Fritz Vahrenholt: CO₂-Zertifikate fördern die Deindustrialisierung
Im Februar 2024 ist die Abweichung der globalen Temperatur vom 30-jährigen Mittel der satellitengestützten Messungen der University of Alabama (UAH) gegenüber dem Januar wieder leicht angestiegen. Der Wert beträgt 0,93 Grad Celsius.
Der El Niño, der diesen Erwärmungsausschlag verursacht hat, ist im Monat März bereits auf dem Rückzug. Mit einer Verzögerung von ein bis zwei Monaten wird sich das auch in den globalen Temperaturen niederschlagen. Der Temperaturanstieg beträgt im Durchschnitt pro Jahrzehnt seit 1979 nunmehr 0,15 Grad Celsius.
CO₂-Kosten prägen die Strompreise
In meinem Newsletter vom November 2023 machte ich darauf aufmerksam, dass die Strompreisexplosion der Jahre 2021 bis 2023 im Wesentlichen Folge der verfehlten Energiepolitik war, nämlich, dass sie auf die massiv gestiegenen CO₂-Kosten und die Stilllegung von sechs Kernkraftwerken zurückzuführen war. Minister Robert Habeck versuchte, die Ursache Russland zuzuschreiben.
Nun sinken die CO₂-Kosten und damit die Strompreise. Aber die Ursache ist fatal.
Die Nachfrage nach Strom sinkt aufgrund des Rückgangs des Stromverbrauchs der energieintensiven Industrie. Mit der Deindustrialisierung sinkt auch die Nachfrage nach CO₂-Zertifikaten: Der Strompreis gibt nach.
Weil das so wichtig zum Verständnis der Folgen der fehlerhaften Energiepolitik ist, zeige ich im Folgenden die einzelnen Schritte. Im Laufe des Jahres 2021 vervierfachte sich der Börsenstrompreis – wohlgemerkt lange Zeit vor dem russischen Einmarsch. Dieser Anstieg ist maßgeblich von den steigenden CO₂-Zertifikatspreisen geprägt.
Hinzu kommt, dass die CO₂-Preise die Erzeugungskosten der einzelnen Kraftwerksarten unterschiedlich beeinflussen. Im folgenden Kostenvergleich der Kraftwerke springt die mit Abstand günstigste Erzeugungsform der bis zum 15. April 2023 betriebenen Kernkraftwerke ins Auge, die keine CO₂-Zertifikate zu bezahlen haben. Ausgerechnet diese Kraftwerke wurden stillgelegt.
Deindustrialisierung nach Strompreisexplosion
Produktionsstilllegungen in der Aluminium- und Stahlindustrie sowie der Glas- und Papierindustrie wurden begleitet von Produktionsverlagerungen in der chemischen Industrie. Die Produktion in der energieintensiven Industrie ging um 20 Prozent zurück.
Einhergehend mit dieser Deindustrialisierung ging der CO₂-Ausstoß, aber auch der Strombedarf und damit die Nachfrage nach CO₂-Zertifikaten zurück.
Die gute Nachricht ist, der CO₂-Ausstoß Deutschlands ging von 762 Millionen Tonnen CO₂ im Jahr 2021 auf 673 Millionen Tonnen im Jahr 2023 zurück. – Die schlechte Nachricht ist, dies wurde erkauft durch eine teilweise Zerstörung des Wirtschaftsstandorts Deutschlands.
Tatsächlich fahren 2024 einige Unternehmen ihre Produktion aufgrund der gesunkenen Strompreise wieder hoch. Sollte dadurch jedoch die Nachfrage nach Strom und CO₂-Zertifikaten wieder steigen, wäre das nur ein Strohfeuer und die Strompreise ziehen wieder massiv an.
Was Deutschland benötigt, um wettbewerbsfähige Strompreise zu erreichen, ist eine Erhöhung des Angebots – etwa durch Reaktivierung der letzten Kernkraftwerke sowie eine durchgreifende Senkung der CO₂-Kosten durch Anwendung der CO₂-Abscheidetechnik (CCS) bei Kohle- und Gaskraftwerken.
Windkraftwerke in Bayern und Baden-Württemberg jedenfalls gehören nicht zum Lösungsangebot. Denn diese benötigen dort eine Einspeisevergütung von zehn bis elf Eurocent pro Kilowattstunde. Auf diesem Strompreisniveau ist das Aus der Industrie vorprogrammiert, insbesondere wenn die massiv steigenden Systemkosten der erneuerbaren Energien durch Leitungsbau und Backup-Kosten einbezogen werden.
Krieg gegen die Kohle beenden
Nun soll es also doch CO₂-Abscheidungen aus Abgasen, Transport von CO₂ durch Pipelines und die Tiefenverpressung von CO₂ auch in Deutschland geben. Allerdings soll diese Technik nach den Plänen der Ampelkoalition nur für nicht vermeidbare Abgase aus Zementwerken und Müllverbrennungsanlagen angewandt werden.
Der Elefant steht nach wie vor im Raum. Der Verzicht auf die russischen Erdgasimporte, die Stilllegung der letzten Kernkraftwerke hat es unabweisbar gemacht, dass Kohlekraftwerke in Deutschland weit über 2030 hinaus betrieben werden müssen, wenn nicht die Stromversorgung in Deutschland zusammenbrechen soll.
