Energieökonomen: Deutschland braucht mehrere Strompreiszonen – 15 Verbände widersprechen
Deutschland hat ein Stromproblem, das es jahrzehntelang nicht hatte. Mit der Umstellung der Energieinfrastruktur auf erneuerbare Energiequellen nahmen auch Eingriffe der Stromnetzbetreiber in das Marktgeschehen zu, um Stromerzeugung und -verbrauch im Gleichgewicht zu halten. Diese sogenannten Redispatch-Maßnahmen sind komplex und führen zu höheren Kosten, auch für die Verbraucher.
Mehrere hochrangige Energieökonomen sehen derzeit als praktikabelste Lösung die Aufteilung Deutschlands von einer in mehrere Strompreiszonen. Einige der führenden Wirtschaftsverbände und Gewerkschaften des Landes haben jedoch Bedenken gegen diesen Vorschlag geäußert.
Deutscher Strom am teuersten
Deutschland hat momentan mit die höchsten Strompreise in Europa. Nach Angaben des Portals „Household Energy Price Index“ war Deutschland im Juni unter allen Ländern Spitzenreiter beim Endverbraucherpreis für Strom. Ganze 39,09 Cent pro Kilowattstunde (kWh) mussten die Haushalte im Schnitt bezahlen.
Selbst in der sonst so teuren Schweiz kostete die kWh umgerechnet nur 33,43 Cent. Die günstigsten Länder waren in diesem Vergleich Ungarn (9,44 Cent) und Norwegen (9,88 Cent).
Ökonomen: Überschuss kommt nicht überall an
Wie zwölf Energieökonomen in einem Gastbeitrag in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ schreiben, könnten die Strompreise lokal günstiger werden, wenn das Land in mehrere Strompreiszonen aufgeteilt würde. Unter den zwölf Wissenschaftlern befinden sich Größen wie die Wirtschaftsweise Prof. Dr. Veronika Grimm und Prof. Dr. Karsten Neuhoff, Leiter der Abteilung Klimapolitik am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin).
Das derzeitige Problem ist aus der Sicht der Ökonomen die unausgewogene geografische Verteilung der Ökokraftwerke.
Sie schreiben: „Ist der Strompreis an der Börse beispielsweise moderat hoch, erzeugen Kraftwerke und Windparks im Norden Deutschlands viel Strom, obwohl er [mangels ausreichender Leitungskapazitäten] nicht in die Verbrauchszentren des Südens abtransportiert werden kann. Gleichzeitig stehen Gaskraftwerke in Bayern still, sodass die lokale Stromnachfrage nicht gedeckt werden kann“, bemängeln die Experten. Die Industrie, das heißt die Großverbraucher, sind vorwiegend im Süden Deutschlands angesiedelt.
Der gesamtdeutsche Preis vermittle in Süddeutschland den Eindruck, als sei insgesamt genügend Strom vorhanden. Das ist bei guter Windproduktion aber nur im Norden der Fall. Im Süden herrsche eher eine Stromknappheit.
Der derzeit bundesweit einheitliche Strompreis führt nach Ansicht der Ökonomen dazu, dass sich alle Akteure auf dem Strommarkt an diesem Preissignal orientieren. Zu den Akteuren zählten fossile und erneuerbare Kraftwerke, Batteriespeicher, Pumpspeicherkraftwerke, Importeure und Exporteure, aber auch die Stromkunden.
Dem widersprach der Bundespressesprecher der Bundesinitiative Vernunftkraft, Dr. Christoph Canne teilweise.
„Genau diese Aussage stimmt ja eben für Wind- und Solarparks nicht. Diese profitieren von Einspeisevorrang und Mindestvergütungen und produzieren damit vollkommen losgelöst von Preisanreizen“, schrieb er auf 𝕏.
