Bericht: Grüne haben Ratschläge von Experten zum KKW-Aus umgedreht
Freigeklagte Dokumente des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) zeigen die Entscheidungsprozesse im Vorfeld des Ausstiegs aus der Kernkraft in Deutschland im April 2023.
Der ehemalige Staatssekretär Patrick Graichen und andere Atomkraftgegner in relevanten Regierungspositionen hätten laut einem Bericht des „Cicero“ bewusst die Empfehlungen von Fachleuten verdreht.
Diese Aktenfreigabe hatte zuvor das politische Magazin mit einer gerichtlichen Klage gegen das Wirtschaftsministerium von Robert Habeck (Grüne) beantragt, um mehr über die Hintergründe zum Atomkraftausstieg herauszufinden.
Die Kernfrage dabei: Warum hielt Habecks Ministerium am Zeitplan für den Atomausstieg fest, obwohl der Kriegsbeginn in der Ukraine die Energieversorgungssicherheit Deutschlands seit dem 24. Februar 2022 vor neue Herausforderungen gestellt hat?
Grüne Atomgegner
Das Verwaltungsgericht Berlin urteilte bereits am 14. Februar, dass das BMWK die betreffenden Unterlagen herausgeben muss. Das Ministerium dürfe lediglich „Namen, Titel, akademische Grade, Berufs- und Funktionsbezeichnungen, Anschriften und Telekommunikationsnummern“ unkenntlich machen. Der Rest solle nicht verborgen werden.
Die Dokumente umfassten laut dem Magazin zwei gut gefüllte Aktenordner und beinhalten interne E-Mails, Vermerke, Gesprächsprotokolle und Briefe. Dabei sei zutage gekommen, dass das Ministerium die Ratschläge verschiedener Fachleute, die mit Steuergeldern bezahlt sind, kaum berücksichtigt habe. Und wenn doch, seien sie teilweise verdreht worden.
Der überwiegend aus Grünen-Politikern bestehende Führungskreis des Wirtschafts- und Umweltministeriums habe praktisch den gesamten Entscheidungsprozess unter sich ausgemacht.
Die Grünen sind bekannt für ihre langjährige ablehnende Einstellung zur Kernenergie. Der frühere Bundesumweltminister Jürgen Trittin (Grüne) hatte den ursprünglichen Ausstieg mit eingeleitet.
Aus der Option für mehrere Jahre …
Neben dem Wirtschaftsministerium habe auch das Umweltministerium Fachleute ignoriert. Dabei sei hier der Jurist Gerrit Niehaus zu erwähnen. Der Leiter der Abteilung S „Nukleare Sicherheit, Strahlenschutz“ soll einen Vermerk von Experten so abgeändert haben, „dass er zum politisch vorgegebenen Ziel passte“, so der „Cicero“.
Der ursprüngliche Vermerk mit dem Titel „Laufzeitverlängerung deutscher Kernkraftwerke – Mit der nuklearen Sicherheit verträgliche Szenarien“ hätten zwei Referenten und ein Referatsleiter am 1. März 2022 fertiggestellt. Darin beschrieben sie drei verschiedene Szenarien:
- Die endgültige Abschaltung der Kernkraftwerke (KKW) wie geplant zum 31.12.2022.
- Der kurzzeitige Weiterbetrieb über einige Monate hinweg, um die Versorgungssicherheit des Landes im Winter 2022/23 zu gewährleisten.
- Im dritten Szenario (C) erwägen sie einen langzeitigen Weiterbetrieb der KKW „über mehrere Jahre“ hinweg.
Der noch Jahre andauernde Weiterbetrieb der letzten drei damals noch aktiven KKW in Szenario C sei nach Ansicht der Fachleute „mit der Aufrechterhaltung der nuklearen Sicherheit vereinbar“. Die Verfasser hatten sich dabei im Vorfeld bei der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS) nach den Gegebenheiten erkundigt.
… wurde eine alternativlose Empfehlung zur Abschaltung
Niehaus war offenbar nicht einverstanden mit diesem Vermerk der Fachleute. Deswegen habe er ihn kurzerhand „komplett“ umgeschrieben. Die eigentliche Bedeutung habe sich somit ins Gegenteil verkehrt.
Der überarbeitete Vermerk trug nun das Datum 3. März 2022 und anstatt der Namen der Fachleute stand hier nur „Abteilung S“. Der Titel war abgeändert in „Laufzeitverlängerung deutscher Kernkraftwerke – Bewertung der Sicherheit“.
