Russische Oligarchen verklagen die EU

Russlands superreiche Oligarchen könnten Druck auf Wladimir Putin ausüben. Während sie durch die Sanktionen riesige Summen verlieren, verklagen bereits mehr als 60 von ihnen die EU. Unter denen, die nicht sanktioniert wurden, häufen sich mysteriöse Todesfälle.
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Außenansicht von Hanover Lodge, einer Immobilie im Besitz von Andrej Gontscharenko, dem Vorstandsvorsitzenden von Gazprom Invest in London, Vereinigtes Königreich.Foto: Leon Neal/Getty Images
Von 22. Dezember 2022

Aufgrund der engen Verbindungen zur russischen Regierung und zu Putin sind Oligarchen und Unternehmen in Russland und Weißrussland von EU-Sanktionen betroffen. Wirtschaftsführer, die dem Kreml nahe stehen, sowie mehr als 1.000 Einzelpersonen und Unternehmen unterliegen Einschränkungen.

Durch die Sanktionen wurden Milliarden an Vermögen der russischen Superreichen festgesetzt, vor allem Villen, Privatjets und Luxusyachten. Die persönlichen Sanktionen, die gegen sie verhängt wurden, sollen Druck auf Wladimir Putin ausüben.

Nun hat die spanische „News ES Euro“ ermittelt, dass mittlerweile 61 Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof anhängig sind: Die betroffenen russischen Oligarchen verteidigen sich gegen die Sanktionsmaßnahmen der EU in Luxemburg.

Die Oligarchen behaupten, dass sie unrechtmäßig sanktioniert wurden. Sie fordern eine Entschädigung und die Aufhebung der Regelung. Auf der Liste der Kläger in Luxemburg stehen unter anderem Roman Abramowitsch, der frühere Besitzer des englischen Fussballclubs FC Chelsea, und Michail Fridman, Gründer und Manager des großen Finanzkonzerns Alfa Group.

Chelseas ehemaliger russischer Besitzer Roman Abramowitsch. Foto: AFP PHOTO/BEN STANSALL

Oligarchen: „Die EU muss zahlen“

Laut den Dokumenten, die auf der Website des Gerichtshofs verfügbar sind, fordern Oligarchen in der Regel Schadensersatz.

Zwei Oligarchen, Grigorij Berezkin und Gennadij Timtschenko, fordern zum Beispiel eine Entschädigung für den „immateriellen Schaden“, den sie erlitten haben. Im Fall von Berezkin ist dieser immaterielle Schaden die Schädigung seines „Rufs“ durch die Maßnahmen. Seiner Ansicht nach gab es keine Beweise dafür, dass er die russische Regierung unterstützt oder in die Ereignisse in der Ukraine verwickelt wäre.

Die Höhe der geforderten Entschädigung ist von Person zu Person unterschiedlich. Berezkin zum Beispiel fordert eine symbolische Summe von nur 1 Euro, während andere Millionen verlangen. So Timtschenko, der 1 Million Euro Schadenersatz von der EU verlangt. Der 69-Jährige ist ein enger Freund von Putin und Hauptaktionär der Bank Rossiya (geschätztes Vermögen: 20 Milliarden Euro). Er lebt in einer Luxusvilla am Genfer See in der Schweiz. In seiner Klage wirft er der EU einen „offensichtlichen Beurteilungsfehler“ in Bezug auf „die Beziehung zwischen dem Kläger und Präsident Putin“ vor.

Die Luxusyacht „Eclipse“ des russischen Oligarchen Roman Abramowitsch, einer der russischen Oligarchen, die nach dem Einmarsch Russlands in der Ukraine von Großbritannien und der EU sanktioniert wurden. Foto: FATIH CETIN/AFP via Getty Images

Weitere häufig verwendete Klagegründe sind unter anderem die „Verletzung des Rechts auf effektiven gerichtlichen Schutz und der Begründungspflicht“ und ein „Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und gegen die Grundrechte“.

Grundrechte beinhalten sowohl Eigentumsrechte als auch Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens, der Wohnung und der Kommunikation, wie der Fall von Serguey Mndoiants auch zeigt.

Die 24 Meter lange Yacht „La Petite Ourse“, die dem russischen Oligarchen Alexej Kusmitschew gehört und die laut einer dem Fall nahestehenden Quelle einen Wert von vier Millionen Euro haben soll. Sie wurde am 16. März 2022 „eingefroren“ und befindet sich seit dem 24. März 2022 im Hafen von Antibes, Südfrankreich. Foto: VALERY HACHE/AFP via Getty Images

Geklagt hat auch der in Deutschland bekannte Oligarch Alischer Usmanow. In dem Beschluss über die Sanktionen betreffend Usmanow heißt es, er habe als Strohmann für Putin gedient und dessen geschäftliche Probleme gelöst.

