Immer mehr Erneuerbare, aber kaum mehr Strom

Höher, größer, mehr. So lässt sich der Ausbau der Erneuerbaren in Deutschland beschreiben. Doch obwohl Anzahl und installierte Leistung der Anlagen immer weiter steigt, erhöht sich die Stromausbeute nur wenig. Ist das Ziel von „100 Prozent Erneuerbare“ überhaupt noch realistisch?
Der Ausbau der Erneuerbaren hinkt den Plänen hinterher. Noch langsamer als die installierte Leistung steigt jedoch die Stromeinspeisung der Anlagen.
Der Ausbau der Erneuerbaren hinkt den Plänen hinterher. Noch langsamer als die installierte Leistung steigt die damit gewonnene Energie.Foto: iStock
Von 3. Mai 2024

22,1 Milliarden Kilowattstunden Strom sollen die Erneuerbaren im April 2024 geliefert haben, das berechneten Analysten des Stromversorgers E.ON Energie. Die Nachrichtenagentur AFP spricht in diesem Zusammenhang von einem „neuen Rekord“ der grünen Stromerzeugung für April. Die Berechnungen beruhten auf Daten der Bundesnetzagentur, Wetterprognosen sowie erwarteter Energiemengen im Strommarkt.

Ein Blick auf die Zahlen lässt diesen weit weniger spektakulär aussehen. Im Vergleich zum bisherigen Höchstwert ergibt sich sogar ein deutlicher Rückgang der Stromausbeute. Mehr Windkraftanlagen bedeuten demnach nicht unbedingt auch mehr Strom.

8,8 Millionen Haushalte – rein rechnerisch

„Viel Wind und viele neue Anlagen haben im April für einen neuen Ökostromrekord gesorgt“, heißt es in der AFP-Meldung. Im April, genauer gesagt vom 1. bis zum 29. April, haben Windkraftanlagen „rund 22,1 Milliarden Kilowattstunden grünen Strom ins allgemeine Stromnetz eingespeist“. Das sei nach Berechnungen von E.ON Energie mehr als je zuvor in einem April.

„Rein rechnerisch könnten sich mit dem erzeugten Ökostrom rund 8,8 Millionen Haushalte in Deutschland ein Jahr mit grüner Energie versorgen“, erklärte E.ON Energie am Dienstag. Vorausgesetzt, es gibt ausreichend Speicher, um Flauten zu überbrücken.

Auch wenn die Formulierung „rein rechnerisch“ die eingeschränkte Aussagekraft andeutet, wird dies oft überlesen. Tatsächlich sagt die eingespeiste Strommenge nichts über die Verwendung aus, sprich es ist völlig unklar, wie viel von diesem Strom überhaupt in Deutschland bleibt. So exportiert Deutschland insbesondere bei hoher Einspeisung der Erneuerbaren regelmäßig Strom, teils zu negativen Preisen.

Zuletzt bekamen ausländische Stromkunden am 1. Mai so bis zu 120 Euro pro Megawattstunde dafür, dass sie selbst kein Strom produzieren mussten. Das entspricht zwölf Cent pro Kilowattstunde. Bezahlen muss dies letztendlich der deutsche Stromkunde.

Rekorde oder nicht

Wie AFP unter Berufung auf E.ON weiter mitteilte, speisten Windkraftanlagen im Betrachtungszeitraum rund 11,4 Milliarden Kilowattstunden Ökostrom ein. Solaranlagen steuerten zeitgleich rund 6,1 Milliarden Kilowattstunden bei.

„Der neue Ökostrom-Rekord für einen April und die starken Werte im Bereich der Sonnenstromerzeugung zeigen, dass wir bei der Dekarbonisierung auf dem richtigen Weg sind“, erklärte Filip Thon, Chef von E.ON Energie in Deutschland, gegenüber der Nachrichtenagentur. Die Grenze von 20 Milliarden eingespeisten Kilowattstunden aus erneuerbaren Energien in einem April sei dem Unternehmen zufolge bisher nur im Jahr 2022 erreicht worden. Damals wurden rund 21 Milliarden Kilowattstunden „Ökostrom“ ins Stromnetz eingespeist.

