Warum Peking zögert, ausländische Rettungsteams ins Erdbebengebiet zu lassen

Viele Zehntausende sind noch verschüttet. Die Bergungsarbeiten verlaufen nur schleppend. Obwohl es an erfahrenen Rettungskräften und Ausrüstung mangelt, lehnte Chinas Führung in der entscheidenden Phase zur Bergung der Überlebenden jede ausländische Hilfe ab.
Titelbild
Viele der eingesetzten chinesischen Soldaten sind unerfahren und es fehlt ihnen an professioneller Ausrüstung. (AP Photo/Andy Wong)
Von 20. Mai 2008

„Die gegenwärtige Situation in China ist noch nicht für den Einsatz internationaler Hilfskräfte geeignet“, so lautete die offizielle Begründung Pekings zur Ablehnung ausländischer Rettungsmannschaften. Derweil kämpften sich die chinesischen Soldaten, meist völlig unerfahren und ohne geeignete Ausrüstung, mit bloßen Händen durch die Katastrophenregion.

Auch wenn Blogs in China einer strengen Zensur unterliegen und kritische Stimmen schnell gelöscht werden, finden sich vermehrt Einträge wie diese:

„Warum blockiert die Regierung die Helfer aus anderen Ländern?“ „Warum müssen wir zusehen, dass viele Menschen wegen verspäteter Rettung unter den Trümmern sterben?“ „Lasst doch die ausländischen Helfer rein!“

Auch wenn diese Stimmen schnell gelöscht werden, zeigen sie, was den Menschen langsam klar wird. Es handelt sich inzwischen nicht mehr nur um eine Naturkatastrophe, sondern um ein menschliches Versagen. Die Trauer der Überlebenden könnte umschlagen in eine Welle der Empörung über die Machthaber.

Nachdem der Druck aus der Bevölkerung anstieg, öffnete die Pekinger Führung vier Tage nach dem Erdbeben den Zugang für Einsatzteams aus Japan, Taiwan, Singapur, Korea und Russland. Hilfskräfte aus den USA, Kanada und den westeuropäischen Ländern müssen dagegen immer noch draußen bleiben.

Gesichtsverlust gleich Machtverlust

Das Ansehen des Regimes, welches die Partei gerne als Gesicht des Landes bezeichnet, scheint der KPCh wichtiger zu sein als das Leben der Bevölkerung. Würden Hilfstruppen aus westlichen Ländern in dem Katastrophengebiet eingesetzt, könnten sie ihre Erfahrungen bei den Rettungsarbeiten einbringen und ihr organisatorisches Wissen weitergeben. Es würde jedoch auch offenbar werden, wie primitiv und uneffektiv die bisherigen Rettungsmethoden abgelaufen sind. Die Kritik wegen schlechter Koordination der Rettungsarbeiten durch die Zentralregierung wäre unvermeidlich und würde zu einem negativen Image des Pekinger Regimes führen.

Darüber hinaus hat die Partei Angst davor, dass die chinesische Bevölkerung sehen könnte, dass die ausländischen Rettungskräfte besser ausgebildet sind und effektiver und verantwortungsbewusster arbeiten als die chinesischen Soldaten. Dadurch würde die Partei ihr Ansehen unter dem Volk und den Soldaten selbst verlieren. Das ohnehin bereits minimale Vertrauen des Volks in die Regierung würde noch weiter absinken. Dies könnte auch die Frage nach der Legitimität des kommunistischen Regimes aufwerfen.

„Wir haben eine interne Mitteilung bekommen, dass wir über die Leistung von ausländischen Helfern zurückhaltend berichten sollen“, schreibt ein anonymer chinesischer Journalist im Internet.

Die Interessen des Militärs

Chinesische Analysten, wie der Historiker Xu Deceng, sehen – wie auch schon zur Zeit des Schneeeinbruchs – die Gefahr eines Militärputsches, sollte der Armee zu viel abverlangt werden. In China hat das Militär eine weitaus mächtigere Stellung als in westlichen Ländern, muss sich aber auch größtenteils selbst finanzieren. Die Volksbefreiungsarmee ist ein Wirtschaftsunternehmen, das auf Profit achten muss. Ein großer Einsatz ist unweigerlich mit hohen Kosten verbunden, die auch die Geldbeutel der Generäle und militärischen Führungskräfte schmälern. Dies könnte erklären, warum hauptsächlich unerfahrene Soldaten im Katastrophengebiet eingesetzt werden. Sie sind billiger. Und dies auch nur so weit es zur Imageerhaltung notwendig ist. Die gut ausgebildeten Truppen sollen nicht verschlissen werden. Das ist eine bewährte Taktik, die die Kommunisten auf ähnliche Weise schon im Zweiten chinesisch-japanischen Krieg (1937-45) angewendet haben.

Wenn man die Mentalität der kommunistischen Militärs der vergangenen Jahrzehnte bis heute betrachtet, so kann man nicht annehmen, dass sie ein ernstes Interesse daran haben, das Leben der Menschen im gemeinen Volk zu erhalten. Es sei denn, es dient ihren eigenen Machtinteressen. Die menschenverachtende Brutalität, mit der sie die Panzer im Juni 1989 über die Studenten auf dem Platz des Himmlischen Friedens hinweg rollen ließen, belegt diese traurige Tatsache. Man darf nicht vergessen, dass es in Peking seitdem keinen politischen Wechsel gab und für dieses Massaker aus Chinas Militärkreisen bis heute kein Bedauern kam. Im Nachbarland Burma, wo auch kommunistische Militärs regieren, ist die Lage heute ähnlich. Auch dort verweigert man den Menschen die Hilfe und lässt sie rücksichtslos umkommen.

Maos Erben beherrschen die Propaganda

Die Propagandaexperten der KPCh haben inzwischen gelernt, sich nach außen besser darzustellen. So berichten ausländische Journalisten von vorbildlich organisierten und bestens koordinierten Evakuierungen. „Als das Tal plötzlich evakuiert werden musste, lief alles sehr geordnet ab und als wir oben auf dem Berg ankamen, wurden wir von Sanitätszelten aufgenommen“, berichtete eine Journalistin im deutschen Fernsehen. Es ist schwer zu sagen, wie es andernorts läuft, doch die Berichte in den chinesischen Blogs klingen anders. Sicherlich kann man davon ausgehen, dass dort, wo sich ausländische Journalisten aufhalten, ganz besondere Bedingungen herrschen. Auch in der modernen Physik hat man es schon herausgefunden: Durch den Beobachter verändert sich der beobachtete Gegenstand. Wenn es um Propaganda geht, legt man sich in Peking wie immer schwer ins Zeug.



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