Lösten schmelzende Gletscher vor über 8.000 Jahren eine Klimaveränderung aus?
Was wäre, wenn alle Gletscher auf Grönland schmelzen und die Insel im Nordatlantik wieder komplett eisfrei und grün wäre? Und welche Folgen hätte dies auf das Weltklima? Das sind zwei insbesondere in Politik und (Klima-)Wissenschaft häufig und heiß diskutierte Fragen.
Ein Team von Geowissenschaftlern unter der Leitung von Dr. Graham Rush von der Universität Leeds könnte nun antworten. Möglich machen dies mehr als 8.000 Jahre alte geologische Proben aus der Ythan-Mündung in Schottland.
Zwei Welten treffen aufeinander
Vor mehr als 8.000 Jahren kam es im Nordatlantik und in Nordeuropa zu einer erheblichen Abkühlung. Diese soll durch Veränderungen in einem wichtigen System von Meeresströmungen, der sogenannten „Atlantischen Meridionalen Umwälzströmung“ (kurz AMOC), versucht worden sein. Die Veränderung dieser Strömungen wirkte sich schließlich auf die globalen Niederschlagsmuster aus.
Die Wissenschaft vermutet seit Längerem, dass ein massiver Zustrom von Süßwasser in die Salzwassermeere des Nordatlantiks einen Zusammenbruch der AMOC bewirken kann.
Um dies zu überprüfen und zu sehen, ob sich der Meeresspiegel vor mehr als 8.000 Jahren veränderte, entnahm das Forscherteam um Dr. Rush Bohrkerne aus dem Sediment der Ythan-Mündung. Innerhalb dieser Bohrkerne waren winzige Fossilien wie Schnecken, Muscheln und Co. enthalten, die heute eindeutige Hinweise auf ihre einstige Lebensumgebung geben.
Eine Untersuchung der Mikrofossilien und dem umgebenen Sediment ergab schließlich, dass die Veränderungen des Meeresspiegels deutlich über normalen Schwankungen lag. Statt den gewöhnlichen rund zwei Millimetern pro Jahr betrugen die Änderungen plötzlich bis zu 13 Millimeter pro Jahr. Einzelne Ereignisse führten wahrscheinlich sogar zu einem Anstieg des Wasserspiegels in der Ythan-Mündung um etwa zwei Meter.
Riesiger See nicht groß genug
Weiterhin zeigte die Analyse der Bohrkerne Beweise dafür, dass es mindestens zwei große Quellen von Süßwasser gab. Bislang nahmen Forscher an, dass es nur eine einzige Quelle gab, die in den Nordatlantik floss und die Veränderungen der AMOC verursachte. Demnach soll das Süßwasser mehrheitlich aus dem prähistorischen Agassiz-Ojibway-See stammen. Diese lag in der Nähe des heutigen Ontario in Nordamerika und war so groß wie das Schwarze Meer.
„Wir haben gezeigt, dass der See, obwohl er riesig war, nicht groß genug war, um all das Wasser in den Ozean zu leiten und den von uns beobachteten Anstieg des Meeresspiegels zu verursachen“, erklärt Dr. Rush in einer Pressemitteilung.
Stattdessen sahen der Geowissenschaftler und seine Kollegen eine zweite, ebenfalls in Nordamerika befindliche Quelle als Mitverursacher in den Bohrkernen. Bei dieser soll es sich um den Eissattel an der Hudson Bay handeln, welcher weite Teile Ostkanadas und des Nordostens der USA bedeckte.
Gletscher geschmolzen, Europa wird kälter und nasser
Das Einströmen der enormen Süßwassermengen hatte schließlich erhebliche Auswirkungen auf die ganze Welt. So sanken anschließend die Temperaturen im Nordatlantik und in Europa für rund 200 Jahre um 1,5 bis 5 Grad Celsius, während andere Regionen eine überdurchschnittliche Erwärmung erlebten. Auch die Niederschlagsmengen in Europa nahmen zu, während in anderen Teilen der Welt (zum Beispiel in Teilen Afrikas) trockenere Bedingungen und längere Dürreperioden auftraten.
Einen ähnlichen Effekt vermuten die Forscher der Universität Leeds für den Fall, dass die grönländischen Gletscher komplett oder große Teile dessen schmelzen. „Wir wissen, dass sich die AMOC derzeit verlangsamt. Einige Prognosen deuten darauf hin, dass sie ganz zum Erliegen kommen könnte, auch wenn darüber noch diskutiert wird“, fügt Rush hinzu.
„Wenn wir uns jedoch vergangene Ereignisse ansehen, können wir mehr über die Ursachen dieser Veränderungen und deren Wahrscheinlichkeit erfahren. Wir haben gezeigt, dass ein rascher Rückzug des Eisschilds, wie er in Grönland künftig eintreten könnte, eine Reihe bedeutender Auswirkungen haben kann […]“, schließt Rush.
Die Studie erscheint im Oktober 2023 im Fachjournal „Quaternary Science Advances“.
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