Im April haben die Behörden seine Luxusyacht „Dibar“ festgesetzt, die mit einem Schätzwert von mehr als 500 Millionen Euro als teuerste Yacht der Welt gilt. Eignerin soll offiziell Usmanows Schwester sein. Usmanow hatte versucht, per Eilbeschluss von der EU-Sanktionsliste gestrichen zu werden. Das lehnte der Präsident des zuständigen Gerichts der Europäischen Union ab, berichtet „Watson“.

Massive Verluste

Nach Angaben von „Forbes“ umfasst die diesjährige Milliardärsliste 83 Russen, von denen 68 als Oligarchen gelten. Die anderen 18 Oligarchen waren vor dem Krieg Milliardäre, haben aber seit dem Einmarsch in die Ukraine viel Geld verloren.

Die Experten schätzten, dass diese Oligarchen zwischen Januar und April 240 Milliarden Dollar verloren haben, fast die Hälfte ihres Nettovermögens vor dem Krieg. Die „Moscow Times“ berichtete ganz konkret, wie viel die Superreichsten im letzten Jahr durch die Sanktionen an Geld verloren haben:

Alexei Mordaschow: Verlust von 15,9 Mrd. $.
2021: 29,1 Mrd. $ – 2022: 13,2 Mrd. $

Wagit Alekperow: Verlust von 14,4 Mrd. $.
2021: 24,9 Mrd. $ – 2022: 10,5 Mrd. $

Suleiman Kerimow: Verlust von 11,4 Mrd. $.
2021: 15,8 Mrd. $ – 2022: 4,4 Mrd. $

Leonid Mikhelson: Verlust von 10,9 Mrd. $.
2021: 24,9 Mrd. $ – 2022: 14 Mrd. $

Gennadi Timschenko: Verlust von 10,7 Mrd. $.
2021: 22 Mrd. $ – 2022: 11,3 Mrd. $

Wladimir Potanin: Verlust von 9,7 Mrd. $
2021: 27 Mrd. $ – 2022: 17,3 Mrd. $

Roman Abramowisch: Verlust von 7,6 Mrd. $.
2021: 14,5 Mrd. $ – 2022: 6,9 Mrd. $

Alischer Usmanow: Verlust von 6,9 Mrd. $.

2021: 18,4 Mrd. $ – 2022: 11,5 Mrd. $

Der reichste unter ihnen hatte einen bedeutenden Anteil an der TUI Freizeitunternehmen. Mordaschow, der auch der Chef des russischen Stahlriesen Severstal ist, wurde 1992 im Alter von 27 Jahren Fabrikbesitzer. Während der Sanktionen wurden laut Forbes eine Yacht und eine 115-Millionen-Dollar-Villa im Norden Sardiniens von der italienischen Polizei eingefroren. Die Zeitung berichtete außerdem, dass er seine wichtigsten Vermögenswerte, darunter auch seine Anteile am Freizeitunternehmen TUI am selben Tag, an dem die EU Sanktionen gegen ihn verhängte, auf seine Frau übertragen hat.

Schokoladenbüsten der reichsten Männer Russlands (v.l.n.r.): Wladimir Potanin, Roman Abramowitsch, Boris Beresowski, Michail Chodorkowski, Michail Fridman, Anatoli Tschubais und Oleg Deripaska in einem Moskauer Café, 3. Dezember 2003, während der Präsentation des Projekts Schokoladen-Oligarchen. Foto: ALEXANDER NEMENOV/AFP via Getty Images

Wagit Alekperow hat auch ein bekanntes Unternehmen, das mit ihrem Namen verbunden ist. Wagit, der zuvor auf Ölbohrtürmen im Kaspischen Meer gearbeitet hat und stellvertretender Öl- und Gasminister in der letzten sowjetischen Regierung war, hat Lukoil 1991 als Staatsunternehmen gegründet. Zwei Jahre später nahm er es in private Hände. Derzeit werden dort zwei Prozent des weltweiten Erdöls gefördert, berichtet „Forbes“.

Was die Oligarchen tun können, bleibt offen

Es ist fraglich, welche Schritte die Oligarchen unternehmen werden, um die riesigen Verluste zu stoppen. Fraglich ist auch, ob sie wirklich Druck auf Putin ausüben. Die „Moscow Times“ berichtete bereits im Mai, dass Abramowitsch an Gesprächen zur Beendigung des Krieges beteiligt war, mit dem Einverständnis beider Seiten.

