Energiepolitik der Widersprüche – Prof. Winkler: „Regierung vertraut auf das eigene Narrativ“
Aus- oder Abbau des Gasnetzes? Die Elektrifizierung verschiedener Gesellschaftsstrukturen bei gleichzeitiger Abschaltung von Großkraftwerken? Wer die deutsche Energiepolitik in der vergangenen Zeit beobachtet hat, dem könnten einige Widersprüche aufgefallen sein.
Um etwas Klarheit in dieses scheinbare Chaos zu bringen, sprach Epoch Times mit Prof. Dr. Wolfgang Georg Winkler. Nach über einem Jahrzehnt leitender Industrietätigkeit wurde er an die Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg berufen, gründete und leitete dort bis zu seinem Ruhestand das Institut für Energiesysteme und Brennstoffzellentechnologie.
Auch heute noch forscht Prof. Winkler im Bereich Energie und angewandte Thermodynamik. In seiner Laufbahn hat er mehr als 200 Beiträge publiziert oder an ihnen mitgewirkt.
Prof. Winkler, für die Energiewende will der Bund neue wasserstofffähige Gaskraftwerke als Reserve einsetzen, um bei Dunkelflaute weiterhin Energie bereitstellen zu können. Gleichzeitig verkündete die Regierung kürzlich, das Gasnetz in großen Teilen stilllegen zu wollen. Wie passt das zusammen?
Wie man ohne Gasleitungen eine Wasserstoffwirtschaft umsetzen will, bleibt das technologische Geheimnis des Wirtschaftministers und seiner Parteifreunde sowie Berater.
Dennoch hält man an der Energiewende fest. Kann das gut gehen?
Bedenkt man, dass Elektrizität und Wasserstoff zukünftig neben der klassischen Elektrizitätsversorgung auch die Elektromobilität und weite Teile der Gebäudeheizung sichern sollen, muss dies zu einem deutlichen Anstieg des Bedarfs dieser Energieträger führen.
Bei einer geschätzten Größenordnung des zukünftigen Strombedarfs von 1.000 Terawattstunden (TWh) pro Jahr werden im Mittel pro Tag fast 3 TWh benötigt. Das ist etwa das Doppelte von dem, was wir jetzt benötigen (2023: 520 TWh).
Bei einer Dunkelflaute von mehr als zwei Wochen im Winter wären die dann mit Wasserstoff gefüllten vorhandenen Speicher allerdings bald leer, da zur Stromerzeugung auch diese Reserve angezapft werden muss. Daher stellt sich nicht die Frage, ob, sondern wie lange diese Energiepolitik gut gehen kann.
Schon vor einem Jahr schrieb der Bundesrechnungshof, dass die Bundesregierung die Wirksamkeit ihrer Ausgaben mangels geeigneter Instrumente gegenwärtig nicht beurteilen könne.
Noch etwas: Für die Versorgungssicherheit muss ein entsprechendes Potenzial – thermodynamisch ein Brennstoff oder die Fallhöhe bei Wasserturbinen – zwingend vorhanden sein. Erst so kann elektrische Leistung exakt nach Bedarf erzeugt werden und schwankender Strom aus erneuerbaren Quellen sicher in das öffentliche Stromnetz eingespeist werden. Es erstaunt, dass die Berater der Politik das hier nicht berücksichtigt haben.
E-Autos und Wärmepumpen sollen die Gesellschaft zunehmen elektrifizieren. Gleichzeitig schaltet die Ampel regelmäßig große, grundlastfähige Kraftwerke ab. Sehen Sie hier einen weiteren Widerspruch?
Die Bundesregierung vertraut offensichtlich immer noch auf das eigene Narrativ, dass sich Sonne und Wind perfekt ergänzen und geringe Batteriekapazitäten zur Netzstabilität ausreichen. Großdimensionierte Speicher für Strom gibt es nicht.
Die Speicher des vorhandenen Erdgasnetzes eignen sich prinzipiell auch zur Speicherung von Wasserstoff. Allerdings reduziert die Umstellung von Erdgas auf Wasserstoff den gespeicherten Energieinhalt auf etwa ein Viertel.
Aus Gründen der Versorgungssicherheit können die heutigen Gasspeicher in der EU etwa ein Drittel des jährlichen Gasbedarfs vorhalten. Diese Erfahrungen des relativ sicher versorgten Erdgasnetzes werden jedoch offensichtlich für die stets schwankende Versorgung mit Wind- und Solarstrom zusätzlich mit Dunkelflauten nicht zur Kenntnis genommen.
