Rätsel um Energiewende: 4 von 5 Unternehmen beklagen laut IHK Stromengpässe
Es braucht „ein Umdenken bei der Energiewende“, denn „die Deindustrialisierung von Deutschland hat begonnen“.
Das fordern und beklagen zahlreiche Unternehmen Deutschlands bei einer Umfrage der Industrie- und Handelskammer (IHK).
Diese wollte mit ihrer neuesten jährlichen Befragung die Sicht der Wirtschaft auf die sich verändernde Stromversorgung in Deutschland ermitteln. Derzeit werden hierzulande knapp 60 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energien erzeugt – zumindest rein rechnerisch.
IHK: Neue Energieversorgung „nicht verlässlich“
Das IHK-Energiewende-Barometer 2024 warf dabei einen Blick auf die Energieversorgung und Energiemaßnahmen der Unternehmen. Zudem äußerten Betriebe Forderungen an die Politik.
An der deutschlandweiten Befragung beteiligten sich 3.283 Mitgliedsunternehmen der IHK-Organisation aus den Branchen Industrie, Bau, Handel und Dienstleistung. Letztere ist mit 56 Prozent am stärksten vertreten gewesen. Aus Berlin stammen 205 Betriebe. Die Befragung fand im Frühjahr 2024 statt.
Gleich auf Seite 2 der Ausarbeitung nennt die IHK die möglichen Gründe für die Schieflage bei der Energiefrage. Demnach stellen der „Wegfall der Kernenergie, der Ausstieg aus der Kohleverstromung, neue Gaskraftwerke und Unsicherheiten über die künftige Sicherung der Stromversorgung eine Belastung für den Wirtschaftsstandort Deutschland“ dar.
Ebenso betont die IHK, dass erneuerbare Energien und Wasserstoff weiter ausgebaut werden, aber „nicht verlässlich“ sind.
Wettbewerbsfähigkeit leidet
Ein wichtiger Faktor für den Erfolg eines Unternehmens ist die Wettbewerbsfähigkeit. Die IHK wollte wissen, welchen Einfluss die Energiewende darauf hat. Maßgeblich sind hierfür die Preise für Strom und Gas.
Bei der diesjährigen Umfrage teilten mehr als ein Drittel der Berliner Unternehmen mit, dass sich die Energiewende „sehr negativ“ (15,1 Prozent) beziehungsweise „negativ“ (20 Prozent) auf sie ausgewirkt habe. Eine „neutrale“ Auswirkung sehen 35,7 Prozent der Betriebe.
Weniger als ein Viertel sprach von „positiven“ (13,4 Prozent) beziehungsweise „sehr guten“ (10,8 Prozent) Effekten durch die zunehmende Umstellung des Stromsystems auf erneuerbare Energien.
Damit zeigen sich die Berliner Betriebe angesichts der Auswirkungen der Energiewende zuversichtlicher als 2023. Im Vorjahr antworteten noch mehr als 45 Prozent mit „sehr negativ“ oder „negativ“. Allerdings urteilten die Unternehmen in diesem Jahr negativer über die Effekte als noch in den Jahren 2021 und 2022. Auffällig ist, dass in jedem der letzten vier Jahre die „negativen“ Äußerungen der Betriebe deutlich zahlreicher sind als die „positiven“.
Barometer bei -19,8
Entscheidend für die Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens sind oftmals die Energiepreise. Laut der Umfrage nahmen 58 Prozent der Berliner Unternehmen in den vergangenen 12 Monaten steigende Strompreise wahr. Nur zwölf Prozent beobachteten sinkende Preise.
Ähnlich sieht es bei der Entwicklung der Energiepreise für Wärme aus. Zwei Drittel der Betriebe in der Hauptstadt sprachen von Preisanstiegen bei Gas, Fernwärme und Heizöl und acht Prozent erlebten eine Preissenkung. Beim Transport sprachen 58 Prozent von Preissprüngen nach oben bei Benzin und Diesel, während nur sechs Prozent fallende Preise wahrnahmen.
