Mr. Blackout: Freigeklagte Habeck-Akten sind „der größte Skandal“

Die Enthüllung der Dokumente zum Atom-Aus gehen immer noch durch die Medien. Welche Tragweite und Bedeutung diese Erkenntnisse für Deutschland haben, schildert uns der Energieanlagenelektroniker und YouTuber Stefan „Mr. Blackout“ Spiegelsperger im Interview.
Kernkraftwerke
Ein Kernkraftwerk in der Dämmerung. Im April 2023 wurden in Deutschland die letzten KKW vom Netz genommen.Foto: iStock
Von 6. Mai 2024

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Die erfolgreich freigeklagten Dokumente des Bundeswirtschaftsministeriums zum Atomausstieg sorgen bei vielen weiterhin für Empörung. Sie scheinen zu zeigen, dass Staatssekretäre nicht nur nicht den Empfehlungen von Experten gefolgt sind, sondern sogar Dokumente manipuliert haben, um den politisch gewollten Ausstieg aus der Kernkraft durchzusetzen.

Die Epoch Times wollte herausfinden, welche Bedeutung der Fall für Deutschland, die Politik und die Energieversorgung hat. Dazu sprachen wir mit Stefan Spiegelsperger, Fachjournalist für Energiesicherheit und Katastrophenschutz.

Der gelernte Energieanlagenelektroniker betreibt den größten deutschsprachigen YouTube-Kanal zu den genannten Themen. Dieser hat über 143.000 Abonnenten und bis zu 1,4 Millionen Klicks im Monat.

Er hält regelmäßig Vorträge bei Feuerwehren und Gemeinden sowie Einrichtungen wie dem Technischen Hilfswerk (THW) und der Bundeswehr.

Mr. Blackout: KKW-Dokumente sind „der größte Skandal“

Stefan Spiegelsperger alias Mr. Blackout. Foto: Mit freundlicher Genehmigung von Stefan Spiegelsperger

Herr Spiegelsperger, laut den freigeklagten Dokumenten hat das Wirtschaftsministerium die Empfehlungen von Fachleuten ignoriert. Warum haben die Verantwortlichen Ihrer Ansicht nach das getan?

Weil darin Grünen-Politiker sind. Die Grünen haben sich ja bei ihrer Gründung zum Ziel gesetzt, die Atomkraft komplett abzuschaffen.

Diese Dokumente beweisen, dass im Umweltministerium die Staatssekretäre einiges verdreht haben. Beispielsweise die Überschrift: Daran wird es am deutlichsten. Zunächst hieß sie „Laufzeitverlängerungen deutscher Kernkraftwerke – mit der nuklearen Sicherheit verträgliche Szenarien“. Das heißt, die [Experten] haben dann erklärt, es sei nicht einfach, die weiterlaufen zu lassen wegen des Personals, wegen der Brennstäbe und wegen Sicherheitsüberprüfungen, die durchgeführt werden. Aber es wäre möglich gewesen, am 31.12.2022 eine Abschaltung der Kraftwerke zu machen, und dann fahren sie diese vielleicht ein halbes oder dreiviertel Jahr später wieder hoch.

Das hat jetzt Stefan Tidow, Staatssekretär im Umweltministerium, gar nicht gefallen, denn der ist ein Grüner und bekennender Atomkraftgegner. Aus der Überschrift hat er zunächst Folgendes gemacht: „Laufzeitverlängerung deutscher Atomkraftwerke – Bewertung der Sicherheit“. Nun hieß es auch nicht mehr Kernkraftwerke. Gleich im ersten Satz folgt das Resümee: „Die Abteilung für nukleare Sicherheit Strahlenschutz kommt zu dem Ergebnis, dass die Verlängerung der Laufzeit der drei noch laufenden Atomkraftwerke über den gesetzlich festgelegten, planerisch zugrunde gelegten 31.12.2022 hinaus sicherheitstechnisch nicht vertretbar ist.“

Tidow hat das daraus gemacht und das ist natürlich komplett um 180 Grad gedreht. Die Experten erklären, es ist möglich. Und er sagt: Aus sicherheitstechnischen Gründen ist es nicht vertretbar. Man sieht ja, wir sind sogar über den 31.12.2022 hinaus gekommen, ohne dass etwas passiert ist.