In Zeiten von Atom- und Kohleausstieg stehen ohne Erdgas jedoch weder Kraftwerke noch gespeicherte Energie in ausreichendem Maße zur Verfügung. Wasserstoff soll beides ersetzten, ist in dem Maße aber weder verfügbar noch existiert die dafür nötige Infrastruktur.
Die Energiepolitik scheint wenig vom Inhalt verstanden zu haben, aber umso mehr, wie man dies alles dem Bürger schmackhaft machen kann, dies zu bezahlen.
Die Entscheidungen in der Energiepolitik sollten auf Wissenschaftsfreiheit basieren. Ist das der Fall in Deutschland?
Die deutsche Energiepolitik beruht sehr stark auf plausibel erscheinenden Narrativen, deren Kommunikation und der Beschaffung von Mehrheiten, kombiniert mit Einzellösungen.
Was fehlt, ist eine geeignete, bezahlbare Systemlösung. Bedenklich ist dabei allerdings, dass nicht die realen Probleme, insbesondere die Energiespeicherung im Vordergrund stehen. Stattdessen dreht es sich immer wieder um das Narrativ, dass nur der CO₂-Preis hoch genug sein muss, um Lösungen zu finden.
Der Bundesrechnungshof hat schon mehrfach sehr deutlich auf die mangelhafte Umsetzung der Energiewende hingewiesen und leider bisher erfolglos auf Änderungen gedrungen. Die Frage, wie ein Blackout verhindert werden kann, ist so aktueller denn je.
Die katholische Kirche kennt schon seit 1587 die Institution des „Advocatus Diaboli“, mit der mitten im Zeitalter der Hexenverfolgung die Notwendigkeit der Gegenmeinung in Heiligsprechungsverfahren zur Qualitätssicherung eingeführt wurde. Sieht man nun das Ergebnis der Energiewende nach 20 Jahren, so wäre an vielen Stellen das Aufzeigen der Alternativen statt des „Alternativlosen“ sicherlich der bessere Weg gewesen, zumal weder Wissenschaft noch Politik unfehlbar sind.
Betrachtet man nun die Lösung des „menschengemachten“ CO₂-Problems, so zeigt sich die Nützlichkeit des Gegenarguments. Es ist der Problemlöser CO₂, der uns als Rohstoff für benötigte Speichergase aus Kohlenwasserstoff die Chance bietet, der Natur zu folgen. So könnte dieses Molekül unsere Energiewirtschaft mit einer Kohlenstoffkreislaufwirtschaft langfristig sichern.
Die Bedingungen der deutschen Energiewende sind Versorgungssicherheit, Bezahlbarkeit und Umweltverträglichkeit. Werden diese erfüllt?
Die Berichte des Bundesrechnungshofs geben seit etwa einem Jahr perspektivisch nett formuliert die klare Antwort: Nein.
Abgesehen von der Bezahlbarkeit, sind die Auswirkungen der bisherigen Energiepolitik nur deshalb noch nicht zu bemerken, weil die EU-Partner Deutschland mit Stromlieferungen unterstützen und das Firmensterben beziehungsweise deren Abwanderung gerade erst begonnen hat.
Welche Veränderungen in der deutschen Politik haben denn zur gegenwärtigen Lage geführt?
Die Bedeutung von Fachwissen und Erfahrung wird erst deutlich, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist. Damit gewinnt man keine Wahlen. Die werden letztlich durch Narrative entschieden.
Die Parteien versuchen daher kaum, speziell im Technologiebereich Nachwuchs zu gewinnen, um ihnen nach entsprechender Erfahrung in der Wirtschaft Angebote machen zu können. Forschungsergebnisse dienen vielleicht noch dem Narrativ, Innovationen weniger. Das zeigen die Beispiele Transrapid und die Herstellung von Solarzellen deutlich.
Irgendwie erinnert die Situation an eine Firma, die von ihrer Werbeabteilung gesteuert wird und wo Entwicklung und Produktion im Ansehen der Geschäftsleitung zurückstehen. Firmenansiedlungen aus dem Ausland werden dann mit Steuergeldern erkauft.
Kopfgeburten von Wirtschaftswissenschaftlern zählen mehr als solide Erfahrungen von Ingenieuren, physikalische Erkenntnisse in machbare Produkte umzusetzen. Die Politik hat die Bodenhaftung verloren, wie schon Prof. Patzelt feststellte. Mangelnde Problemlösungen werden so durch Narrative zu Haltungsfragen, Moralappellen und ähnlichem überspielt.
… oder in Gesetzen, konkret dem Gebäudeenergiegesetz. Sehen Sie darin auch einen Widerspruch?
