Aus dem Takt geraten: Max-Planck-Forscher raten zur Abschaffung der Zeitumstellung

Am Sonntag, 30. März 2025, werden die Uhren in Deutschland wieder auf Sommerzeit umgestellt. Was das mit dem Menschen macht, erklären drei Forscher von verschiedenen Max-Planck-Instituten.
Wie die Zeitumstellung unsere innere Uhr aus dem Takt bringt
Menschen mit Schlafstörungen seien besonders von den Folgen der Zeitumstellung betroffen.Foto: BeritK/iStock
Von 26. März 2025

Tief verborgen im Inneren unseres Körpers ticken sie: molekulare Uhren, die lebenserhaltende Prozesse koordinieren. Von ihnen hängt ab, wie wach wir sind, ob unsere Verdauung auf Hochtouren läuft oder wie abwehrbereit unser Immunsystem ist.

Der zentrale Zeitgeber sitzt im Gehirn und trägt den wissenschaftlichen Namen suprachiasmatischer Nukleus, kurz SCN. Er arbeitet mit vielen Organen und inneren Taktgebern zusammen.

„Der SCN ist verbunden mit dem Auge“, erklärte Manuel Spitschan vom Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik in Tübingen. Der Professor für Chronobiologie erforscht derzeit, wie Lichtreize die innere Uhr feinjustieren.

„In unserer Netzhaut trifft Licht auf melanopsinhaltige Ganglienzellen. Die wandeln das Lichtsignal in Nervenimpulse um und leiten diese weiter an den SCN, also an die innere Uhr“, so Spitschan. Fällt Licht ins Auge, verändert die innere Uhr unter anderem die Hormonausschüttung: Wir werden wach und unsere Konzentration steigt.

Ausschlafen ist gut fürs Herz

Erwachsene sollten in der Regel sieben bis acht Stunden schlafen. Foto: oatawa/iStock

Innere Uhr und soziale Zeit ticken anders

Dem entgegen steht die soziale Zeit – vorgegeben von der Gesellschaft. Sie tickt auf Armbanduhren, Computern und Handys. Unserer inneren Uhr ist diese jedoch ziemlich egal. „Für unseren Körper ist und bleibt die Sonnenzeit das entscheidende Signal“, sagte Spitschan.

So sind Konflikte vorprogrammiert, wenn Lichtsignale und soziale Zeitgeber nicht zusammenpassen. „Wenn die soziale Uhr umgestellt wird und ich plötzlich eine Stunde früher aufstehen muss, dann ist die innere Uhr nicht eingestellt auf diese neuen Bedingungen. Die Folge ist eine Art sozial bedingter Jetlag“, erklärte der Max-Planck-Forscher.

Wie lange es dauert, bis sich unsere innere Uhr an die neue Zeit gewöhnt und ihre im Tagesverlauf perfekt zeitlich aufeinander abgestimmten Signale neu justiert hat, hängt von der persönlichen Fitness der Menschen ab. Im Schnitt gehen Forscher von ein bis vier Tagen aus.

Wer schon einmal eine Fernreise unternommen hat, weiß, dass auch der schlimmste Jetlag vorübergeht. Der Körper ist anpassungsfähig und kann veränderte Anforderungen zulassen. So könnte man meinen, dass es auf eine Stunde mehr oder weniger eigentlich nicht ankommt.

Im Gegensatz zum Jetlag nach einer Flugreise, bei der am Zielort Sonnenzeit und Uhrzeit wieder übereinstimmen, geht während der Sommerzeit die Sonnenuhr jedoch auch am nächsten Tag eine Stunde nach. Und am übernächsten. Und so weiter.

Kopfschmerzen

Ein Jetlag kann zu Müdigkeit, Schwindelgefühl, Stimmungsschwankungen, Appetitlosigkeit und verminderter Leistungsfähigkeit führen. Foto: g-stockstudio/iStock

Nach der Zeitumstellung: Mehr Herzinfarkte und Unfälle

Tatsächlich zeigen einige Studien, dass die Folgen der Zeitumstellung gewichtig sein können. So nehmen etwa Verkehrsunfälle, kurz nachdem die Uhr eine Stunde vorgestellt wurde, um rund 6 Prozent zu. Hintergrund ist vermutlich, dass mehr übermüdete und deshalb unkonzentrierte Autofahrer auf den Straßen unterwegs sind.

Außerdem erleiden nach der Zeitumstellung überdurchschnittlich viele Menschen einen Schlaganfall. Forscher der University of Colorado zählen etwa 24 Prozent mehr Herzinfarkte am Montag, nachdem die Uhr eine Stunde vorgestellt wurde. Woran liegt das?

