Ungarns EU-Ratsvorsitz: Die Sicherheit der Lebensmittelversorgung nicht aufs Spiel setzen
Die Weiterentwicklung der EU-Agrarpolitik ist eine der wichtigsten Prioritäten der ungarischen EU-Ratspräsidentschaft, welche bis Ende Dezember andauert. Der ungarische Landwirtschaftsminister István Nagy gab im Oktober auf dem Europäischen Bauernkongress in Bukarest, Rumänien, einen Überblick über die „Ziele und Erfolge“ des ungarischen Ratsvorsitzes.
„Die Interessen der Landwirte müssen wieder in den Mittelpunkt der EU-Agrarpolitik gestellt werden. Das scheinen die Brüsseler Entscheidungsträger in den letzten Jahren aus den Augen verloren zu haben“, sagte Nagy auf der Konferenz.
Deshalb habe sich die ungarische EU-Ratspräsidentschaft zum Ziel gesetzt, einen umfassenden strategischen Vorschlag auszuarbeiten, der sich speziell auf die Interessen der Landwirte konzentriert.
Im September 2023 hat die Europäische Kommission einen „strategischen Dialog über die Zukunft der Landwirtschaft“ einer Expertenkommission in Auftrag gegeben, um zu ermitteln, wie die EU-Agrarförderung reformiert werden könnte und sollte. Unter der ungarischen EU-Ratspräsidentschaft wird jedoch nun ein weiteres Dokument erstellt, da mehrere Mitgliedstaaten die Empfehlungen der Experten für inakzeptabel halten. Der ungarische Ratsvorsitz hofft, so eine Alternative zum Vorschlag der Kommission anbieten zu können.
Das Kernproblem liege laut der EU-Expertenkommission darin, dass die landwirtschaftliche Politik es nicht schafft, die wirtschaftliche Tragfähigkeit der Produktion mit den Anforderungen an den Umwelt- und Klimaschutz in Einklang zu bringen. Die Landwirte können ihre Tätigkeiten nicht angemessen finanzieren, während sie gleichzeitig den umweltrechtlichen Vorgaben gerecht werden sollen. Infolgedessen steht die Landwirtschaft sowohl aus wirtschaftlicher als auch aus ökologischer Sicht unter Druck.
Herausforderungen des Agrarsektors
Nach den Europawahlen, so Ungarns Landwirtschaftsminister, habe der grüne „Wahnsinn“ neuen Auftrieb erhalten. Dies könne zu einem Verlust der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Landwirtschaft führen. Es sei dringend notwendig, dagegen zu handeln.
Der Agrarsektor in Europa sieht sich derzeit mit einer Reihe von Herausforderungen konfrontiert: geopolitische Instabilität, extreme Wetterereignisse, unfairer Wettbewerb, hohe Inputkosten, unfaire Entlohnung und zunehmende Bürokratie – wie es eine spanische Organisation für genossenschaftliche Landwirtschaft beschrieb, die am Europäischen Bauernkongress teilnahm.
Nagy betonte, dass viele offene Fragen beantwortet werden müssen. Besonders ob ukrainisches Getreide mit oder ohne Zölle eingeführt wird, ob es in begrenzten oder unbegrenzten Mengen eingeführt wird und was mit flächengebundenen, tierschutz- oder produktionsabhängigen Subventionen geschehen soll.
Einkommenssicherheit der Landwirte gewährleisten
Auf dem Europäischen Bauernkongress stellte der Minister im Namen der ungarischen EU-Ratspräsidentschaft die geplanten Maßnahmen vor mehr als 450 europäischen Landwirten, Politikern und Gewerkschaftsvertretern aus mehreren Ländern vor.
🇭🇺🚜🇪🇺The interests of farmers must be brought back to the center of EU agricultural policy! It seems that in the recent years this has been ignored by decision-makers in Brussels.
At the European Farmers’ Congress 2024 in Bucharest, I shared the goals and achievements of the… pic.twitter.com/Yd18gfOeF8— Dr Nagy István (@DrNagyIstvn1) October 24, 2024
Das Ziel des ungarischen Ratsvorsitzes ist die Förderung einer wettbewerbsfähigen, krisenfesten, nachhaltigen, bauernfreundlichen und wissensbasierten europäischen Landwirtschaft, so Nagy. Zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit sei es unerlässlich, die Einkommenssicherheit der Landwirte zu gewährleisten. Auf der Grundlage der Pläne, die Ungarn ausgearbeitet hat, muss die Flächenprämie dabei eine Schlüsselrolle spielen.
Die Empfehlungen des GAP-Strategiedialogs für die EU-Kommission stellen jedoch genau diese vorhersehbare Unterstützung infrage. Denn danach sollen in erster Linie nur bedürftige Landwirte und Betriebe unterstützt werden.
Diejenigen, die nicht aus der Landwirtschaft kämen, verstehen oft nicht, warum es wichtig sei, dass die Landwirte Subventionen für alle Flächen erhielten, die sie bewirtschafteten, sagte Nagy. Es gebe nämlich viele Flächen, die ohne diese wirtschaftlich nicht sinnvoll zu bewirtschaften seien. Die Subventionen seien einfach unerlässlich, um die Lebensmittelpreise in Europa zu sichern.
