„Ich bin kein Held“: Chinas SARS-Whistleblower stirbt im Alter von 91 Jahren
Der renommierte Ex-Militärchirurg Jiang Yanyong ist im Alter von 91 Jahren an einer Lungenentzündung gestorben, wie ein langjähriger Freund und Medienberichte aus Hongkong berichten. Yanyong ist kein Unbekannter. Im Jahr 2003 erregte er mit Enthüllungen über die Lungenseuche SARS internationales Aufsehen. Er war damals der erste Mediziner, der über das wahre Ausmaß der Epidemie berichtete. Später wurde er unter Hausarrest gestellt, nachdem er das Tian’anmen-Massaker von 1989 anprangert hatte.
Im Jahre 2015 gab er dem Hongkonger Sender „Cable TV“ ein denkwürdiges Interview, in dem er bestätigte, was ausländische Ermittler seit Jahren vermuteten: Dass in Chinas Militärkrankenhäusern ein illegales Geschäft mit Organraub an Gefangenen betrieben wird – und dass Chinas unfreiwillige „Organspender“ meist noch leben, während ihnen die Organe entnommen werden.
Die staatlichen Medien Chinas schwiegen zu Jiangs Tod, was unterstreicht, dass er auch im hohen Alter noch als politisch sensible Figur galt. Jiang arbeitete zurzeit des Tian’anmen-Massakers als Chefchirurg im Hauptkrankenhaus 301 der Volksbefreiungsarmee in Peking. Damals ging das chinesische Militär mit härtester Gewalt gegen die wochenlangen Pro-Demokratie-Proteste auf dem Platz des Himmlischen Friedens vor. Dabei kamen Tausende unbewaffnete Zivilisten und Studenten ums Leben.
Wütend über die falschen Nachrichten
Im März 2003 war Jiang bereits in den Ruhestand getreten, als er erfuhr, dass sich die Fälle des Schweren Akuten Respiratorischen Syndroms (SARS) in den Militärkrankenhäusern in Peking häuften. Darunter auch in dem Krankenhaus, in dem er gearbeitet hatte. Doch die Kommunistische Partei Chinas (KPC) versuchte den SARS-Ausbruch zu vertuschen und unterdrückte Informationen über die Ausbreitung des hochansteckenden Virus.
Am 3. April 2003 spielte der damalige Gesundheitsminister Zhang Wenkang das Ausmaß des Ausbruchs auf einer Pressekonferenz herunter. Angeblich hätte es bis Ende März desselben Jahres in Peking nur zwölf Infektionen und drei Todesfälle gegeben. Zhang versicherte der Internationalen Gemeinschaft, dass der Ausbruch „unter Kontrolle“ sei. Es sei sicher, „in China zu arbeiten, zu leben und sogar zu reisen – ob mit oder ohne Maske“, so Zhang damals.
Jiang fiel es schwer, an das Narrativ der hochrangigen KP-Gesundheitsfunktionäre im Fernsehen zu glauben. Am 4. April schrieb er einen Brief, in dem er darauf hinwies, dass allein in zwei Pekinger Krankenhäusern über 100 Patienten wegen SARS behandelt wurden. In seinem Brief schrieb er: „Als ich heute ins Krankenhaus ging, waren alle Ärzte wütend über die Nachrichten.“ Und die Medien sollten das wahre Ausmaß des Ausbruchs berichten, um das Leben und die Gesundheit der Bevölkerung zu schützen.
Jiangs Brandbrief sorgt für Druck auf KPC
Jiang schickte den 800 Wörter langen Brief danach per E-Mail an den staatlichen Fernsehsender CCTV und an ein Medienunternehmen in Hongkong. Beide ignorierten ihn. Dann wurde das Schreiben an westliche Medien weitergegeben, die es in vollem Wortlaut veröffentlichten.
Jiangs Brief brachte das Regime unter internationale Beobachtung. Zu dem Zeitpunkt befanden sich gerade Ermittler der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in der Provinz Guangdong, wo die ersten SARS-Fälle gemeldet wurden. Da immer mehr Berichte darauf hindeuteten, dass die Zahl der Infektionen in Peking höher war als die offiziellen Angaben, forderte die WHO die chinesischen Behörden auf, ihnen Zugang zur Hauptstadt zu gewähren, um die Ausbrüche zu untersuchen.
Am 20. April entließ die KPC den Gesundheitsminister sowie den Bürgermeister von Peking.
