AfD und ihre Gegner einig: Stichwahl in Görlitz wird zu einer Richtungsentscheidung
Am kommenden Sonntag (16.6.) findet die Stichwahl für das Amt des Oberbürgermeisters in Görlitz statt, und das Interesse an der kommunalen Entscheidungsfindung hat sogar vor Hollywoodschauspielern nicht Halt gemacht, von denen die meisten möglicherweise bis vor kurzem nicht einmal in der Lage gewesen wären, die ungefähre Lage der Stadt auf der Landkarte zu bestimmen.
Auch die „Neue Zürcher Zeitung“ (NZZ) hat sich in einer ausführlichen Analyse mit der Wahl befasst, die zu einer Premiere führen könnte: Schafft es der Kandidat der AfD, Sebastian Wippel, der im ersten Wahlgang 36,4 Prozent erzielen konnte, seinen Sechs-Punkte-Vorsprung gegenüber seinem Gegenkandidaten Octavian Ursu (CDU) zu halten, wäre er der erste Oberbürgermeister der Rechtskonservativen in einer deutschen Stadt.
Linken-Kandidatur könnte Grünen die Stichwahl verhagelt haben
„Wenn Görlitz fällt, dann fällt Sachsen und dann ganz Deutschland“, zeigt Wippel sich davon überzeugt, dass die Wahl weit über die Region hinaus Wirkungen entfalten könnte. Gleiches vermuten allerdings auch seine Gegner, weshalb die gutgemeinten Ratschläge aus Bundes- und Landespolitik sowie auch von „Kulturschaffenden“ und Akteuren der „Zivilgesellschaft“ aus ganz Deutschland an die Bürger der 57 000 Einwohner zählenden Stadt an der polnischen Grenze nicht ausbleiben.
Ob sie fruchten werden, ist ungewiss. Unweigerlich kommen Szenarien in den Sinn wie jene nach der ersten Runde der Bundespräsidentenwahlen in Österreich, wo FPÖ-Kandidat Norbert Hofer mit 35 Prozent der Stimmen in Front lag, am Ende – nach mehreren Pannen – aber der grüne Gegenkandidat infolge eines Schulterschlusses aller anderen größeren politischen Parteien die Nase vorn hatte.
Auch in Görlitz hätte es beinahe ein blau-grünes Duell in der Stichwahl gegeben. Grünen-Kandidatin Franziska Schubert landete am Ende bei 27,9 Prozent. Hätte die Kandidatin der Linkspartei, Jana Lübeck, die 5,5 Prozent erzielte, auf eine Kandidatur verzichtet, wäre Schubert möglicherweise auf Platz zwei gelandet. Schubert tritt nun aus taktischen Gründen nicht mehr zum zweiten Durchgang an und ruft dazu auf, wählen zu gehen und „für eine weltoffene Europastadt“ zu stimmen. Eine explizite Wahlempfehlung für Ursu wäre allerdings „zu viel der Liebe“, erklärte sie gegenüber der NZZ.
CDU-Kandidat sieht Entwicklung „wie im Märchen“
Ursu wiederum wirft dem AfD-Kandidaten vor, die Erfolge der Stadt schlechtzureden. Der in Bukarest geborene Solotrompeter und CDU-Kandidat ist 1990 infolge eines Engagements am städtischen Theater in die Stadt gezogen und für ihn ist es „wie ein Märchen“, wie Görlitz sich seither verändert habe. Er will, dass Görlitz eine „Europastadt“ bleibt. Wippel würde hingegen stetig die „Strukturschwäche“ der Stadt betonen und die Probleme in den Mittelpunkt stellen. Dabei unternehme man vonseiten der Kommunalpolitik vieles, um Probleme zu lösen und Lösungen für noch vorhandene Mängel zu finden.
Wippel hingegen, dessen erste politische Station die FDP war und der seit 2014 für die AfD, der er ein Jahr zuvor beitrat, im Landtag sitzt, bemängelt, dass die etablierten Parteien wesentliche Entwicklungen ignorierten, die den Bürgern der Stadt unter den Nägeln brennen.
In besonderer Weise sei hier die Gewaltkriminalität zu nennen, die nicht von Polen oder anderen Zuwanderern aus Osteuropa ausgehe, sondern von „allein reisenden jungen Männern“, die seit der Grenzöffnungspolitik Angela Merkels im Jahr 2015 ihren Weg nach Deutschland suchten. Es gebe „Formen der Gewalt, die es hier vorher so nicht gegeben habe“, zitiert die NZZ Wippel, unter anderem willkürliche brutale Angriffe und Vergewaltigungen.
