlicher Speicherbatterien. So kann Überschussstrom abgefangen und in den Abend- und Nachtstunden zur Verfügung gestellt werden. Allerdings müssten die Batterien auch wirklich netzdienlich sein. Wenn sie „unter Umständen in den frühen Morgenstunden schon wieder komplett geladen“ sind, hätten sie am Mittag und Nachmittag „keine netzentlastende Wirkung mehr“, so Render gegenüber dem „Handelsblatt“.

Regelbare Ortsnetztrafo könnten ebenfalls die Lage entspannen. Der Verband kommunaler Unternehmen (VKU) gibt jedoch zu bedenken, dass sie mehr als doppelt so viel wie herkömmliche Trafos kosten. Ein Netzbetreiber mit regelbarem Trafo agiert somit weniger effizient, als einer mit herkömmlichen Trafos. „Das ist ein Manko der Regulierung und sollte geändert werden. Regelbare Ortsnetztrafos gehören zu einer vorausschauenden Netzplanung und müssen regulierungsseitig auch so behandelt werden“, schlägt der VKU vor.

Eine weitere Option wären intelligente Messsysteme. Laut dem VKU hat die Politik das Optimierungspotenzial hierin bereits erkannt. Deswegen sollen laut Bundeswirtschaftsministerium Neuanlagen künftig mit intelligente Mess- und Steuersystemen ausgestattet werden.

Zuletzt könnten marktliche Anreize noch einen Effekt haben. Laut der „Wachstumsinitiative“ der Bundesregierung soll die EEG-Förderung (Erneuerbare-Energien-Gesetz) für Neuanlagen ab einer bestimmten Größe ab kommendem Jahr bei negativen Strompreisen ausgesetzt werden. Das soll die Anlagenbesitzer motivieren, ihren produzierten Strom bei Überangebot nicht ins Netz einzuspeisen, sondern beispielsweise einen Akku oder ein E-Auto zu laden.



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