Plattentektonik wackelt: Gibt es versunkene Welten unter dem Pazifik?
Die Wissenschaft ist gekennzeichnet von Wandel: Bereits die kleinste Entdeckung kann große Wellen schlagen und etablierte Theorie leicht abändern oder gar gänzlich zum Einsturz bringen. Auch die Plattentektonik scheint davor nicht gefeit zu sein, wie eine neue Studie aus der Schweiz andeutet.
Grund ist eine überraschende Entdeckung: Ein Team von Geophysikern der ETH Zürich und des California Institute of Technology fanden bei der Auswertung von Erdbebenwellen Hinweise auf versunkene Welten. Nur dürften sie nach aktuellem Wissensstand an jenen Orten gar nicht existieren. Bestätigt sich ihre Existenz, stellt das die Theorie der Plattentektonik infrage.
In die Erde eintauchen
Die Erforschung der Abläufe im Erdinneren ist alles andere als einfach. Niemand kann kilometertief in die Erde blicken und den Platten bei ihrer Bewegung zusehen. Auch kann niemand tief genug bohren, um Proben aus jenem Bereich des Erdmantels zu holen, wo sich die Erdplatten befinden, oder dort Temperatur und Druck messen. Um dennoch zu sehen, was sich tief unter unseren Füßen abspielt, nutzen Geophysiker indirekte Methoden.
So verwenden sie unter anderem Seismogramme, sprich Aufzeichnungen von Erdbeben, um die Ausbreitungsgeschwindigkeit von Erdbebenwellen zu ermitteln. Daraus berechnen sie die innere Struktur der Erde. Das ist fast so, wie Mediziner mittels Ultraschall Organe, Muskeln oder Adern im Körperinneren sichtbar machen, ohne direkt in den Körper zu blicken.
Das funktioniert wie folgt: Bebt die Erde, breiten sich vom Ort des Erdbebens, dem Epizentrum, seismische Wellen in alle Richtungen aus. Auf ihrem Weg durch die Erde werden sie gebrochen, gebeugt oder reflektiert. Die Ausbreitungsgeschwindigkeit der Wellen hängt vom jeweiligen Wellentyp ab, aber auch von der Dichte und Elastizität des Materials, das die Wellen durchlaufen.
Seismografische Stationen zeichnen diese unterschiedlichen Wellen auf. Anhand dieser Aufzeichnungen können Geophysiker auf die Struktur und die Beschaffenheit der Erde schließen und die Vorgänge im Erdinnern untersuchen. Das hat den Wissenschaftlern geholfen, die Abläufe der Plattentektonik zu erforschen. Damit ergab sich ein Bild über die Entstehung und Zerstörung von Platten im Laufe der Erdgeschichte.
Plattenreste, wo keine sein dürften
So bestimmten Erdwissenschaftler anhand der seismischen Aufzeichnungen die Lage von untergetauchten Erdplatten im gesamten Erdmantel. Sie fanden sie stets dort, wo sie diese erwartet hatten: im Bereich von sogenannten Subduktionszonen, also dort, wo zwei Platten aufeinandertreffen und die eine unter die andere ins Erdinnere abtaucht.
Mit einem neuen hochauflösenden Modell fanden die Geologen um Thomas Schouten, Erstautor der Studie und Doktorand an der ETH Zürich, im Erdinnern jüngst mehrere Bereiche, die ebenfalls nach Resten von untergetauchten Platten aussehen. Diese liegen aber nicht dort, wo Forscher sie erwarten würden.
Statt in der Nähe von Subduktionszonen liegen die Plattenteile unter großen Ozeanen oder im Inneren von Kontinenten – weit entfernt von Plattengrenzen. Dies ist mysteriös, da es dort auch keine geologischen Hinweise auf uralte Subduktionszonen gibt.
Liegt unter dem Pazifik eine vergangene Welt?
„Offenbar sind solche Zonen im Erdmantel viel weiter verbreitet, als bisher angenommen“, sagte Schouten.
Eine der neu entdeckten Zonen liegt unter dem westlichen Pazifik. Dort sollte aber nach gängigen plattentektonischen Theorien und Erkenntnissen kein Material von abgetauchten Platten vorhanden sein, da es dort in der jüngeren geologischen Geschichte keine Subduktionszonen gab.
Um welches Material es sich handelt, ist den Forscher nicht bekannt, auch nicht, was dies für die Dynamik im Inneren der Erde bedeutet.
„Das ist unser Dilemma. Mit dem neuen hochaufgelösten Modell sehen wir zwar überall im Erdmantel solche Anomalien. Was sie genau sind und was für Material die von uns aufgedeckten Muster erzeugt, wissen wir nicht“, so die Forscher.
Es sei wie bei einem Arzt, der jahrzehntelang mit Ultraschall den Blutkreislauf untersucht und genau dort Arterien findet, wo er sie vermutet. „Gibt man ihm jedoch ein neues, besseres Untersuchungsinstrument, sieht er plötzlich in der Pobacke eine Arterie, die da eigentlich nicht hingehört. Genauso geht es uns mit den neuen Erkenntnissen“, erklärt Prof. Andreas Fichtner, Wellenphysiker an der ETH Zürich und Entwickler des Modells.
Mehr Informationen zur Plattentektonik nötig
Die Forscher können also bislang nur spekulieren. „Wir denken, dass die Anomalien im unteren Erdmantel vielfältige Ursprünge haben“, erklärt Schouten. Er hält es für möglich, dass sie nicht bloß aus kaltem Plattenmaterial bestehen, das in den letzten 200 Millionen Jahren abgetaucht ist.
„Es könnte entweder sehr altes silikatreiches Material sein, das seit der Entstehung des Erdmantels vor vier Milliarden Jahren dort ist und trotz der Bewegungen im Mantel überlebt hat. Oder es könnten Zonen sein, wo sich eisenreiches Gestein über Milliarden von Jahren anreichert als Folge dieser Mantelbewegungen“, so Schouten.
Für den Erdwissenschaftler heißt es vor allem, dass mehr Forschung nötig ist, um mehr Details im Erdinnern zu sehen. „Die Wellen, die wir für das Modell nutzen, bilden im Wesentlichen nur eine Eigenschaft ab, nämlich die Geschwindigkeit, mit der sie durch das Erdinnere rasen“, erklärt der Geologe.
Das werde dem komplexen Inneren der Erde jedoch nicht gerecht. „Im Wesentlichen müssen wir uns intensiv mit den Materialeigenschaften befassen, die hinter der Wellengeschwindigkeit steckt“, so Schouten abschließend.
Die Studie erschien am 4. November 2024 im Fachmagazin „Scientific Reports“.
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