Kohlekraftwerk Moorburg: Missglückte Sprengung in Hamburg sorgt für Zündstoff

Das Heizkraftwerk in Hamburg-Moorburg war eines der modernsten und effizientesten Kohlekraftwerke der Welt. Entwickelt nach dem Atomausstieg, wies es alle Komponenten auf, um die Hansestadt über Jahrzehnte zuverlässig mit Strom und Wärme zu versorgen. Doch so weit sollte es nicht kommen. Nach nur sechs Jahren begann der Rückbau des 3 Milliarden Euro teuren Kraftwerks.
Bei der Sprengung des Kraftwerks Moorburg im Hamburger Hafen fiel nur eins der beiden Kesselhäuser.
Bei der Sprengung des Kraftwerks Moorburg im Hamburger Hafen fiel nur eins der beiden Kesselhäuser.Foto: Hagedorn Unternehmensgruppe via Hamburger Energiewerke
Von 27. März 2025

Unmittelbar nach dem Kernkraftausstieg 2011 begann eine Gruppe von Ingenieuren mit den Kraftwerksfirmen Alstom und Siemens hochmoderne, sogenannte superkritische Kohlekraftwerke zu konzipieren. Superkritisch, weil diese dank besonders hoher Kesseldrücke und -temperaturen direkt im Kessel aus dem Speisewasser ohne Kochphase Dampf produzieren können. Diese Kraftwerke konnten daher mit sehr hohen Wirkungsgraden 8.000 Stunden im Jahr sichere Energie produzieren.

Eines davon war das Steinkohlekraftwerk Moorburg an der Kaikante des Hamburger Hafens. Es ging 2015 in Betrieb und wurde wegen des Kohleausstiegs 2021 außer Betrieb genommen und seither zurückgebaut. Am Sonntag sollten beide Kesselhäuser gesprengt werden, was aber nur bei einem gelang.

Hauptkomponenten des Kraftwerks

Das von Vattenfall gebaute und betriebene Kraftwerk verfügte über zwei überdachte Kohlebunker und zwei Kesselhäuser – diese sollten jüngst gesprengt werden – sowie ein direkt angrenzendes Maschinenhaus.

Im Inneren sorgten zwei Kraftwerksblöcke mit je 827 Megawatt (MW) Leistung für die Umwandlung von chemischer Energie (Kohle) über Wärmeenergie (Verbrennung und Dampferzeugung) in elektrische Energie (Dampfturbine).

In Summe betrug die abrufbare Gesamtleistung von Moorburg rund 1.650 MW elektrisch und 650 MW thermisch für die Fernwärmeauskopplung zur nahegelegenen Raffinerie und 68.000 Wohnungen. Der elektrische Wirkungsgrad betrug 46,5 Prozent, mit Wärmeauskopplung für Fernwärme hätte man 61 Prozent erreicht. Weil die Stadtregierung unter Beteiligung der Grünen die notwendige Warmwasserleitung durch die Elbe nicht genehmigte, wurde der Fernwärmeanschluss jedoch nie gebaut.

Kohlebedarf und Energieumwandlung

Ein Steinkohlekraftwerk benötigt Kohle als Brennstoff. Die beiden überdachten Kohlebunker des Kraftwerks Moorburg beinhalten zweimal 150.000 Tonnen Steinkohle, den Volllastbedarf eines Monats. Diese Kohle wurde in Moorburg mit Schiffen der Panmax-Klasse direkt an den Pier geliefert, mit einer Kapazität pro Schiff von 70.000 Tonnen. Das bedeutete etwa vier Schiffe pro Monat.

Die Lage direkt an der Hafenkante machte weitere Transporte und Transportmittel überflüssig. Das spart Kosten und Emissionen. Um die benötigte Kohlemenge über Land zu transportieren, wären alternativ 132 voll beladene Güterzüge mit 35 Waggons oder knapp 10.000 Lkw erforderlich.

Vom Schiff ins Kraftwerk: Moorburg verfügte über mehr als einen halben Kilometer Hafenkante. Foto: San Andreas, CC BY-SA 3.0

In Moorburg gelangte die Kohle indes über spezielle Förderbänder staubfrei direkt in die überdachten Kohlebunker, wo sie trocken gelagert werden konnte. Von dort erfolgte wiederum über Förderbänder die Beschickung der Kohlemühlen, die das Kohlemehl dem jeweiligen Brenner zuführten.

Die Rauchgase erwärmten und verdampften das Kesselwasser. Der Dampf wurde in mehreren Druckstufen in der Turbine in mechanische und im Generator in elektrische Energie umgewandelt, bevor er seine Restwärme an die Fernwärmeerzeugung abgab. Danach wurde der Dampf im Kondensator wieder zu Kesselwasser kondensiert, welches erneut in den Kessel eingespeist wurde und der Verdampfungsprozess von Neuem begann.