Noch im selben Jahr (2004) erhielt Jiang den philippinischen Ramon-Magsaysay-Preis für Verdienste für das Gemeinwohl. Er gilt als asiatische Variante des Friedensnobelpreises. In der Laudatio wurde er dafür gelobt, dass er „Chinas Gewohnheit des Schweigens gebrochen und die Wahrheit über SARS an die Öffentlichkeit gebracht hat“. Allerdings durfte Jiang das Land nicht verlassen, sodass seine Tochter den Preis in seinem Namen entgegennahm.
Was er nach dem Tian’anmen-Massaker sah
Stattdessen stellte das chinesische Regime Jiang und seine Frau unter Hausarrest. Und was war der Grund? Sie hatten Pekings Führung aufgefordert, zuzugeben, dass der Militärschlag gegen die Studenten und andere Demonstranten im Jahr 1989 falsch war. In einem Brief hatte der Militärarzt seine persönlichen Erlebnisse in der Nacht des 3. Juni 1989 in der Notaufnahme beschrieben. Das war, nachdem das Regime Panzer und bewaffnete Truppen gegen die unbewaffneten Demonstranten auf dem Platz des Himmlischen Friedens eingesetzt hatte.
Auf dem Boden und den Untersuchungstischen lagen sieben junge Menschen mit blutverschmierten Gesichtern und Körpern. Zwei von ihnen wurden nach EKG-Untersuchungen für tot erklärt“, schrieb Jiang 2004 in einem Brief. „Mir schwirrte der Kopf. Ich wurde fast ohnmächtig. Ich war seit mehr als 30 Jahren Chirurg. Aber diesmal lagen unsere eigenen Leute vor mir, getötet von Kindern des chinesischen Volkes, mit Waffen, die ihnen das Volk gegeben hatte.“
Vier Monate, nachdem er den Brief verfasst hatte, wurde der Arzt in seiner Praxis verhaftet und 294 Tage lang festgehalten. Das schrieb Jiang in einem Brief aus dem Jahr 2009. Im Jahr 2007 wurde Jiang mit dem Heinz R. Pagels Human Rights of Scientists Award der New Yorker Akademie der Wissenschaften ausgezeichnet. Auch da konnte er den Preis nicht persönlich entgegen nehmen, weil er keine Ausreisegenehmigung erhielt.
Dennoch hat der Druck der KPC Jiang nicht davon abgehalten, seine Meinung zu sagen. Im Jahr 2015 enthüllte der pensionierte Chirurg, wie Militärkrankenhäuser sich an Chinas zwielichtigem Geschäft mit Organtransplantationen bereichern und Ärzte gesunden und lebenden Gefangenen Organe entfernten. In den letzten Jahren ist Jiang aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit verschwunden. Dennoch wurde er in den sozialen Medien Chinas immer wieder erwähnt, insbesondere während der COVID-Pandemie.
Jiang: „Ich bin kein Held“
Jiang wurde 1931 als Sohn einer wohlhabenden Bankiersfamilie in der Küstenprovinz Zhejiang geboren. Er studierte Medizin an der Yenching-Universität, nachdem er miterlebt hatte, wie seine Tante an Tuberkulose starb. Nach seinem Abschluss ging Jiang 1954 zum Militär und wurde drei Jahre später dem Krankenhaus Nr. 301 zugeteilt.
Als 1967 die Kulturrevolution der Kommunistischen Partei Chinas begann, wurde Jiang inhaftiert und später in die westliche Provinz Qinghai geschickt, um dort in Militärställen zu arbeiten. Im Jahr 1972 durfte er in das Krankenhaus Nr. 301 zurückkehren.
Als die Nachricht von Jiangs Tod Anfang dieser Woche bekannt wurde, gab es eine Menge Lob für den Arzt. „Jiang Yanyong ist ein Arzt mit einem Gewissen“, sagte ein Bewohner einer abgelegenen Gegend der Provinz Guangxi.
Jiang selbst hatte jedoch immer betont: Was er tut, sei nur „die grundlegendste Anforderung an einen Arzt“, nämlich die Wahrheit zu sagen. Gegenüber einem Staatsmedium im Jahr 2003 sagte er: „Ich bin kein Held“ und „Ich sage nur, dass Jiang Yanyong die Wahrheit sagt.“
Dieser Artikel erschien im Original auf theepochtimes.com unter dem Titel: Jiang Yanyong, a Chinese SARS Whistleblower, Dies at 91 (deutsche Bearbeitung nh)
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