Innovation oder Altmetall: Was macht eine grüne Stahlhütte bei Stromausfall?

Boston Metal, eine Ausgründung des MIT, möchte ab 2026 Stahl und andere Metalle in großem Maßstab mit einem neuen Verfahren herstellen. Statt Kohlenstoffdioxid soll dabei als Nebenprodukt reiner Sauerstoff entstehen. Zwei Versuchsanlagen stehen bereits; ein Konzept, was sie bei Stromausfall tun, bleibt offen.
Die Erzeugung von Stahl wird für rund sieben bis neun Prozent der globalen CO₂-Emissionen verantwortlich gemacht.
Die Erzeugung von Stahl wird für rund sieben bis neun Prozent der globalen CO₂-Emissionen verantwortlich gemacht. Ein neues Verfahren soll dies vermeiden – so es ausreichend grünen Strom gibt.Foto: DedMityay/iStock
Von 6. Juni 2024

Stahl ist einer der nützlichsten Werkstoffe auf unserem Planeten. Gemeinsam mit Beton bildet er das Rückgrat des modernen Lebens. Egal ob für Wolkenkratzer und Brücken, Autos und Flugzeuge oder Tackerklammern und Besteck; in der Regel wird Eisenerz in einem Hochofen unter Zugabe von Kohle und Sauerstoff verhüttet. Ersteres für die nötige Hitze, letzteres um Verunreinigung zu entfernen. Damit gehen etwa sieben bis neun Prozent der weltweiten CO₂-Emissionen einher.

Dies versuchen Forscher zu eliminieren und so die Stahlindustrie zu säubern. Mit einem elektrochemischen Verfahren namens Oxidschmelzelektrolyse wollen sie viele Schritte in der Stahlherstellung überflüssig machen und als einziges Nebenprodukt Sauerstoff freisetzen. Anschließend kann das verhüttete Eisen wie bisher weiterverwendet, legiert und bearbeitet werden.

Ein ähnliches Verfahren nutzt die Aluminiumindustrie. Der emeritierte Professor Donald Sadoway am Massachusetts Institute of Technology (MIT) forscht seinerseits seit den 1980er-Jahren daran.

Eine jahrzehntelange Suche

Der Schwerpunkt der Forschung lag dabei auf der Suche nach einem Ersatz für die bei diesem Verfahren verwendete Verschleißanode. 2012 entdeckte Sadoway schließlich eine Legierung, die auch für die Herstellung von Stahl infrage kam, günstig genug war, um das Verfahren wirtschaftlich zu machen, und zugleich lediglich Sauerstoff als Nebenprodukt erzeugt.

Daraufhin gründeten Sadoway und ein Kollege zusammen mit James Yurko, einem ehemaligen Studenten, Boston Metal, um das Verfahren für die Stahlherstellung zu kommerzialisieren. „Alle grundlegenden Studien und die ersten Technologien stammen vom MIT“, sagte Guillaume Lambotte, Chefwissenschaftler von Boston Metal und ebenfalls ehemaliger Doktorand am MIT. „Wir sind aus Forschungen hervorgegangen, die am MIT patentiert und vom Lizenzbüro des MIT lizenziert wurden.“

Lambotte trat dem Unternehmen bei, kurz nachdem Sadoways Team 2013 einen Artikel in der Fachzeitschrift „Nature“ veröffentlicht hatte, in dem das Verfahren beschrieben wurde. „Das war der Zeitpunkt, an dem es vom Labor mit einem Experiment in der Größe einer Kaffeetasse, um die Grundlagen zu beweisen und ein paar Gramm zu produzieren, zu einem Unternehmen wurde, das Hunderte von Kilogramm und bald auch Tonnen von Metall produzieren kann“, sagt Lambotte.

Nicht nur Aluminium wird mittels Oxidschmelzelektrolyse hergestellt. In einem Tochterunternehmen, Boston Metal do Brasil, setzten Sadoway und Kollegen das Verfahren in Brasilien ein, um hochwertige Metalle aus Bergbauabfällen zu gewinnen. Am US-amerikanischen Hauptsitz in Woburn, Massachusetts, hat das Unternehmen zudem einen Prototyp zur Herstellung von grünem Stahl gebaut.

Stahl von Morgen – Schulbus statt Hochofen

„Wenn man sich in der Welt umschaut, sind viele der Rohstoffe für Metalle Oxide, und wenn es sich um ein Oxid handelt, besteht die Möglichkeit, dass wir mit diesem Rohstoff arbeiten können“, erklärt Chefwissenschaftler Lambotte den Grundstein des Verfahrens.

Die Oxidschmelzelektrolyse findet dabei in Reaktionszellen von der Größe eines Schulbusses statt. Diese Zelle enthält die Kathode – den negativen Pol – und eine in einen flüssigen Elektrolyten getauchte Anode. Letztere ist inert. Das heißt, sie löst sich nicht im Elektrolyten auf und nimmt nicht an der Reaktion teil, sondern dient nur als Pluspol.