Abgase und Reststoffe

Die hohe Temperatur der Verbrennung erlaubte eine optimale Verbrennung, sodass Schadstoffe bereits im Kessel reduziert wurden. Um Stickoxide aus Rauchgas zu entfernen, wird Ammoniak eingesprüht, so auch in Moorburg. Diesen Anlagenteil nennt man Denox.

In einem Elektrofilter wurden anschließend nahezu aller Schwebstoffe aus dem Rauchgas entfernt. Der in den Abgasen ebenfalls enthaltene Schwefel wurde in der Rauchgasentschwefelungsanlage durch Einsprühen von Kalksuspension in Gips umgewandelt. Der notwendige Kalk wurde ebenfalls per Schiff angeliefert.

Am Ende verließen fast nur noch Wasserdampf und CO₂ den Kamin des Kraftwerks. Das Abgas ist komplett weiß – die häufig auf Bildern dargestellten dunklen Rauchwolken ergeben sich erst durch die Wahl der Perspektive mit Gegenlicht. So erscheint auch Wasserdampf aus Kühltürmen dunkel. Praktisch alle relevanten Grenzwerte der Bundesimmissionsschutzverordnung (BImSchV) wurden vom Kraftwerk Moorburg um mehr als die Hälfte unterschritten.

Abgasfahne des Steinkohlekraftwerks Hamburg-Moorburg

Die Abgasfahne des Steinkohlekraftwerks Hamburg-Moorburg ist praktisch weiß. Foto: schulzhattingen/iStock

Und die entfernten Reststoffe?

  • Aus der Denox wurde Stickstoff entnommen, der der Düngemittelindustrie zugutekommt.
  • Die Asche kann in der Zementindustrie und dem Straßenbau Verwendung finden.
  • Der Gips wird von der Baustoffindustrie verwendet.

Die Abfuhr dieser – von der Industrie auch weiterhin benötigten – Rohstoffe erfolgte wiederum hauptsächlich per Schiff.

Paradoxon des Kohleausstiegs

Warum das Kraftwerk Moorburg trotz einwandfreier Technik abgeschaltet wurde, ist finanzieller Natur und hat politische Hintergründe. Die im Kohleausstiegsgesetz verankerte Verschrottungsprämie ist nach dem Ausstiegszeitpunkt gestaffelt und verringert sich jedes Jahr. Das heißt, wer nach dem Beschluss zum Kernkraftausstieg nach 2011 ein supermodernes Kohlekraftwerk mit Spitzenwirkungsgrad und geringem Schadstoffausstoß gebaut hat  – neben Moorburg etwa Karlsruhe RDK8, das Großkraftwerk Mannheim, Datteln 4, und Wilhelmshaven – bekommt bei einem späteren Ausstieg immer weniger.

So sinkt beispielsweise die maximale Stilllegungsprämie je Megawatt abgeschalteter Kraftwerksleistung (§ 19, Höchstpreis) von 165.000 €/MW im Jahr 2020 auf 89.000 €/MW im Jahr 2027. Da diese Entschädigungen in keinen Fall kostendeckend sind, ist es den Betreibern nicht zu verübeln, dass die das Maximum abgreifen möchten und die Abschaltung vorziehen. Vattenfall erhielt für die Schließung des 2015 in Betrieb gegangenen 1.650 MW leistenden Heizkraftwerks Moorburg einen zweistelligen Millionenbetrag.

Das Kraftwerk erzeugte indes auch bei Volllast ein Viertel weniger CO₂ als vergleichbare ältere Anlagen. Die Rahmenbedingungen der Bundesregierung führten also dazu, dass ein modernes Kraftwerk mit geringen Emissionen weit vor Lebensende abgeschaltet wurde, während Kraftwerke mit höheren Emissionen noch einige Jahre weiterlaufen.

150 Kohlekraftwerke für den Netzausbau

Um die Emissionen zu verringern, setzt die Bundesregierung vor allem auf Wind- und Solarstrom. Diese sind jedoch unweigerlich an die Launen der Natur gekoppelt und liefern nicht dann Strom, wenn er gebraucht wird, sondern wenn die Bedingungen gut sind. Immer wieder kommt es deshalb zu Abschaltungen der Anlagen.

Im Jahr 2023 summierte sich diese sogenannte Ausfallarbeit auf knapp 10.500 Gigawattstunden (GWh), die nicht ins Netz eingespeist werden konnten. Um zukünftig auch diese Energie nutzen zu können, investiert die Bundesregierung massiv in den Netzausbau. Die Kosten belaufen sich nach Angaben der Bundesnetzagentur auf über 460 Milliarden Euro – ohne Stromspeicher, aber mit Raum für Kostensteigerungen.