Beim Blick auf alle befragten Unternehmen gaben 52 Prozent der Betriebe deutschlandweit an, dass ihre Strompreise gestiegen sind. 18 Prozent verzeichneten sinkende Strompreise.
Die Frage nach der Wettbewerbsfähigkeit war laut IHK die zentrale Frage für das Energiewende-Barometer. Diese Frage beantworteten die deutschen Unternehmen in diesem Jahr insgesamt skeptisch. Die Skala des Barometers reicht von minus 100, was für „sehr negativ“ steht, bis plus 100 – „sehr positiv“.
Für 2024 hat die IHK für alle Branchen, Betriebsgrößen und Regionen einen Mittelwert von minus 19,8 festgestellt.
Derzeit befinden sich laut IHK alle einzelnen Branchenbarometerwerte „deutlich im Minus-Bereich“.
Warnung vor Deindustrialisierung
Dabei kamen einige Unternehmen zu Wort, um die Situation aus ihrer Perspektive zu beschreiben. So kritisierte ein Industrieunternehmen aus dem Osten Deutschlands den derzeitigen Kurs der Energiepolitik:
Wir brauchen ein Umdenken bei der Energiewende. Nicht Verbote werden es regeln, sondern politische Leitplanken und wirtschaftliche Anreize.“
Die IHK sprach zudem von den zunehmenden und branchenübergreifenden „Plänen zur Einschränkung der Produktion in Deutschland“.
Hiermit ist auch teilweise die Abwanderung der Wirtschaftsbetriebe ins Ausland gemeint. Denn derzeit hat Deutschland die höchsten Strompreise in ganz Europa, was andere Standorte attraktiver macht. Derzeit plant oder realisiert mehr als die Hälfte der großen Industrieunternehmen eine Reduzierung der inländischen Produktion. Ein westdeutsches Unternehmen sagte dazu:
Die Deindustrialisierung von Deutschland hat begonnen und gefühlt steuert niemand dagegen.“
Laut IHK spekuliert mindestens jedes sechste Unternehmen mit der Option, seine Wirtschaftstätigkeit zu drosseln, denn für den Wirtschaftsstandort Deutschland sind die Auswirkungen der hohen Energiepreise für die Unternehmen relevant.
Aus Sicht der IHK ergibt sich bei den Betrieben somit ein Trend: weg vom Standort Deutschland.
Ein mittelständischer Industriebetrieb aus Norddeutschland sagte:
Wenn es uns organisatorisch möglich wäre, würden wir ebenfalls eine (Teil-) Verlagerung der Produktion ins Ausland durchführen.“
Die derzeitige Lage zeigt laut IHK, dass die aktuelle Energiepolitik für alle Unternehmen in Deutschland „einen klaren Wettbewerbsnachteil“ darstellt.
Das Hauptmotiv der Unternehmen, die ins Ausland abwandern wollen, waren bei 35 Prozent Kostenersparnis. Neben den Energiepreisen nannten sie weitere Kostenfaktoren wie Arbeitskosten, Fachkräftemangel und Bürokratie.
Energiewende bremst Investitionen
Anstatt sich auf also Wachstum zu fokussieren, führen die Standortbedingungen dazu, dass Unternehmen kaum mehr hierzulande investieren. Deswegen sieht ein Industrieunternehmen aus dem Westen
dringenden Bedarf der Überarbeitung der wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen mit dem Ziel, Investitionen und Technologieoffenheit zu fördern sowie die Wettbewerbsfähigkeit des Industriestandorts Deutschland zu erhalten.“
Mit der Reduzierung der Investitionen fahren die Betriebe laut IHK auch die Ausgaben für weitere Klimaschutzinvestitionen zurück. Ohne Investitionen sei die Energiewende nicht zu schaffen.
Zwei Drittel der Unternehmen sehen die Wettbewerbsfähigkeit demnach insgesamt in Gefahr. Bei der Industrie beklagen rund 60 Prozent der Betriebe, dass die schrumpfenden Investitionen zum Verlust der Wettbewerbsfähigkeit am Standort Deutschland beitrügen.
