Geheime Schätze in Brandenburg: Orgeln

Etwa 2.000 Orgeln im kirchlichen und außerkirchlichen Bereich gibt es im Raum Berlin-Brandenburg. Darunter sind überaus kostbare Werke aus der Zeit von etwa 1650 bis um 1800, aber auch moderne und innovative Instrumente des 20. Jahrhunderts.
Titelbild
Orgel von Anton Heinrich Gansen, 1722/24, in der Dorfkirche von Dallmin/Prignitz.Foto: Wolf Bergelt, Orgelreisen durch die Mark Brandenburg, .3. Auflage, Berlin 2016
Von 16. Juni 2023

Kaum einer, der Orgeln nicht mit Kirchen assoziiert. Bevor sich die Orgel jedoch mit dem Christentum verband, lag bereits eine jahrhundertelange Geschichte hinter ihr, in der sie – angefangen von griechischen Wett- und römischen Gladiatorenkämpfen hin zum byzantinischen Kaiserkult – öffentlichen Spektakeln und privaten Vergnügungen gedient hatte.

Also durchaus kein christlicher Kontext. Aber das Christentum hat in einem so großen Ausmaß für ihre weltweite Verbreitung gesorgt, dass man Orgeln und Kirchen heute kaum ohne einander zu denken vermag.

Komplizierter Kultgegenstand

Selbst im Jahrhundert ihrer endgültigen Ankunft in Europa – nachdem sie im Jahr 757 als Geschenk des byzantinischen Kaisers an den fränkischen Kaiser beeindruckt hatte – stand sie noch im Zeichen weltlicher, infolge der Allianz von Kreuz und Krone bald aber auch fürstbischöflich-klerikaler Macht. Von hier aus verbreitete sie sich im Zuge der Christianisierung allmählich über ganz Europa.

Der Ausgangspunkt dieses Weges waren die Klöster, weil nur dort das Wissen zur Verfügung stand, welches für den Umgang mit solch einem komplizierten Kultgegenstand notwendig war. Kein Wunder also, dass so auch die klösterliche Musikpflege zur Keimzelle eines sich wechselseitig bedingenden Gestaltwandels wurde, in dem sich Kirchenmusik und Kirchenorgel bis auf den heutigen Tag beeinflussen können.

Zugleich sehen wir, wie die Orgel nach ihrer Aufnahme durch das Christentum — wenngleich in viel bescheidenerem Maße — auch für weltliche Zwecke wiederentdeckt wurde und dort als Portativ (tragbare Kleinstorgel) unter den Spielleuten, als Positiv (Kleinorgel) und als Kammerorgel bei Hofe, in Adels- und in Bürgerhäusern sowie als große Konzertorgel bis hin zur Kino-, Dreh- und Jahrmarktsorgel immer eine Rolle gespielt hat.

Mark Brandenburg

Der Umstand, dass die Orgel in der Mark Brandenburg erst im 14. Jahrhundert in Erscheinung trat, hat seine Ursache in deren vergleichsweise späten Christianisierung und Neubesiedlung, die um 1300 mit der Gründung von etwa 2.500 Dörfern und 100 Städten mehr oder weniger abgeschlossen war.

Wenn man bedenkt, dass viele der damals entstandenen Dorfkirchen erstmals im 19. Jahrhundert mit einer Orgel ausgestattet wurden, ahnt man bereits, dass die ersten Instrumente dieser Art in Klöstern und in Stadtkirchen zu suchen sind.

Tatsächlich berichten zwei Sekundärquellen von einer Anweisung aus dem Jahre 1330 an den Organisten der Frankfurter Oberkirche (St. Marien), in der es heißt: „[…] wer der Orgel vorsteht, der soll zu den Zeiten, wo man auf den Orgeln singen soll, in den Chor zu dem Schulmeister gehn und ihn um einen Treter bitten, zugleich sich mit ihm besprechen, was man singen solle, damit der Chor und die Orgel übereinstimmen und nicht eine Confusion entstehe.“

Für die Zeit um 1350 ist für das Serviten-Kloster zu Altlandsberg der Bau einer Orgel bekannt. Im Jahr 1370 wirkte in Brandenburg ein Orgelbauer namens Werner, dessen Ruf so weit reichte, dass er sogar ein Instrument mit 18 Manualtasten und Pedal (!) nach Gotland (Schweden) liefern durfte, von dem noch heute Teile im Staatlichen historischen Museum Stockholm zu bewundern sind.