Auch Moorburg konnte seinerseits bis über 13.000 GWh Strom liefern, auch wenn real weniger produziert werden durfte. Die Kosten für das Kraftwerk betrugen besagte 3 Milliarden Euro. Mit anderen Worten: Der Netzausbau, um die Erneuerbaren vollständig nutzen zu können, kostet – bei vergleichbarer Strommenge – das 150-Fache des wohl saubersten Kohlekraftwerks Deutschlands, das vermutlich problemlos mit einer Anlage zur Kohlenstoffabscheidung nachgerüstet hätte werden können. Die Technik wurde in Deutschland mitentwickelt.

Unwirtschaftlich? Ja. Aber.

Vattenfall klagte seinerseits über hohe Kosten, weshalb Kohlekraft nicht mehr wirtschaftlich sei. Man habe allein im dritten Quartal 2020 Abschreibungen in Höhe von 960 Millionen Euro vornehmen müssen.

Normalerweise werden Steinkohlekraftwerke mindestens 8.000 Stunden im Jahr betrieben, was einer Jahresverfügbarkeit von etwas über 90 Prozent entspricht. Das Kraftwerk Moorburg erreichte diesen Wert wegen des gesetzlichen Einspeisevorrangs von Wind- und Solarstrom nicht.

Zudem verhinderte die nicht genehmigte Fernwärmeleitung das Ausschöpfen des thermischen Potenzials. Das hat sowohl die Einnahmen als auch die CO₂-Bilanz verschlechtert, da man ursprünglich mit einem Wärmeverkauf von bis zu 650 MW rechnete.

Mit Sicherheit hat man beim Baubeschluss ebenso nicht mit den hohen CO₂-Zertifikatskosten rechnen können. Die Emissionen im Jahr 2018 in Höhe von 6.247 Kilotonnen CO₂ schlugen beim damaligen Preis von 15,48 €/t CO₂ mit rund 97 Millionen Euro zu Buche. Mit einem Preis von 25 €/t im Jahr 2021 hätten sich die CO₂-Kosten auf 156 Millionen Euro erhöht. Und hier liegt wohl das Hauptproblem: Mit Kurzzeitbetrieb und ohne Fernwärmeabgabe erzielt man weniger Erlös, produziert mehr CO₂ und entsprechende Zertifikatskosten.

Lohnen wird sich der Ausstieg sicher nicht. Es klafft noch eine große Lücke zwischen bisherigem Ertrag und den Investitionskosten von 3 Milliarden Euro. Aber mit Stand-by-Betrieb und weiter steigenden CO₂-Kosten in Europa kann sich ein modernes Kohlekraftwerk nicht mehr rechnen.

Veränderte Symbolik

Anlässlich der Sprengung der beiden Schornsteine des Kraftwerks Moorburg im November 2024 sprach Umweltminister Jens Kerstan (Grüne) von einem „wichtigen und schönen Tag für Hamburg“. Weiter sagte er:

Wir werden hier Raum und Platz für die Zukunftsenergie schaffen am Standort eines alten Kohlekraftwerks, was Symbolischeres kann es kaum geben.“ Gemeint ist die noch zu errichtende Produktionsanlage für grünen Wasserstoff.

Nun ist die Symbolik eine andere. Möglicherweise signalisiert die missglückte Sprengung, dass es eben doch nicht ohne grundlastfähige Kraftwerke funktioniert. Das Kraftwerk Moorburg war so eins. Dennoch konnte es sein volles Potenzial nie wirklich ausschöpfen, was jedoch nicht auf die Technik zurückzuführen ist. Oder mit anderen Worten:

Man benötigt fossile Kraftwerke wegen der vielen Flauten und bestraft sie dafür mit CO₂-Kosten.

Wann die Sprengung des zweiten Kesselhauses wiederholt werden soll, steht bislang nicht fest.

Über den Autor

Dipl.-Ing. Klaus Hellmuth Richardt, geboren 1951 in Offenbach, war 38 Jahre an der Entwicklung, dem Vertrieb, dem Bau, dem Betrieb und der Modernisierung von Wasserkraft- und thermischen Kraftwerken beteiligt. Seine Arbeit umfasste Nuklear-, Kohle-, Öl-, Müll-, Gas-, Kombi- und Solaranlagen weltweit. Er veröffentlichte bislang zwei Bücher, „Damit die Lichter weiter brennen“ und „Grüne Volkswirtschaft“, und arbeitet an einem weiteren.

Dieser Beitrag stellt ausschließlich die Meinung des Verfassers oder des Interviewpartners dar. Er muss nicht zwangsläufig die Sichtweise der Epoch Times Deutschland wiedergeben.



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