Sechs Monate „balancierte Partnerschaft“ mit den USA: Zwischenbilanz einer Unterwerfungserklärung
Weil den meisten Staatsvölkern ihre Souveränität wichtig ist, halten ihre politischen Führer Unterwerfungserklärungen meist entweder geheim, oder codieren diese so, dass sie für arglose Leser nicht als solche erkennbar sind. Letztere Strategie verfolgte Heiko Maas mit seiner balancierten Partnerschaft.
Maas leitete die Präsentation seiner Amerika-Strategie mit Gedanken über ein Auseinanderdriften und abnehmende Bindungswirkung gemeinsamer Werte ein. Er distanzierte sich sprachlich von den „Transatlantikern“ und sprach von „roten Linien“ bei deren Überschreiten durch die Trump-Regierung Europa aktiv werden müsse. Explizit nannte er die Aufkündigung des Iran-Abkommens durch die USA und die Wieder-Verhängung von einseitigen Sanktionen. Darauf habe Europa richtigerweise reagiert, indem es die eigenen Unternehmen rechtlich vor US-Sanktionen schützte. Er ergänzte:
Deshalb ist es unverzichtbar, dass wir die europäische Autonomie stärken, indem wir von den USA unabhängige Zahlungskanäle einrichten, einen Europäischen Währungsfonds schaffen und ein von den USA unabhängiges Swift-System aufbauen.“
Auch über eine Digitalsteuer für die amerikanischen Internetgiganten müsse man reden.
Das alles erweckte den Eindruck, dass es bei der balancierten Partnerschaft um mehr Autonomie und mehr Selbstbewusstsein gegenüber den USA geht.
Sechs Monate sind vergangen. Das erlaubt eine erste Prüfung, was umgesetzt wurde und was nicht.
Zunächst ist festzustellen: Der nicht um starke und offene Worte verlegene amerikanische Botschafter in Berlin, Richard Grenell, befand es nicht für nötig, diese vermeintliche Unabhängigkeitserklärung des deutschen Außenministers zu kommentieren. Das sagt schon einiges aus. Auch sonst tat das niemand Maßgebliches aus den USA. Haben sie geschlafen, oder wussten sie, wie das Dokument in Wahrheit zu interpretieren ist? Schauen wir also zuerst einmal, was aus den Ankündigungen geworden ist, welche die US-Regierungen hätten ärgern müssen, wenn sie ernst gemeint gewesen wären, bevor wir uns dem zuwenden, was ihr gefallen haben dürfte.
Größere Autonomie?
Schutz für europäische Unternehmen vor Sanktionen: „EU-Hilfe für Iran gescheitert“, titelte das Handelsblatt am 29. Januar. Und weiter:
Die Bundesregierung räumt ein, dass der von den EU-Staaten beschlossene Mechanismus zum Schutz europäischer Firmen, die im Iran Geschäfte machen, weitgehend wirkungslos ist.“
Nicht, dass das nicht absehbar gewesen werde. Das wurde schon bei Ankündigung weithin so erwartet und kommentiert. Es dürfte auch Heiko Maas klar gewesen sein.
Als die USA im Januar per gänzlich undiplomatischem Brief ihres Botschafters, den an der Gasleitung Nordstream 2 beteiligten Unternehmen Sanktionen androhten, kam von der Bundesregierung kein Protest und sie weigerte sich auf Nachfragen von Journalisten ausdrücklich, sich hinter die bedrohten Unternehmen zu stellen. Laut der Nachrichtenagentur Reuters sagte Außenamtssprecherin Maria Adebahr, man habe die Berichterstattung und die Äußerungen des US-Botschafters zur Kenntnis genommen. Es sei Sache der Firmen, sich zu den Schreiben zu äußern. „Das sind Briefe an Unternehmen, ich kategorisiere die hier nicht“, sagte Adebahr laut Reuters. So sieht der Schutz deutscher Unternehmen vor illegalen US-Sanktionen durch die Bundesregierung in der Realität aus.