Auch andere Oligarchen haben den Konflikt kritisiert, so die Zeitung. Auf Instagram kursierte ein Tweet des von Großbritannien sanktionierten Unternehmers und Bankiers Oleg Tinkow. Er sprach von „diesem verrückten Krieg“ und Russlands „dummer Armee“.

Der russische Geschäftsmann Oleg Tinkow. Foto: OLGA MALTSEVA/AFP via Getty Images

Oleg Deripaska, der von Großbritannien, der EU und den USA sanktioniert wurde, nannte die Fortsetzung der Kämpfe „Wahnsinn“. Andere forderten ein Ende des „Blutvergießens“.

Experten bezweifeln jedoch, dass die Oligarchen sich gegen Putin verbünden werden. „Es wäre nicht in ihrem Interesse, Putin vorschnell zu verurteilen“, sagte Elisabeth Schimpfössl, Dozentin für Soziologie an der Aston University in Birmingham (England) und Autorin des Buches „Rich Russians: From Oligarchs to Bourgeoisie“ gegenüber „Moscow Times“.

Mysteriöse Todesfälle unter denen, die keine Sanktionen erhielten

Bei einigen Superreichen, die nicht von der EU sanktioniert wurden, gibt es andere interessante Entwicklungen. Das sind diejenigen, die dem russischen Präsidenten theoretisch nicht so nahe stehen sollen.

„Newsweek“ beleuchtet, dass in diesem Jahr mindestens acht Oligarchen unter ungeklärten Umständen gestorben seien. Die Mehrheit von ihnen hatte Öl- oder Gas-Interessen in Russland. Eine Untersuchung der plötzlichen Todesfälle, die größtenteils als „Selbstmord“ bezeichnet wurden, zeigte zwei gemeinsame Merkmale: „Keiner von ihnen war dafür bekannt, den Krieg des russischen Präsidenten Wladimir Putin in der Ukraine offen zu kritisieren, und keiner von ihnen stand auf der umfassenden Liste der Sanktionen, die gegen russische Personen, Systeme und Organisationen verhängt wurden.“

Unter den Verstorbenen ist beispielsweise der Vorsitzende des Verwaltungsrats von Lukoil, Ravil Maganov. Er fiel im September dieses Jahres aus dem Fenster des fünften Stocks des Zentralklinikums in Moskau.

Auch der russische Geschäftsmann Juri Woronow ist gestorben. Er hatte ein Logistikunternehmen mit einem lukrativen Vertrag mit Gazprom. Woronow wurde mit einer Kugel im Kopf in seinem Swimmingpool auf seinem Grundstück in der Nähe von St. Petersburg gefunden, berichtet „Index“.

Andrei Krukovsky war der Geschäftsführer des Gazprom-eigenen Skigebiets Krasnaja Poljana in der Nähe von Sotschi. Wie die russische Zeitung „Kommersant“ berichtet, wanderte Herr Krukovsky Anfang Mai zu einer mittelalterlichen Festungsruine, wo er von einer Klippe stürzte und starb.

Ein weiteres Beispiel ist ein Geschäftsmann, der den russischen Präsidenten Wladimir Putin kritisierte und im August in Washington starb. Dan Rapoport wurde in Lettland geboren. Er wird als stark pro-ukrainisch betrachtet und äußerte sich zuvor als Insider mit Pseudonym zu Kreml-Angelegenheiten. Auch sein ehemaliger russischer Geschäftspartner beging unter merkwürdigen Umständen Selbstmord, berichtet „Napi.hu“.

Putin kann ihnen jederzeit alles nehmen

Auch wenn die Zeitungen, die die Fälle untersuchen, nicht zu einer eindeutigen Schlussfolgerung über die Todesfälle kommen, ist offensichtlich, dass Oligarch zu sein keine Lebensversicherung bedeutet.

Kritiker sagen oft, dass die Oligarchen zwar Milliarden, Superyachten und Privatjets haben mögen – aber Staatschef Wladimir Putin und russische Behörden die Macht haben, ihnen das alles jederzeit zu nehmen.

Die Anfänge des Oligarchenreichtums gehen meist auf die 1990er-Jahre zurück. Nach dem Zerfall der Sowjetunion wurden die staatseigenen Betriebe privatisiert. Die Idee von Präsident Boris Jelzin war „ein Volk von Eigentümern“ zu schaffen. Zu den Mitteln gehörten Wertschecks, die an Bürger verteilt wurden und bei Auktionen zur Privatisierung eingesetzt werden konnten. Einige kauften sich in großem Stil derartige Wertschecks zusammen. So landete die Kontrolle über lukrative Großbetriebe russischer Industrien – Stahl, Metalle, Düngemittel – bei einer Handvoll Unternehmer.



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