Geoengineering: Forscher sehen „Schmerzmittel“ für Antarktisgletscher
„Doomsday Glacier“‚ übersetzt „Gletscher des Jüngsten Gerichts“ oder „Weltuntergangsgletscher“, ist ein inoffizieller Name des Thwaites-Gletschers im westantarktischen Marie-Byrd-Land, den er 2020 von der englischen Medienanstalt BBC erhielt. Diese düstere Bezeichnung geht auf Befürchtungen zurück, dass das vollständige Tauen der 192.000 Quadratkilometer großen Eismasse zu einem enormen Meeresspiegelanstieg führe und viele Küstenregionen verschwinden würden.
Ob es zu der befürchteten vollständigen Gletscherschmelze kommt und wenn ja, wie schnell, ist unter Wissenschaftlern umstritten. Im Mai 2024 veröffentlichten Wissenschaftler der University of California Irvine und der University of Waterloo eine Studie, in der es heißt, dass die Erwärmung der Gezeitenströmungen das Schmelzen des Thwaites-Gletschers beschleunige. Der Rückzug sei sogar noch schneller, als Klimamodelle vorhersagen würden.
Optimistischer zeigen sich dagegen Forscher des Dartmouth College in ihrer im August 2024 erschienenen Studie. Hierin heißt es, dass der Thwaites-Gletscher möglicherweise weniger anfällig für einen kompletten Zusammenbruch ist, als bisher angenommen.
Geoengineering als Lösung?
Angesichts der Ungewissheit in der derzeitigen Forschungslage sehen einige Wissenschaftler und Ingenieure im Gletscher-Geoengineering eine mögliche Lösung. Dabei soll der Einsatz von Technologie und Infrastruktur, den Gletscherrückgang verlangsamen oder stoppen, wenngleich die globalen Temperaturen steigen, und zur Erhaltung der Eismasse beitragen.
Eine Gruppe von Glaziologen der University of Chicago veröffentlichte im Juli 2024 einen Bericht, in dem sie, angesichts der Bedrohung durch den raschen Rückzug der Gletscher, mehr Forschung im Bereich des Geoengineering fordern.
John Moore, Professor der Universität Lappland, Finnland, und Mitverfasser des Berichts, erläuterte die Notwendigkeit, mit dieser Arbeit jetzt zu beginnen: „Es wird 15 bis 30 Jahre dauern, bis wir genug verstehen, um Eingriffe jeglicher Art zu empfehlen oder auszuschließen.“
Einige der Ideen zum Schutz des Thwaites- und anderer Gletscher können als radikal eingestuft werden. Dazu gehört die Schaffung riesiger unterseeischer Schutzvorrichtungen – wie Gardinen, die auf dem Meeresboden verankert sind –, die vollständig oder teilweise verhindern sollen, dass warme Gezeitenströme das Gletschereis erreichen.
Die Vorrichtungen könnten aus Stoff oder sogar aus Luftblasen bestehen, wenn ein Rohr mit Löchern, durch das Luft gepumpt wird, zwischen dem Thwaites und dem warmen Wasser platziert werde.
Laut Gernot Wagner, einem österreichischen Klimaökonomen, könnten solche Geoengineering-Eingriffe äußerst nützlich sein – wenn sie richtig umgesetzt werden. „Für einige polare Kipppunkte wie das arktische Meereis […] scheint glaziales Geoengineering die einzige Möglichkeit zu sein.“
Schmerzmittel statt Allheilmittel
Viele Glaziologen und Klimawissenschaftler hegen Widerstand gegen diese Ideen, da sie teuer, nur schwer oder gar nicht zu verwirklichen seien. Außerdem würde der Fokus von dem vermeintlich wichtigeren Thema – der Reduzierung von Treibhausgasemissionen – ablenken. Sich allein auf Geoengineering zu verlassen, würde zwar Symptome bekämpfen, jedoch nicht die Ursache.
Auch Wagner ist zwiegespalten bezüglich der Idee von Schutzvorhängen im antarktischen Meer. „Geoengineering-Optionen wie diese Vorhänge könnten von der Notwendigkeit ablenken, die Emissionen zu senken.“ Auf der anderen Seite, so sagt er, könne es als Denkanstoß für eine Lösung gesehen werden.
Angesichts der viel diskutierten und vorhergesagten Klimakipppunkte glauben viele Forscher, dass Geoengineering das Potenzial zu einem wirksamen Instrument hat – zumindest, solange es nicht als Allheilmittel betrachtet werde.
„Wenn wir über Geoengineering an Gletschern sprechen, müssen wir die Wahrheit sagen, dass es keine Lösung für den Klimawandel ist – bestenfalls ein Schmerzmittel“, so Wagner.
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