Von den USA unabhängiges Swift-System: Um das von den USA unabhängige Swift-System ist es ganz still geworden. Über dieses von Banken genossenschaftlich betriebene System werden internationale Zahlungen abgewickelt. Rein rechtlich ist die belgische Genossenschaft Swift von den USA unabhängig und europäischem Recht unterworfen. Dass man US-Behörden „freiwillig“ die Swift-Daten live zur Verfügung stellt, beruht auf einer Unterwerfung der EU unter den amerikanischen Finanzmachtanspruch, der sich vor allem aus der Kontrolle über das internationale Zahlungsmittel Dollar speist. Wenn Europa die Traute und die Macht hätte, ein von den USA unabhängiges Swift System einzurichten, bräuchte sie kein neues Swift.
Von den USA unabhängige Zahlungskanäle: Stattdessen demonstrierte die Bundesregierung sehr eindrucksvoll, dass sie diese Traute und Macht nicht hat. Als eine iranische Staatsbank in Hamburg einen Teil ihres Guthabens bei der Bundesbank in bar abheben wollte, verweigerte die Bundesbank das unter dem Vorwand einer Geldwäsche-Dauerprüfung durch die Bundesbehörde Bafin. Die Bundesbank änderte daraufhin sogar ihre Geschäftsbedingungen und begründete das bemerkenswert offen mit der Furcht, selbst zum Ziel von US-Sanktionen zu werden und von diesen vom internationalen Geschäft abgekoppelt zu werden. Das war kurz vor Maas neuer Amerika-Strategie. Eine Bundesregierung, die sich amerikanischem Druck beugte, das von den USA unabhängige Zahlungsverkehrssystem Euro-Bargeld nicht für Iran-Geschäfte zu nutzen, verkündete also ein von den USA unabhängiges Zahlungsverkehrssystem aufbauen zu wollen. Dass die US-Regierung sich davor nicht fürchtete, ist nachvollziehbar. Die deutsche-französisch-britische Zweckgesellschaft Instex (Instrument zur Unterstützung von Handelsaktivitäten) wurde zwar Ende Januar gegründet. Sie soll durch gegenseitige Verrechnung von Forderungen aus dem Iran Ex- und Import dazu beitragen, dass man weitgehend ohne die sanktionsanfälligen Banken auskommt. Fachleute äußerten zur Gründung aber Skepsis ob der Wirksamkeit und Relevanz. Bisher ist nicht bekannt, dass die Zweckgesellschaft etwas bewirkt hätte.
Digitalsteuer: Bei der von Maas ins Gespräch gebrachten Digitalsteuer ist nichts pasiert, unter anderem weil die Bundesregierung sich in Europa quer gestellt hat. Andere EU-Länder wollten durchaus handeln und haben es teilweise auch in nationaler Regie getan.
Europäischer Währungsfonds: Auch von einem Europäischen Währungsfonds war in den letzten Monaten nichts mehr zu hören.
INF-Vertrag: Als die US-Regierung den für die europäische Sicherheit wichtigen INF-Vertrag zum Verbot von landgestützten Mittelstreckenraketen aufkündigte, stellte sich die Bundesregierung umgehend hinter Trump.
Nordstream 2: Auf den massiven Druck der US-Regierung hin, die schon teilweise gebaute Gaspipeline Nordstream 2 aus Russland zu verbieten und stattdessen teures und umweltschädliches verflüssigtes US-Frackinggas zu kaufen, ist die Bundesregierung zwar noch nicht umgefallen, hat aber doch mit einer Flüssiggaskonferenz und dem Versprechen, den Bau zweier Flüssiggasterminals zu subventionieren, große Zugeständnisse gemacht.
Huawai: Seit die US-Regierung den chinesischen Netwerkausrüster Huawai mit bisher unbewiesenen Spionagevorwürfen und Sanktionen überzieht, hat auch die Bundesregierung die Gefahr entdeckt, die von Netzwerkausrüstern ausgeht, die ihre Daten an andere als die amerikanischen Geheimdienste liefern könnten. Noch ist nicht beschlossen, das Huawai vom Ausbau des 5G-Netzes ausgeschlossen wird. Es scheint aber stark in diese Richtung zu laufen. Maas Parteikollege Nils Schmid, außenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, sagte am 17. Februar allen Ernstes „Produkte von Unternehmen, die verpflichtet sind, Daten an Geheimdienste weiterzugeben, dürfen nicht Teil unserer kritischen Infrastruktur werden“, gerade so, als ob das bei US-Unternehmen nicht der Fall wäre. Das US-amerikansiche CLOUD-Gesetz ist kein Geheimnis. Von Cisco und Co. ist – anders als von Huawai – bekannt, dass das so praktifiziert wird. Auch Schimids Amtskollege von der Union, Norbert Röttgen, sprach sich für den Ausschluss von Huawai aus.
