Auch die neue Regierung löst das Rentenproblem nicht
CDU und SPD wollen das Rentenniveau bis 2031 gesetzlich sichern – so steht es im neuen Koalitionsvertrag. Doch Experten sprechen von einem faulen Kompromiss ohne echte Reformen. Die demografischen Probleme bleiben ungelöst.
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Durchgreifende Reformen im Rentensystem bleiben aus.
Die Ampelkoalition hatte es nicht mehr geschafft, ihre ursprünglich geplante Rentenreform zu verabschieden. Mit dem Bruch der Koalition im November musste das sogenannte „Rentenpaket II“ auf Eis gelegt werden.
Mit der Reform sollte damals die gesetzliche Rentenversicherung langfristig abgesichert werden. Das Paket sah vor, das Rentenniveau bis 2039 bei mindestens 48 Prozent zu sichern und dafür gesetzlich festzuschreiben. Gleichzeitig sollte ein sogenanntes Generationenkapital eingeführt werden: Eine staatliche Stiftung sollte Kapital am Markt anlegen, um ab 2036 mit jährlichen Erträgen von 10 Milliarden Euro die Rentenkasse zu entlasten. Außerdem sollte die Rücklage der Rentenversicherung erhöht werden, um deren finanzielle Stabilität zu stärken. Mit dem Ende der Ampel sind diese Pläne allerdings hinfällig geworden. Das Problem, vor dem Deutschland zeitnah steht, ist allerdings nicht verschwunden.
Weniger Arbeitskräfte, mehr Renten
Immer weniger junge Menschen werden in Zukunft immer mehr Renten finanzieren müssen. Der Altersquotient misst, wie viele Menschen, die 67 Jahre und älter sind, 100 Personen im erwerbsfähigen Alter (20 bis 66 Jahre) gegenüberstehen. Schaut man auf die Zahlen des Statistischen Bundesamtes, so wird sich dieser Quotient bis 2060 verdoppeln.
Altersquotient bis 2060. Quelle: Statistisches Bundesamt
Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) kam 2021 in einem Kurzbericht zum Ergebnis, dass aufgrund der gegebenen aktuellen Altersstruktur das Erwerbspotenzial in den kommenden Jahren stark schrumpfen wird. Lag es 2020 nach Angaben des IAB bei 47,4 Millionen Arbeitskräften, so wird es bis 2035 voraussichtlich auf 40,2 Millionen absinken. Nach 2035 setzt sich dieser Rückgang an Arbeitskräften fort, sodass dem Arbeitsmarkt 2060 dann nur noch 31,3 Millionen Arbeitskräfte zur Verfügung stehen werden. Das entspricht einem Rückgang von etwa 34 Prozent. Um das jetzige Niveau an Arbeitskräften halten zu können, so das IAB, bräuchte es eine jährliche Zuwanderung von 400.000 Arbeitskräften. Danach sieht es aber im Moment trotz einer erheblichen Zuwanderung in den vergangenen Jahren nicht aus.
Schwarz-Rot möchte Rente für die Zukunft aufstellen
Um die Rente in den kommenden Jahrzehnten abzusichern, braucht es also dringend Reformen. Union und SPD haben sich daher in ihrem am 9. April vorgelegten Koalitionsvertrag darauf geeinigt, die Rente zukunftsfähig aufzustellen. Dabei haben die voraussichtlich zukünftigen Koalitionäre über die Wahlperiode hinausgedacht.
Union und SPD planen, das Rentenniveau von 48 Prozent bis 2031 gesetzlich zu sichern, um ein Absinken trotz demografischer Veränderungen zu verhindern. Die Finanzierung soll über Steuermittel erfolgen, um steigende Rentenbeiträge zu vermeiden.
Ab 2026 soll eine „Frühstart-Rente“ eingeführt werden: Für Kinder fließen monatlich 10 Euro in ein privates Altersvorsorgedepot, das später privat weiter bespart werden kann.
Das Renteneintrittsalter steigt weiterhin auf 67 Jahre; ein abschlagsfreier Ruhestand nach 45 Beitragsjahren bleibt möglich. Wer freiwillig über das Rentenalter hinaus arbeitet, darf bis zu 2.000 Euro monatlich steuerfrei verdienen. Zudem wird die Rückkehr zum alten Arbeitgeber erleichtert.
