Warum wir von Zwillingen so fasziniert sind
Seit den Anfängen der Menschheitsgeschichte sind wir von dem Phänomen Zwillinge fasziniert. Vier klassische Beispiele sind die griechischen Zwillinge Kastor und Pollux, die römischen Brüder Romulus und Remus sowie Jakob und Esau und Kain und Abel aus dem christlichen Glauben.
Kain und Abel werden zwar nicht ausdrücklich als Zwillinge bezeichnet, aber die Überlieferung legt nahe, dass sie Zwillinge waren. Gestützt wird dies von der dynamischen, verschlungenen Beziehung der beiden Brüder. Aber woher kommt diese Faszination, die bereits uralt ist?
Zwillinge bedeutet doppelte Neugierde
Ein Grund liegt in der wahrgenommenen Dualität der menschlichen Natur. Die Zwillingsbeziehung hatte bereits der englische Schriftsteller William Shakespeare erforscht und in mehreren Stücken festgehalten, besonders in seiner Tragödie „Hamlet“.
Was für ein Meisterstück ist der Mensch! Wie edel durch die Vernunft! Wie unbegrenzt in seinen Fähigkeiten! An Gestalt und Bewegungskraft wie vollendet und bewundernswürdig! Im Wirken ähnlich einem Engel! Im Denken ähnlich einem Gott! Die schönste Zier der Schöpfung! Das vollkommenste aller sichtbaren Wesen! Und doch, was ist in meinen Augen diese Quintessenz von Staub? Der Mensch gefällt mir nicht […]“ – Shakespeare (1564–1616) in Hamlet, Akt 2, Szene 6.
Diese Dualität – die Spannung zwischen engelhaftem Potenzial und staubiger Zerbrechlichkeit – führt uns zur Zwillingsbeziehung. Sie symbolisiert gegensätzliche und doch miteinander verwobene Kräfte. Nirgendwo wird diese Zweiteiligkeit deutlicher als in der moralischen Welt, dem Reich von Licht und Dunkelheit, Recht und Unrecht.
In antiken Texten symbolisiert das Licht Weisheit und Wissen. So steht Apollo, der griechische Sonnengott, für Licht und Prophezeiung – die Fähigkeit, die Dunkelheit der Zukunft zu erhellen. Seine Zwillingsschwester Artemis, die Göttin des Mondes, sorgt für das Licht, das die Dunkelheit der Nacht durchbricht.
Apollo ist einer der am meisten verehrten olympischen Götter. Er bestrafte Hybris – die Personifikation von Hochmut –, wo immer er sie fand, und unterstrich damit die moralische Dimension des Lichts als Wahrheit und Gerechtigkeit.
Ein Blick auf antike Zwillinge
Ein weiteres Beispiel sind Kastor und Pollux aus der griechischen Mythologie. Diese Zwillinge, auch Dioskuren genannt, sind ein Vorbild für liebevolle, harmonische Verbindungen. Doch eines machte die beiden zu ungleichen Zwillingen: Kastor war sterblich und Pollux unsterblich.
Als Kastor in einem Konflikt getötet wurde, flehte der trauernde Pollux den Göttervater Zeus an, beide wieder zu vereinen. Zeus stellte daraufhin Pollux vor die Wahl: Entweder konnte er ewig jung und unsterblich bleiben oder er würde sterblich werden und abwechselnd je einen Tag mit seinem Bruder Kastor im Olymp und in der Unterwelt leben. Aus Liebe zu seinem Bruder wählte Pollux die Sterblichkeit.
Ihre ewige Verbundenheit ist heute noch im Sternbild der Zwillinge verewigt. Dieser Mythos unterstreicht die Dualität: den Körper – Kastor – als sterblich und die Seele – Pollux – als unsterblich. Ihr Wiedersehen symbolisiert Auferstehung und Transzendenz.
Im verwandten Römischen Reich gibt es mit Romulus und Remus einen starken Kontrast. Nachdem sie gemeinsam die anfänglichen Schwierigkeiten überwunden hatten – sie waren verlassen und von einer Wölfin gesäugt und aufgezogen worden –, stritten sich die Zwillinge um die Gründung Roms. Romulus tötet Remus und beging damit Brudermord.
Anders als Kastor und Pollux stehen sie für unüberbrückbare Differenzen. Rom, das nach Romulus benannt ist, wird zum Symbol einer dauerhaften Zivilisation, aber sein Fundament ist mit Blut befleckt. Dieser permanente Bruch steht in scharfem Kontrast zur Wiedervereinigung von Kastor und Pollux.
