Sterbehilfe – ja oder nein? Beide Gesetzentwürfe zur Suizidbeihilfe abgelehnt

Wer sterben wolle, sollte es leichter haben, sich helfen zu lassen. Zwei konkurrierende Gesetzentwürfe lagen dem Bundestag vor. Beide wurden abgelehnt.
Von 6. Juli 2023

Der Bundestag stimmte heute über die Neuregelung der Sterbehilfe ab. Den Abgeordneten lagen zwei konkurrierende Gesetzentwürfe vor, die jeweils fraktionsübergreifend erstellt wurden. Das neue Gesetz sollte klären, wie Sterbewillige Zugang zu todbringenden Medikamenten bekommen können und wie Helfer vor Strafe geschützt werden.

Die bisherigen Regelungen waren vom Bundesverfassungsgericht gekippt worden. Bei der namentlichen Abstimmung war der Fraktionszwang aufgehoben – beide Entwürfe wurden abgelehnt. Damit gibt es weiterhin keine gesetzliche Regelung.

„Begleitenden Suizid ermöglichen, aber nicht fördern“

„Jeder Mensch hat ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben und ein Recht darauf, hierbei Hilfe zu erhalten“, sagte die FDP-Abgeordnete Katrin Helling-Plahr, die federführend an einem der beiden fraktionsübergreifend ausgearbeiteten Anträge beteiligt war. Sie verwies darauf, dass das Bundesverfassungsgericht vor drei Jahren ein Grundrecht auf selbstbestimmtes Sterben formuliert hatte. „Einen gegen die Autonomie gerichteten Lebensschutz darf es nicht geben“, sagte sie.

Der Entwurf von Helling-Plahrs Gruppe sieht generell keine Strafbarkeit für Sterbehilfe mehr vor – anders als der zweite Antrag, der von einer Gruppe um den SPD-Abgeordneten Lars Castellucci ausgearbeitet wurde. Dieser Antrag setzt höhere Hürden für die Suizidbeihilfe und will die geschäftsmäßige Sterbehilfe in bestimmten Fällen weiter unter Strafandrohung stellen.

„Lassen Sie uns den begleiteten Suizid ermöglichen, aber nicht fördern“, sagte Castellucci in der Debatte. Der Schwerpunkt müsse auf Suizidprävention liegen: „Wir müssen bessere sozial- und gesundheitspolitische Antworten geben und nicht einfach einen Wegweiser zum assistierten Suizid“, sagte Castellucci.

Todbringende Medikamente erwünscht

Beide Entwürfe haben gemein, dass sie rechtliche Voraussetzungen festlegen wollen, unter denen Suizidwillige Zugang zu tödlich wirkenden Medikamenten erhalten können. Dazu sind unter anderem Änderungen im Betäubungsmittelgesetz vorgesehen. Beide Entwürfe sehen zudem eine Regulierung der Werbung für Hilfe zur Selbsttötung vor.

Unterschiede gibt es in der Frage, welche Form von Untersuchungen und Beratungen der Verschreibung eines todbringenden Medikaments vorangehen sollen und wie lange die Wartefrist zwischen Beratung und Verschreibung sein soll. Die Vorgaben des Castellucci-Entwurfs sind hier strenger als jene in dem Entwurf der Gruppe um Helling-Plahr.

Aktuell existiert in Deutschland keine gesetzliche Regelung zur Sterbehilfe. Sie ist straffrei möglich, seit das Verfassungsgericht das Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe gekippt hat. Das Gericht erkannte ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben ausdrücklich an – und auch die Freiheit, sich dafür Hilfe bei Dritten zu holen. Detaillierte Regelungen stellte das Gericht dafür nicht auf.

Ärzte warnen vor gesellschaftlicher Normalisierung

Ärztevertreter und Fachverbände warnen vor einer zu weit gehenden Liberalisierung der Sterbehilfe. Dies würde einer „gesellschaftlichen Normalisierung des Suizids Vorschub leisten“, warnte etwa der Präsident der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt.

Der Psychiatrie-Fachverband DGPPN fordert eine bessere Suizidprävention statt leichterer Sterbehilfe – denn häufig seien suizidale Menschen aufgrund einer schweren psychischen Erkrankung überhaupt nicht in der Lage, „diese Entscheidung frei und selbstbestimmt zu treffen“.

Suizidhilfe – ja oder nein?

Vorschlag 1: Begrenzte Strafbarkeit – Castellucci-Entwurf 

Der Vorschlag der Gruppe um den SPD-Abgeordneten Lars Castelucci hält im Grundsatz an einer Strafbarkeit der „geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung“ fest. Verstöße sollen mit Haft- oder Geldstrafen geahndet werden können. Nicht rechtswidrig soll demnach die geschäftsmäßige Suizidbeihilfe dann sein, wenn der suizidwillige Mensch „volljährig und einsichtsfähig“ ist, sich mindestens zweimal von einem Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie hat untersuchen lassen und mindestens ein ergebnisoffenes Beratungsgespräch absolviert hat.