Geplant sind außerdem Verbesserungen bei der Hinterbliebenenrente, eine Ausweitung der Mütterrente (drei Rentenpunkte für alle Mütter) und eine Stärkung der betrieblichen Altersvorsorge.
Mit der Festschreibung des Rentenniveaus bei 48 Prozent bis 2031 hat sich die SPD in den Koalitionsverhandlungen durchsetzen können. Schon im Regierungsprogramm „Mehr für Dich. Besser für Deutschland“ schrieben die Sozialdemokraten, dass das Niveau der gesetzlichen Rentenversicherung „dauerhaft bei mindestens 48 Prozent gesichert“ werden soll. Eine dauerhafte Festsetzung hat es am Ende nicht gegeben – bis zum Ende der Legislaturperiode ist das Rentenniveau nun aber bei 48 Prozent abgesichert. Rentner können sich also darauf verlassen, dass sie mindestens 48 Prozent des durchschnittlichen Arbeitsentgelts als Rente erhalten werden.
Nicht mit „unbezahlbaren Schulden“ belasten
Im Gegensatz zur SPD hatten CDU und CSU im Wahlkampf die Festlegung einer festen Marke wie die 48 Prozent abgelehnt. Bei der CDU hieß es im Januar dazu:
„Die CDU steht für eine Rente, die nicht nur sicher ist, sondern auch die Lebenswirklichkeit berücksichtigt. Ob es darum geht, die Stromrechnung zu begleichen, den Lebensmitteleinkauf zu stemmen oder für die Enkel etwas beiseitezulegen – mit der CDU gibt es Planbarkeit. Gleichzeitig sorgen wir dafür, dass auch unsere Kinder und Enkelkinder nicht durch uns schon mit unbezahlbaren Schulden belastet werden.“
Vom Vorsatz, Kinder und Enkelkinder nicht mit „unbezahlbaren Schulden“ belasten zu wollen, hat sich die Union jetzt auch beim Rentenniveau verabschiedet. Die Mehrausgaben, die sich aus der Festschreibung ergeben, so heißt es im Koalitionspapier, sollen mit Steuermitteln ausgeglichen werden.
Ohne diese Kostenübernahme hätten die Pläne von Union und SPD zu einem Anstieg des Beitragssatzes zur Rentenversicherung geführt. Aktuell liegt dieser Satz bei 18,7 Prozent. Laut dem Rentenversicherungsbericht 2024 hätte die Festsetzung des Rentenniveaus auf 48 Prozent den Beitragssatz bis 2031 auf 20,8 Prozent steigen lassen.
Fauler Kompromiss und auf Zeit gespielt
Das Deutsche Institut für Altersvorsorge (DIA) wirft Union und SPD vor, beim Thema Rente auf Zeit spielen zu wollen. „Die Vereinbarungen im Koalitionsvertrag zur gesetzlichen Rente sind ein fauler Kompromiss, bei dem die Parteien auf Zeit spielen“, sagte DIA-Sprecher Klaus Morgenstern am Donnerstag in einer Pressemitteilung. „Die SPD bekommt das bei 48 Prozent eingefrorene Rentenniveau. Da muss man schon froh sein, dass CDU und CSU eine Begrenzung bis 2031 in den Vertrag hineinverhandelt haben. Mit dem Rentenpaket II zu Zeiten der Ampelregierung sollte diese Regelung bis 2040 und darüber hinaus gelten“, sagte Morgenstern weiter über den Kompromiss von Union und SPD.
Dass Schwarz-Rot bei der Rente keine umfassende Reform wagt, das hatten Experten in einem Appell schon kurz vor Ende der Koalitionsgespräche moniert. In einem Brief hatten sich 28 führende Ökonomen an die Parteivorsitzenden Merz (CDU), Söder (CSU), Esken (SPD) und Klingbeil (SPD) gewandt.
„Letzte Chance“ für gerechten Ausgleich
In dem dreiseitigen Brief, der der Redaktion vorliegt, kritisieren die Experten die von der SPD geforderte Sicherung des Rentenniveaus bei mindestens 48 Prozent, die Ausweitung der Mütterrente sowie das Festhalten an der Rente mit 63. Dafür beziffern die Experten die zusätzlichen Kosten in der Sozialversicherung. Durch die Sicherung des Rentenniveaus würden in den nächsten 20 Jahren zusätzliche Kosten für die Rentenversicherung von 520 Milliarden Euro entstehen, schreiben die Ökonomen.