Jetzt war die Rede davon, dass eine Laufzeitverlängerung der letzten KKW „sicherheitstechnisch nicht vertretbar“ sei. Das schloss auch einen möglichen Weiterbetrieb über einige Monate mit ein.
Die ersten beiden Szenarien blieben noch erhalten, Szenario C verschwand allerdings gänzlich. Auch am Ende des Vermerks stellt der Verfasser unmissverständlich fest: „Eine Laufzeitverlängerung ist aus Gründen der nuklearen Sicherheit abzulehnen.“
„Cicero“ geht davon aus, dass Vizekanzler Habeck die Version vom 1. März „wahrscheinlich nie auf den Tisch“ bekommen habe. Der Staatssekretär von Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne), Stefan Tidow, schickte wohl noch am 3. März nur den von Niehaus überarbeiteten Vermerk ins Wirtschaftsministerium. Dort erhielt ihn der damalige Staatssekretär Graichen.
Dieser wiederum habe dann einen eigenen Vermerk zur „Prüfung des Weiterbetriebs von Atomkraftwerken aufgrund des Ukraine-Kriegs“ verfasst. Somit stand fest, dass nach „einer Abwägung von Nutzen und Risiken“ eine Verlängerung der Laufzeit nicht zu empfehlen sei.
RWE: Politik sollte entscheiden
Brisant ist zudem ein Treffen von Habeck und Graichen mit dem Chef des Energiekonzerns RWE, Markus Krebber, am 24. Februar 2022. Sie sprachen laut „Cicero“ über Erdgas und Kernenergie. RWE besitzt zwei der sechs letzten deutschen KKW.
Unter den vom BMWK herausgegebenen Dokumenten sei dazu nur eine E-Mail gewesen, die Krebber zwei Tage später an Habeck und Graichen übermittelte. Darin habe Krebber geschrieben: „Wie erbeten füge ich ein Papier bei, das die komplexen Aspekte beschreibt, die bei etwaigen Überlegungen zum Weiterbetrieb von Kernkraftwerken zu berücksichtigen wären.“
Er habe gleichzeitig die Verantwortung über die Entscheidung an die Politik abgegeben, da nach der Beurteilung das Thema „nur politisch entschieden werden“ könne. Das beigefügte Papier sei neutral, ohne Richtungsweisung, ob pro oder kontra Laufzeitverlängerung.
Graichen habe dies am 28. Februar offenbar zufrieden an Tidow, den Staatssekretär im Umweltministerium, weitergeleitet. Trotz der Neutralität des RWE-Chefs fügte Graichen den Kommentar hinzu:
Es steht zwar kein Fazit drunter, aber im Grunde ist klar: Sie wollen das nicht. So was bräuchte es letzten Endes auch von der Atomaufsicht.“
Graichen hat damit das neutrale Papier als ein Kontra-Laufzeitverlängerung-Papier dargestellt. Er und Tidow waren in der Debatte um die Laufzeitverlängerung entscheidende Schlüsselfiguren. Sie hätten zu dieser Zeit in ständigem Austausch miteinander gestanden.
Diese grünen Kernkraftgegner hätten sich stets darum bemüht, dass fachliche Argumente für eine Laufzeitverlängerung gar nicht erst die Öffentlichkeit erreichen – auch nicht den Vizekanzler, so der „Cicero“.
Fehlinformation durch die Medien getragen
Mit diesem Kenntnisstand sei Habeck am 27. Februar an die Öffentlichkeit getreten. In einem ARD-Interview habe er von einer Laufzeitverlängerung der KKW für den damals kommenden Winter abgeraten. Das würde nicht helfen, da die „Atomkraftwerke nur unter höchsten Sicherheitsbedenken und möglicherweise mit noch nicht gesicherten Brennstoffzulieferungen weiterbetrieben werden könnten“.
Es scheint, dass aufgrund der Bewertung von Graichen Habeck eine Fehleinschätzung verbreitete – ob absichtlich oder weil er es nicht besser wusste, kann nur spekuliert werden. Ebenso teilte Habeck im Interview mit: Die Frage sei „eine relevante, ich würde sie nicht ideologisch abwehren“. Das überraschte damals wohl manche, die sich noch erhofften, dass Habeck keinen so harten Anti-Atom-Kurs fährt, wie die Partei ihn bisher gefahren war.
