Ohne die USA: Wie verteidigungsfähig ist Europa wirklich?
Europa rüstet massiv auf. Die Verteidigungsausgaben der EU-Staaten sind seit 2021 um über 30 Prozent gestiegen. Mit dem neuen Weißbuch „Readiness 2030“ will die EU nicht nur ihre militärische Schlagkraft erhöhen, sondern auch die heimische Rüstungsindustrie stärken. Gleichzeitig wächst die Abhängigkeit von US-Waffenimporten. Eine Analyse.

Firmen wie Rheinmetall sollen in Zukunft von der neuen EU-Verteidigungsstrategie profitieren.
Foto: Philipp Schulze/dpa
Viele Länder verstoßen gegen fiskalische EU-Regeln
Ein zentrales Element in diesem Zusammenhang ist die Flexibilisierung der EU-Haushaltsregeln, damit Mitgliedstaaten mehr in Verteidigung investieren können, ohne gegen die Fiskalregeln zu verstoßen.
Die Vorgaben der Währungsunion sind im Stabilitäts- und Wachstumspakt festgelegt. Dieser verlangt von den 20 Mitgliedstaaten, die den Euro als gemeinsame Währung angenommen haben, dass deren öffentliches Haushaltsdefizit nicht mehr als 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) beträgt und die Staatsverschuldung 60 Prozent des BIP nicht übersteigt.
Letztere Regel wird aktuell von neun Euroländern eingehalten, wie eine Aufstellung der Plattform „Statista“ zeigt. Deutschland hat aktuell einen Verschuldungsgrad von 62,4 Prozent und liegt damit im EU-Vergleich im Mittelfeld. Zum Vergleich: Frankreich hat einen aktuellen Verschuldungsgrad von 113,8 Prozent. Der Verschuldungsgrad der 27 EU-Staaten zusammengenommen, liegt laut „Statista“ bei 81,6 Prozent.
Kapitalmarkt und Fördern von Privatinvestitionen
Ergänzt werden die Maßnahmen im „Readiness 2030“ durch das neue Finanzinstrument Security Action for Europe (SAFE), mit dem die EU plant, bis zu 150 Milliarden Euro auf den Kapitalmärkten aufzunehmen, um gemeinsame Rüstungsprojekte zwischen den Mitgliedstaaten zu fördern. Schwerpunkt sollen hier Investitionen in Verteidigungsbereiche wie Raketenabwehr, Drohnentechnologie und Cybersicherheit sein. Bei der Vergabe von Aufträgen wird auch hier besonderer Wert auf die Beteiligung europäischer Unternehmen gelegt.
Auch sogenannte Drittländer, also Länder außerhalb der EU, können an SAFE-Projekten teilnehmen und von den von der EU bereitgestellten Finanzmitteln profitieren. In der Pressemitteilung zur Vorstellung des Papiers wird klar benannt, wer Adressat dieser Möglichkeiten ist:
„Die Ukraine und die EFTA-/EWR-Länder können sich an gemeinsamen Beschaffungen beteiligen und von ihren Industrien einkaufen.“
Darüber hinaus soll die Europäische Investitionsbank ihre Kreditvergabe für Verteidigungs- und Sicherheitsprojekte ausweiten. Gleichzeitig setzt der Plan auf die Mobilisierung privaten Kapitals, etwa durch eine neue Strategie zur Förderung von Spar- und Investitionsflüssen in sicherheitsrelevante Branchen. Ziel ist es, nicht nur staatliche Mittel, sondern auch private Investitionen in die europäische Verteidigungsindustrie zu lenken – von Start-ups bis zu Großunternehmen.
Europaweite Verteidigungsprojekte
Offiziell „European MALE RPAS“ (European Medium Altitude Long Endurance Remotely Piloted Aircraft Systems) genannt, ist die Eurodrohne ein gemeinsames europäisches Rüstungsprojekt zur Entwicklung einer unbemannten Aufklärungs- und Überwachungsdrohne. Ziel ist es, eine eigenständige europäische Drohne zu schaffen, unabhängig von außereuropäischen Anbietern wie den USA oder Israel. Die Drohne wird von Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien entwickelt. Hauptauftragnehmer ist Airbus gemeinsam mit Dassault und Leonardo.
Die Eurodrohne weist eine Spannweite von etwa 26 Metern auf und kann bei einer Flugdauer von bis zu 40 Stunden eine Flughöhe von rund 13.700 Metern erreichen. Sie kann bis zu 2.300 Kilogramm Nutzlast tragen, was sowohl Sensoren als auch optional Bewaffnung umfasst.
Der Vertrag über Entwicklung und Produktion wurde 2022 mit einem Volumen von circa 7,1 Milliarden Euro unterzeichnet. Die erste Auslieferung ist Ende des Jahrzehnts geplant. Insgesamt sollen 20 Systeme (je drei Drohnen plus zwei Bodenstationen) gebaut werden.
Ein weiteres Beispiel für ein PESCO-Projekt ist „Military Mobility“, das die schnelle und unkomplizierte Verlegung von Truppen und militärischem Material innerhalb Europas ermöglichen soll. Ziel ist es, infrastrukturelle und bürokratische Hürden – etwa bei Transportgenehmigungen, Zoll oder Brückenlasten – abzubauen, damit Streitkräfte im Krisenfall rasch reagieren können. Dazu gehört auch die Anpassung von Straßen, Bahnstrecken und Flughäfen an militärische Anforderungen. Das Projekt wird von fast allen EU-Staaten sowie den USA, Kanada und Norwegen unterstützt und eng mit der NATO abgestimmt.
Die „Cyber Rapid Response Teams“ (CRRTs) sind eine weitere PESCO-Initiative, die darauf abzielt, gemeinsam schnell auf Cybervorfälle und -krisen reagieren zu können. Diese Teams bestehen aus spezialisierten IT-Experten der teilnehmenden Mitgliedstaaten und können sowohl präventiv als auch reaktiv eingesetzt werden, beispielsweise zur Bewältigung von Cyberangriffen, Durchführung von Schwachstellenanalysen oder zur Unterstützung bei der Absicherung kritischer Infrastrukturen.
Das Projekt wurde von Litauen initiiert und koordiniert. Die CRRTs können auf Anfrage von EU-Mitgliedstaaten, EU-Institutionen oder Partnerländern aktiviert werden, um bei der Bewältigung von Cybervorfällen zu unterstützen. Ein Beispiel für einen solchen Einsatz ist die Unterstützung Moldawiens während der Präsidentschaftswahlen 2024, bei der ein CRRT zur Sicherung der Cyberinfrastruktur des Landes beitrug.
Abhängigkeit von den USA gewachsen
Diese von SIPRI aufgezeigte Entwicklung unterstreicht Europas wachsende Abhängigkeit von US-amerikanischer Rüstungstechnologie. Trotz Bemühungen, die europäische Verteidigungsindustrie zu stärken, entscheiden sich viele Länder weiterhin für den Erwerb von US-Waffensystemen.
Die zunehmende Abhängigkeit von US-Waffenimporten wirft Fragen hinsichtlich der strategischen Autonomie Europas auf. Es besteht die Herausforderung, ein Gleichgewicht zwischen der Nutzung bewährter US-Technologie und der Förderung einer eigenständigen europäischen Verteidigungsindustrie zu finden.
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