„Make Europe Great Again“: Orbáns Vision während der EU-Ratspräsidentschaft

Ungarns EU-Ratspräsidentschaft 2024 endete erfolgreich, trotz geopolitischer Krisen. Orbán setzte auf Friedensgespräche und wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit. Er betonte Europas Notwendigkeit, den Krieg zu beenden. Erfolge waren unter anderem die Schengen-Erweiterung und Fortschritte im Westbalkan.
Titelbild
Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán (l.) küsst die Hand der Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen nach einer Pressekonferenz während der Tagung des Europäischen Rates am 19. Dezember 2024 in Brüssel.Foto: John Thys/AFP über Getty Images
Von 23. Dezember 2024

Ungarns rotierende EU-Ratspräsidentschaft kommt Ende Dezember zum Abschluss. Obwohl es zu Beginn des Jahres noch so aussah, als ob dem Land das Stimmrecht in der EU entzogen werden könnte, bezeichnete Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen das Semester nun als „Erfolg“.

Gemeinsam mit von der Leyen und dem Präsidenten des Europäischen Rates, António Costa, hielt Ungarns Premier Viktor Orbán am Donnerstagabend in Brüssel eine Pressekonferenz ab. Auf der Abschlussveranstaltung des EU-Gipfels wurde eine Bilanz der letzten sechs Monate ungarischer Ratspräsidentschaft gezogen.

Kritisches Timing

Der Zeitpunkt, an dem Ungarn den EU-Ratsvorsitz übernommen hatte, war besonders, da er mit der institutionellen Erneuerung des Europäischen Parlaments, der Europäischen Kommission und des Europäischen Rates zusammenfiel.

Doch die größten Herausforderungen dieses Semesters waren der anhaltende Krieg in der Ukraine, die Wirtschaftskrise in Europa, die Spannungen und Auswirkungen der US-Wahlen auf die gesamte geopolitische Landschaft und die Konflikte im Nahen Osten.

Bevor Ungarn die Präsidentschaft übernommen hatte, bewertete Orbán die Situation. Damals sagte er: „Europa rast dem Krieg entgegen wie ein Zug mit einem verrückten Lokführer“ und das müsse verhindert werden, betonte Orbán im Juni.

Am Freitagmorgen äußerte sich Orbán zu den erzielten Ergebnissen während der letzten sechs Monate der Ratspräsidentschaft. In einem Interview mit dem ungarischen Radiosender „Kossuth“ beantwortete er die Frage, ob Europa unter dem ungarischen Ratsvorsitz stärker oder schwächer geworden sei, wie folgt:

Beginnen wir mit einer vielleicht weniger ambitionierten Feststellung: Europa ist immer noch da.“

Viel diskutierte Friedensmission

Orbán hat die ungarische EU-Ratspräsidentschaft dem Frieden gewidmet. Zum Auftakt der Ratspräsidentschaft besuchte der ungarische Premier innerhalb von zehn Tagen Kiew, Moskau und Peking. Zudem nahm Orbán am NATO-Gipfel in Washington, D.C. teil. In den USA traf er den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan sowie US-Präsident Donald Trump in Florida. Im Dezember besuchte Orbán erneut alle Gesprächspartner – außer den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Selenskyj forderte indes ein Ende von Orbáns Bemühungen und seiner Friedensmission.

Die Reisen – und besonders das Treffen mit Wladimir Putin – kamen in Brüssel und den europäischen Hauptstädten nicht gut an. Führende EU-Politiker betonten immer wieder, dass Orbán kein Mandat habe, im Namen der EU mit Russland zu verhandeln.

Obwohl Orbán die Verhandlungen nicht im Namen der EU führte, verknüpfte er die Friedensmission selbst eindeutig mit Ungarns EU-Ratspräsidentschaft. Laut Orbán „ist auf dem Schlachtfeld kein Sieg möglich“. Vielmehr erfordere es offene Kommunikationskanäle und Verhandlungen. Mit den Reisen beabsichtigte er zu verdeutlichen, dass man mit allen im Gespräch bleiben kann und soll. Jetzt, wo sich die Ratspräsidentschaft Ungarns dem Ende zuneigt, wertete Orbán in Brüssel seine Mission aus.

Der Frieden sei noch nicht da, erklärte er auf der Pressekonferenz am 19. Dezember in Brüssel. Gleichzeitig seien europäische Staats- und Regierungschefs – unter dem Druck ihrer eigenen Wählerschaft – offenbar zu der Meinung gelangt, dass der Krieg beendet werden müsse. Einige EU-Politiker sprechen von der Notwendigkeit, ein dauerhaftes, planbares Sicherheitssystem zu schaffen.