Beim wiederholten Lesen fallen wiederum zwei maßgebliche Einschränkungen ins Auge: Einerseits wird wiederholt auf den April verwiesen. Warum, wird beim Blick auf die E.ON-Website deutlich:

Vom 1. bis einschließlich 29. Januar 2024 speisten die Erneuerbaren insgesamt rund 23,3 Milliarden Kilowattstunden ein, davon allein 17,3 Milliarden kWh Windstrom. Im Januar 2023 lieferten die Erneuerbaren insgesamt rund 22,8 Milliarden kWh. Ob jener im Inland genutzt wurde oder exportiert wurde, bleibt wiederum unklar.

In beiden Monaten war die Einspeisung jedoch höher als im April 2024. Möglich ist dies, weil sowohl Wind- als auch Solarstrom eine ausgeprägte Saisonalität aufweisen. Einen entsprechenden Hinweis sucht man bei AFP, aber auch bei E.ON vergeblich.

Weniger Strom pro installierter Leistung

Die zweite Einschränkung erfordert etwas mehr Recherche: Wie AFP mit Verweis auf die Bundesnetzagentur mitteilt, war die installierte Leistung von Erneuerbare-Energien-Anlagen im vergangenen Jahr um 17 Gigawatt gestiegen. Zu Jahresbeginn 2024 standen demnach knapp 170 Gigawatt zur Verfügung. Daraus ergibt sich auch, dass es zu Beginn des Jahres 2023 etwa 153 Gigawatt installierte Leistung waren.

Setzt man die jeweilige Einspeisung der Erneuerbaren ins Verhältnis der installierten Leistung zu Jahresbeginn, erzeugten die Erneuerbaren im Jahr 2024 in Bezug auf die installierte Leistung weniger Strom. Das gilt sowohl für Januar als auch für April.

Für April 2024 ergibt sich aus den genannten Zahlen eine Stromausbeute von 0,13 Milliarden Kilowattstunden pro Monat und Gigawatt installierter Leistung. Umgerechnet in eine „handlichere“ Einheit sind das monatlich 130 Gigawattstunden pro installiertem Gigawatt (GWh/GWinst). Im April 2023 wurden bei analoger Berechnung gut 137 GWh/GWinst erreicht.

Während die installierte Leistung im Vergleich zum Vorjahr um etwa 11,1 Prozent gestiegen ist, stieg die eingespeiste Strommenge im April um lediglich 5,2 Prozent. Anders ausgedrückt: Während die Erneuerbaren mehr als zehn Prozent leistungsfähiger wurden, ist die monatliche Stromausbeute „pro Anlage“ um gut fünf Prozent gesunken.

Das gleiche Bild ergibt sich bei Betrachtung der Januarzahlen: Im Januar 2024 betrug die monatliche Stromausbeute zwar ebenfalls 137 GWh/GWinst, im Januar 2023 waren es indes 149 GWh/GWinst. Hierbei fiel der Rückgang mit über acht Prozent sogar noch stärker aus.

Solar: 70 Prozent mehr Anlagen, nur 20 Prozent mehr Strom

Noch deutlicher wird dies, wenn die politisch bevorzugten und stark subventionierten Energieträger Sonne und Wind getrennt betrachtet werden. Zu Jahresbeginn 2024 waren laut Bundesnetzagentur 67,6 GW Solar- und 69,4 GW Windkraftanlagen installiert. Im Laufe des letzten Jahres habe Deutschland „vor allem beim Zubau von Photovoltaik-Anlagen einen großen Schritt nach vorn“ gemacht. Hierbei kamen 14,1 GW hinzu, bei Windkraft waren es in Summe, an Land und auf See, 3,2 Gigawatt.