Abel, das erste Opfer der Menschheit
In ähnlicher Weise verkörpern auch Kain und Abel gegensätzliche Kräfte. Im Gegensatz zu Remus bleibt Abel aber im religiösen und kulturellen Gedächtnis bedeutsam. So verweist Christus auf Abel, und auch in den Episteln taucht er auf. Auch Künstler und Schriftsteller wie Michelangelo, Rubens, Lord Byron und Gustave Doré haben Abel verewigt. Im Neuen Testament, Hebräer 11, spricht Abel, obwohl er „tot ist“ und symbolisiert damit Unschuld und Rechtschaffenheit.
Abels Tod ist noch aus einem anderen Grund bemerkenswert. Es handelt sich um das erste aufgezeichnete Begräbnis in der Geschichte der Menschheit. Dessen Darstellung von Louis-Ernest Barrias in seiner Skulptur „Das erste Begräbnis“ unterstreicht die Ernsthaftigkeit.
Nach dem christlichen Glauben ist Abel der erste Mensch, der stirbt, das erste Opfer eines Mordes und der Erste, der einen Brudermord erlebt. Seine Eltern, Adam und Eva, trauern um ihren Sohn, was als die früheste Konfrontation der Menschheit mit der Sterblichkeit und den Folgen der Sünde angesehen werden kann.
Dieses Begräbnis weist auf einen Bruch im menschlichen Geist hin: geboren für die Unsterblichkeit, aber nun zum Sterben bestimmt. Unsere Natur hat zwei Seiten. Kain sündigte, bevor er seinen Zwilling ermordete, und Gott warnte ihn vor der Gefahr, die ihm drohte. Aber was war die Sünde, die „vor der Tür lauerte“?
Strafe für die Sünde
Es war Kains Opfer, das von Gott abgelehnt wurde. Und warum? Gott bedeckte Adam und Eva nach dem Sündenfall mit Tierhäuten, das heißt, das Opfer beinhaltete den Tod der Tiere und das „Vergießen von Blut“.
Das Opfern ist die Wurzel aller Religionen, doch Kain scheint dies nicht verstanden zu haben oder wollte es nicht verstehen. Stattdessen machte er mit der Gartenarbeit weiter – pflegte die Früchte und bearbeitete den Boden – wie es sein Vater vor dem Sündenfall getan hatte. Kain verhielt sich so, als hätte es den Sündenfall nicht gegeben.
Das heißt, die Gabe war nicht annehmbar, nicht wegen ihrer Beschaffenheit, sondern wegen dessen, was sie über den Geist desjenigen verriet, der sie darbrachte: Es war kein wahres Opfer für Gott. Er beging die Sünde der Verleugnung – die Verleugnung der Realität.
Kain wurde wie Romulus ein Städtebauer, ein Stammvater der Zivilisation, die oft aus Blutvergießen und Ungerechtigkeit entsteht. Die Bibel beschreibt Kains Ende nicht im Detail, aber das jüdische apokryphe „Buch der Jubiläen“ bietet eine moralische Lösung: Kain, der Abel mit einem Stein erschlagen hat, stirbt, als das Haus aus Stein, das er selbst gebaut hat, über ihm zusammenbricht. Diese poetische Gerechtigkeit spiegelt das Konzept des „contrapasso“ wider, bei dem die Strafe die Sünde widerspiegelt.
Und die Lehre daraus?
Zwillinge ziehen uns in ihren Bann, weil sie unsere innere Dualität widerspiegeln. Kastor und Pollux bieten Hoffnung durch Einheit, aber Romulus und Remus sowie Kain und Abel erinnern uns an die Trennung und ihre Folgen.
Diese Geschichten klingen nach, weil sie den Zustand des Menschen widerspiegeln – unser Potenzial für Liebe, Aufopferung und Versöhnung, aber auch unsere Neigung zu Stolz, Verleugnung und Gewalt.
Wenn wir darüber nachdenken, erkennen wir Wahrheiten über uns selbst und die Welt. Vielleicht ist das der Grund, warum, wie Abels Vermächtnis nahelegt, diese Archetypen selbst im Tod weiter sprechen.
Dieser Artikel erschien im Original auf theepochtimes.com unter dem Titel „Why We’re Deeply Fascinated by Twins“. (redaktionelle Bearbeitung kms)
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