Wie „Cicero“ schreibt, hätten die Grünen über einen langen Zeitraum ein „dichtes, filzartiges Netzwerk“ in der deutschen Energiepolitik gebildet.
Fakt ist laut dem Bericht: Die Fachleute im Wirtschaftsministerium haben die Vorteile einer Laufzeitverlängerung klar dargelegt. Diese sei eine helfende Maßnahme gewesen, um im folgenden Winter Gas einzusparen. Zudem sollte sie mit zusätzlichen rund vier Gigawatt Leistung kritische Situationen im Stromnetz vermeiden.
Ministerium: Bericht ist „nicht zutreffend“
Die Pressestelle des Ministeriums teilte „Cicero“ mit, dass Habeck von dem vierseitigen Vermerk der Fachabteilung mit den Argumenten für eine Laufzeitverlängerung nichts wusste. Es „lag in der Leitungsebene nur Staatssekretär Patrick Graichen vor“.
Am Donnerstag, 25. April, hat das Ministerium von Habeck offenbar die Brisanz des „Cicero“-Berichtes erkannt – und diesen entschieden zurückgewiesen. Das BMWK verneint, dass „einflussreiche Netzwerke der Grünen die Entscheidung über eine Laufzeitverlängerung deutscher Kernkraftwerke ganz offenbar manipuliert“ hätten, um den „Ausstieg vom Ausstieg zu verhindern“.
Die Darstellung des Magazins sei „verkürzt und ohne Kontext“, entsprechend seien die daraus gezogenen Schlüsse „nicht zutreffend“, teilte das Ministerium mit.
CDU und FDP kritisieren Habeck
Die CDU erhob angesichts der Berichterstattung schwere Vorwürfe gegen die Grünen. So äußerte sich Thorsten Frei, Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, auf der Plattform X/Twitter. Er fordert eine sofortige Aufklärung zu den Umständen des deutschen Atom-Aus im Jahr 2023.
„Der alte Verdacht erhärtet sich: Beim Kernkraft-Aus wurden Parlament und Bevölkerung belogen. Habeck sollte unverzüglich sämtliche Akten zum Aus der AKW auf den Tisch legen. Ansonsten droht ein Nachspiel“, schrieb Frei.
Nun seien schnelle Sondersitzungen von Bundestagsausschüssen möglich und nötig, verkündete die Oppositionspartei laut der „Welt“. Falls Habeck kein Interesse an einer Aufklärung zeigt, sei auch ein Untersuchungsausschuss bereits im Gespräch.
Auch der Koalitionspartner FDP übt nach einem Medienbericht scharfe Kritik an Habeck und fordert Transparenz. „Die berichteten Vorgänge im BMWK über den Atomausstieg stehen klar im Widerspruch zu einem wissenschaftsbasierten Politikstil“, sagte der technologiepolitische Sprecher der FDP-Fraktion im Bundestag, Stephan Seiter.
„Die Hausleitung des BMWK hat offensichtlich die Kompetenz ihrer Fachleute ignoriert“, so Seiter. Er fügte hinzu: „Der wirtschaftliche Schaden wird nur noch vom Schaden am Vertrauen in die Politik übertroffen. Ich erwarte von Robert Habeck eine zügige und transparente Aufklärung der Vorgänge.“
Der energiepolitische Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion, Steffen Kotré, sprach von einem „Staatsskandal“ und fordert Wirtschaftsminister Habeck und Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) zum Rücktritt auf. Aus ideologischen Gründen sei mitten in der Energiekrise ein „parteipolitisches Projekt durchgezogen“ worden, „zum Schaden Deutschlands“, erklärte der AfD-Politiker.
BSW-Chefin Sahra Wagenknecht brachte einen Untersuchungsausschuss ins Spiel. „So lange die Vorwürfe, dass der Sicherheit der Energieversorgung aktiv geschadet wurde, nicht ausgeräumt sind, darf auch ein Untersuchungsausschuss kein Tabu sein“, sagte Wagenknecht.
(Mit Material der Nachrichtenagenturen)
Anm. d. Red.: Dieser Artikel wurde am 26. April 2024 aktualisiert mit einer Klarstellung welches Dokument „in der Leitungsebene nur Staatssekretär Patrick Graichen“ vorlag.
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