Wippel will junge, kreative Köpfe nach Görlitz holen
Eine Vielzahl von Bürgern der Stadt scheint seine Einschätzung zu teilen, nicht nur, weil man dem 36-jährigen langjährigen Polizeibeamten und früheren Bundeswehrsoldaten eine kompetente Lagebeurteilung zutraut, sondern weil sie vielfach auch der eigenen Wahrnehmung entspricht.
Die Bundeswehr hat er verlassen, weil er der Einschätzung der Bundesregierung, wonach Deutschlands Sicherheit auch am Hindukusch verteidigt werde, nichts abgewinnen konnte. Er wollte selbst in der Politik gestalten, und dabei auf bewährte Instrumente setzen, die sich auch früher als wirksam in der Vorbeugung von Problemen erwiesen hätten – und von denen man ohne wirklich überzeugende Gründe abgerückt sei. Dazu gehören nach seiner Überzeugung auch Grenzkontrollen. Schengen mache diese jedoch – trotz erheblicher Kriminalität im Grenzland – unmöglich.
Er wolle durch eine Verbesserung der Infrastruktur, einen Ausbau der Hochschule, eine bessere ICE-Anbindung und die Förderung des Tourismus junge, kreative Köpfe für die Stadt gewinnen, die nach der Wende unter starker Abwanderung litt. Allfällige Rückkehrer sind unterdessen nur selten im aktiven Erwerbsalter. Immer noch stehen zahlreiche Wohnungen leer und hochwertige Bausubstanz verfällt.
Für AfD-Parteichef Alexander Gauland wäre ein Sieg Wippels in Görlitz ein wichtiger Etappensieg und ein eindrucksvolles Zeichen dafür, dass die Partei zur „Volkspartei“ reife. Auch mit Blick auf die Landtagswahl, wo Ministerpräsident Michael Kretschmer um das Direktmandat kämpft, wäre es ein Signal. Kretschmer hatte 2017, als er noch nicht Ministerpräsident des Freistaates war, sein Direktmandat für den Bundestag an Tino Chrupalla verloren.
Uneinheitliche Bilanz rechter Bürgermeister in europäischen Gemeinden
Ein Oberbürgermeisteramt wäre für die AfD eine Chance, Gestaltungsfähigkeit zu beweisen. Bereits in den 1990er Jahren versuchten Kandidaten rechter Parteien in Frankreich und Italien, die von ihnen regierten Kommunen zu Erfolgsmodellen auszubauen. In manchen Fällen gelang dies, in anderen wurden die rechten Stadtoberhäupter wieder abgewählt – oft nach Spaltungen und Streitigkeiten innerhalb ihrer Parteien.
Im französischen Orange regiert seit 1995 der für den Front National gewählte Bürgermeister und Partei-Mitbegründer Jacques Bompard. Allerdings hat dieser 2005 seine ursprüngliche Partei verlassen und wechselte zum Mouvement pour la France, ehe er seine eigene Ligue du Sud gründete. Von 1995 bis 2008 regierte auch Daniel Simonpieri in Marignane, allerdings verließ auch er zwischendurch den FN. Der 1995 gewählte Bürgermeister von Toulon, Jean-Marie Le Chevallier, konnte hingegen nur bis 1999 regieren. Er stolperte über finanzielle Unregelmäßigkeiten.
Auch die Bürgermeisterin von Vitrolles, Catherine Megrèt, musste 2002 nach fünf Jahren das Feld räumen, nachdem sich ihr Ehemann mit dem damaligen Parteichef Jean-Marie Le Pen überworfen und eine eigene Partei gegründet hatte, die aber erfolglos blieb. Heute stellt der Rassemblement National bereits in 14 Gemeinden das Stadtoberhaupt.
In Italien stellen Parteien wie die Lega Nord oder die MSI-Nachfolgepartei Alleanza Nazionale (heute Fratelli d’Italia) seit den 1990er Jahren auch in größeren Städten wie Mailand, Padua, Verona oder Pescara Bürgermeister, von 2008 bis 2013 regierte sogar mit Gianni Alemanno ein ehemaliger Neofaschist die Hauptstadt Rom. Heute regiert die Lega in 16 italienischen Städten mit mehr als 30 000 Einwohnern.
In Österreich ist es der FPÖ 2015 mit Andreas Rabl gelungen, in der 60 000 Einwohner zählenden Stadt Wels den Bürgermeistersessel zu erringen. Zuvor stellte die Partei mit Alexander Götz von 1973 bis 1983 den Bürgermeister der Großstadt Graz – allerdings war die FPÖ damals noch Teil der „Liberalen Internationale“.
vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.
Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.
Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.
Ihre Epoch Times - Redaktion