„Die Menschen haben den Krieg satt, die Inflation satt und die Sanktionen satt“, betonte der Premier. Das Europäische Parlament und die Europäische Kommission hätten, so Orbán, jedoch eine andere Sicht auf die Dinge als die EU-Bürger.

Die größten Parteien im Europäischen Parlament schlossen vergangene Woche einen Pakt, in dem betont wurde, dass es keine Änderungen gebe. „Sie werden weiterhin alles so machen wie bisher: Sie unterstützen Migration, Gender, Krieg“, kritisierte Orbán. „Das zeigt, dass die größten Probleme heute in Brüssel liegen.“

Während seiner Gespräche in den USA habe er erfahren, dass Europa und die Vereinigten Staaten gemeinsam bisher 310 Milliarden Euro für den Krieg in der Ukraine ausgegeben haben. Das sei eine riesige Summe, „mit der man Wunder hätte bewirken können“, so sein Fazit.

„Make Europe Great Again“

Ungarns Motto für die EU-Ratspräsidentschaft lautete in Anlehnung an den Wahlkampfslogan von Trump „Make Europe Great Again“. Die Kommissionspräsidentin von der Leyen erklärte in Brüssel, dass die Bemühungen, dieses Ziel zu erreichen, Früchte getragen hätten.

Auf dem Herbstgipfel der EU in Budapest wurde die sogenannte Budapester Erklärung verabschiedet. Von der Leyen sagte, in der Erklärung hat sich die gesamte Union ein Ziel gesetzt: ein wettbewerbsfähiges Europa. „Die Erklärung umreißt die Aufgaben, die wir in Angriff nehmen müssen, um sicherzustellen, dass Europa ein erstklassiger Standort für Unternehmen bleibt“, fügte sie hinzu.

Unterdessen erklärte Orbán, dass auch Länder, deren führende Politiker Ungarn „nicht wohlgesonnen sind“, die Leistungen des Landes während der Präsidentschaft anerkannt hätten. Ähnlich wie Ursula von der Leyen, die Orbán zufolge nicht gerade als „proungarisch“ bezeichnet werden könne.

Zu den Erfolgen zählt Orbán den Schengen-Beitritt Rumäniens und Bulgariens ab Januar. Die Angelegenheit lag bereits über zehn Jahre auf dem Tisch und war eine Priorität der rotierenden Ratspräsidentschaft.

Auch die Länder des Westbalkans haben Fortschritte auf dem Weg zum EU-Beitritt gemacht. In den letzten Wochen wurden mehrere Vereinbarungen mit Serbien, Montenegro und Albanien getroffen. Orbán sagte dazu, dass „eingefrorene Beziehungen aufgebrochen und wieder in Gang gebracht wurden“.

In der Migrationsfrage haben sich die Entwicklungen vor allem in der Berücksichtigung der sogenannten externen Hotspots fortentwickelt. Das heißt, die Möglichkeit der Prüfung von Asylanträgen in Gebieten außerhalb der EU wird diskutiert. Asylanträge sollen vor der Gewährung einer Einreise geprüft werden.

Zudem waren Stabilität und langfristige Unterstützung der Landwirte Ziele in Ungarns Ratspräsidentschaft. Der ungarische Ratsvorsitz hat diesbezüglich an einem umfassenden strategischen Vorschlag gearbeitet, der sich speziell auf die Interessen der Landwirte konzentriert. Die Pläne – welche bis Ende Dezember fertig sein sollen – beinhalten unter anderem eine Vereinfachung der Regelungen, weniger Bürokratie und eine Vereinfachung der Beantragung von Beihilfen. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der langfristigen Vorhersehbarkeit des Fördersystems.

Jetzt kommt Polen

Polen übernimmt ab Januar die rotierende EU-Ratspräsidentschaft. Ein neues Trio, darunter Dänemark und Zypern, bildet danach die nächste Vorsitzgruppe.

Im Mittelpunkt der polnischen Agenda steht die Sicherheit. Zu den von Ministerpräsident Donald Tusk und Präsident Andrzej Duda öffentlich genannten Prioritäten gehören der„Östliche Schutzschild“ und die Sicherung der Finanzierung der europäischen Verteidigungsindustrie. Auch die Stärkung der EU-Unterstützung für die Ukraine, die Beschleunigung der EU-Erweiterung, die Verhängung strengerer Sanktionen gegen Russland und die Vertiefung der transatlantischen Beziehungen stehen auf der Tagesordnung.

Eine Herausforderung stellt zudem der Aufbau einer guten Zusammenarbeit mit US-Präsident Donald Trump dar. Bezüglich dessen könnte die Arbeit von Viktor Orbán in den vergangenen sechs Monaten durchaus eine Rolle spielen. Vor allem Orbáns Friedensmission ist bei Trump auf große Unterstützung gestoßen.



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