Entführungsfall: Schwedens Ex-Botschafterin in China steht vor Gericht
In Stockholm startete unter Ausschluss der Öffentlichkeit der Prozess, um die ehemalige Botschafterin Schwedens in China – Anna Lindstedt. Sie soll im Januar 2019 als Botschafterin, ein Treffen in einem Stockholmer Hotel arrangiert haben, ohne dass sie dazu vom schwedischen Außenministerium autorisiert worden wäre. An dem Treffen nahmen Angela Gui, die Tochter von Gui Minhai, ein chinesischer Geschäftsmann und sein Kollege teil.
Gui Minhai ist Autor mehrerer Enthüllungsbücher über prominente chinesische Parteifunktionäre, wie zum Beispiel über Chinas Staatspräsidenten Xi Jinping. Als er sich in Thailand aufhielt wurde Gui vom chinesischen Regime entführt, kam frei und wurde erneut verhaftet. Er befindet sich aktuell in chinesischer Gefangenschaft.
Tochter von Gui Minhai sollte schweigen
Der erklärte Zweck des Treffens im Hotel war, dass die chinesischen Geschäftsleute Angela Gui ein Stellenangebot unterbreiten wollten. Doch das Gespräch wurde schnell auf ihren inhaftierten Vater gelenkt. Angela Gui zufolge machten die Geschäftsleute Gui ein Angebot, das zur Entlassung ihres Vaters führen könne.
Und zwar sollte Gui dafür ab sofort zur Entführung und Inhaftierung ihres Vaters schweigen. Nach der Entführung ihres Vaters hatte sie sich mehrfach öffentlich kritisch zur Verhaftung ihres Vaters und zu dem Handeln der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) geäußert.
Dieses Treffen war seitens der schwedischen Botschafterin weder mit dem schwedischen Außenministerium abgesprochen, noch wurde das Ministerium nach dem Treffen über den Verlauf informiert.
Gui wandte sich nach dem Treffen an die schwedischen Medien und machte das Gespräch publik. Daraufhin schaltete sich der schwedische Verfassungsschutz ein und die Botschafterin wurde beurlaubt.
Die Beziehungen zwischen Schweden und China hatten sich in den letzten Jahren immer mehr verhärtet.
Staatsanwalt: „Botschafterin hat gegen schwedische Außenpolitik verstoßen“
Für den mit dem Fall betrauten Staatsanwalt Henrik Olin, habe eine Botschafterin zwar unglaublich weitreichende Befugnisse, jedoch gelte auch für sie eine Grenze. „Und wir meinen, diese Grenze hat sie überschritten. Sie hat gegen die derzeitige schwedische Außenpolitik verstoßen“, äußerte er gegenüber „sverige radio“.
Lindstedt bestreitet einen Fehler begangen zu haben, will aber außerhalb der Gerichtsverhandlung keine Aussagen machen. Nach Ansicht der Verteidigung gab es keine spezifischen Anweisungen seitens der Regierung für die Behandlung des Falles Gui Minhai. Auch wären die Befugnisse von Anna Lindstedt als Botschafterin uneingeschränkt gewesen, so die Verteidigung.
Dies sei ein zentrales Thema, erklärt Staatsanwalt Olin. Er weist darauf hin, dass es in dem Fall nicht um allgemeine Einschränkungen der Befugnisse eines Botschafters gehe, sondern um die Anweisungen, die in dem speziellen diplomatischen Fall in Bezug auf Gui Minhai galten.
„Das macht die Komplexität dieses Falles aus – es gibt kein Zehn-Punkte-Dokument, in dem es heißt: ‚Dies ist Schwedens konsularische Strategie im Fall des inhaftierten Bürgers Gui Minhai‘.“ Hier ginge es darum, dass ihre Handlungen im Gegensatz zur Haltung des Außenministeriums standen. Auch ginge es um Lindstedts widersprüchliches Verhalten selbst, sagte Henrik Olin.
Fall einzigartig in Schwedens Geschichte
Eine weitere wichtige Frage ist, wie das derzeitige schwedische Gesetz zu verstehen ist, so Olin. Das Verbrechen, „Einstimmigkeit bei Verhandlungen mit ausländischer Macht“, wurde noch nie vor einem schwedischen Gericht verhandelt.
„Denn es muss für eine Verurteilung erwiesen sein, dass die [anscheinend in Schweden lebenden chinesischen] Geschäftsleute, die an dem Treffen teilnahmen, die Interessen eines ausländischen Staates vertraten“, führt der Staatsanwalt aus.
Der Verteidigung zufolge vertraten die Geschäftsleute nur ihre eigenen Interessen bei der Verbesserung der Beziehungen zwischen Schweden und China, um Geschäfte zwischen den Ländern zu tätigen. Der Staatsanwalt Henrik Olin schließt jedoch seiner Meinung nach nicht aus, dass die Männer auch die Interessen des chinesischen Staates vertraten.
„Sie mögen durchaus Geschäftsleute mit ihren Geschäftsinteressen sein, vertreten aber dennoch in diesem Zusammenhang die Interessen des chinesischen Staates. Und wir glauben, dass ihr Verhalten und Handeln völlig im Einklang mit Chinas Interesse steht“, sagte Olin.
Kritiker sehen in den chinesischen Geschäftsleuten Vertreter der chinesischen „Heimatfront“ jener von Peking gesteuerten weltweit verbreiteten Organisation in der sich die Übersee-Chinesen organisieren, um sich für Pekings Interessen im Ausland einzusetzen.
Peking verurteilte Gui Minhai zu zehn Jahren Haft
Gui Minhai ist einer von fünf in Hongkong ansässigen Buchhändlern, die bekannt dafür sind, kritische Bücher über die politische Führung Chinas zu veröffentlichen. Er war im Januar 2018 in einem Zug nach Peking festgenommen worden, obwohl er von zwei schwedischen Diplomaten begleitet wurde. Erst drei Monate zuvor war Gui aus chinesischer Haft entlassen worden.
Erstmals war der Verleger 2015 während eines Urlaubs in Thailand verschwunden – mutmaßlich wurde er damals vom chinesischen Geheimdienst verschleppt. Er tauchte dann später auf dem chinesischen Festland wieder auf.
Wegen der angeblichen Weitergabe geheimer Informationen ans Ausland ist der Peking-kritische Verleger Gui Minhai im Februar 2018 in China zu zehn Jahren Haft verurteilt worden. Schweden protestierte gegen das Urteil und forderte die Freilassung Guis.
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