Alle Landwirtschaftsminister der EU-Mitgliedsstaaten seien sich Nagy zufolge einig, dass die gemeinsame Agrarpolitik über ein eigenes Budget verfügen sollte. Dieses sollte zwei Säulen haben, die flächenbezogene Förderung und die ländliche Entwicklung.
Laut Nagy sind übermäßige Kontrollen und „immenser grüner ideologischer Druck“, der die landwirtschaftliche Produktion beeinflusst, problematisch. Er kritisierte auch den Vorwurf, die europäischen Landwirte seien für den Klimawandel verantwortlich.
In einem Interview mit „Erdély TV“ betonte der Minister auch, dass die Pläne eine Vereinfachung der Regeln, weniger Bürokratie für die Landwirte und eine Vereinfachung der Beantragung von Beihilfen vorsehen. Der Schwerpunkt liege aber auf der langfristigen Vorhersehbarkeit des Fördersystems, um die Interessen der Landwirte zu schützen, sagte Nagy.
Özdemir unterstützt das Vorhaben der EU-Kommission
Die von der EU-Kommission in Auftrag gegebenen und von Nagy kritisierten Vorschläge des GAP-Strategiedialogs könnten die Agrarpolitik der EU grundlegend verändern. Im Zentrum von GAP stehen bis heute Flächenprämien. Diese sind Zuschüsse, die nach der Größe der bewirtschafteten Fläche vergeben werden. Nun sollen nach den Vorschlägen der Expertenkommission die Prämien durch gezielte Einkommenshilfen ersetzt werden, die besonders bedürftige Betriebe unterstützen, so „agrarheute“.
Die Expertenkommission möchte nämlich die Unterstützung nach sozialen und wirtschaftlichen Kriterien vergeben. Besonders berücksichtigt werden sollen junge Landwirte, kleinere Betriebe und solche in benachteiligten Regionen. Zusätzlich soll ein EU-weites System zur Förderung einer nachhaltigen Landwirtschaft geschaffen werden.
Ein Transformationsfonds könnte nach Vorschlag der Expertenkommission dabei helfen, den Übergang zur Nachhaltigkeit finanziell zu stützen, und Anreize für umweltfreundliches Arbeiten schaffen. Zudem soll ein EU-weites Benchmark-System für eine nachhaltigere Landwirtschaft entwickelt werden. Die Europäische Investitionsbank soll spezielle Kreditpakete zur Unterstützung des Agrarsektors bereitstellen.
Die Empfehlungen des GAP-Strategiedialogs welche gerade im Mittelpunkt der Kritik stehen, wurden von einer Expertenkommission erarbeitet, die aus 29 Mitgliedern bestand und unter der Leitung von Professor Peter Strohschneider stand. Strohschneider hatte zuvor auch die deutsche „Zukunftskommission Landwirtschaft“ geleitet.
Unter seiner Führung schuf der Dialog eine Plattform, die unterschiedlichste Interessengruppen vereinte. Darunter waren Landwirte, Umweltorganisationen wie Greenpeace, Agrarunternehmen, ländliche Gemeinschaften sowie Vertreter der Wissenschaft und NGOs. In sieben Sitzungen, die zwischen Januar und August 2024 stattfanden, diskutierten die Teilnehmenden kontroverse Themen wie Umweltschutz, Einkommenssicherung und die wirtschaftliche Stabilität der Landwirtschaft.
Trotz der teils gegensätzlichen Positionen entwickelte die Kommission letztlich ihre konkreten Empfehlungen. Präsidentin Ursula von der Leyen plant, die Vorschläge schnell umzusetzen, um Landwirtschaft und Umwelt besser in Einklang zu bringen.
Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir unterstützt diese Ziele. Er betont, dass Landwirte für ihren Beitrag zu Umwelt- und Klimaschutz angemessen entlohnt werden sollen. Der Deutsche Bauernverband sieht hingegen Verbesserungsbedarf. Er kritisiert, dass wirtschaftliche Stabilität und Wettbewerbsfähigkeit der Landwirte in den bisherigen Plänen zu wenig berücksichtigt werden. Der Verband fordert, dass die Reform auch die wirtschaftlichen Interessen der Landwirte stärker in den Blick nimmt.
Minister: Die Sicherheit der Lebensmittelversorgung darf nicht aufs Spiel gesetzt werden
Obwohl die EU-Kommission schon ihr Strategiepapier diesbezüglich erarbeitet habe, meint Nagy, dass es wichtig sei, eine Alternative anzubieten. In Bezug auf die Expertenstudie über die Zukunft der EU-Landwirtschaft sagte er, dass dies von einem Professor geleitet wurde, der „wenig mit Landwirtschaft zu tun hat“. Das Dokument, an dem gerade mit seinem Team gearbeitet wird, sei hingegen „von Leuten verfasst, die mit den Füßen auf dem Boden stehen“.
Die Sicherheit der Lebensmittelversorgung darf nicht aufs Spiel gesetzt werden“, so das Fazit von Nagy.
Sie arbeiten daran, bis Dezember eine vollständige Einigung in den noch offenen Fragen mit allen Mitgliedsstaaten zu erzielen. Sie werden dann „ein Dokument auf den Tisch legen, das die Europäische Kommission nicht ignorieren kann“, so Nagy in einer Erklärung der ungarischen Regierung.
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