Trotz Warnungen: RWE will in Kürze fünf Kohlekraftwerke abschalten
Erst in den vergangenen Wochen haben TransnetBW, der Bundesrechnungshof und der Netzbetreiber Westenergie eindringlich vor einer kritischen Netzsituation in Deutschland gewarnt. Immer mehr wetterabhängige Windkraft- und Photovoltaikanlagen sollen künftig unsere Energieversorgung dominieren. Gleichzeitig will die Bundesregierung in den kommenden Jahren nach dem Atomausstieg auch den Kohleausstieg durchziehen.
Jetzt hat RWE, Deutschlands größter Kraftwerksbetreiber, angekündigt, die ersten Kohlekraftwerksblöcke vom Netz zu nehmen – und das schon in den kommenden Tagen, nämlich zum 31. März.
Abschaltung wichtiger Kraftwerke
Auf der Bilanz-Pressekonferenz der RWE AG zum Geschäftsjahr 2023 am 14. März verkündete der RWE-Vorstandsvorsitzende Markus Krebber, wie das Unternehmen seinen Kraftwerksbestand zunehmend dekarbonisiere. Seit 2018 habe RWE den CO₂-Ausstoß seines Energieportfolios halbieren können, wie aus dem Protokoll der Pressekonferenz hervorgeht. Um diese Entwicklung weiterzuführen, sollen im nächsten Schritt die ersten Kohlekraftwerke vom Netz genommen werden. Krebber sagte:
In gut zwei Wochen werden wir im Rheinischen Revier die drei Braunkohleblöcke endgültig stilllegen, die von der Bundesregierung in der Energiekrise aus der Sicherheitsbereitschaft aktiviert worden waren. Planmäßig schalten wir zudem die beiden 600-Megawatt-Kohleblöcke in Neurath ab, deren Betrieb per Gesetz verlängert worden war.“
Mit weiteren Abschaltungen von Braunkohlekraftwerken im Laufe dieses Jahres nimmt der Energiekonzern nach Aussage des RWE-Chefs bis zum Jahresende eine gesicherte Grundlastkapazität von 2,5 Gigawatt (GW) vom Netz, wie die „Welt“ berichtet. Mit dieser Kapazität lässt sich problemlos eine Großstadt wie Berlin mit rund 3,5 Millionen Einwohnern mit Strom versorgen.
Die Standorte der betroffenen Braunkohlekraftwerksblöcke befinden in unmittelbarer Nähe von Köln in Nordrhein-Westfalen, also dem Bundesland mit der höchsten Bevölkerungsdichte Deutschlands.
Bei den genannten Kraftwerken, die zum 31. März ihren Betrieb einstellen, ist es allerdings nicht so, dass sie womöglich ohnehin nicht mehr oft im Einsatz wären. Ganz im Gegenteil: Laut der Recherche des YouTube-Kanals „Outdoor Chiemgau“ haben diese Blöcke in den vergangenen Tagen teils auf Hochtouren Strom produziert. Somit verliert das Bundesland mit über 18 Millionen Einwohnern einen Teil seiner kritischen Grundleistung.
Dunkelflaute nicht selten
Die derzeitige Kraftwerksstrategie 2026 der Bundesregierung sieht vor, dass wasserstofffähige Gaskraftwerke die abgeschalteten Kohlekraftwerke ersetzen sollen. Sie würden dann den Strombedarf decken, wenn die sogenannten erneuerbaren Energien primär aus Sonne und Wind mal zu wenig leisten.
Diese sogenannte Dunkelflaute kommt öfter vor. Nachts kann keine Solaranlage Strom produzieren. Selbst bei bewölktem Wetter können Solarmodule nur 10 bis 50 Prozent ihres Potenzials leisten, je nach Stärke der Verschattung. Wenn dann auch noch im ganzen Land kaum Wind weht, sind andere, zuverlässige Energiequellen nötig, um den Strombedarf des Landes zu decken.
