Boote, Generäle und Elefanten: Die Geschichte des Schachs und seine vielen Gesichter
Zug um Zug lichten sich die Reihen, wobei mitunter Bauern geopfert, Damen geschlagen und letztlich immer ein König zu Fall gebracht wird. Die Rede ist von einem der ältesten bekannten Brettspiele weltweit: dem Schach.
Kaum ein anderes Spiel verlangt von seinem Spieler so viel Konzentration, Disziplin, Kreativität und Wagemut ab. Außerdem braucht es, um erfolgreich zu sein, taktisches und vorausschauendes Denken und eine gewisse Flexibilität, wenn Strategien an die Züge des Gegners angepasst werden müssen.
Doch gleichzeitig gibt Schach seinen Spielern einiges wieder, indem es den Geist schult und Charakter reifen lässt. Es mag daher wenig verwundern, dass das Beherrschen des Schachspiels im Mittelalter als Tugend für jeden guten Ritter galt.
Wenngleich das Brettspiel mit Königen, Bauern, Pferden, Türmen eine klare Verbindung zum Mittelalter zu haben scheint, reicht die Geschichte des Schachs noch viel weiter zurück.
Wer hat’s erfunden?
Nicht die Schweizer – so viel steht fest. Glaubt man dem italienischen Bischof und Dichter Marcus Hieronymus Vida (1485–1566) und seinem 1527 niedergeschriebenem Gedicht „Scacchia ludus“, dann soll Schach ein Spiel der Götter sein.
Während seiner Hochzeit im Olymp soll Okeanos, der Gott der Weltmeere, den anderen griechischen Göttern Apollon, Hermes und Zeus das Spiel zum ersten Mal gezeigt und erklärt haben. Bei der Frage, wie das Schach schließlich zu den Wesen auf der Erde gelangte, soll kein Geringerer als der Göttervater selbst die tragende Rolle gespielt haben.
Demnach soll Zeus eine Liebschaft mit der irdischen Nymphe Scacchis gehabt haben, der er als Geschenk ein mit Gold und Silber verziertes Schachspiel schenkte und sie in den Regeln unterrichtete. Ganz begeistert teilte sie ihr Wissen und neues Spiel mit den anderen Nymphen, bis es sich auf der ganzen Erde und in der Welt der Menschen verbreitete.
Ganz so alt wie die unsterblichen Götter scheint das Schach anderen Quellen zufolge nicht zu sein. Die Reise zum Ursprung des Spiels führt bis nach Asien.
So viele Geschichten wie Figuren im Schach
Die älteste Schriftquelle, die Schach erwähnt, stammt vom persischen Dichter Firdausi (940–1020) und verweist uns in das 6. Jahrhundert nach Christus. Demnach soll eine indische Gesandtschaft ein Brettspiel an den Königshof von Chosraus I. gebracht haben. Nur wenn der König die Regeln des Spiels erraten könne, sei der indische Herrscher bereit, die geforderte Tributzahlung zu leisten. Tatsächlich – so der antike Text – soll dem Perserkönig Chosraus I. dieses Meisterstück gelungen sein.
Eine andere Erzählung des arabischen Schriftstellers al-Masudis besagt, dass ein Brahmane namens Sissa ibn Dahir das Schach erfunden haben soll. Er soll das Spiel einem Tyrannen und König geschenkt haben, der dank des Spiels die Bauern wertzuschätzen lernte und letztlich ein gütiger Herrscher wurde. Mit eben jenem Mann ist auch die berühmte Reis- beziehungsweise Weizenkornlegende verbunden.
Laut ihr gewährte der König dem Brahmanen Sissa als Dank für die Erfindung des Spiels einen Wunsch. Sissa bat den König, ein Korn auf das erste Schachfeld, zwei Körner auf das zweite Feld, vier auf das dritte, acht auf das vierte Feld und so weiter zu legen. Zur Erinnerung: Ein Schachbrett hat 64 Felder.
Nach anfänglicher Heiterkeit verging dem König jedoch schnell das Lachen, als er merkte, dass alle königlichen Kornkammern nicht ausreichen würden, um dem Wunsch nachzukommen. – Sissa hätte insgesamt knapp 18,5 Trillionen Körner erhalten müssen. Das übersteigt selbst heute die jährliche Reisproduktion um etwa das 400-fache.
Berühmte Schachduelle – mit überraschendem Ausgang
Diese drei der berühmtesten Geschichten, die um das Schachspiel kursieren, könnten kaum unterschiedlicher sein, dennoch zeigen sie eins: Das Schachspiel, so wie wir es heute kennen, scheint eine Erfindung aus dem alten Indien zu sein. Über die Perser und die islamische Expansion bis nach Spanien schaffte es das Brettspiel schließlich in den europäischen Raum.