Es blieben nur zwei oder drei Sätze von den Fachleuten auf rund fünf Seiten stehen. Der Rest war – ich will jetzt nicht sagen erfunden – doch, eigentlich will ich das schon sagen.

2023 schaltete die Ampelregierung die letzten deutschen Atommeiler aus – mitten in einer Energiekrise. Wie sind die freigeklagten Dokumente angesichts dessen zu bewerten?

Die Fachleute haben ursprünglich klipp und klar gesagt: In einer winterlichen Hochdrucklage entsteht eine hohe Residuallast, die durch die installierte Leistung von Stein- und Braunkohle inklusive Reserven und neu reaktivierter Kraftwerke nicht gedeckt werden kann. Sie haben also davor gewarnt, die Kernkraftwerke abzuschalten.

Denn wenn uns das Gas gefehlt hätte, dann wäre es in Deutschland zu Stromabschaltungen gekommen – und zwar großflächig. Rein mit Kohlekraft und den Erneuerbaren ist es eben schlichtweg nicht zu schaffen.

Was ist Ihrer Meinung nach am Erwähnenswertesten aus den Dokumenten?

Es zeigte, dass die nächste Verschwörungstheorie wahr geworden ist. Die Experten haben klar gesagt, der Weiterbetrieb wäre möglich. Und die beiden Staatssekretäre haben das umgeschrieben und gesagt, das gehe aus Sicherheitsgründen nicht mehr. Das hat schlichtweg nicht gestimmt. Wer weiß, bei welchen anderen Themen genau das Gleiche passiert.

Was auch noch ganz interessant ist: Patrick Graichen hat in seiner Version reingeschrieben, dass die Kernkraftwerke, wenn man sie weiterlaufen lassen würde, rund 30 Terawattstunden im Jahr 2024 produzieren. Das entspräche rund 30 Millionen Tonnen CO₂-Reduktion. Wir reden hier von rund zehn Prozent von unserem CO₂-Ausstoß.

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Patrick Graichen (l.) war bis Mai 2023 Staatssekretär von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck. Foto: John MacDougall/AFP via Getty Images

In der scharfen alten Version des Heizungsgesetzes sagte Patrick Graichen schon damals, man hätte 10,5 Millionen Tonnen im Jahr 2030 eingespart. Das heißt, wir hätten ab sofort das Dreifache von dem eingespart, das das ursprüngliche Heizungsgesetz eigentlich erst 2030 bringen würde. Und das neue ist ja eh nur noch halb so stark. Also heißt das, wir hätten selbst im Jahr 2030 die sechsfache Einsparung wie das Heizungsgesetz [durch Kernenergie]. Wir hätten das also gar nicht gebraucht.

Robert Habeck verteidigte sich mit dem Argument der stets gewährleisteten Versorgungssicherheit. Auch sagte er: „Wir sind super durch die Krise gekommen.“ Ist das so?

Ja, tatsächlich sind wir gut durchgekommen. Aber man muss nach den Gründen fragen. Grund eins waren die sehr milden letzten zwei Winter. Somit haben wir weniger geheizt und weniger Gas verbraucht. Das war unser großer Vorteil.

Der zweite Punkt ist, dass die Industrie teils abgewandert ist, teils weniger produziert hat, teils pleitegegangen ist. Die haben 20 Prozent weniger Energie verbraucht. Das kommt dazu.

Der dritte und hauptausschlaggebende Punkt: Unser Gas in den Speichern ist einfach viel zu teuer, sodass unsere östlichen Nachbarn es deswegen wieder von Russland bezogen haben. Sonst haben wir ja immer das Gas von Nord Stream durchgeleitet. Wir waren ja Gastransitland gewesen. Österreich bezieht zum Beispiel 80 Prozent direkt von Russland über die Ukraine, genauso verfahren unsere anderen Nachbarn.