Die letzte Dunkelflaute war erst am frühen Abend des 20. März, laut Electricity Maps. Um 19 Uhr waren bereits alle Photovoltaikanlagen aus – null GW. Der Wind wehte zudem nur schwach über Deutschland. Von gut 69 GW installierter Leistung flossen lediglich 1,92 GW ins Netz. Entsprechend mussten zu diesem Zeitpunkt Kohle-, Erdgas-, Pumpspeicher- und Biomassekraftwerke den Bedarf decken.
Hinzu kamen rund 12,5 GW importierter Strom aus Frankreich, Österreich, der Schweiz, Norwegen, Belgien und Dänemark. Das bedeutet: Deutschland kann sich schon jetzt nicht mehr sicher selbst mit Strom versorgen. Das Abschalten der Kohleblöcke könnte das Land daher noch abhängiger von Stromimporten machen.
Bereits der Bundesrechnungshof hat in seinem Sonderbericht „Energiewende nicht auf Kurs“ gezeigt, dass Windkraft- und Solaranlagen nur eine geringe oder keine gesicherte Leistung aufweisen. Konventionelle Kraftwerke wie Kohle-, Gas- oder Ölkraftwerke haben dagegen eine hohe gesicherte Leistung von 89 Prozent. Sie sind praktisch jederzeit betriebsbereit und liefern die Menge, die im Netz benötigt wird.
Bei seiner Ansprache erwähnte der RWE-Chef auch die Versorgungssicherheit. Damit diese erhalten bleibt, habe Deutschland „eine Herkulesaufgabe vor sich“. Krebber betonte: „Wir müssen unser bisheriges Rückgrat der Versorgungssicherheit – Kernenergie und Kohle – komplett ersetzen.“
Zu wenig neue Gaskraftwerke
Ob rechtzeitig ausreichend wasserstofffähige Gaskraftwerke errichtet werden können, ist jedoch ungewiss. Krebber erwähnte, dass die ersten Ausschreibungen spätestens dieses Jahr erfolgt sein müssen, damit die Kraftwerke noch in dieser Dekade ihren Betrieb aufnehmen können. Die Regierung erwähnt diesbezüglich eine Zielmarke von 10 GW Gesamtleistung. Doch nach Ansicht des Bundesrechnungshofs wird dies nicht ausreichen, um genügend steuerbare „Backup-Kapazitäten“ aufzubauen.
Bei einem kompletten Kohleausstieg bis 2030 müssten nach Einschätzung des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft bis dahin bis zu 40 Gigawatt errichtet worden sein. Das wären rund 80 Kraftwerksblöcke. Diese Einschätzung ergibt sich aus dem aktuellen Kohlekraftwerksbestand. Laut Energy-Charts stellen Braun- und Steinkohlekraftwerke derzeit insgesamt rund 44 GW zur Verfügung (Stand 24. Januar 2024).
(Steuer-)Geld für RWE als Motiv?
RWE sieht die Erneuerbaren inzwischen als „Kerngeschäft“, in das das Unternehmen im vergangenen Jahr über elf Milliarden Euro investiert hat. Auf der anderen Seite stehen Einnahmen durch die Stromkunden. Die vorzeitigen Abschaltungen seiner Kohlekraftwerke im Rheinland bedeutet für das Energieunternehmen aber eine weitere Einnahmequelle. Denn erst im Dezember hat die EU-Kommission die Pläne der Bundesregierung, RWE dafür mit 2,6 Milliarden Euro zu entschädigen, gebilligt.
Nach Einschätzung der Brüsseler Behörde ist die Entschädigung notwendig, damit RWE die aktuell profitablen Kraftwerke abschalten kann und Deutschland seine Klimaziele erreicht. Die Höhe der Zahlung entspreche dem nötigen Minimum, erklärte die Kommission. Das Risiko einer unerwünschten Wettbewerbsverzerrung sei gering, weil die Gewinne des Konzerns deutlich über der Entschädigung liegen.
RWE begrüßte damals die Entscheidung. Denn für das Unternehmen bedeute der vorzeitige Kohleausstieg „erhebliche Belastungen“, wie RWE mitteilte. Seit Ende 2020 hat RWE bereits fünf Braunkohlekraftwerksblöcke stillgelegt.
(Mit Material von AFP)
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