Hier gebe es eine marktferne Subventionierung der wetterabhängigen Erzeugung von Wind- und Solarenergie. „Es ist seltsam, dass in einem Artikel, der mit marktwirtschaftlichen Preismechanismen argumentiert, nicht dieses zentrale Konstruktionsdefizit thematisiert wird.“
Forderung nach ausgleichenden Strompreisen
Die Top-Ökonomen sehen die häufigen „Redispatch-Reparaturen“ mit Sorge. Diese bedeuten, dass Netzbetreiber bei Strommangel zusätzliche Kraftwerksreserven hochfahren und bei Stromüberschuss Kraftwerkskapazitäten abregeln, um Verbrauch und Erzeugung im Gleichgewicht zu halten.
Diese würden Deutschland der „Effizienz und Effektivität einer marktwirtschaftlichen Preissteuerung“ berauben. Regelmäßig greifen Netzbetreiber in den Strommarkt ein und können „physikalisch unmögliche Entscheidungen“ nur „mühselig und unvollständig“ reparieren. Deswegen müssen sie häufig Entscheidungen treffen, „die in der Physik des Netzes nicht möglich und volkswirtschaftlich unsinnig sind“.
Die zwölf Experten forderten, dass es stattdessen Strompreise geben sollte, „die Angebot und Nachfrage regional ausgleichen und dadurch den lokalen Stromwert widerspiegeln“.
„Der Strompreis an der Börse sollte dort höher sein, wo gerade hohe Nachfrage herrscht, und dort niedrig, wo in diesem Moment ein Überangebot vorliegt“, empfehlen sie.
Im Weiteren argumentierten die Ökonomen, dass immer mehr Länder mehrere Strompreiszonen einführen. Dänemark, Norwegen, Schweden, USA und Italien sind hier einige Beispiele.
Canne: Wiedereinstieg in Kernkraft ist effektiver
Wenn es in Deutschland mehrere Preiszonen gibt, sollte der durchschnittliche Preisunterschied nach Aussage der Ökonomen „moderat“ bleiben. Derzeit schwankt der Börsenstrompreis um einen Wert von rund 80 Euro pro MWh. Zudem würden lokale Strompreise die Netzentgelte reduzieren. All dies spreche also für die Einführung mehrerer Strompreiszonen in Deutschland.
Aus der Sicht von Canne könnten zwei, drei, fünf oder zehn Strompreiszonen diese Probleme jedoch nicht lösen. „Diese Probleme lassen sich nur lösen, wenn wir die marktferne Subventionierung der Erneuerbaren sofort beenden und regelbare Erzeugung gerade in Süddeutschland wieder forciert ermöglichen.“
Damit bezog er sich auf einen sofortigen Wiedereinstieg in die Kernkraft. Mit den Grünen, die das Atom-Aus fortgeführt und zu Ende gebracht haben, sei das allerdings nicht machbar. „Aber dies darf ja für einen Ökonomen kein Grund sein, das Sinnvolle nicht zu fordern“, so der Bundespressesprecher.
Ebenso wunderte sich Canne darüber, dass die Ökonomen in dem Gastbeitrag die Nachteile von Strompreiszonen nicht erwähnten. „Es ist eine einseitige Betrachtungsweise, in der der Eindruck erweckt wird, man müsse nur Zonen möglichst homogener Erzeugungsprofile schaffen und die Probleme sind gelöst.“
Die Fachleute hätten ignoriert, dass die erneuerbare Stromerzeugung regional unterschiedlich und gleichzeitig noch abhängig von den Jahreszeiten ist. „Man denke nur an Solarerzeugung im Winter“, merkte Canne an. „Am Ende des Tages wird man erkennen, dass man auf diese Weise das Grundproblem intermittierender Erzeugung und der damit einhergehenden Preisvolatilität nicht wirklich löst, sondern nur in ein kleinteiligeres Preisregime einbindet.“
Nachteil von zu niedrigen Preisen
Mit dem Ansatz der zwölf Energieökonomen waren auch 15 führende deutsche Wirtschaftsverbände und Gewerkschaften, wie der Bundesverband Erneuerbare Energie, Deutscher Gewerkschaftsbund und der Bundesverband der Deutschen Industrie nicht einverstanden, wie sie in einem Gastbeitrag in der „FAZ“ schreiben. Sie sehen in der Aufteilung der einheitlichen Stromgebotszone mehr negative als positive Auswirkungen auf die Realwirtschaft.