Daher müsste eine verantwortungsbewusste Energiepolitik dafür sorgen, dass die CO₂-Abscheidung vorwiegend bei Kohle- und Gaskraftwerken zum Einsatz kommen und damit deren Weiterbetrieb gewährleisten kann. Davor drückt sich die Bundesregierung und verbreitet stattdessen weiter, man könne in Deutschland die Stromversorgung mit Gaskraftwerken sicher betreiben, die später zu Wasserstoffkraftwerken umgerüstet werden sollen. Wasserstoffkraftwerke werden aber den Strompreis verdrei- bis vervierfachen und damit das Ende von industrieller Produktion und des Wohlstands in Deutschland besiegeln.
Es ist schon als Politikversagen zu kennzeichnen, wenn eine Bundesregierung erst zwei Jahre nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine die Technologie der CO₂-Abscheidung, die der Weltklimarat IPCC seit Jahren fordert, in Deutschland wieder ermöglicht. Es gilt bislang das CCS-Verbot seit 2012.
Das bestgehütete Geheimnis von RWE
RWE hatte im Jahre 2009 – ich war damals Geschäftsführer der RWE für erneuerbare Energien – eine voll funktionsfähige Pilotanlage zur Abscheidung von CO₂ in einem Teilstrom des Braunkohlekraftwerks in Niederaußem errichtet. Die Entwicklung von RWE, BASF und Linde ist mittlerweile als Stand der Technik anzusehen.
Wenn es nach Wirtschaftsminister Habeck, dem nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Wüst und dem RWE-Vorstandsvorsitzenden Krebber geht, soll das Braunkohlekraftwerk Niederaußem 2030 stillgelegt werden, mitsamt der noch operierenden CO₂-Abscheidung.
Indes ist die Abscheidung von über 90 Prozent des CO₂ aus einem Teilstrom des Abgases auf Dauer nachgewiesen. Die Kosten belaufen sich auf sagenhafte 30 €/t CO₂. Der Wirkungsgradverlust beträgt weniger als zehn Prozent.
Mit anderen Worten: Die Technik könnte die Emissionen und die CO₂-Kosten von Braunkohlestrom massiv reduzieren. Das abgeschiedene CO₂ aus Niederaußem ist übrigens so rein, dass es in der Getränkeindustrie für Sprudelflaschen eingesetzt wird.
Habeck und die Grünen möchten CCS auf Zementwerke und Müllverbrennungsanlagen begrenzen. Die Grünen sind Gefangene ihrer eigenen ideologischen Denkverbote. Maßgeblicher Drahtzieher des CCS-Verbots in Deutschland war der damalige schleswig-holsteinische Energiewendeminister Robert Habeck. Er sagte damals: „Wir wollen kein CCS als Reinwasch-Technologie für die klimaschädliche Kohleverbrennung.“
Die Ampelkoalition schaltet also lieber Kohlekraftwerke ab und treibt die Deindustrialisierung des Landes voran. Eine ausführliche Darstellung der Technologie und der Kräfte, die sie in Deutschland verhindert haben, finden Sie in meinem Buch „Die große Energiekrise“, S. 83ff.
Deindustrialisierung? Bis 2050 kein Rückgang der CO₂-Emissionen weltweit
Die Ampelpolitik, die die deutschen CO₂-Emissionen in wenigen Jahren auf Kosten unserer Industrie und damit unseres Wohlstands auf null fahren will, wird umso unverständlicher, wenn man liest, was gerade eine US-amerikanische Regierungsbehörde, die U.S. Energy Information Administration (EIA) veröffentlicht hat. Sie hat eine Projektion der globalen CO₂-Emissionen bis 2050 vorgenommen und resümiert:
„Wir prognostizieren, dass die globalen energiebezogenen CO₂-Emissionen aus dem Verbrauch von Kohle, flüssigen Brennstoffen und Erdgas in den nächsten 30 Jahren in den meisten Fällen, die wir in unserem International Energy Outlook 2023 (IEO2023) analysiert haben, zunehmen werden.“
Die Welt wird also noch über 2050 hinaus CO₂ in leicht gestiegener Höhe emittieren, so sagt es uns eine Behörde der Biden-Regierung. Doch unsere Regierung setzt unbeirrbar weiter, koste es, was es wolle, auf CO₂-Minderung durch erneuerbare Energien, auf null CO₂, auch wenn es unbezahlbar wird und weltweit der CO₂-Ausstoß nicht zurückgeht.
Über den Autor:
Prof. Dr. Fritz Vahrenholt ist promovierter Chemiker, SPD-Politiker, Manager, Wissenschaftler und Buchautor. Seit 1976 arbeitete er unter anderem im Umweltbundesamt, als Staatsrat bei der Umweltbehörde und als Umweltsenator in Hamburg. Er war Vorstand für erneuerbare Energien der Deutschen Shell AG sowie Gründer und Vorstand des Windenergie-Anlagenbauers REpower Systems.
Seit 1999 ist er Honorarprofessor im Fachbereich Chemie der Universität Hamburg. Sein Bestseller „Seveso ist überall“ (1978) war eines der wirkmächtigsten Bücher in den Anfangsjahren der Umweltbewegung. 2020 erschien sein Bestseller „Unerwünschte Wahrheiten“ und 2021 folgte „Unanfechtbar – Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes zum Klimaschutz im Faktencheck“. www.vahrenholt.net
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