Wie die angeblich stattgefundenen Schachspiele von Karl dem Großen gegen den Kalifen Harun-al-Raschid, ein Schachspiel des Helden Ruodlieb in Nordafrika oder die Niederlage des Dänenkönigs Knut der Große zeigen, gewann Schach schnell an Beliebtheit.
Doch das Schachspiel war zu keiner Zeit eine reine Männerdomäne. Wie Gemälde und weitere von dem deutschen Autor Helmut Swoboda in seinem Buch „Schachkuriosa“ zusammengetragene Anekdoten zeigen, spielten auch Frauen dieses Spiel – meist erfolgreicher als ihre männlichen Kollegen.
Außerdem sind viele berühmte Spieler wie Gawein aus der Artussage noch heute namentlich in Zugfolgen verewigt wie dem „Gawein-Matt“, dem „Dilaram-Matt“ oder dem „Narrenmatt“.
Doch mit den Figuren konnte man nicht nur seinen Gegner schlagen, sondern auch erschlagen. Laut einer Erzählung soll sich genau solch ein Fall im 10. Jahrhundert in Frankreich zugetragen haben. Der Herzog der Normandie, Richard Ohnefurcht, soll zwei Männer mit einem Turm und einer Dame niedergestreckt haben, als diese versuchten, ihn während einer Schachpartie festzunehmen. Früher wie heute können Schachfiguren enorme Ausmaße annehmen – hin zu Lebendschach.
Während früher vorrangig die gehobene Gesellschaft in den Genuss von Freizeit und Spiel kam, wird Schach heute von Jung und Alt, Arm und Reich gespielt. Obwohl heute mehr Menschen dieses Brettspiel spielen, wird es in der modernen Welt zumindest materiell nicht mehr so geschätzt. In früheren Zeiten gehörten Schachspiele zum wertvollen persönlichen Besitz, der in Testamenten erwähnt und nachweislich vererbt wurde.
Ein Spiel für Vier statt Zwei
Doch nicht nur gesellschaftlich fand ein Wandel statt, sondern auch im über 1.000 Jahre alten Spiel selbst – was bei so einer langen Geschichte über Kontinente hinweg nicht verwundert. Noch bei den alten Indern war das heutige Schach kein Spiel für zwei Personen, sondern ein Vierschach.
Dabei besaß ein Spieler jeweils vier Bauern und vier weitere, einmalig vorhandene Figuren: der heutige Turm, ein Springer, ein Läufer und ein König. Trotz der vier Spieler spielte nicht jeder gegen jeden, sondern zwei Spieler als ein Team gegen das zweite Spielerpaar.
Mit der Revolution hin zum Zweischach änderten sich zwangsläufig auch die Figuren, denn zwei Könige pro Spieler – oder respektive pro Monarchie – sind zu viel. Aber auch die Sitten der jeweiligen arabischen, europäischen und indischen Kultur spielten eine tragende Rolle bei den dargestellten Figuren.
Schach und seine Figuren im Wandel
Der König
Ein König ist und bleibt ein König und um ihn spielt und fällt alles. Vielleicht stammt auch daher der Beiname „Spiel der Könige“. Betrachtet man die Reichweite seiner Züge, wirkt die Figur auf den ersten Blick nicht so mächtig. Er kann zwar nur ein Feld ziehen, dafür aber (fast) überallhin und oft werden Pferde, Läufer und Türme geopfert, um ihn zu schützen.
Das allseits bekannte Ziel des Spiels ist, den gegnerischen König zu stürzen – woher auch die Bezeichnung „schachmatt“ kommt. Sie hat ihren Ursprung im Arabischen „esch-schah mat“, was übersetzt „der König ist tot“ bedeutet.
Seit der Erfindung des Spiels blieb diese Figur nahezu unverändert, und der König war durch Raum und Zeit ständig vertreten. Nur etwas an seiner einstigen „Macht“ musste er einbüßen, damit Türme, Läufer und Co. mehr Bedeutung erhielten. Und dann gäbe es da noch die Dame an der Seite des Königs.
Die Dame
Sie hatte im Laufe der Zeit weniger Glück und hielt erst viel später Einzug auf den Brettern der Welt. In anderen Sprachen wird sie auch als Königin bezeichnet. Sie ist die stärkste Figur des Spiels, denn die Dame darf in jede beliebige Richtung unendlich weit ziehen, ohne jedoch eine andere Figur zu überspringen. Früher hatte sie diese Fähigkeiten jedoch nicht, was in ihrer Entwicklung begründet liegt.
Da das Spiel sehr wahrscheinlich über die arabische Kultur nach Europa kam, gab es früher keine Dame. Dort war die Figur ein „firs“, also ein General oder Wesir, der neben dem mächtigen König nicht viel zu melden hatte. Im europäischen Raum wandelte sich der Name „firs“ zu „fierce“ und schließlich „vierge“, der Jungfrau. Von hier an war der Weg zur Dame beziehungsweise Königin nicht mehr weit. Mit ihrem Aufstieg erhielt die Figur ihre Stärke, wie wir sie heute kennen.