Zudem soll eine Wartezeit vorgeschrieben werden: Zwischen den beiden Untersuchungsterminen sollen mindestens drei Monate liegen. Nach der abschließenden Untersuchung soll dann noch eine „Wartefrist“ von mindestens zwei Wochen bis zur Selbsttötung liegen.

Der Entwurf sieht zudem einen neuen Strafrechtsparagrafen 217a gegen die „Werbung für die Hilfe zur Selbsttötung“ vor. Demnach soll sich strafbar machen, wer „seines Vermögensvorteils wegen oder in grob anstößiger Weise“ Sterbehilfe anbietet.

Vorschlag 2: Generelle Straffreiheit – Helling-Entwurf

Der Vorschlag der Gruppe um Kathrin Helling-Plahr (FDP) und Renate Künast (Grüne) sieht weniger Einschränkungen vor und will die Sterbehilfe grundsätzlich aus dem Strafrecht herausnehmen. Die Regelung soll die individuellen Motive für den Sterbewunsch nicht bewerten, sondern lediglich „Leitplanken“ für den Weg eines erwachsenen und einsichtsfähigen Menschen zur Selbsttötung aufstellen.

Auch diese „Leitplanken“ sehen Vorgaben zu Beratung und Wartezeiten vor – allerdings weniger strikt als beim anderen Vorschlag. Voraussetzung für die Verschreibung von Medikamenten zur Selbsttötung soll in der Regel eine Beratung bei einer fachlich qualifizierten Stelle sein, in der auch Alternativen zur Selbsttötung angesprochen werden. Die Verschreibung soll dann frühestens drei Wochen nach der Beratung – und maximal zwölf Wochen danach – möglich sein.

In Härtefällen soll ein Arzt die Mittel nach eigenem Ermessen auch ohne Beratung verschreiben können. Ein solcher Härtefall soll dann vorliegen, wenn sich jemand „in einem existenziellen Leidenszustand mit anhaltenden Symptomen“ befindet.

Abstimmungen

1. Abstimmung des Vorschlags Gruppe um den SPD-Abgeordneten Lars Castelucci (Freiverantwortlichkeit der Entscheidung zur Selbsttötung)

Der erste Gesetzentwurf wurde abgelehnt: Mit Ja stimmten 304 Abgeordnete, mit Nein 363. Es gab 23 Enthaltungen (insgesamt  690 Beteiligte).

2. Abstimmung über den Vorschlag der Gruppe um Kathrin Helling-Plahr (FDP) und Renate Künast (Grüne) – Gesetzes zur Regelung der Suizidhilfe

Auch der zweite Gesetzentwurf wurde abgelehnt: Mit Ja stimmten 287 Abgeordnete, mit Nein 375. Es gab 20 Enthaltungen bei insgesamt 682 Beteiligten.

3. Abstimmung zum Entwurfs eines Gesetzes „Suizidprävention stärken“

Es stimmten 688 Abgeordnete von 693 Abgeordneten mit Ja, 1 mit Nein. Es gab 4 Enthaltungen. Damit wurde der Antrag angenommen.

Tagesordnung im Bundestag

1. Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Lars Castellucci, Ansgar Heveling, Dr. Kirsten Kappert-Gonther, Dr. Konstantin von Notz, Petra Pau, Stephan Pilsinger, Benjamin Strasser, Kathrin Vogler und weiteren Abgeordneten eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Hilfe zur Selbsttötung und zur Sicherstellung der Freiverantwortlichkeit der Entscheidung zur Selbsttötung Drucksache 20/904
Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuss) Drucksache 20/7624

2. Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten der Abgeordneten Katrin Helling-Plahr, Dr. Petra Sitte, Helge Lindh, Dr. Till Steffen, Otto Fricke und weiterer Abgeordneter eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung der Suizidhilfe Drucksache 20/2332 – Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuss) Drucksache 20/7624

3. Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Renate Künast, Dr. Nina Scheer, Katja Keul, Dr. Edgar Franke, Canan Bayram, Lukas Benner, Matthias Gastel, Dirk Heidenblut und weiteren Abgeordneten eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Schutz des Rechts auf selbstbestimmtes Sterben und zur Änderung weiterer Gesetze Drucksache 20/2293 – Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuss) Drucksache 20/7624

Anschließend erfolgen namentliche Abstimmungen zu den Anträgen

4. Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Kirsten Kappert-Gonther, Martina Stamm-Fibich, Renate Künast, Ansgar Heveling, Dr. Lars Castellucci, Katrin Helling-Plahr, Benjamin Strasser, Helge Lindh, Stephan Pilsinger, Dr. Nina Scheer, Kathrin Vogler, Dr. Petra Sitte, Kerstin Griese, Lukas Benner, Dr. Konstantin von Notz, Dr. Till Steffen und weiterer Abgeordneter Suizidprävention stärken – Drucksache 20/7630



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