Neben diesen Zeugnissen erzählen uns – ebenfalls aus dem 14. Jahrhundert stammende – Stein- und Holzplastiken in den Domen zu Fürstenwalde und zu Havelberg davon, dass die Orgel zusammen mit dem Christentum im brandenburgischen Kulturraum Einzug gehalten hat.

Orgeln und ihre Schöpfer

Im 16. Jahrhundert – dem Jahrhundert der Reformation – verbinden sich die Orgelbauten bereits mehrfach mit den Namen ihrer Schöpfer, die schon lange nicht mehr als Ordensbrüder, sondern als freie Handwerker auftraten, deren Metier mancherorts zu den freien mechanischen Künsten gehörte.

Im 18. Jahrhundert, als Kurfürst Friedrich III. im Jahr 1701 zum König von Preußen aufgestiegen war und Berlin zu einer prächtigen Residenzstadt auszubauen begann, zog er auch Künstler, Wissenschaftler und Handwerker an seinen Hof, deren Ruf über jeden Zweifel erhaben war.

Und so ist es nicht verwunderlich, dass wir neben Gestalten wie Leibnitz und Schlüter den berühmten norddeutschen Meister Arp Schnitger in königlichen Diensten antreffen, der 1708 zum königlich-preußischen Hoforgelbauer ernannt werden sollte. Doch die Zahlungsmoral des verschwenderischen Regenten ließ zu wünschen übrig und mag einer der Gründe gewesen sein, weshalb man Schnitger nicht dauerhaft an das preußische Haus zu binden vermochte.

Mittelturm der Gansen-Orgel, 1722/24, in Dallmin/Prignitz. Foto: Wolf Bergelt, Orgelreisen durch die Mark Brandenburg, .3. Auflage, Berlin 2016

Innovativ und geistreich: Orgelbauer Joachim Wagner

So entstand ein Vakuum, das zunächst Schnitgers ungeliebter Schüler Johann Michael Röder auszufüllen versuchte, bis 1719 Joachim Wagner in Berlin auftauchte. Wagner genoss bei dem inzwischen regierenden „Soldatenkönig“ Friedrich Wilhelm I. offenbar nicht nur einen besseren Ruf, sondern war auch die genialere und stärkere Künstlerpersönlichkeit.

Wagner war es auch, der das Land nun endlich mit einem eigenen, zukunftsweisenden Orgelbaustil auf höchstem Niveau beschenkte und durch seine Schüler wie Peter Migendt, Gottlieb Scholtze, Ernst Marx sowie Enkelschüler und inspirierte Nachahmer das ganze Jahrhundert wie kein Zweiter prägte – und die brandenburgische Orgelbaugeschichte bis auf den heutigen Tag indirekt beeinflussen sollte.

Sein Œuvre, das im Rahmen eines Forschungsprojektes in den vergangenen Jahrzehnten erschlossen werden konnte, umfasst nach heutigem Erkenntnisstand über 50 Instrumente. Daran zeigt sich, dass wir es mit einem der bedeutendsten Orgelbauern der Geschichte zu tun haben, der seinen viel bekannteren Zeitgenossen und kurzzeitigen Arbeitgeber Gottfried Silbermann an ingeniöser Potenz und Innovativkraft noch übertraf.

Zudem schuf er eine Klangwelt, die dem Orgelideal Johann Sebastian Bachs – der Wagner-Orgeln kannte – auf kaum vergleichbare Weise nahekam. Diese Erkenntnis bietet alle Voraussetzungen dafür, Wagner endlich genauso „heilig“ zu sprechen, wie es in Sachsen mit Silbermann schon längst geschehen ist.

Von Mitte Juni bis Anfang September wird Joachim Wagner denn auch mit einem reichhaltigen Festprogramm vom Domstift Brandburg gefeiert. Anlass ist das 300. Jubiläum (www.dom-brandenburg.de) der noch erhaltenen Orgel von Joachim Wagner ebendort.

Orgel von Joachim Wagner um 1742/44 in St. Marien, Angermünde/Uckermark. Foto: Wolf Bergelt, Orgelreisen durch die Mark Brandenburg, .3. Auflage, Berlin 2016

Wolf Bergelt ist Initiator der systematischen Erfassung der „Orgellandschaft Brandenburg“ und Gründer des Instituts für Orgelforschung Brandenburg. Der studierte Kirchenmusiker ist freischaffend tätig und Autor mehrerer Bücher. Weitere Informationen unter: orgellandschaftbrandenburg.de.



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