„Um die Tragfähigkeit der Rentenfinanzen dauerhaft zu sichern, müssen all diese teuren Leistungsausweitungen unterlassen werden“, heißt es im Brief weiter. „Stattdessen muss die kommende Bundesregierung Maßnahmen diskutieren, die die finanzielle Stabilität des Systems erhöhen.“
Die kommende Legislaturperiode sei „wohl die letzte Chance, einen wenigstens im Ansatz gerechten Ausgleich zwischen Beitragszahlern und Rentenempfängern im Rentensystem herzustellen“. Es gehe darum, „dass das deutsche Rentensystem, die Beitragszahler in unserem Land und insbesondere jüngere Generationen nicht noch größeren Belastungen ausgesetzt werden“, schreiben die 28 Ökonomen. Zu den Unterzeichnern des Briefes zählen unter anderem die Wirtschaftsweisen Veronika Grimm, Ulrike Malmendier, Monika Schnitzer und Martin Werding sowie der Präsident des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung (RWI), Christoph Schmidt, und der Konjunkturchef des Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW), Stefan Kooths.
Union und SPD verpassen Reformchancen
CDU, CSU und SPD haben diese Reformchance jedoch verpasst. Schon im November 2023 hatte der Sachverständigenrat zur Begutachtung der wirtschaftlichen Entwicklung Reformmaßnahmen bei der Rente angemahnt. „Mit dem Renteneintritt der Babyboomer beginnt in Deutschland aktuell eine akute Phase der demografischen Alterung. Dies macht eine langfristig orientierte Reform der Gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) erforderlich“, hieß es damals in einer Pressemitteilung.
Zentrale Vorschläge des Sachverständigenrates waren damals die Kopplung des Rentenalters an die steigende Lebenserwartung und der Ausbau einer kapitalgedeckten Altersvorsorge, etwa durch aktienbasierte Modelle. Diese Maßnahmen wirken jedoch erst langfristig, so der Sachverständigenrat damals. Die sich nun vermutlich bildende schwarz-rote Koalition schiebt das Problem aber vor sich her.
Der Bundesverband Finanzdienstleistungen (AfW) kritisierte am 9. April dann auch den mangelnden Reformwillen von Union und SPD beim Thema Rente. Norman Wirth, geschäftsführender Vorstand des AfW, sagt in einer Pressemitteilung:
„
Die Festlegung auf ein Rentenniveau von 48 Prozent bis 2031 mag auf den ersten Blick Sicherheit vermitteln – tatsächlich ist sie Ausdruck politischer Untätigkeit und folgt auch nicht dem dringenden Reformaufruf maßgeblicher Ökonomen noch in den letzten Tagen.“
Wenn die entstehenden Mehrausgaben allein über Steuermittel ausgeglichen werden, droht „die umlagefinanzierte Rente zur steuerfinanzierten Sozialleistung zu verkommen“, so Wirth weiter.
„Obwohl Experten wie die Mitglieder des Sachverständigenrates zur Begutachtung der wirtschaftlichen Entwicklung seit längerem Maßnahmen empfehlen, mit denen die gesetzliche Rente an die demografische Entwicklung angepasst werden soll, vertagt auch die künftige Bundesregierung die notwendigen Schritte auf die nächste Legislaturperiode“, kritisiert DIA-Sprecher Klaus Morgenstern.
Laut Koalitionsvertrag wolle man erst 2029 „die tatsächliche Entwicklung des Beitrags und des Bundeszuschusses evaluieren, um gegebenenfalls weitere Maßnahmen zu ergreifen“. Für das Deutsche Institut für Altersvorsorge ist damit klar, dass es in dieser Legislatur „keine durchgreifende Reform des Rentensystems geben wird“. Auch wenn die Evaluierung zum Ergebnis komme, dass klarer Handlungsbedarf besteht, würden die Koalitionäre keine Entscheidung mehr in der Rentenpolitik kurz vor der nächsten Bundestagswahl treffen. Damit „vertagt auch die künftige Bundesregierung die notwendigen Schritte auf die nächste Legislaturperiode“. „Die Probleme aber bleiben bestehen. Je später gehandelt wird, desto härter werden dann die Eingriffe ausfallen“, warnt DIA-Sprecher Morgenstern.