Auf der einen Seite wird nun Eisenerzgestein hinzugefügt. Sobald Strom zwischen Anode und Kathode fließt und die Zelle eine Temperatur von etwa 1.600 Grad Celsius erreicht, werden die Eisenoxidbindungen im Erz gespalten. Dadurch setzt sich am Boden Flüssigmetall ab, das abgezapft werden kann. Das Nebenprodukt der Reaktion ist Sauerstoff.

Schematische Darstellung der Oxidschmelzelektrolyse. Je nach Stromstärke lassen sich bis zu zehn Tonnen Stahl pro Tag und Elektrolysezelle herstellen.

Schematische Darstellung der Oxidschmelzelektrolyse. Je nach Stromstärke lassen sich bis zu zehn Tonnen Metall pro Tag und Elektrolysezelle herstellen. Die dafür erforderlichen Zellen sind etwa so groß wie ein (amerikanischer) Schulbus. Foto: Boston Metal Group, Übersetzung: ts | Epoch Times

Das Verfahren komme zudem ohne Wasser, gefährliche Chemikalien oder Edelmetallkatalysatoren aus. Je nach Bestandteilen des Erzes erfordert es eine weitere Trennung des flüssigen Metalls. Dies kann ebenfalls elektrochemisch erfolgen. Auf diese Weise erfolgt auch die Rückgewinnung von Edelmetallen am Standort in Brasilien.

Großes Potenzial, finanzstarke Unterstützung

Die Produktion jeder Zelle hängt von der Stromstärke ab. Lambotte zufolge könnte eine Zelle mit etwa 600.000 Ampere bis zu zehn Tonnen Metall pro Tag produzieren. Soll mehr produziert werden, nutze man mehrere Zellen. Das Unternehmen hat bis Januar 2024 mehr als 370 Millionen Euro von Organisationen aus Europa, Asien, Amerika und dem Nahen Osten erhalten.

Bezogen auf das Werk in Brasilien zeigt sich Lambotte zuversichtlich: „Ich denke, es ist eine Chance für die Metallindustrie, sich mit dem Verfahren vertraut zu machen und zu sehen, wie es funktioniert. Man braucht Leute in der Industrie, um diese Technologie zu begreifen. Hier werden Verbindungen geknüpft, und so verbreitet sich neue Technologie.“

Sowohl die Herstellung des grünen Stahls als auch die Aufbereitung des Bergbauabfalls benötigen elektrische Energie. Auf der Website von Boston Metal heißt es diesbezüglich, „für grünen Stahl ist erneuerbarer Strom zwingend erforderlich […], während die Verwendung von erneuerbarem Strom für hochwertige Metalle eine Option ist.“

Grundsätzlich ist das nicht die ganze Wahrheit und in beiden Fällen optional, denn wo der Strom herkommt, ist für die chemische Reaktion unerheblich. Da es den Forschern aber vor allem um die Dekarbonisierung der Stahlerzeugung geht, haben sie dies als Voraussetzung festgelegt.

Kein Stahl bei Stromausfall?

Ein Vorteil der rein elektrischen Energieversorgung davon ist, dass das Verfahren nicht auf – bestenfalls – grünen Wasserstoff als chemischen Reaktionspartner angewiesen ist. Darin liegt jedoch auch der entscheidende Nachteil, denn Wasserstoff ist sogleich ein Energiespeicher, wenn auch ein sehr teurer.

Lambotte sagte dazu lediglich: „Ich denke, unser Ansatz geht Hand in Hand mit weltweiten Vorstößen zur Dekarbonisierung des Energiesektors. Vollständig grüner Stahl erfordert grünen Strom und ich denke, wir werden diese Technologie dort einsetzen, wo [sauberer Strom] bereits leicht verfügbar ist.“

Obwohl das Unternehmen in seinen häufigen Fragen und Antworten auf der Website auf die Kostenunterschiede zwischen Wasserstoffreduktion und Oxidschmelzelektrolyse zu sprechen kommt, bleibt die eigentliche Frage unbeantwortet. Es wird nicht erwähnt, was bei einem Stromausfall passiert. Erstarrt das Metall in einer der Elektrolysezellen, ist damit zu rechnen, dass diese selbst zu Altmetall wird.

Da Boston Metal nach eigenen Angaben jedoch nicht selbst Stahl erzeugen wird, sondern lediglich sein Verfahren lizenziert und die Elektroden vermarktet, scheint es wahrscheinlicher, dass eine Metallhütte lieber auf den dann verfügbaren Strommix zurückgreift. Egal, wie sauber oder dreckig dieser gerade ist.

(Mit Material des Massachusetts Institute of Technology)



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