Der Artikel trägt den Titel „Die Energiewende braucht ein stabiles Fundament“. Das verwundert Canne: „Soll dies bedeuten, dass die ‚Energiewende‘ bisher ohne ‚stabiles Fundament‘ gebaut wurde?“ Mit Blick auf die bisherigen Kosten von über 500 Milliarden Euro Förderung, wies er darauf hin, dass sich „die Subventionen weiterhin ungebremst in die Höhe schrauben, weil erneuerbare Energien nach wie vor alles andere als marktfähig sind“.
Die Überproduktion von erneuerbaren Energiequellen an sonnigen oder windreichen Tagen sehen auch die Verbände als Problem. Dieses Überangebot würde die Strompreise in den Zonen mit vielen erneuerbaren Kraftwerken drastisch senken. Sie schreiben:
Was zunächst wie ein Vorteil für Verbraucher aussieht, wäre allerdings ein Problem. Zum einen führt diese Unsicherheit zu einem höheren finanziellen Absicherungs- und Förderbedarf. Zum anderen stiegen in Gebieten mit geringeren erneuerbaren Energiemengen die Strompreise deutlich an. Auch das wäre für Verbraucher äußerst negativ.“
Bei einer Zonenaufteilung stiegen insbesondere im industriestarken Süd- und Westdeutschland die Strompreise an. „Die Strompreise in Deutschland stellen im internationalen Vergleich schon jetzt einen Standortnachteil dar. Größere Neuinvestitionen würden gleich außerhalb Deutschlands oder Europas getätigt“, so die Verbände. Das hätte zur Folge, dass höchstwahrscheinlich ein Teil der industriellen Wertschöpfung verloren geht. Zudem würde man damit gute Beschäftigungsverhältnisse am Standort Deutschland aufs Spiel setzen.
Umsetzung ist „hochkomplex“
Überdies wiesen die Verbände darauf hin, dass die Aufteilung in mehrere Gebotszonen aus praktischer Sicht „hochkomplex“ sei. „Eine Teilung kann nicht per Knopfdruck umgesetzt werden, sondern würde mehrere Jahre dauern.“
Das schaffe für Energieerzeuger, die Industrie oder andere Marktteilnehmer eine „erhebliche Unsicherheit statt Planbarkeit“. Dann bestünde die Gefahr, dass diese sich bei ihren Tätigkeiten eher zurückhalten, anstatt in Projekte zu investieren. Das wäre jedoch für eine starke Wirtschaftskraft nötig.
Ferner fordern die Verbände den Ausbau der Stromspeicherung und der Wasserstoffproduktion. Gleichzeitig müsse die direkte Stromversorgung von Betrieben aus Gewerbe und Industrie und die vorhandene Netzinfrastruktur besser genutzt werden. Canne merkte diesbezüglich an, dass der Bau von Gaskraftwerken als stabile Kraftwerksreserve hier ebenso zu nennen wären.
Zentrale Ursachen nicht genannt?
Der Bundespressesprecher von Vernunftkraft bestätigt die von den Verbänden erwähnten Verwerfungen auf dem deutschen Energiemarkt wie hohe Strompreisschwankungen und Negativpreise bei Stromüberschuss. Diese könnten zunehmen, wenn der Strom künftig auf Handelsplätzen geringerer Liquidität gehandelt wird.
Eine Kritik von Canne richtet sich allerdings sowohl an die zwölf Energieökonomen als auch an die 15 Verbände und Gewerkschaften. In beiden Artikeln hätten die Autoren nicht die zentralen Ursachen der Probleme benannt. Diese seien:
- Erstens: die hohen Subventionen für die Erneuerbaren und die daraus resultierende Problematik, dass inzwischen mehr als 50 Prozent unseres Stroms „marktfern“ eingespeist werden.
- Zweitens: der Mangel an gesicherter Leistung durch die Abschaltung regelbarer Kraftwerke (Kernkraft und Kohlekraft).
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