Das heißt, bei uns ist auch der Export massivst eingebrochen. Der lag mal bei rund zwei Terawattstunden pro Tag und war dann irgendwo nur noch bei 0,5 oder 0,6 Terawattstunden. Das hat uns halt einfach gerettet. Das Problem ist aber: Ab 1. Januar will die Ukraine diese Pipeline sperren, weil der Vertrag ausläuft. Dann wird es interessant.

Habeck sagte auch, die Brennelemente seien „ausgelutscht, da geht nichts mehr“. Waren sie das wirklich? Hätte man nicht einfach neue bestellen können?

Das Erste ist: Bei Isar II wären die Brennelemente tatsächlich noch einige Monate weitergelaufen; die hätten bis ungefähr Juni 2023 Strom produzieren können. Zu dem Zeitpunkt hätte man neue Brennstäbe bestellen können, was 1 bis 1,5 Jahre dauert. Aber die Hersteller haben momentan scheinbar nicht viel zu tun. Die sagten, sie hätten es auch in einem Dreivierteljahr geschafft, wie vorhin schon angeschnitten.

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Brennelemente eines Kernkraftwerks. (Symbolbild) Foto: iStock

Das schreiben übrigens auch die Experten vom Umweltministerium. Da steht das ganz genauso drin, dass das ein bis eineinhalb Jahre dauert. Sogar bei Tidow steht das drin, beim Staatssekretär. Bei Graichen ist das allerdings verschwunden.

Viele Menschen im Land fragen nach Skandalen wie diesem nach Folgen für die betroffenen Akteure. Graichen musste sein Amt ja schon nach seiner Trauzeugen-Affäre räumen. Wird es auch für Habeck und Tidow Konsequenzen geben?

Vermutlich nicht. Denn wir haben diesen Riesenskandal und die „Tagesschau“ berichtet nicht einmal darüber. Auch andere Medien haben das eher positiv dargestellt, und dass das gar nicht so schlimm sei.

Jetzt bin ich mal gespannt, was im [möglichen] Untersuchungsausschuss rauskommt. Ich könnte mir vorstellen, dass vielleicht Tidow das Bauernopfer wird. Aber ich denke mal nicht, dass es Habeck irgendwas kostet. Wenn sowas vor zehn Jahren bei einem CDUler gewesen wäre, wären die Grünen Sturm gelaufen, bis der zurücktritt.

Insofern denke ich, dass es für Habeck folgenlos sein wird, obwohl es der größte Skandal ist. Aber das haben wir mit Graichen als Bauernopfer schon gehabt hat, den musste Habeck kündigen. Der wird jetzt im Hintergrund irgendwie weiter mitspielen.

Wie ist die Rolle der Unions-Parteien zu bewerten? Jetzt sprechen sie sich für die Kernkraft aus. Was ist zu erwarten, wenn die Union wieder regieren sollte?

Damals hat Altkanzlerin Angela Merkel das Ganze nach der Katastrophe in Fukushima beschleunigt. Ursprünglich haben SPD und Grüne im Jahr 2002 den Ausstieg beschlossen. Das ist nämlich, was die Grünen immer sagen: Sie wären ja gar nicht schuld daran. Aber doch, es war rot-grün.

Ich könnte mir tatsächlich vorstellen, dass die Unions-Parteien die Kernkraftwerke wieder einschalten, wenn sie in der Regierung sind. Denn 2012 hatten wir noch eine völlig andere Situation als jetzt. Da haben wir noch ausreichend Kraftwerke gehabt. Da war man der Meinung: Wir bauen Stromnetze dazu, wir bauen Erneuerbare dazu. Das hätte alles funktionieren können. Aber kein Mensch hätte 2012 gedacht, dass wir ab 2020 auch noch aus der Kohle aussteigen.

Wir haben ja Atom durch Kohle und Gas ersetzt. Jetzt steigen wir plötzlich zusätzlich aus der Kohle aus. Das macht kein anderes Land. Warum? Weil es nicht funktionieren kann. Und das haben ja auch die Übertragungsnetzbetreiber in ihrer Langfristanalyse 2030 gesagt.