Ja, denn hier fehlt eine für Kommunen und Bürger gesicherte und verlässliche Versorgungsgrundlage. Die Heizungen müssen erneuert werden. Gut. Wie, weiß man aber erst nach Erstellung des kommunalen Wärmeplans. Der geplante Rückbau der Gasleitungen ist dafür ebenfalls beispielhaft: erst ja, dann vielleicht oder doch nicht. Das Gleiche bei der finalen Abschaltung der Kernenergie gegen den Bürgerwillen und interne Gutachten.
Hinzu kommt, dass der Bund den Energieverbrauch durch Energiesparmaßnahmen auf die Hälfte von heute senken will. Dazu plant die Ampel den Umbau der Energieinfrastruktur. Sie übersieht dabei allerdings, dass eine erneuerbare Energieversorgung für den heutigen Bedarf aber deutlich billiger als dieser umfangreiche Umbau ist.
Man ist sich nicht bewusst, dass das Kostenminimum nur dann erreicht werden kann, wenn das funktionierende technologische System, auf dem unsere Volkswirtschaft basiert, nicht zerstört, sondern bedarfsgerecht angepasst oder durch nachweislich bessere Technologien strukturiert ersetzt wird.
Wie konnte es zu all diesen Widersprüchen in der Energiepolitik kommen? Worin liegt der grundlegende Fehler?
Es ging von Anfang an darum, genügend Verbündete zu bekommen, um die angestrebte Veränderung der Energieinfrastruktur herbeizuführen. Eigene technologische Ziele in Form von klaren Spezifikationen lagen zunächst nicht vor. Ebenso hat die Politik keine geeignete hochqualifizierte und unabhängige, nur dem Kanzleramt verantwortliche Organisationseinheit zur effektiven Steuerung des Transformationsprozesses geschaffen.
So war der Staatsapparat in jeder Hinsicht überfordert, ohne eine klare umsetzbare Strategie und Spezifikationen seinen Aufgaben nachzukommen. Das führte wiederum auch dort zu wenig präzisen Aussagen, sieht man von lautstark auf Demonstrationen geforderten Verschärfungen von Grenzwerten ab.
So wichtig die klare Benennung der Ursachen ist, so sollten die Lösungen im Vordergrund stehen. Wie sehen die aus?
Der Begriff Technologieoffenheit ohne klare Programmleitung hat in der Praxis zu einer gewissen Beliebigkeit geführt. Das erst ließ Verbündete wie Nichtregierungsorganisationen und verschiedene Lobbyverbände zu eigenständig agierenden Akteuren werden, die mit Steuermitteln gut ausgestattet werden. Damit ist wohl auch die völlig mangelhafte strategische Industrialisierungspolitik zu erklären, da so zu viele Einzelinteressen nicht zielgerichtet gebündelt werden konnten.
Wesentliche Voraussetzungen für einen Neustart der Energiewende ist daher die organisatorische Sicherstellung einer strukturierten Umsetzung, wie oben bereits genannt. Aus Kostengründen und aufgrund der Nutzungsmöglichkeit bereits versiegelter Flächen und geringer Störung der Natur erscheint – aus heutiger Sicht – die Photovoltaik besonders geeignet, den Primärenergiebedarf zu decken.
Erst wenn mithilfe von synthetischem erneuerbaren Gas und einem entsprechenden Kraftwerkspark die Stabilität des Stromnetzes gesichert ist, ist eine fluktuierende Einspeisung und eine ganzjährig sichere Versorgung möglich.
Die hohe Speicherdichte von Kohlenwasserstoffen im Vergleich zu Wasserstoff oder Batterien macht ihre Nutzung obligatorisch. Das erfordert jedoch eine Kohlenstoffkreislaufwirtschaft und keine polizeistaatliche Dekarbonisierung, um CO₂-Emissionen an die Atmosphäre zu vermeiden und gleichzeitig die Erwartungen an die Versorgungssicherheit und Wirtschaftswachstum zu erfüllen.
Der Wunsch Deutschlands, auf dem Zukunftsmarkt der erneuerbaren Energien eine bedeutende Rolle zu spielen, kann nur in Erfüllung gehen, wenn die angebotene Technologie im eigenen Land funktioniert. Eine gescheiterte Energiewende ist dagegen keine Empfehlung.
Oder um es anders zu sagen: Exzellente bezahlbare Produkte – einschließlich Energie – sind im Ausland eine wesentlich bessere Werbung für eine deutsche Nachhaltigkeits- und Energiepolitik als Firmen, die aufgrund dieser ins Ausland flüchten.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Maurice Forgeng. (Redaktionelle Bearbeitung ts)
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