Schweiz: Kommt der Ausstieg aus dem Atomausstieg?

Die Schweiz wird auch langfristig Kernkraftwerke haben. Dieser Ansicht ist zumindest Suzanne Thoma, ehemalige Chefin des Stromkonzerns BKW. In einer TV-Sendung des SRF verrät sie, worauf man bei der Energiewende unbedingt achten sollte.
Schweiz
In der Schweiz sind noch drei von einstmals vier KKW in Betrieb.Foto: Lucia Gajdosikova/iStock
Von 28. August 2024

An dieser Stelle wird ein Podcast von Podcaster angezeigt. Bitte akzeptieren Sie mit einem Klick auf den folgenden Button die Marketing-Cookies, um den Podcast anzuhören.

Die Schweizer haben im Jahr 2017 per Volksentscheid den Ausstieg aus der Kernenergie beschlossen. Das Energiegesetz sieht vor, dass in der Schweiz keine neuen Kernkraftwerke mehr gebaut werden dürfen.

Das hält Suzanne Thoma, ehemalige Chefin des Schweizer Stromkonzerns BKW, jedoch für unrealistisch. Ihrer Aussage nach wird das Alpenland noch in rund 20 Jahren ein neues Kernkraftwerk (KKW) haben.

Diese Ansicht teilte sie im Gespräch mit dem Schweizer Fernsehsender SRF in der Sendung „Eco Talk“ mit. „Ich halte es für ziemlich wahrscheinlich, dass wir dann wieder ein neues Kernkraftwerk haben werden. Dann hoffentlich eines der Modernsten, die es gibt“, sagte die heutige Chefin des Industrieunternehmens Sulzer.

Das Schweizer Energiegesetz erlaubt einen sanfteren Ausstieg aus der Kernkraft als in Deutschland. Die deutsche Bundesregierung hat hingegen einen Termin festgelegt, an dem sie noch gut funktionierende Meiler herunterfahren und vom Stromnetz trennen ließ.

In der Schweiz hingegen sollte lediglich kein neues Kernkraftwerk mehr gebaut werden. Die letzten drei der einst vier Kernkraftwerke dürfen allerdings noch weiter Strom produzieren, solange diese noch sicher sind. Anlass für das Gesetz war die Reaktorkatastrophe im japanischen Fukushima im Jahr 2011.

Was bedeutet Versorgungssicherheit?

Wie viele andere Staaten treibt auch die Schweiz ihre Energiewende voran, um bis 2050 Klimaneutralität zu erreichen. Den damit verbundenen Ausbau von erneuerbaren Energiequellen wie Wasser, Sonne oder Wind befürwortet die Bevölkerung. Erst am 9. Juni 2024 haben die Schweizer hierzu eine Vorlage des Bundesrates zu 68,7 Prozent angenommen. Schweizweit gibt es rund 120 bekannte erneuerbare Energieprojekte.

Zu den erneuerbaren Energiequellen gehört auch die Wasserkraft. Diese ist ohnehin die Hauptstromquelle mit 52,8 Prozent im Jahr 2022. Zusammen mit Photovoltaik, Biomasse und Wind hatten die Erneuerbaren somit bereits vor zwei Jahren einen Anteil von knapp 80 Prozent an der Schweizer Stromproduktion. Fossile Energiequellen sind schon fast nicht mehr im Strommix enthalten.

Den derzeitigen Ausbau der erneuerbaren Energiequellen, speziell die Photovoltaik, bezeichnete Thoma als „sinnvoll“. Gleichzeitig merkte sie an, dass hierbei allerdings nicht nur die Preise der einzelnen Solarmodule ins Gewicht fallen. Diese sind in den vergangenen Jahren erheblich günstiger geworden.

Wichtig sei es laut der Unternehmenschefin jedoch auch, die „teuren“ Systemkosten zu berücksichtigen. Diese beinhalten den Ausbau der Stromnetze sowie die Errichtung von ausreichend Reservekraftwerken, wenn die Sonne mal nicht scheint. Weiter betonte sie:

Versorgungssicherheit ist eine Frage der Winterversorgung, nicht der Sommerversorgung. […] Da kann die Photovoltaik einen Beitrag leisten, ohne Zweifel. Aber unsere Versorgung darauf abzustellen – ein Industrieland, ein Dienstleistungsland, das viel Energie braucht – das ist für mich völlig ausgeschlossen.“

Die Energiewende und die damit angestrebte Nachhaltigkeit werden Bestand haben, müssen aber einem Realitätscheck unterzogen werden, so Thoma.

KKW „leider“ abgeschaltet

Thoma ist überzeugt, dass die Kernkraft für eine sichere und stabile Energieversorgung eines Landes wichtig ist. Diese Form der Energieerzeugung werde gebraucht.

Im Jahr 2019, als Thoma noch bei BKW tätig war, beteiligte sie sich allerdings an der Abschaltung am KKW Mühleberg, eines der fünf Kernkraftwerke der Schweiz. Wie passt das zusammen? Sie erklärte, dass die Abschaltung vor fünf Jahren eine rein unternehmerische Entscheidung war, keine politische.

„Wenn wir damals ins Bundeshaus gegangen wären und für das Kernkraftwerk [für die nötige Sanierung] 200 oder 300 Millionen Franken [211 oder 317 Millionen Euro] hätten haben wollen, wären wir entweder ausgelacht oder hinausgeworfen worden. Das wäre absolut undenkbar gewesen“, so Thoma. Der Betrieb des Meilers musste daher eingestellt werden, was sie mit einem „leider“ bedauerte.

Mit Blick auf das Energiegesetz kritisierte sie zudem, dass aktuell keine neuen Kernkraftwerke entstehen dürfen. Stattdessen müssten die bestehenden Meiler lange laufen. Deren Sanierung koste viel Geld und es sei eine Frage der Sicherheit.

Befürworter und Gegner

Die Ansicht von Thoma zur Kernenergie dürfte viele Befürworter dieser Technologie erfreuen, wie beispielsweise die Volksinitiative „Jederzeit Strom für alle – Blackout stoppen“. Sie setzen sich schon seit Jahren für ein Weiterbestehen der Kernkraft im Alpenland ein.

Doch es gibt auch KKW-Gegner. Einer von ihnen ist Marcel Tobler von der Schweizerischen Energie-Stiftung. Er spricht sich dafür aus, am derzeit gesetzlich festgelegten Atomausstieg nichts zu ändern.

Toblers argumentiert, dass die Schweizer sich in Volksabstimmungen schon mehrfach gegen den Bau neuer Meiler ausgesprochen haben. Hinzu komme, dass es noch keine neue fünfte Generation der KKW gebe, die auch einsatzbereit ist. Der Dual-Fluid-Reaktor, der zur nächsten Generation zählt, befindet sich noch vor der Testphase, die ab 2026 beginnen soll.

Zudem weist er auf die Kostenfrage hin. Planung und Bau eines neuen KKW seien enorm hoch. Hier hätten Erneuerbare gleich mehrere Vorteile: Sie könnten schneller, günstiger und effizienter zum Einsatz kommen.

Die Photovoltaik habe laut Tobler in wenigen Jahren das Potenzial, die Winterstromproduktion der KKW zu erreichen – zumindest rein rechnerisch wäre das irgendwann möglich. Doch in jedem Dezember dauern die Schweizer Nächte bis zu 16 Stunden. In dieser Zeit ist von den Solaranlagen nichts zu erwarten.

 



Epoch TV
Epoch Vital
Kommentare
Liebe Leser,

vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.

Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.

Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.


Ihre Epoch Times - Redaktion