Laut dem Vergleichsportal Verivox lag der Strompreis für Neukunden zum Zeitpunkt des Atomausstiegs Mitte April 2023 bei rund 34 Cent pro Kilowattstunde. Jetzt liegt er nur noch bei rund 26,5 Cent. Teurer ist der Strom dadurch offenbar nicht geworden. Oder?

Nein, das ist ein Fehler. Denn wenn die Kernkraftwerke noch am Netz wären, wäre der Strom noch günstiger. Das ist eine Sache von Angebot und Nachfrage. Er wäre auch noch günstiger, wenn wir nicht diese hohen Nebenkosten von Wind und Solar hätten, also zum Beispiel den Netzausbau mit 400 Milliarden Euro bis 2030 laut Bundesnetzagentur. Deswegen haben sich unsere Netzentgelte um drei Cent erhöht. Das hängt unter anderem mit der Merit-Order zusammen.

In der Merit-Order waren die Kernkraftwerke ganz links bei den günstigen. Die haben die Gaskraftwerke verdrängt und jetzt müssen wir dementsprechend mehr auf Gaskraftwerke setzen als früher oder mehr auf Strom aus dem Ausland. Das bringt höhere Preise mit sich.

Wären die Kernkraftwerke noch am Netz, wäre der Preis noch tiefer gefallen. Seit dem Ausstieg ist er gefallen, weil das Gas einfach billiger geworden ist. Das ist nicht nur in Deutschland so, das war in allen Länder so. In anderen Ländern ist er teilweise noch weiter gefallen. Die haben halt noch Kernkraftwerke.

Wird der Strompreis demnächst wieder hochgehen?

Ich habe mal berechnet: Wenn alle kalkulierten Kosten bis 2030 kommen würden, die jetzt geplant sind, dann würde sich unser Strompreis allein durch die Netzentgelte um 15 bis 17 Cent erhöhen. Wer also jetzt 30 Cent pro Kilowattstunde bezahlt, der hätte dann vielleicht 45 Cent. Das würde unserer Industrie wahrscheinlich den Todesstoß versetzen.

Die Grünen wollen nicht nur aus der Kohlekraft aussteigen, sondern auch das Gasnetz stilllegen – laut dem sogenannten Green Paper des Bundeswirtschaftsministeriums. Ist hier ein ähnliches Vorgehen der Partei zu erwarten wie beim Atom-Aus?

Davon gehe ich tatsächlich stark aus. Denn normal denkenden Menschen kann man nicht erklären, warum Habeck jetzt schon die Abschaltung vom Gas will, obwohl man noch total auf Gaskraftwerke setzt. Wir wollen mehr Gaskraftwerke bauen. Wie kann ich dann Gasleitungen abschalten?

Ich habe so langsam das Gefühl, dass Habeck damit rechnet, dass er in eineinhalb Jahren nach der nächsten Wahl nicht mehr regieren wird. Und er möchte bis dahin alles machen, dass man in Zukunft diese Energiewende gar nicht mehr rückgängig machen kann. Anders kann ich es mir nicht erklären.

Vorausschauende Planung ist in manchen Dingen gut, aber ich kann jetzt nicht sagen, wir schalten das aus, obwohl ich genau weiß, dass wir das bis 2035 brauchen. Uns fehlen derzeit Gaskraftwerke. Aber die baut momentan keiner, weil sich das einfach nicht rechnet. Mit der Förderung, die Habeck dafür gibt, ist momentan noch gar nicht klar, ob überhaupt jemand ein Gaskraftwerk baut.

Ein Kohleausstieg 2030 ist rein mathematisch gar nicht machbar. Ich habe diese Frage, ob das funktioniert und ob mir das jemand mathematisch vorrechnen kann, Professoren und Politikern gestellt. Bis jetzt hat es noch keiner geschafft.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Gespräch führte Maurice Forgeng.

Dieses Interview wurde aus Gründen der Klarheit und Kürze überarbeitet.

 



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