Das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE liefert auf seiner Website energy-charts.info darüber hinaus – leicht abweichende – Daten für die einzelnen Monate. Um für die folgenden Berechnungen eine einheitliche Datenbasis zu haben, werden ausschließlich die Werte des ISE genutzt:

Im Januar 2024 speisten Solaranlagen laut E.ON 1,3 Milliarden Kilowattstunden oder etwa 15,5 GWh pro GW installierte Solarleistung ein. Der bisherige Januar-Rekord stammt aus dem Jahr 2020 mit 1,1 Milliarden kWh. Unter Berücksichtigung der damals installierten Leistung von 49,2 GW ergibt sich eine Stromausbeute von 22,4 GWh pro GW installierte Solarleistung.

Während die installierte Leistung also binnen vier Jahren um über 70 Prozent gestiegen ist, wuchs die eingespeiste Strommenge im gleichen Zeitraum weniger als 20 Prozent. Daraus ergibt sich ein Rückgang der monatlichen Stromausbeute um gut 30 Prozent.

Dies kann heißen, dass neue Anlagen weniger leistungsfähig sind als alte, zum Beispiel, weil neuere Anlagen an immer schlechteren Standorten errichtet werden (müssen). Möglich ist indes auch, dass zwar immer mehr Anlagen entstehen, diese aufgrund der beschränkten Kapazitäten im Stromnetz aber nicht einspeisen können. In beiden Fällen erscheint der angestrebte weitere Ausbau der Solarenergie fraglich.

Wind: Halb so viel Strom in der doppelten Zeit

Windkraftanlagen lieferten im Januar 2024 laut E.ON ihrerseits 17,3 Milliarden kWh Strom, genauso viel wie ein Jahr zuvor. Bei einem Ausbau der Windkraft von 5,0 Prozent entspricht dies einem Rückgang der Stromausbeute von 4,8 Prozent. Auch hier ist anzunehmen, dass neue Anlagen an immer windschwächeren Orten stehen.

Unabhängig davon zeigt die Vergangenheit, dass die Stromerzeugung aus Windkraft ganz anders aussehen kann. Saisonal bedingt sind die Sommermonate prädestiniert für Solarstromerzeugung – die Tage sind länger und die Sonne steht höher. Die Wonnemonate für Windkraft liegen indes am Anfang des Jahres, insbesondere im Februar. So speisten Windkraftanlagen laut E.ON allein vom 1. bis zum 17. Februar 2022 mehr als 28 Milliarden Kilowattstunden (kWh) Strom ein.

Verglichen mit der „Rekordeinspeisung“ von April 2024 ist das mehr als alle Erneuerbaren im letzten Monat zusammen – in knapp der Hälfte der Zeit und bei weit weniger installierter Leistung. Bezogen nur auf Windkraftanlagen und unter der Annahme, dass der Wind in der zweiten Februarhälfte 2022 ebenso stark blies wie in den ersten 17 Tagen, ist von einer monatlichen Stromausbeute von sage und schreibe 721 GWh/GWinst auszugehen. Das ist fast das Dreifache des Wertes von April 2024 (248,5 GWh/GWinst).

Launen der Natur können Stromversorgung nicht gewährleisten

Auch wenn der letzte Vergleich monatsübergreifend ist und damit saisonale Einflüsse enthält, wird angesichts der Zahlen eins deutlich: Weil viele der Erneuerbaren wortwörtlich eine Laune der Natur sind, ist es nicht ohne Weiteres möglich, vom Ausbau der Erneuerbaren auf die zu erwartende Stromeinspeisung zu schließen.

Obgleich die Stromausbeute zuletzt deutlich hinterherhinkte, kann sie – wetterbedingt – prinzipiell auch stärker steigen als der Ausbau. Dies als Erfolg der Energiewende zu verbuchen, wäre aber ebenso irreführend, wie von Rekorden zu sprechen, wenn die Stromausbeute sinkt.

Da es jedoch bis heute keine nennenswerten Speicher gibt, ist es unmöglich, den zeitweise überschüssigen erneuerbaren Strom aufzubewahren. Weil außerdem konventionelle Kraftwerke benötigt werden, um das Stromnetz zu stabilisieren, können niemals 100 Prozent Erneuerbare im Netz sein. Damit ist es ebenso unmöglich, 100 Prozent Erneuerbare zu verbrauchen.



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