„Der SCN gilt als die wichtigste, ist aber nicht die einzige innere Uhr“, sagte Pieterjan Dierickx vom Max-Planck-Institut für Herz- und Lungenforschung in Bad Nauheim. Er untersucht, wie sich der Herzstoffwechsel im Laufe eines Tages verändert und welche Folgen es hat, wenn dieser durcheinandergerät.

„Die Leber, die Bauchspeicheldrüse, das Herz – sie alle bekommen Signale vom SCN. Zugleich haben sie jeweils aber auch eine eigene innere Uhr, mit deren Hilfe sie alle möglichen rhythmisch ablaufenden Prozesse im Körper steuern“, so Dierickx weiter.

Wie wirkt sich eine Stunde weniger auf das Herz aus?

Im Laufe eines Tages senden die inneren Uhren Signale in einer ganz bestimmten Reihenfolge und Intensität aus. Je nach Maßgabe der Herzuhr kann der Herzmuskel so zu bestimmten Tageszeiten besonders gut Blut pumpen – oder ist besonders anfällig für Stress und Krankheitserreger. Gerade die frühen Morgenstunden scheinen kritisch zu sein. Herzinfarkte treten zu dieser Zeit besonders häufig auf und fallen oft zugleich überdurchschnittlich stark aus – bei Menschen wie bei Mäusen.

„Die genauen Mechanismen, warum es unmittelbar nach der Zeitumstellung mehr Herzinfarkte gibt, sind bislang nicht aufgeklärt“, weiß Dierickx. „Aber es ist sehr wahrscheinlich, dass die Störung der inneren Uhr infolge der Zeitumstellung hier hineinspielt.“

Genauere Hinweise liefern zahlreiche Tierexperimente. Mäuse etwa, die bis zu drei Monate lang alle vier Tage einem Fernreisejetlag ausgesetzt sind, werden mit der Zeit schwer krank. „Die Komplikationen sind drastisch: Das Herz vergrößert sich und das Herzgewebe zeigt Anzeichen einer entzündlichen Veränderung, der Blutzuckerspiegel steigt und diese Mäuse sind auch anfälliger für eine Gewichtszunahme“, so Dierickx. „All das sind Risikofaktoren, die zu schweren Herzproblemen und zu Herzversagen führen können.“

Menschen mit Schlafstörung leiden stärker an der Zeitumstellung

Matthias Knop beobachtet die gesundheitlichen Folgen gestörter Schlaf-Wach-Rhythmen nicht an Mäusen, sondern an Menschen. Der Neurologe arbeitet in der Schlafambulanz des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie in München.

Depressionen, Demenzen, Parkinson – viele Erkrankungen begünstigen Schlafstörungen und werden für die Betroffenen somit zur doppelten Belastung. Doch nicht alle Patienten, die mit ihrer inneren Uhr kämpfen, sind auch wirklich krank.

„Ganz oft kommen Menschen zu uns, die sich wünschen, jederzeit ins Bett gehen, erholt wieder aufspringen und energiegeladen in den Arbeitstag gehen zu können“, so der Mediziner. „Wenn man allerdings ab Donnerstag immer um 3 Uhr nachts ins Bett geht und am Sonntag möchte, dass der Rhythmus direkt wieder umschwingt, dann funktioniert das leider nicht.“

Menschen, die abends lange vor Bildschirmen sitzen, können in der Regel schlecht einschlafen, da der Körper aufgrund des Lichts noch wach ist. Foto: Ridofranz/iStock

Ein gewisses Kontingent hat jeder Mensch, mit solchen Rhythmusveränderungen umzugehen. „Aber der gesunde Mensch schafft das schon – oft nicht in einem, aber zumindest innerhalb einiger Tage“, so Knop.

Wer allerdings bereits eine Schlafstörung habe oder chronisch krank sei, leide bei der Zeitumstellung oft überdurchschnittlich stark. Aus Sicht der Schlafmedizin sei es wichtig, sich selbst nicht unnötig unter Druck zu setzen und seinem Körper gezielt etwas Gutes zu tun, indem schlafstörende Angewohnheiten abgelegt werden.

Forscher raten: „Die Sommerzeit abschaffen“

Der Herzexperte Pieterjan Dierickx rät, in den Tagen nach der Zeitumstellung von Koffeinkapseln und sonstigen Wachmachern die Finger zu lassen. „Das ist nicht gut für die Herzgesundheit und bringt die innere Uhr nur noch mehr durcheinander.“

Fragt man ihn persönlich, dann würde der Forscher die Zeitumstellung abschaffen – genau wie sein Kollege Manuel Spitschan. „Die Zeitumstellung ist eine Herausforderung für die innere Uhr und dabei ein komplett menschengemachtes Problem. Physiologisch wäre es schlauer, einfach in der Normalzeit, umgangssprachlich Winterzeit, zu bleiben.“

(Mit Material der Max-Planck-Gesellschaft)



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