Oder anders gesagt: Diese Industriebetriebe sehen im Standort Deutschland eher einen Nachteil. Deshalb erwägen einige abzuwandern. Das deckt sich auch mit den regelmäßigen Meldungen von Stellenstreichungen großer Unternehmen in Deutschland.
IHK: Bürokratie größtes Transformationshemmnis
Als weiteren Standortnachteil hat die IHK-Umfrage „zu viel Bürokratie“ ermittelt. Diese habe sich an die erste Stelle der Transformationshemmnisse geschoben, was in diesem Jahr 61 Prozent der Betriebe beklagten.
Die Unternehmen haben Defizite genannt wie „fehlende Kompetenz in den Ämtern“, „fehlendes einheitliches europäisches Vorgehen“, eine „steigende Flut von Regulierungsnormen“ und damit entsprechende Dokumentationserfordernisse. Ein Industrieunternehmen aus dem Westen erklärte:
Statt vorwärtszugehen und Investitionen im Inland attraktiv zu gestalten, wird die Bürokratie immer ausufernder.“
Ein Industrieunternehmen in Süddeutschland beklagte:
Bürokratie wie die CSRD-Berichterstattung [Nachhaltigkeitsberichterstattung], das Lieferkettensorgfaltspflichtgesetz etc. bremsen uns massiv aus! Wir müssen viel Zeit und Geld in diese Themen stecken, dass wir für Projekte in diesen Bereichen deutlich besser investieren könnten.“
Als weitere Hindernisse bei den Unternehmen ermittelte die IHK fehlende Information und Planbarkeit. „Die Vielzahl neuer Vorschriften und Regulierungen und die Hektik der Gesetzgebung spiegeln sich in diesen Antworten wider“, so die Kammer. Langsame Planungs- und Genehmigungsverfahren sowie fehlende Infrastruktur wurden ebenso in der Liste der Transformationshindernisse genannt.
Ein Handelsbetrieb aus dem Norden Deutschlands sagte hierzu: „1,4 Megawatt Anlage [Photovoltaikanlage] hat 1,5 Jahr gedauert nach Fertigstellung, bis sie trotz funktioneller Abnahme die nötige Genehmigung, Anlagenzertifikat etc. hat, um dann ans Netz zu gehen. Ein Unding der Bürokratie und bei Weitem kein Einzelfall.“
Auch ein ostdeutsches Industrieunternehmen kritisierte: „Nach zwei Jahren immer noch fehlender Strom- und Gasanschluss an zweiter neu gebauter Niederlassung.“
80 Prozent beklagen Stromengpässe
Im Rahmen der Umfrage stellten die Unternehmen Forderungen an die Politik. Insbesondere wünschen sich die Betriebe bessere Rahmenbedingungen für die eigene Stromversorgung und Direktlieferverträge.
Damit wollen sie klimaneutral und unabhängig von schwankenden Marktpreisen werden. Gleichzeitig streben die Unternehmen an, die Chancen der Energiewende zu nutzen und weniger abhängig von politischen Entscheidungen zu sein.
Rund 80 Prozent erwähnten in diesem Zusammenhang, dass Engpässe bei Übertragungs- und Verteilnetzen ein zunehmendes Problem für sie darstelle. Deswegen forderten 80 Prozent der Betriebe die Politik auf, Bedingungen für „eine stabile Energieversorgung“ zu schaffen. Im vergangenen Jahr forderten dies nur rund 65 Prozent.
Viele Betriebe kämpften immer wieder mit Stromunterbrechungen. Beim aktuellen Energiewende-Barometer betonten alle Unternehmen die Wichtigkeit einer stabilen Energieversorgung.
Ein Unternehmen aus Süddeutschland teilte dazu mit:
Stabilität in der Energieversorgung muss oberste Priorität haben, noch vor den Kosten. Ohne Strom funktioniert nichts.“
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