Der Bauer
Von ihm gibt es acht pro Farbe und sein Handlungsbereich erstreckt sich über ein Feld. Entweder kann er einen Schritt geradeaus gehen, wenn das Feld frei ist, oder ein Feld diagonal, wenn er dort eine andere Figur schlagen kann. Nur selten schafft es ein Bauer auf die gegnerische Seite, um sich in eine beliebige Figur – außer einem König – zu verwandeln.
Ein Wandel fand im Laufe der Zeit auch in der Bedeutung der Figur statt. So waren die acht Figuren im 13. bis 16. Jahrhundert optisch nicht so einheitlich wie heute. Stattdessen repräsentierten sie viele ehrenwerte Berufe wie Schmied, Händler, Arzt oder Bote – nur einer von ihnen war tatsächlich ein Bauer. Später wurden sie vereinheitlicht zu gleichartigen Fußsoldaten beziehungsweise Bauern.
Der Turm
Zielsichere gerade Züge können die beiden äußersten Figuren – die Türme – ausführen. Im Gegensatz zu ihrem Äußeren blieb die Zugweise kaum verändert – abgesehen davon, dass sie von der Position des heutigen Läufers an den Rand des Spielbretts gedrängt wurden. Doch das war nicht die einzige Veränderung: Entgegen der Zugrichtung des Turms kreuzte sich die Geschichte von ihm und dem Läufer.
So waren beide Figuren früher schon einmal Elefanten. Im ältesten indischen Spiel war zunächst der Turm ein Elefant und erst später mutierte er zum Streitwagen, dem sogenannten „rukh“. Die Perser machten aus ihm später den mythologischen Vogel „Ruk“ und die Italiener eine Burg („rocco“). Die Verbindung von Burg und Turm liegt nahe.
Bis ins 15. Jahrhundert war der Turm die mächtigste Figur auf dem Feld – bis die Dame kam. Im russischen Raum wird der Turm auch als Schiff dargestellt – angelehnt an ein seltenes indisches Vorbild.
Der Springer
Zwei Felder vor und eins zur Seite: Jene besagte Figur mit diesem Zugweg ist in manchen Ländern tierisch (in Spanien ein Pferd) und in anderen menschlich (in England ein Ritter). In Deutschland kann sie als Springer beides darstellen.
Sein berühmter Rösselsprung blieb im Laufe der Zeit vermutlich immer gleich. Auch optisch gab es sehr wahrscheinlich keine nennenswerten Veränderungen. Bei der Variante des Märchenschachs kann der Springer aber mal zu einem Kamel, Zebra, Gecko, Giraffe, Hasen oder Flamingo mutieren.
Der Läufer
Immer diagonal – ob vorwärts oder rückwärts: Jeweils ein Läufer pro Spieler agiert nur auf schwarzen oder weißen Feldern. Je nach Gestaltung tragen zudem schwarze Läufer, weiße Käppchen und weiße Läufer, schwarze Hüte. Passend dazu heißen die Läufer in Frankreich Narren und in England Bischof.
Vervollständigt wird die Verwirrung durch den bereits genannten Fakt, dass der Läufer im Persischen ein Elefant war. Doch wie passen Elefanten, Narren, Bischöfe und Läufer zusammen? Die Antwort: aufgrund der Ausgestaltung der Figur.
So besaß die Urform, wie es sich für einen grauen Dickhäuter gehört, zwei Stoßzähne. Diese waren groß, markant und gebogen ausgearbeitet. Je nach künstlerischem Talent des Spielzeugmachers sahen die Menschen früher darin Narrenkappen oder Bischofsmützen. Im mittelalterlichen Deutschland war der Läufer schlicht ein „Alter“.
Früher konnte sich der Läufer zudem nur hüpfend fortbewegen – also das übernächste diagonale Feld betreten. Damit war er ähnlich schwach wirksam wie ein Bauer. In manch seltenen indischen Spielen wird dieser auch als Boot dargestellt.
Auch heute noch kann die Gestaltung der Figuren je nach Schach und Thema abweichen. Neben den traditionellen Formen gibt es Spiele mit Figuren, die verschiedene Völker, mythologische Wesen oder Kultpersonen wie jene aus „Der Herr der Ringe“ zeigen. Mit ihnen können allerlei Schachvarianten – von Blitzschach bis Chaosschach – gespielt werden.
Eins haben jedoch alle gemeinsam: Sie sind ein kreativer und nützlicher Zeitvertreib, der viele Spielerherzen noch heute auf der ganzen Welt erfreut.
vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.
Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.
Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.
Ihre Epoch Times - Redaktion