Übernahme von Verantwortung (Militarisierung)
Schauen wir, was Maas ansonsten im August noch angekündigt hat.
Maas hat versprochen, Deutschland werde im Rahmen dieser balancierten Partnerschaft „einen ausgewogenen Teil der Verantwortung übernehmen, (und) unser Gewicht einbringen, wo sich Amerika zurückzieht.“
Weil wir „im Alleingang an dieser Aufgabe scheitern würden“ (Amerikas Weltpolizeiaufgaben als Hilfspolizisten teilweise zu übernehmen), sei das herausragende Ziel der deutschen Außenpolitik der Bau eines souveränen, starken Europas und der Schulterschluss mit Frankreich.
Die Europäische Union muss zu einer tragenden Säule der internationalen Ordnung werden.“
Er wiederholte:
Zu einer balancierten Partnerschaft gehört, dass wir Europäer einen ausgewogenen Teil der Verantwortung übernehmen.“
Und er machte klar, wie er das meinte, indem er hinzufügte:
Nirgendwo ist die transatlantische Bindung für uns so unentbehrlich wie bei der Sicherheit. Ob als Partner in der Nato oder im Kampf gegen Terrorismus – wir brauchen die USA.“
Das ist die unterwürfige Antwort auf die Drohungen von Trump, Europa den militärischen Schutz der USA zu entziehen und – wohl auch – die Unterstützung der US-Geheimdienste, wenn Europa nicht mehr Geld für das Militär ausgibt und sich nicht stärker an ausländischen Interventionen und Kriegen beteiligt.
Maas bemühte sich zwar das in einem etwas anderen Lichte erscheinen zu lassen, aber letztlich bestätigte er genau das, wenn er schrieb:
Es liegt in unserem eigenen Interesse, den europäischen Pfeiler des transatlantischen Bündnisse zu stärken. Nicht weil Donald Trump immer neue Prozentziele in die Welt setzt, sondern weil wir uns nicht mehr in gleichem Maße wie früher auf Washington verlassen können. Zur Dialektik des Transatlantischen gehört aber auch: Wenn wir mehr Verantwortung übernehmen, dann sorgen wir dafür, dass sich Amerikaner und Europäer auch künftig aufeinander verlassen können.“
Also versprach er steigende Militärausgaben, wie Trump das forderte, und dass Europa eine Sicherheits- und Verteidigungsunion aufbauen werde, „als Bestandteil der transatlantischen Sicherheitsordnung“. Das darf man lesen als „unter amerikanischem Oberbefehl“.
In diesen Absätzen liegt die Substanz der neuen US-Strategie der Bundesregierung, und nicht in den wohlfeilen Sprüchen von Souveränität. Das sieht man daran, dass diese Versprechen seither sehr gewissenhaft umgesetzt werden.
Höhere Militärausgaben: So war bereits am 5. Februar auf Spiegel Online zu lesen: „Nach Trump-Kritik Deutschland verspricht Nato höhere Rüstungsausgaben. Der deutsche Wehretat soll bis 2024 auf 1,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts steigen. Das hat die deutsche Regierung nach SPIEGEL-Informationen der Nato zugesagt.“ Demnach übergab der deutsche Botschafter dem Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg ein Dokument namens „Strategic Level Report“ , in dem sich die deutsche Regierung verbindlich dazu bekennt, die Wehrausgaben bis 2024 auf 1,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu erhöhen und diesen Anstieg nach 2024 fortzusetzen. Damit müsste der Verteidigungsetat nach Spiegel-Berechnungen von aktuell 43,2 Milliarden Euro je nach Entwicklung des Inlandsprodukts auf etwas mehr als 60 Milliarden Euro steigen. Für 2019 und 2020 sind steigende Militärausgaben bereits in den Haushaltsplänen enthalten. Offenbar wissen Außenminister Maas (SPD), Finanzminister Scholz (SPD) und ihre Partei, trotz allem Gerede von sozialer Schieflage und sozialem Klimbim, wo die Prioritäten liegen. Auf der Münchener Sicherheitskonferenz Mitte Februar haben Verteidigungsministerin und Kanzlerin die Absicht bestätigt, die Militärausgaben kräftig zu steigern.
Wenn es darum geht, hat die Bundesregierung auch nicht die sonst üblichen starken Hemmungen davor, der EU Geld und Kompetenzen für gemeinsame Politik zu geben. In rekordverdächtiger Zeit von sechs Monaten wurde ein EU-„Verteidigungs“fonds konzipiert. Er soll noch schnell vor den Europawahlen im undemokratisch intransparenten Trilog-Verfahren zwischen EU-Parlament, Kommission und Rat beschlossen werden, damit die Wähler nicht noch dazwischenfunken können. Das Parlament hat schon ja gesagt, Rat und Kommission müssen die Formalien noch erfüllen. 590 Mio Euro sind im EU-Haushalt dafür bereits eingeplant. 13 Mrd. sollen es nach den Vorstellungen der Kommission werden.
Aachener Vertrag: Die von Maas versprochene Stärkung der deutsch-französischen Militärachse wurde im Aachener Vertrag zwischen Deutschland und Frankreich von Januar 2019 vorangetrieben. Dort heißt es nach einer zweiseitigen Präambel mit viel Sozial- und Kulturklimbim ohne jede Erwähnung von Militär gleich im zweiten Satz des ersten Artikels:
(Beide Staaten) setzen sich für eine wirksame und starke gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik ein.“
Nachdem Artikel 2 festhält, dass man sich vor europäischen Treffen um gemeinsame deutsch-französische Standpunkte bemüht, heißt es in Artikel 3 gleich wieder:
Beide Staaten vertiefen ihre Zusammenarbeit in Angelegenheiten der Außenpolitik, der Verteidigung, der äußeren und inneren Sicherheit und der Entwicklung und wirken zugleich auf eine Stärkung der Fähigkeit Europas hin, eigenständig zu handeln.“
Auch Artikel 4 ist dem gleichen Thema gewidmet. Hier versprechen Deutschland und Frankreich der Nato, ihre militärpolitischen Ziele und Strategien einander anzugleichen, mit dem Ziel der Stärkung der Nato. In Absatz zwei verpflichten sie sich, „Europas Leistungsfähigkeit, Kohärenz und Glaubwürdigkeit im militärischen Bereich“ und die Nato zu stärken. Und in Absatz drei werden mehr gemeinsame Militäraktionen und eine stärkere Zusammenarbeit der Waffenindustrien der beiden Länder vereinbart. In Artikel 5 ist vereinbart, (mehr) Diplomaten bei Nato und UN hospitieren zu lassen und in Artikel 6 wird stärkere Zusammenarbeit bei Problemen der inneren Sicherheit (wie Gelbwestenprotesten oder G20-Demonstrationen) vereinbart.
In einer geheimen Zusatzvereinbarung wurden Presseberichten zufolge gemeinsame, lockerere Standards für Rüstungsexporte vereinbart. Am 18. Februar hieß es denn auch vom Regierungssprecher, die Bundesregierung wolle bei künftigen gemeinsamen Rüstungsprojekten mit Frankreich die Richtlinien für den Export lockern.
Fazit
Die Amerika-Strategie, die Heiko Maas unter dem Stichwort „balancierte Partnerschaft“ im August 2018 verkündet hat, ist am besten als Versuch zu verstehen, eine immer rabiater fordernd auftretende US-Regierung durch verschleierte Versprechen und Zugeständnisse in Sachen Militarisierung Deutschlands und Europas zu befrieden und zu einem zurückhaltenderen Auftreten zu bewegen. Vermutlich weil dieser Versuch ziemlich grandios gescheitert ist, hat man schon lange nichts mehr von dieser Strategie und der balancierten Partnerschaft gehört. Es wäre aber sicher aufschlussreich, wenn Heiko Maas im Parlament dazu befragt würde, wie sich seine neue Amerika-Strategie bewährt hat.
Zuerst erschienen bei www.norberthaering.de
Norbert Häring ist seit 1997 Wirtschaftsjournalist. Der promovierte Volkswirt arbeitete vorher einige Jahre für eine große deutsche Bank. 2002 wechselte er zum Handelsblatt, für das er seither schreibt. Er engagiert sich in der World Economics Association für eine weniger einseitige und dogmatische Ökonomik. Er ist Träger des Publizistik-Preises der Keynes-Gesellschaft und des Deutschen Wirtschaftsbuchpreises von getAbstract (Ökonomie 2.0).
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